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Von den tausend Küssen, die ich Dir geben soll, hast Du erst einen einzigen, und ich also noch neunhundertneunundneunzig zu Gut.

Du kannst leicht denken, dass mich jetzt die grosse Veränderung, die mir bevorsteht, sehr viel beschäftigt, dass ich tausend Plane, tausend Entwürfe mache, die mein ganzes künftiges Leben angehen, und wovon Du immer der Hauptgegenstand bist. O, meine Beste, ich denke immer mit Vergnügen daran, dass das beste Mittel, Dich zu verdienen, die Erfüllung meiner Pflichten ist, ich sehe, dass die Tugend, wie für alle Menschen, also auch für mich, der Weg zur Glückseligkeit ist, und dass Du eine so unzertrennliche Gesellschafterin der Tugend bist, wie die Gewissensruhe.

Freilich macht mich unsere nahe, so lange Trennung zuweilen traurig; allein ich mache mir meine Lage so bequem, als ich kann. Ich stelle mir vor, dass Du so weit von mir entfernt wärest, dass ich einige Jahre brauchte, um zu Dir zu reisen; dass eine so lange Abwesenheit von Dir an und für sich selbst eine traurige Idee ist; allein wenn ich mir denke, dass das der Preis ist, zu dem ich Dich auf immer besitzen soll, so glaube ich, einen ganz guten Handel getroffen zu haben. Jeder Preis, wozu man Dich kauft, ist wohlfeil.

Ich höre schon auf dem Saale Musik; ich muss hinauf, um Dich zu sehen. Du musst mir die Kürze dieses Briefes verzeihen. Wenn ich an Dich schreiben will, so wird meine ganze Seele so lebhaft, dass es mir ein verdriesslicher Gedanke ist, wie sich das Alles abkühlen muss, ehe es aus dem Herzen in den Kopf, und aus dem Kopfe in die Feder kommt. Doch zukünftig mal weitläufiger. Lebe wohl, lebe wohl, Sophie! Leisewitz.

Nro. 3.

(Hannover?), Sonntags, den 9. Nov. (1777?)

Du kannst kaum glauben, beste, beste Sophie, wie begierig ich auf Deine Briefe bin. Ich wollte, dass Du mich einmal sie könntest lesen sehen; denn ich geniesse sie auf mehr, als eine Art. Anfangs durchlaufe ich sie mit der Heisshungrigkeit eines Schnitters; aber alsdann setze ich mich mit der prü

fenden Aufmerksamkeit eines feinen Essers hin, um mir auch nicht die geringste Schönheit entwischen zu lassen. Und noch immer habe ich Dich, zum Vortheil Deines Kopfes und Deines Herzens, tiefer daraus kennen lernen. Wie angenehm hast Du mich hintergangen, liebes Mädchen! Wie ich anfing, Dich zu lieben, so hatte ich freilich für Dich im Ganzen die grösste Hochachtung; allein ich rechnete doch auf manchen Fehler der Menschlichkeit und der Weiblichkeit, blickte furchtsam auf die Stellen Deines Charakters hin, wo ich so etwas vermuthete, und fand so viele Vollkommenheiten, als ich Mängel befürchtet hatte. Ich sagte Dir vorigen Sonntag etwas Aehnliches, dessenungeachtet ist die Bemerkung heute auf gewisse Art neu, da ich diese Woche, und auch aus Deinem herrlichen Briefe vom vorigen Sonntage neue angenehme Entdeckungen von dieser Gattung gemacht habe.

Gutes Mädchen, eben da ich dieses schreibe, sind wir wieder unter einem Dache zusammen, und das hilft uns wieder eben so wenig, als wenn wir in einem Grabe zusammen lägen,

ohne einen Kuss, ein Wort, einen Blick, worauf jetzt unser ganzer persönlicher Umgang zusammengeschmolzen ist. Doch nichts davon! Heute bist Du sogar in dem Zimmer, worin ich so lange gewohnt habe, wo ich mich so manche Stunde mit Dir beschäftigte und den Entschluss, Dich zu lieben, fasste.

Ich würde mich sehr irren, wenn Du nicht diesen Nachmittag an mich gedacht, mich an jedem Orte in diesem Zimmer gesehen hättest.

Willst Du mir eine Anmerkung erlauben, Beste, ohne mich wie vordem unter der Gestalt eines Schulmeisters zu sehen? Mir deucht, Du vermiedest mich in Gegenwart meiner Familie zu sehr. Du machst in der That den Leuten ein übles Compliment, wenn Du ihnen nicht zutrauest, dass sie stolz auf Dich werden könnten, und von der andern Seite erreichst Du Deinen Zweck nicht, wenn Du mit Blicken und Complimenten so ängstlich um mich weggehst. Aus Deinem Betragen gegen mich kann man nur zweierlei schliessen: entweder, dass Du mich von Herzen liebst, oder von Herzen verachtest. Worauf meinst Du, dass meine Verwandten rathen werden? Du weisst nun freilich, dass mir es einerlei ist, was die Leute denken; allein

wenn Du einmal einen Wunsch hast, so wollte ich auch, dass Du ihn erreichtest; auch bin ich gestern, wie Du wirst bemerkt haben, ganz in Deine Ideen hineingegangen. Noch einmal verzeihe mir meine Weisheit.

Veltthusen*) hat mich um eine gute Stunde gebracht; es ist spät. Ich umarme Dich, ach, nur in Gedanken! Leisewitz.

Nro. 4.

(Hannover.) Freitags, den 28. Nov. 1777.

Liebes Clever-Aesschen!

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Du jemals ein Sperling, und in dieser Gestalt unter den grausamen Händen eines muthwilligen Knaben gewesen sein solltest; - und wenn das nicht ist, so kannst Du Dir keinen Begriff davon machen, wie mich die Liebe in diesen letzten zwei Tagen verhandhabt hat. Ich hoffe, Du wirst den Leiden des jungen Leisewitz eine empfindsame Thräne schenken.

Du weisst, der Mensch und also auch Dein gehorsamster Diener besteht aus zwei Theilen: einer vernünftigen Seele und einem wohlgestalteten Leibe. Beide hat das Schicksal genug gequält, und wie ich glaube, sich doch noch geärgert, dass ich nicht einen dritten Theil hatte, weil es mich alsdann noch um ein Drittheil mehr hätte martern können.

Ungeachtet einiger nachdenklichen Ahnungen, die ich gottloser Weise in den Wind schlug, liess ich es mir doch am Mittwochen einfallen, Dich zu besuchen; brauchte alle menschenmögliche Vorsicht, entdeckte auf Deinem Zimmer Licht, und hoffte, in wenigen Augenblicken in Deinen Armen zu sein. Vorläufig ging ich zur Tante, **) sprach, wie ich selbst gestehen muss, sehr vernünftig von Diesem und Jenem, und Jenem und Diesem, als sie auf einmal anfing: „Es sollte mir leid thun, wenn Er auf Clever-Aesschen lauerte. Clever-Aesschen ist nicht zu Hause."

*) Kriegssecretair zu Hannover, ein geistig bedeutender Mann. **) Gattin des Hofapothekers Andreae.

Der vom Himmel gefallen war, war ich; denn im Vertrauen gesagt, ich lauerte sehr stark auf Clever-Aesschen. Unterdessen verbiss ich meinen Verdruss mit vieler Verstellung, sprach noch etwas mit dem Onkel, *) der mittlerweile nach Haus kam, und ging Abends in den Club, wo ich noch so ziemlich vergnügt war, und wider meine Gewohnheit mit Vergnügen französisch sprach.

Nachdem ich gestern Morgen vor Deinem Bilde meine verliebte Andacht verrichtet hatte im Vorbeigehen muss ich darüber eine Anmerkung machen. Wie meine Gegner in Braunschweig gegen meine Person nichts weiter einwenden können, so sprengen sie aus, ich wäre reformirt, ein Umstand, der mich unfähig machte, eine Stelle im Lande zu bekleiden. Die Sache widerlegte sich bald; hätte mich aber Jemand vor Deinem Bilde gesehen, so hätte er gewiss gesagt, ich wäre katholisch, weil ich die Heiligen anbetete. Ich wäre wirklich in Verlegenheit gekommen, was ich hätte antworten sollen.

Wie ich angebetet hatte, es war um acht, so überlegte ich meinen Tag, und glaubte, es wäre unmöglich, Dich zu sehen. Um zehn, und also mehr gegen Nachmittag, dachte ich, vielleicht lässt sich das Ding doch machen.

Unglücklicher Weise bestätigte mich in diesen Gedanken ein Besuch, den ich von einem alten Bekannten erhielt. Dieser Mann ist ein wahrer Aventürier, Student, Prediger, Husar, Hofmeister, und Gott weiss was gewesen; jetzt bekommt er eine Kammerbedienung. Bei seinen vielen Schicksalen hat er sich ungemein viel Weltklugheit erworben, kennt Menschen und Sachen, und weiss beide am rechten Orte anzugreifen. Ungeachtet er zum Exempel einer der kühnsten Leute ist, die ich kenne, unzählige Duelle gehabt hat, und sich so viel daraus macht, wie ich, wenn ich ein Glas Wasser trinke: so hat er doch jetzt die sanfte bescheidene Miene eines jungen Mädchens. Er ging weg, ich überdachte seinen Lebenslauf; „Der Teu

*) Joh. Gerh. Reinhard Andreae, geb. am 17. Dec. 1724 zu Hannover; gest. daselbst am 1. Mai 1793 als Hof-Apotheker. Seine Schriften verzeichnet: Heinr. Wilh. Rotermund Das gelehrte Hannover, Bremen 1823, I. p. 39-40.

fel," rief ich, „es ist doch eine schöne Sache um die Klugheit, ich will auch pfiffig sein, und durch List heute zu Sophien!" Ich schrieb in dieser Absicht das Epheubillet, weil ich hoffte, dass man mich bei der Gelegenheit bitten würde; es ward nichts daraus, wie Du weisst, und ich hätte voraussehen können. Es ist das einer von meinen einfältigen verliebten Streichen, womit ich es sonst doch noch ganz billig gemacht habe. So wie auch meine Hoffnung hin war, so sah ich auch gleich den ganzen elenden Grund, auf dem sie gebauet war, und ärgerte mich über meine dumme List, die auch wirklich um ein gut Theil schlimmer ist, als dumme Dummheit.

Ich vertröstete mich mit dem Sprichworte: der Baum fällt nicht auf den ersten Hieb, ich bin noch ein Anfänger in der Pfiffigkeit, ein Mann, und kein Weib. Denn Ihr seid in Absicht der List Genies, wir Schulgelehrte; Euch wird das angeboren, was wir lernen müssen, und nie gut lernen.

Der Onkel ist auf der Wallmoden'schen Auction, ich will hin, und mit ihm weggehen. Es lässt sich zehn gegen eins wetten, dass er mich zu sich bittet, alsdann ist es erst sechs; höchstens um halb sieben die wärmste Umarmung mein.

Ein schönes Project; nur Schade, dass der Onkel nicht auf der Auction war. Das war die letzte Hoffnung, Dich zu sehen; ich dachte auf weiter nichts mehr, als wie ich den Rest des Abends mit einem guten Freunde verplaudern wollte.

Ich ging zu Klockenbring,*) der mir in der Thür begegnete, und bedauerte, dass er nothwendig ausgehen müsse; wenn er um acht Uhr nach Haus käme, wollte er es mir sagen lassen.

Mein Weg führte mich nach Haus, und ich dachte, ein

*) Friedr. Arn. Klockenbring, geb. am 31. Juli 1742 zu Schnackenburg im Lüneburgischen, gest. am 12. Juni 1795 zu Hannover als GeheimerCanzleisecretair. Ein persönlich sehr interessanter Mann, der als Freund Lichtenberg's und anderer Widersacher des Leibarztes Zimmermann, in dem 1790 erschienenen, berüchtigten Pasquill „Bahrdt mit der eisernen Stirn“ unbarmherzig mitgenommen wurde. Ueber seine Schriften ist zu vergleichen: Heinr. Wilh. Rotermund Das gelehrte Hannover. Bremen 1823. II. p. 556 -559, und: Sam. Baur allgem. histor. Handwörterb. Ulm 1803. p. 569.

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