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nehmungen von Mark und Bedeutung biegen bei dieser Umschau von der Bahn ab und verlieren so den Namen That."

Hier, hier ist der Schlüssel zu der Handlungsweise Hamlets. Wie auf diesen Monolog, müssen wir in unserer Auffassung auch auf das Schauspiel den grössten Nachdruck legen. Hamlet fordert von den Schauspielern eine Probe ihrer Kunst und wählt ein Thema, das ihm gestattet, ausser sich zu sehen, was ihn innerlich beschäftigt, und verlangt daher mit Absicht eine gewisse Rede, worin die Ermordung des Königs Priamus und der Schmerz seines Weibes Hekuba erzählt wird. Unter dem Mörder schwebt ihm der Oheim, bei Hekuba's Jammer der Hochzeitsjubel seiner Mutter, bei der Klage um den todten König der todte Vater vor! Nun entsteht der Gedanke in ihm, die Macht des Schauspiels auch an seinem Gegner zu erproben, sich so endlich die Gewissheit zu verschaffen, ob Klaudius ein Mörder sei. Er wird zu diesem Zwecke selbst Dichter auch das ist eine That.

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Frisch an's Werk, mein Kopf! Hum, hum!
Ich hab' gehört, das schuldige Geschöpfe,
Bei einem Schauspiel sitzend, durch die Kunst
Der Bühne so getroffen worden sind
Im innersten Gemüth, dass sie sogleich
Zu ihren Missethaten sich bekannt:

Denn Mord, hat er schon keine Zunge, spricht
Mit wundervollen Stimmen. Sie sollen was
Wie die Ermordung meines Vaters spielen
Vor meinem Oheim: ich will seine Blicke
Beachten, will ihn bis in's Leben prüfen:
Stutzt er, so weiss ich meinen Weg. Der Geist
Den ich gesehen, kann ein Teufel sein;
Der Teufel hat Gewalt sich zu verkleiden
In lockende Gestalt; ja und vielleicht,
Bei meiner Schwachheit und Melancholie,
(Da er sehr mächtig ist bei solchen Geistern)
Täuscht er mich zum Verderben: ich will Grund,
Der sichrer ist. Das Schauspiel sei die Schlinge,
In die den König sein Gewissen bringe.

Shakspeare bereitet der dramatischen Poesie dadurch, dass das Schauspiel zur Entlarvung des Königs führt, einen Triumph, wie Schiller in den „Kranichen des Ibykus" und in den Künstlern:"

Vom Eumenidenchor geschrecket,

Zieht sich der Mord, auch nie entdecket,
Das Loos des Todes aus dem Lied.

Der König geräth in Verwirrung, springt auf und ruft nach Licht. Hamlet hat nun Licht. Jetzt ist der Moment da, wo er handeln soll. Sein ganzes bisheriges Zaudern ist, weil erklärbar, verziehen, wenn er nun dem Rufe des Schicksals und der eigenen Erkenntniss folgt. Warum versäumt er jetzt im Angesichte des bestürzten Hofes den Augenblick, dieses köstliche Geschenk des Himmels? Aus dem grauenerregenden Jubel, den Hamlet bei der Entlarvung des Königs ausstösster lacht und ruft nach Musik, nach Flöten, singt und thut sich auf sein Schauspiel etwas zu gute - kann man auf die entsetzliche Last zurückschliessen, unter der er bisher keuchte. Was ihn bisher hemmte, fliegt weg. Die Seele ist frei! Dieses fast selige Gefühl übermannt den Unglücklichen leider so, dass der König bereits den Saal verlassen hat, ehe Hamlet zu rechter Besinnung kommt.

Wie Hamlet hat jetzt auch der König einen Moment, wo er sich mit der sittlichen Nothwendigkeit aussöhnen könnte, den des Gebets, der freiwilligen Entsagung und Busse; er lässt ihn wie Hamlet ungenutzt vorübergehen. Hamlet, auf dem Wege zu der Königin trifft den Mörder, wenigstens in der Stellung des Gebets. Hamlet ist zu der Vernichtung des Gegners entschlossen; aber er denkt jetzt mehr an die Rache als an Sühne der Unthat; diese lag ihm ob, nicht jene. Richter, doch nicht grausam soll er sein. Es ist kein Zeichen von Willensschwäche, dass er in diesem Augenbliche das Schwert sinken lässt; es gehört eher Stärke dazu, die Rache nochmals zu verzögern. Laertes, das Seitenbild Hamlet's, sagt im Kontrast zu dieser Scene: „er wolle seinen Gegner in der Kirche erwürgen." Im Auftritte mit der Königin sehen wir, dass er sich wenigstens eines Theils seines Auftrags entledigt hat: im Gewissen der Mutter wie des Oheims erwacht eine nimmer ruhende Nemesis. Eine Nemesis ereilt ihn aber selbst dafür dass er den Stoss nicht im Schauspielsaale geführt. Jubelnd ruft er: Ist's der König" und stösst in die Tapete und tödtet Polonius, den Horcher.

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Der Himmel hat gewollt,

Um mich durch dies und dies durch mich zu strafen,
Dass ich ihm Geissel muss und Werkzeug sein.

Polonius fällt mit Recht diese Stütze des entweihten Thrones - und durch Hamlet's Hand; aber Hamlet, der jetzt unbewusst ein Werkzeug des Himmels war, steht auch entsetzt! Er, der einen Gedanken allseitig erwogen haben will, ehe er ihn ausführt, hat diesmal blind gehandelt. O Ironie des

Schicksals!

Jetzt erscheint der Geist zum zweiten Male, der bis zum Schauspiele geruht. Nun hat Hamlet Gewissheit; nun mahnt er ihn.

Bei Wiederkehr besonnenen Denkens muss Hamlet das Uebereilte seiner nächtlichen Handlung erkennen und beweinen. Den Vater der Geliebten! Verwandelt tritt er vor uns, sich selbst zürnend. Selbst schuldig, kann er nun nicht als Kläger auftreten, sondern muss wie Schiller's Johanna die Strafe stumm über sich ergehen lassen. Von des Königs Leuten umgeben, bewacht, mit List auf das Schiff gelockt, wird er zu einer abentheuerlichen Fahrt gezwungen, auf der er eben sich selbst

und den Glauben an eine Gottheit wiederfindet. Wir können ihn leider nicht begleiten --- die Zeit ist vorgerückt nicht genauer untersuchen, wie ihm beim Anblick des von Fortinbras geführten Heeres das Grundgesetz alles grossen Handelns aufgeht

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Wahrhaft gross sein, heisst

Nicht ohne grossen Gegenstand sich regen;
Doh einen Strohhalm selber gross verfechten,
Wenn Ehre auf dem Spiel

nicht das Schiff mit Hamlet besteigen, nicht den Uriasbrief für Rosenkranz und Güldenstern, diese feigen Heuchler, schreiben, nicht mit ihm gegen die Seeräuber kämpfen, nicht mit ihm nach Dänemark zurückkehren. Zweimal entgeht er einer grossen Lebensgefahr, kann wohl seufzen: ein Menschenleben währt nicht länger, als man Zeit braucht Eins zu sagen. Mit Gedanken der Demuth betritt er den Kirchhof; eine elegische Stimmung treibt ihn zum Orte des langersehnten Friedens. Vielleicht zieht ihn auch Ofelias verklärter Geist.

Die Kirchhofscene, in welcher der selbstgefällige Humor des Todtengräbers, für den Alles Komödie ist, grässlich mit Hamlet's Schwermuth kontrastirt, ist im Geistesgange Hamlet's von grösster Bedeutung. Der Dichter stellt ihn hier auf den Punkt der Erde, wo der stolze Philosoph aus seiner Höhe herab

sinkt. Das Drama zeigt ein des Ringens und Strebens so volles Leben; plötzlich werden wir dahin versetzt, wo alles Dasein endet, wo eines Mädchens Witz so sterblich ist wie eines alten Mannes abgetragene Weisheit. Was ist hier der Mensch, der im Begreifen einem Gotte, im Handeln einem Engel gleicht? Staub. Alexander, der Weltherrscher, wie Yorik der Narr, nichts als Staub. Hier endet alles Denken, Wollen, Handeln; hier streiten nicht mehr zwei Gedanken um den Vorrang; höchstens kollern zwei Schädel nebeneinander hin.. Hier ist die Frage: Sein oder Nichtsein? entschieden. Hamlet, jetzt noch in Jugendfrische, reich an Gedanken, eines wichtigen Unternehmens voll, er steht da auf dem Hofe des Friedens und ahnt nicht, er stehe schon vor seinem eigenen Grabe. spottet des Advokaten, dem seine Finten nichts mehr nützen; wozu werden ihm seine Ideen helfen? Werden sie die Würmer eine Minute länger abhalten? Hamlet, wo ist hier Deine Freiheit? Hier geht sie in eine ernste, mitleidslose Nothwendigkeit über. Ofelia's Leiche lehrt es Dich.

Er

Der Mensch kann eine grosse That von einem zweifachen Standpunkte, thun: von dem jugendkräftiger Begeisterung wie Fortinbras oder von dem einer klaren Erkenntniss des Nothwendigen, einer resignations vollen Stimmung, die das Leben ohne Bedenken für etwas Hohes einsetzt, weil sie hier nichts mehr fürchtet, aber auch nichts mehr hofft.

Diese Stimmung trägt Hamlet aus dem Acker Gottes heim. Der Satyriker ist zum Elegiker geworden. Vertrauend legt er denken wir an seine wichtige Scene mit Horatio seine Sache und deren Ausgang in Gottes Hand. Er wird nun früher oder später, aber gewiss zu der That schreiten. Er weiss sich berechtigt:

Hamlet: Was dünkt dir, liegt's mir jetzo nah genug ?
Der meinen König todtschlug, meine Mutter
Zur Hure machte; zwischen die Erwählung
Und meine Hoffnungen sich eingedrängt;
Die Angel warf nach meinem eignen Leben
Mit solcher Hinterlist: ist's nicht vollkommen billig,
Mit diesem Arme dem den Lohn zu geben?
Und ist es nicht Verdammniss, diesen Krebs
An unserm Fleisch noch länger nagen lassen?
Horatio: Ihm muss von England bald gemeldet werden,
Wie dort der Ausgang des Geschäftes ist.
Hamlet: Bald wird's gescheh'n: die Zwischenzeit ist mein.

Er hat demnach die von ihm geforderte That vor dem Richterstuhl der eigenen Vernunft gerechtfertigt. Wir betonen

-

dies, weil wir der gewöhnlichen Ansicht, dass die endliche Tödtung des Königs durch Hamlet unfrei, ohne Ueberlegung geschähe nicht huldigen können, sondern in ihr die Vollziehung des hier angeführten ruhigen und freien Entschlusses erkennen. Er überantwortet diesen der Gottheit die unsere Pläne formt, wo sie nur grob zugehauen und übergibt ihr sich selbst: „Ich trotze allen Vorbedeutungen: es waltet eine besondere Vorsehung über den Fall eines Sperlings. Geschieht es jetzt, so geschieht es nicht in Zukunft; geschieht es nicht. in Zukunft, so geschieht es jetzt; geschieht es jetzt nicht, so geschieht es doch einmal in Zukunft. In Bereitschaft sein ist Alles."

Ja, „Bereit sein" ist Alles. In Demuth des Augenblickes warten, in welchem der Ruf an uns ergeht, aber dann in diesem Augenblicke zum Helden werden.

Der König naht zu guter Stunde, wie Hamlet sagt. Das Gericht bricht über ihn herein; alle Anstalten Becher und Rappier schlagen zum eigenen Verderben aus. Hamlet stösst ihn nieder, nicht bewusstlos wie den Polonius. Er handelt als Werkzeug der Weltordnung, aber auch aus seinem freien Willen heraus.

Wir stehen da, wohin der tiefe Sinn der ganzen Tragödie deutete: die höhere Nothwendigkeit und die menschliche Freiheit sind versöhnt. Hamlet's Laufbahn ist vollendet, die That ist geboren. Fortinbras ergreift das Scepter mit starker Hand; er wird mit Horatio das Andenken Hamlet's ehren.

Das Drama endet im Frühlinge, und Veilchen blühen auf Ofelia's Grabstätte.

Eine religiöse Tragödie im schönsten Sinne - liegt hier vor uns. Gegenüber der Willkür des Königs siegt die Nothwendigkeit; sie siegt aber auch gegenüber Hamlet, ohne dass dessen Freiheit unterläge. Wie in der Liebe Jedes siegt und zugleich besiegt ist, erringen hier beide die höhere Nothwendigkeit und die menschliche Freiheit einen Sieg, indem sie sich vereinen. Jene siegt, weil sie sich durchsetzt; diese siegt, weil sie sich von äusserer Nöthigung unabhängig erhält, bis zu dieser innere Bewegungsgründe hinzutreten.

Dies ist die Idee einer Weltdichtung, die mit nichts als mit dem deutschen Faust verglichen werden kann. Geschlechter werden kommen und gehen; aber diese beiden Tragödien werden bleiben und unsern Enkeln ein heiliges Vermächtniss sein, ein Zeugniss, dass wir an die Räthsel des Alls nahe herantraten und die Hieroglyphen, mit denen die Gottheit ihren Plan im Universum angedeutet, wenigstens zu lesen versuchten.

Prof. Dr. Ludwig Eckardt.

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