ページの画像
PDF
ePub

In diesen von Kantischem Weltbürgerthum getragenen Versen vermissen wir das frische nationale Selbstbewusstsein, welches im Volke damals freilich mehr als schlief. Dessenungeachtet hat Schiller seine grosse nationale Bedeutung. Gerade an diese uns zu erinnern und dieselbe mit Liebe zu pflegen ist die wohl berechtigte Strömung unserer Zeit. Und was die literarische Seite betrifft, so findet der Forscher noch Einzelstoff genug, den zu durchdringen ein dankenswerthes Unternehmen ist; die neue, kritische Ausgabe des Schillerschen Textes von Seiten des Professor Meyer in Nürnberg wird manchen Anstoss zu weiterer Einzelforschung geben.

Wenn nun eine solche Vertiefung der Forschung bei Schiller gilt, wie ist es, wird man fragen, bei Göthe, der durch das Hervorheben Schillers in jüngst vergangener Zeit naturgemäss für das grössere Publicum in den Hintergrund gedrängt worden ist?

Die Zahl der Schriften auch über ihn ist Legion. Leider aber, wie die öffentliche Meinung sehr oft eine irrige zu sein pflegt, giebt man einigen den Vorzug, die ihn nicht verdienen, und lässt andere in Dunkelheit, welche vielleicht die Quelle der Berühmtheit von ersteren

waren.

Dies gilt vorzugsweise von einem Beitrag, den das Ausland uns geliefert hat und dessen Lob in der letzten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts leider gerade im Munde aller Deutschen war.

Es steht fest, dass Deutsche nach allen Seiten hin Göthe durchforscht und sich bestrebt haben sein Leben, sein Genie und die Producte desselben in wechselseitige Beziehung zu setzen. Um so betrübender ist es darum, wenn die mühevollen Arbeiten unserer Nation dem leichten und, wir gestehen es gern zu, gefälligen Werke eines Ausländers (ci-devant Schauspielers, wie wir hören) haben weichen müssen, aus keinem anderen Grunde vielleicht, als weil wir die Arbeit eines Ausländers vornehmlich anzuerkennen in uns die sonderbare Verpflichtung fühlen.

Wir meinen hier die Biographie Göthes von dem Engländer Lewes.

Sieht man näher zu, was den Ruhm derselben begründet, befähigt man sich durch ernstes Studium zu einem selbständigen Urtheil unparteiisch ist ja der wahre Deutsche von Haus aus -9 so entnimmt man mit tiefer Trauer über die Bestimmbarkeit der Deutschen, dass ausser einer glatten Darstellung ein Vorzug, der auch den anderen Bio

[ocr errors]

graphien keineswegs abgeht, die Arbeit des Engländers weit hinter den fast gleichzeitig erschienenen, zum Theil umfangreicheren, jedenfalls jedoch gründlicheren Lebenscommentaren von deutschen Autoren zu stehen verdient. Neben die sprüchwörtlich gewordene Gründlichkeit stellt sich bei den Deutschen noch der Vorzug einer philosophischen Durchdringung. Von einem philosophischen Geiste, der sich bemühte, Göthes Werke genetisch aus innerer Nothwendigkeit zu begreifen, ist bei Lewes so viel wie Nichts zu finden. Es ist ein Leben im Stile eines Romans. Er ist sich der Schwäche seines Werks wohl bewusst, er kann derselben jedoch nicht abhelfen, denn es fehlt ihm an der nöthigen, hier einschlagenden wissenschaftlichen Bildung. Die Art und Weise, wie er diesen Mangel zu verdecken sucht, wie er in verwegenster Weise um nicht einen schärferen Ausdruck zu gebrauchen, der eigentlich hier nur am Platze wäre aus der Noth eine Tugend macht, ist eines wahrheitsliebenden Engländers ganz unwürdig und auf seiner Seite um so ungerechter, je mehr er wissen sollte, wie viel er Denjenigen, die er herabsetzt, verdankt.

Auf letztere Bemerkung wollen wir näher eingehen.

Wir citiren nach der Uebersetzung von Frese, weil dieselbe dem deutschen Publicum am zugänglichsten sein möchte.

„Es gab noch kein Leben Göthes," sagt Lewes in seiner Vorrede, „als ich 1845 meins begann." Gleich darauf indess: „Seit mein Vorhaben bekannt geworden, sind zwei umfassende biographische Werke, von Viehoff und von Schäfer, erschienen. Viehoff erklärt in seiner Vorrede, die Ehre der deutschen Literatur gestatte nicht, dass ein Engländer der erste Biograph der Deutschen werde und um dies Aergerniss zu verhindern, habe er sich mit „,deutschem Fleiss und deutscher Treue" selbst an's Werk gemacht, und ein Buch voll Mühe und Arbeit geliefert."

Das sagt nun eigentlich, obgleich er es mit vollem Behufe hätte thun können, Viehoff nicht, und schon daraus lässt sich entnehmen, wie ungenau Lewes im Auffassen und Wiedergeben ist. Viehoff äussert sich in der Vorrede, die sich am Anfange des zweiten Theils befindet, nur folgendermassen:

„Das Säcularfest von Göthe's Geburtstage rückte heran, und noch verlautete von keinem der Schriftsteller unseres Vaterlandes, dass er sich anschicke, den Tag, der hoffentlich als ein Nationalfest begangen wird, mit einer Biographie des Gefeierten zu begrüssen. Da kam über

den Canal her die Kunde, ein Engländer rüste sich, uns den Ruhm des Erstlingsversuchs zu entreissen. Der Unmuth über diese Nachricht besiegte mein Zagen und Zaudern. Was Begabtere zu thun versäumten, das beschloss ich zu wagen; von deutschem Fleisse, deutscher Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit (also hier führt Lewes falsch an) hoffte ich wenigstens ein achtbares Pfund in die Wagschale legen zu können, gegen jenes, den Britten und Franzosen nachgerühmte Talent, mit leichter Hand ein entsprechendes Lebensbild zu liefern. (Es ist eigenthümlich, mit welcher Richtigkeit Viehoff hier ein Werk beurtheilt, das zu jener Zeit noch ein Embryo war.) Das Wagniss war vielleicht zu kühn; so ist doch der Muth und die Quelle, woraus er mir geflossen, nicht zu verwerfen."

Danach stellt sich Viehoff zum Ausländer ganz anders; keinerlei Neid, den Lewes in die Worte hineinlegen zu wollen scheint, ist für das schärfste Auge in denselben ersichtlich.. Im Gegentheil schliesst Viehoff seine Vorrede mit den Worten: „Ich werde es über mich gewinnen, die Freude der Nation mitzufühlen, wenn meine Arbeit einem vollkommen würdigen Lebensbilde unsers grössten Dichters weichen muss. 66

Für das falsche Citat ist übrigens der Uebersetzer mit verantwortlich. Doch konnte es nur in dessen Interesse liegen, dem Lewesschen Werke eine höhere Stelle einzuräumen als denen der eigenen Nation. Der Uebersetzer hält dafür, dass die Viehoffsche Schrift keinen höhern Rang beanspruchen könne als den einer umfassenden Materialiensammlung; ein Urtheil, welches, so wie es dasteht, rein in der Luft schwebt; und dass das Buch des feinsinnigen Schäfer doch der lebenskräftigen Erfassung einer Persönlichkeit, wie die Göthe's ist, und der Frische der Darstellung, die ein solcher Gegenstand verdient und erfordert, ermangle, Bemerkungen, welche längst vor Hrn. Frese gemacht worden sind.

[ocr errors]

Hr. Frese aber kommt durch sein unbegründetes Urtheil jedenfalls unbewusst mit der Lewesschen Beurtheilung der beiden Biographien, wie uns dünkt, in Widerspruch. Von dem ersteren Buche sagt Lewes,,So umfangreich es auch ist, es fehlt darin doch viel schätzbares Material, theils weil manches erst später veröffentlicht ist und theils weil Viehoff keinen Zugang zu ungedruckten Quellen hatte. Er hat sich in der That so ausschliesslich auf Gedrucktes beschränkt, dass er nicht einmal Weimar gesehen hat, wo Göthe siebenundfünfzig Jahre.

seines Lebens zubrachte. Cicero schreiben würde. An einem ähnlichen Mangel leidet das Buch von Schäfer, der übrigens mittels knapperer Behandlung und Weglassung aller kritischen Erörterungen über die verschiedenen Werke des Dichters seine Aufgabe in grösserer Kürze gelöst hat."

So schreibt er über Göthe, wie er über

Die gerügte Unbekanntschaft einerseits, fände sie wirklich statt, würde doch durch die umfassendsten Vorstudien andererseits aufgewogen, welche keinen andern wie Viehoff, H. Düntzer vielleicht ausgenommen, zu einer Biographie Göthe's wirklich befähigten. Lewes spielt auf seinen Aufenthalt in Weimar an, der dem Ausländer überhaupt unumgänglich nöthig war, um derjenigen Auffassung deutschen Wesens geläufig zu werden, ohne welche er an ein Buch über einen Deutschen schlechterdings nicht gehen konnte.

Nimmt man ferner in Betracht, dass schon zu Lewes' Zeit diejenigen Quellen, welche noch ungedruckt waren, meistens eine sehr untergeordnete Wichtigkeit hatten, oder auch noch bis heute für jeden Literarhistoriker unzugänglich sind, so wird der Vortheil, den Lewes von ein paar Zetteln und Billeten vielleicht haben konnte, vollends unerheblich. Auch bitten wir, Lewes nicht so durchaus auf's Wort zu glauben, wenn er behauptet, es hätten Viehoff keine ungedruckten Quellen zu Gebote gestanden. Wir erinnern nur an die schriftlichen Mittheilungen von Varnhagen von Ense.

[ocr errors]

Uebrigens müssen wir uns in dem Falle, den der englische Biograph so sehr zu seinen Gunsten anführt, um so mehr wundern, dass er bei der Beschreibung weimarischer Oertlichkeiten eigentlich gar nicht auf eigenen Füssen steht, sondern meist nach gedruckten Quellen beschreibt. Wir erkennen in der Beschreibung des Parks, der Gartenhäuser in demselben etc. beinahe Zeile für Zeile den geistreichen Adolf Stahr wieder, wie er in seinem Weimar und Jena" erstere Stadt beschreibt. Lewes gesteht denn auch zu, dass ihm diese Schrift ,,sehr nützlich" gewesen ist. Wie wir aber Weimar und Jena" in dem Lewesschen Buche zum Theil wiederfinden, so verräth sich auch deutlich der Einfluss des Viehoffschen und Schäferschen Werks, namentlich im zweiten Theile. Dennoch wagt Lewes, uns Deutschen in's Gesicht zu sagen, es würde ihm schlecht anstehen, über die Verdienste dieser Darstellungen ein Urtheil abzugeben." Gleich darauf jedoch gesteht er, dass es noch schlimmer wäre, wenn er die Beihülfe, die er von ihnen gehabt habe, in

[ocr errors]

vollstem Maasse anzuerkennen unterliesse. Er habe sowohl von dem Viehoffschen wie von dem Schäferschen Buche den freiesten Gebrauch gemacht.

So dreht und wendet er sich, um schliesslich doch der Wahrheit die Ehre zu geben, dass er sein nach der anmuthigen Art der Britten und Franzosen entworfenes Gebäude aus dem Material deutscher Forscher gebaut habe. Die folgende Ehrenrettung anlangend, dass sein Buch nach Geist, Form und Inhalt von den genannten beiden so verschieden sei, so viel, was sie nicht haben, enthalte und so viel übergehe, was sie enthalten, dass ein Leser, der die Arbeiten vergleicht, von der ihm gewordenen Hülfe nichts merken würde, so bezieht sich das, was bei Lewes ein Mehr ist, auf Reflexionen, die häufig besser nicht geschrieben wären seinem Buche aber, wie gewandt es auch verfasst sei, ist beinahe auf Schritt und Tritt die Quelle deutscher Forscher nachzuweisen, welche natürlich auch eine andere sein kann als Viehoff und Schäfer. Es lässt sich also im Gegentheil sehr leicht „merken," woher Lewes gerade geschöpft hat.

Es verlangt uns aber danach, dem Leser einen positiven Beweis an die Hand zu geben, wie unrecht die Deutschen thaten, von dem Werke des Ausländers so viel Aufhebens zu machen.

Zum Ende seiner Vorrede heisst es: „Den Analysen und Kritiken von Göthe's einzelnen Werken habe ich einen bedeutenden Raum gewidmet. Nehmen doch im Leben des Heerführers seine Feldzüge nothwendiger Weise viel Platz ein. Die naturwissenschaftlichen Schriften habe ich in einer Ausführlichkeit behandelt, die unverhältnissmässig erscheinen mag.“

Was nun das Letztere anbetrifft, so ist die Darstellung von Lewes durchaus nicht genügend. So z. B. schwankt er bei der Beurtheilung der Farbenlehre und weiss nicht recht, welcher Partei er huldigen Seine Verehrung für Göthe ist gross, aber die Urtheile der Physiker verwirren ihn,

Was weiter die Analysen und Kritiken der einzelnen Werke angeht, so nehmen wir wohl am Geeignetsten seine Behandlung des vollendetsten Gedichtes von Göthe, Hermann und Dorothea. An und für sich greifen wir dieselbe ganz zufällig heraus. Wir finden diesem Gedichte den vierten Abschnitt des sechsten Buches gewidmet.

Lewes leitet mit einer Betrachtung ein, dass das Genie aus dem kleinsten Stoff zu schaffen weiss und dass, da es dem Künstler nie an

« 前へ次へ »