ページの画像
PDF
ePub

über die Entwicklung des deutschen Geistes bis zum Zeitalter Ludwig's an den Anfang meines Vortrages habe stellen müssen, um dann zu schliessen. Wenn Ebert zur Erklärung der Erfolge der französischen Tragödie eine vollständige geschichtliche Entwicklung mit stetem Hinblick auf die Umgestaltungen der allgemeinen Cultur Europas verlangt, und zwar indem man dieselben nicht einzeln, sondern im Zusammenhange betrachtet, 80 kann ich aus diesen Worten doch nicht herausfinden, was er wohl eigentlich für den geistigen Kern der französischen Tragödie hält, und erst, wenn dieser gefunden ist, kann man doch eigentlich die Wirkungen ihrer einzelnen Dichtungen erklären, besonders aber meine ich, ihre Wirkungen auf Deutschland. Der weltgeschichtliche Beruf des französischen Trauerspiels, fährt er fort, war auf die Antike hinzuweisen. Ich frage, wie kam die französische Tragödie zu diesem Beruf? In aller Kürze, meine Herren, einige beschliessende Andeutungen.

[ocr errors]

Wenn ich zu Anfang aufmerksam machte auf den tragischen Bruch der Gemüther in jenem Kampfe mit dem Papstthum, wenn es wahr ist, dass aus dem noch tieferen Bruch durch die Reformation eine Fülle von Gedanken und Gefühlen heraufströmte, welche zur Versöhnung und zur Vermittlung zwischen dem Unendlichen und dem Einzelnen strebten stelle ich neben diese Entwicklung, welche der Kunst den tiefsten sittlichen Gehalt bot, ohne jedoch bis dahin eine classische Form sich geschaffen zu haben, dasjenige Element, welches mir in der ganzen literarischen und künstlerischen Entwicklung Frankreichs die Hauptrolle zu spielen scheint, den Heroismus. Von der Chanson de Roland an, steht er da, dieser fertige, einfache, vollkommen in sich geschlossene Heroismus --ja vielleicht ist es erlaubt, für ihn, als Urahnen, jenen ritterlichen Helden des Alterthumes zu nennen, dem, obgleich er bewies, dass der grösste Mann der keltischen Nation doch nur ein Ritter war, Th. Mommsen die schönste Seite seines Buches gewidmet hat, und den der verbannte Herzog von Aumale, in einer Studie über die VII. Campagne Cäsar's in Gallien den ersten Franzosen" nennt. Vielleicht erweckt es Ihr günstiges Vorurtheil für meine Behauptung, wenn ich aus Devrient's Reise nach

-

Paris die kurzen Worte für mich anführen kann: „N. N. spielt den Guyon einen echt französischen Charakter. Es ist merkwürdig, wie den Franzosen dieses festgeschlossene, männlich kriegerische Wesen gelingt. Solch ein Kerl ist durch und durch wahre Heldengrösse in dieser edlen Ruhe voll Mark und Kraft, dieser niederschmetternden Gewalt des Zornausbruches." Eine solche Gestalt ist Ludwig IX. nicht umsonst für meine Betrachtungsweise der Heilige genannt. Ein grosses, feststehendes Ziel, eine vollkommen ausgebildete, unantastbare und als solche überlieferte Lebensgrundlage forderte eben nur heroische Hingabe, machte einen Kampf unmöglich. So bei Ludwig IX., der gerade in der Zeit der furchtbarsten Krisis in Deutschland auftritt, wo bei Wolfram überall das tiefste, geistige Ringen ist und, darf man neuesten Forschungen glauben, religiöse Tendenzen von der eigenthümlichsten, hochstrebendsten Art sich finden. Aber ein Kampf ist doch möglich, nämlich mit der persönlichen Verirrung, mit der Sünde, die da versucht, uns von unserer Lebensgrundlage loszureissen - oft sie freilich auch gar nicht berührt ohne diese selbst zu zerstören. So verstehe ich den Kampf zwischen Pflicht und Neigung, der deshalb meiner Ansicht nach nie tragisch sein kann, wenn auch Schiller in einer seiner frühesten Abhandlungen darum den Cid das Meisterstück der tragischen Bühne nennt (XI, 443). Es mag, nach M. Carrière, kein kleines Verdienst sein für Corneille und Racine, diesen Kampf zum Mittelpunkt der Tragödie zu machen, wenn er aber Tasso, Wallenstein, Iphigenie und Marie Stuart auf dieselbe Stufe stellt, wie die Werke jener und nur findet, dass der Kampf nicht so anatomisch blossgestellt sei, wie bei den Franzosen, so kann ich nur finden, dass hier der ganze, tiefe, nicht zu vermittelnde Unterschied zwischen deutscher und französischer Tragödie aufklafft. Innerster Kern aller Tragik ist der Bruch mit der Lebensgrundlage, die Schuld, ßos - pagtia; in unserem Sinne, wie er dem antiken nicht gleich aber verwandt ist, wissen die Franzosen nichts davon. In jenem Heroismus ist der Ursprung der sogenannten „vollkommenen Charaktere" zu suchen, jener ritterlichen Gestalten in ihren geschichtlichen Abstufungen, wie die Franzosen von der Chanson de Roland bis auf die drei Mous

-- ,

quetiere, nicht müde werden, sie zu schaffen und zu bewundern. Deshalb kann ich auch den verehrten Gründern der Zeitschrift für Völkerpsychologie einen generellen Unterschied zwischen den Franzosen des Mittelalters und denen der neueren Periode nicht zugeben. Da das französische Volk, wie kein anderes sich in den Gestalten seiner Fürsten resümirt, resümirt, so stelle man neben Ludwig den Heiligen einen zweiten Grundtypus zahlreicher tragischer Gestalten, den bösen Philipp IV. Aber nach modern ästhetischem Gebrauche passt hier das Böse eigentlich nicht; denn das Böse ist hier, wie das Gute, innerlich geschlossen und selbstzerstörender Bewegung unzugänglich. Das Böse in unserem, in dem shakspeareschen Sinne führt ja auch durch eine überwältigende, langsam verzehrende Schuld eine höhere Vermittlung mit der jenseitigen, ewigen Macht des Schicksals und des weltregierenden Guten herbei, wenn es endlich in seiner absoluten Vereinsamung machtlos und qualvoll zusammenbricht; jenes Böse aber - Mithridate, Acomat, Narcisse, Athalie u. a. besonders bei Crébillon seinen unauslöschlichen Durst nach Herrschaft für absolute Berechtigung nehmend mit diabolischer Naivetät, kennt kein Schuldgefühl, kein Gefühl der ßos, keine Reue, so dass dieses Böse eben nur gerichtet und vernichtet werden kann und so leite ich den für die französische Tragödie so wichtigen Begriff der poetischen Gerechtigkeit ab. Nun erst, denke ich, gewinnt die Construction der französischen Tragödie Boden, sowohl was den Inhalt, als was die Form anbetrifft, denn, meine Herren, dieses innerlich entwicklungslose Gute oder Böse reducirt es nicht das Stück auf Handlung, auf eine Katastrophe, deren künstlerische Form fast nothwendig die drei Einheiten sein mussten? Liegt es nicht wirklich ohne Zwang nahe, dass die Repräsentanten jenes Heroismus, ganz abgesehen von dem Anschluss an die Antike, nur im Adel und im Fürstenthume gesucht werden konnten und ist damit nicht auch zugleich die Art der französischen tragischen Sprache gegeben? So muss ich es denn allerdings aussprechen, dass Lessing schliesslich Recht behält. Ich sagte schon oben, den Freund der französischen Tragödie schmerzt nicht, dass Lessing ihr diesen Namen verweigert, denn er hat Recht. Die französischen Dichter setzten an die

Stelle von Mitleid und Furcht in der Seele des Zuschauers, die Bewunderung; aber wie leicht vergisst derselbe, bei der Erhöhung seines Kraftgefühls die sittliche Grundlage der heroischen Energie, welche er dargestellt findet, um jener schaudernden Bewunderung anheimzufallen, von der Marquis Posa spricht. Ein solches Werk leitet nicht hinüber in die Geisterwelt, aber wenn die königliche Seele des Helden ihr tiefes schuldiges Leiden offenbart, wenn die feurige Sympathie, zu der zuerst uns sein Pathos mit fortreisst, immer mehr zum Mitleiden und zur Furcht wird, wenn dann das geheimnissvolle, überweltliche Echo der Schuld, das Fessellied der Eumeniden, sich vernehmen lässt und der Sturz des Helden uns mahnt, ewige Mächte und Antigones ungeschriebene Gesetze anzuerkennen, dann fühlen wir uns hinübergezogen in das Reich des unwandelbaren, des gerechten Schicksals. Dies Höchste hat allerdings die französische Tragödie nicht erreicht, darum ist sie mehr glänzend als tief, darum tritt in ihr das Gefühl des Unendlichen so selten an die Seele des Zuschauers und nur sehr kühle Andeutungen, „destin -- dieux favorables - funestes hasards" erinnern an den überirdischen Kreis, in dem die Alten uns stets gefangen halten.

Wenn nun in meinen beiderseitigen Entwicklungen Wahrheit ist, so muss ein Doppeltes klar werden, 1) warum die französische Tragödie so mächtig wirkte, 2) warum dem einmal gründlich und zwar gerade durch Lessing ein Ende gemacht werden musste. Auf jeden in der Entwicklung begriffenen, noch mit der Form, die er seinem innersten Wesen geben soll, ringenden Menschen werden fertige, aus einem Guss stammende, daher stets zum Handeln aufgelegte Persönlichkeiten, auch wenn sie ihrem inneren Werthe nach unter ihm stehen und er selbst dies fühlt, einen bedeutenden Einfluss üben, eben vermöge ihrer Formenfertigkeit, wie H. Rückert, nach dem äusserlichen Anschein ohne sie in ihrem Kerne erkannt zu haben, die Sache nennt. Sollten sich zu dieser Wahrheit nicht, nächst dem Einleuchtenden der Bemerkung selbst, auch in der Literatur Beispiele finden? Wollte ich hier fleissig aufgesammelte Urtheile der Franzosen über Deutsche, weniger bekannte Darstellungen gerade deutscher Gestalten aus französisch en Dich

tungen hier anführen ich spreche von meinem Fleisse, denn wie sollte ich ohne ihn vor einer solchen Versammlung bestehen, - so würde sich ergeben, dass die Franzosen oft in recht edler Bescheidenheit, mitunter in gemüthlichem Spotte, die Sache so ansehn. Hier haben wir Parzivals ringende Jugend, hier die qualvollen Zweifel des wohl berühıntesten Zöglings der Universität Wittenberg. So hat Frankreich auf Deutschland gewirkt, so ihm die Formen geliehen, die uns Deutschen eine heilsame Schule waren. Sowie nun aber ein deutsches Gemüth erstand, von echt deutschem Gehalt, fähig, vor Allem ihm eine Form zu geben immer wieder der Dichter Lessing - da war der Bann gelöst! Es scheint mir klar zu sein, dass der Rückschlag erst erfolgen konnte, als ein Mann erstand, in welchem die dem. französischen Wesen entgegengesetztesten Eigenschaften verkörpert waren und mit Productionskraft verbunden auftraten; darüber aber die Zeit erlaubt mir nicht, es auszuführen -verweise ich auf Lessing's Correspondenz, und wenn ich es mir erlauben darf, auf eine frühere Arbeit von mir selbst. Für wenige Minuten, meine Herren, kehre ich noch zur vollständigen Lösung meiner Aufgabe zurück, nämlich um zunächst noch ein Beispiel jenes Heroismus anzuführen, wo der Unterschied zwischen deutscher und französischer Auffassung recht grell in die Augen springt. Ich meine die Jungfrau von Orleans. Ihre Naivetät, die absolute Ausfüllung des einfachsten Herzens mit dem grössten und hinreissendsten aller Gefühle, dem, von Gott zu einer grossen, völkerrettenden That auserlesen zu sein, macht aus ihr nichts weniger als eine tragische Heldin im deutschen Sinne, denn weit entfernt, dass sie mit dem Wunsche, die stolzen Engländer vernichtet zu sehen, sich überhöbe, ist es gerade das, woran sie Alles setzt, und so unendlich Schönes Schiller's Stück auch enthält, nirgends ist es ihm doch echwerer geworden, den Bruch des Helden mit sich selbst durch die Schuld zu vermitteln. Die Franzosen selbst aber haben diese Vermittlung theoretisch zurückgewiesen, in ihren J. d'Arc-Tragödien aber dieselbe unverstanden gelassen und sich einfach an den Heldencharakter gehalten. Der romanischen Logik ist die Schuld fremd; im Gefühl irgend einer höheren Berechtigung nimmt sie Thaten auf sich, vor denen man zurück

« 前へ次へ »