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Das Original - Manuscript dieser Briefe fand sich in dem Nachlasse des Geheimen-Finanzraths Langerfeldt, dessen Leisewitz unter dem 30. März 1778 als seines Neffen gedenkt. Ausser dem Original - Manuscripte des „Julius von Tarent," ausser dem eilf Bände umfassenden Tagebuche; ausser einzelnen Bruchstücken aus der Geschichte des dreissigjährigen Krieges" und aus einem Lustspiele: „der Sylvesterabend" betitelt; wie endlich ausser verschiedenen minder wichtigen Scripturen, sind allein diese Liebesbriefe dem, vom Verfasser über seinen werthvollen handschriftlichen Nachlass verfügten Autoda-Fé entgangen. Muss man auch zugestehen, dass sich der Verfasser selbst gewiss niemals zur Veröffentlichung derselben entschlossen haben würde, so hält sich der Herausgeber doch mit Leisewitz' Manen im Einverständnisse; weil die Bescheidenheit, welche dem Verklärten die Sorge für seines Namens Nachruhm nicht gestatten wollte, für den Nachlebenden die Pflicht der Pietät erhöhet.

Braunschweig, 1862.

Carl Schiller.

Nro. 1.

Freitags, den 24. Oct.
(Hannover 1777?)

Mein bestes, herrliches Mädchen!

Ungeachtet Du mich eher als diesen Brief sehen wirst, so muss ich doch heute an Dich schreiben. Meine Seele ist so voll von Dir, dass mir das blosse Denken an Dich eine mir so gewöhnliche Sache! nicht genug ist. Das Blatt, das ich jetzt vor mir habe, der Buchstabe, den ich jetzt schreibe, wird sich in Deinen Augen spiegeln. Sophie, das ist für heute das grösste Glück für mich, da wir heute nicht näher zusammenkommen können.

Ich muss Dir gestehen, Mädchen, dass ich Dich jetzt mehr liebe, als damals, wie ich es Dir zum ersten Male sagte, Deine zitternden Hände hielt und den ersten bedeutenden Kuss gab; mehr als ich weder mir, noch einem lebendigen Menschen zugetrauet hätte. Du sagst, dass Du nicht ausdrücken könntest, was Du für mich fühltest; auch mir ist die Sprache zu arm, und es sollte mir leid sein, wenn sie das nicht wäre, es wäre ein Zeichen, dass viele Leute so geliebt hätten, als wir. Und was liegt daran? Hole der Henker alle Sprachen, wir verstehen uns doch!

Du nennst mich „Engel"; ich versichere Dich, dass ich das nicht werden möchte, wenn Du ein Mensch bliebest; weil ich Dich nicht mehr so lieben könnte als jetzt. Halte das für wörtlich wahr, Beste! Du würdest mich beleidigen, wenn Du nur glauben könntest, dass ich Dir eine Galanterie sagen wollte. Meine Liebe braucht so wenig Galanterie, als Du Juwelen.

Ueberzeuge Dich fest, dass dies ewig meine Gesinnungen sein werden. Nichts soll sie verändern, nicht die grössten Reize eines andern Weibes, noch die grössten Glücksgüter; weder Engel- noch Fürstenthum. Freilich werde ich nicht immer so feurig denken, als diesen Abend; ich erhole mich zuweilen von dieser Schwärmerei in der wärmsten Freundschaft für Dich; und Du hast Reize und Talente für beide; allein solche Abende, wie dieser, werden immer und oft wiederkommen.

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Sonnabends, den 25. Oct.

Du sagtest mir einmal selbst, dass der Enthusiasmus unserer Leidenschaft zu heftig sei, als dass er immer dauern könnte. Wenn das auch wahr wäre, so sehe ich doch nicht ein, warum wir uns zu oft daran erinnern, und uns vielleicht einen herrlichen Augenblick weniger machen sollten. Darf ich mich eines jetzigen Glückes nicht freuen, weil vielleicht eine Zeit kommen wird, wo ich es nicht werde geniessen können? ist es deswegen für diese Minute kein Glück? Im Alter werde ich gewiss nicht so geschwind gehen, als jetzt; aber soll ich deswegen in diesem meinem sechsundzwanzigsten Jahre schon schleichen?

Allein ich glaube auch Gründe zu haben, aus denen ich Dich versichern kann, dass meine Liebe dauerhafter sein wird, als die gewöhnlichen. Du könntest mich freilich fragen, woher ich das weiss, wenn ich nie geliebt habe; und wenn das der Fall wäre, so wäre die Sache noch schlimmer, weil diese erste Liebe aufgehört haben müsste.

Willst Du mir ein Bisschen Eitelkeit verzeihen, meine Beste; weil ich von jeher ein fester, treuer Freund gewesen bin, so glaube ich auch, Dir auf immer für mein Herz bürgen zu können. Ich habe einen grossen Theil meines Stolzes in die Dauer und Stärke meiner Freundschaften gesetzt, und ich bin beinahe von keiner Seite her mit meinem Betragen so zufrieden, als von dieser. Ich habe bei dem Stockpferde Verbindungen errichtet, die wenn Gott mich so lange leben lässt sich mit der Krücke noch nicht endigen sollen.

Ich habe mich diese Tage hindurch viel mit Deiner Gesundheit beschäftigt. Ich sage Dir nicht, was ich dabei empfunden habe. Es würde auf Dich zurückwirken, wenn Du wüsstest, wie ich dabei gelitten habe.

Da ist beinahe wieder ein Bogen voll, und es kommt mir vor, als wenn nichts daraufstände. Man wirft uns verliebten Leuten immer vor, dass wir so weitläufig schrieben; aber man bedenkt nicht, was wir uns alles zu sagen haben. Just wie jene Frau sagte: „Sie sprechen immer von vielem Trinken; aber nie von vielem Durste."

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Unterdessen müssen wir unserer lieben Müller sehr viel Dank wissen, dass sie unserm Wesen so geduldig zusicht. Ein Umgang, wie der unsrige, ist zwar für die Interessirten das Angenehmste, aber für das ganze übrige menschliche Geschlecht das Läppischste von der Welt. Unsere Freundin musa sehr viel Güte für uns haben, unsere Tändeleien mögen ihr nun wirklich angenehm sein, oder sie mag uns nur bloss nachsehen. Freilich nimmt man Leuten einen so zärtlichen Umgang vor Zeugen grösstentheils mit deswegen übel, weil man voraussetzt, dass sie sonst Zeit dazu hätten, und das ist ja der Umstand bei uns nicht.

Du sagst, wir könnten ihr vielleicht unsere Dankbarkeit durch ihren Aufenthalt bei uns thätiger beweisen. Ich verstehe das nicht. Entschliesst sie sich, bei uns zu wohnen, so ist das eine neue Güte. Ich sehe wohl ein, wie wir dadurch tiefer in ihre Schuld, aber nicht, wie wir herauskommen.

Leisewitz.

Nro. 2.

(Hannover?), den 2. Nov. 1777.

Liebe beste Seele!

Ich habe diese Woche mit so vielen Excellenzen, Hochwürden, Gnaden, Hoch- und Wohlgeborenen Herren, unterthänigen und gehorsamsten Dienern und dergleichen Leuten zu thun gehabt, dass es mir doppelt lieb ist, meinem Mädchen cinmal wieder sagen zu können, wie unendlich ich es liebe.

Du hast Recht, wenn Du es mir verweisest, dass ich mich entschuldige, weil ich wegen Deines Betragens in Gegenwart meiner Verwandten etwas erinnert hatte. Ich bin nicht allein Dein Liebhaber im gewöhnlichen Verstande; sondern auch Dein Freund, und eine solche Aufrichtigkeit rechne ich nicht zu den Rechten, sondern zu den Pflichten der Freundschaft. Allein Du wirst auch finden, dass Dein Tadel bloss meinen Ausdruck, und nicht meine Art zu handeln trifft. Du wirst Dich erinnern, dass ich verschiedene Male in diesem Betrachte mit aller Freiheit mit Dir geredet habe; und wenn es nicht oft geschehen

ist, so wirst Du nicht so unbillig sein, es mir zur Last zu legen, dass Du das Mädchen bist, an dem so wenig auszusetzen ist. Ueberhaupt muss Dir mein ganzes Betragen gezeigt haben, dass ich Dich nicht als eine schöne Puppe, sondern als ein vernünftiges Geschöpf betrachte. Als ich Dir meine ersten Adressen machte, sagte ich Dir etwa, dass Du schöne Augen, eine zierliche Nase, eine lebhafte Farbe hättest? Ich entdeckte Dir meine Geheimnisse, fragte Dich über meine Angelegenheiten um Rath. Das sind Fleuretten für ein Frauenzimmer von Verstande.

O, Sophie, was gäbe ich in diesem Augenblicke für einen einzigen Kuss!!!

Ich versichere Dich aber bei unserer Liebe; dass ich Dir jetzt nichts von der Art zu sagen wüsste, als dass Du einer gewissen Dame*) das Uebergewicht Deiner Einsicht nicht so sehr merken liessest. Wir haben neulich schon davon gesprochen. Sie liebt Dich doch so herzlich, und ich glaube, Du könntest Dir zuweilen einen unangenehmen Augenblick ersparen. Es gehört nicht viel Verstand dazu, um einzusehen, dass ein Anderer mehr hat; und sobald Du das nicht voraussetzen kannst, muss Dein Betragen zuweilen beleidigen.

Rede ich aufrichtig, und verdiene ich nicht dadurch, dass Du mich meiner Fehler wegen erinnerst?

Wenn manches Mädchen dies lesen sollte, so würde es denken: „Lieber bis an den jüngsten Tag und noch acht Tage Jungfer geblieben, als einen solchen Pedanten von Mann! Das wird ein gebieterischer Ehe-Kaiser werden!" Mademoiselle könnten sich irren. Ich habe keinen Begriff von Herrschaft in einer Gesellschaft, wie die Ehe ist, und weiss nicht, was es heissen kann, einer vernünftigen Frau befehlen; und eine Frau, der ich befehlen müsste, o davor fürchte ich mich eben so sehr, wie Mademoiselle vor einem Manne, der befehlen will.

Du erhältst hierbei Hartgen's Brief, und wirst aus dem Inhalte sehen, warum ich ihn Dir nicht persönlich übergab.

) Sophiens Tante und Pflegemutter, die Hofapothekerin Andreae zu Hannover.

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