ページの画像
PDF
ePub

umgibt; zwar hat das Hellenenthum das Maass harmonischer Schönheit und eines göttlichen Selbstgenügens an diejenigen Erscheinungen gelegt, die unter Indiens tropischem Himmel zu den seltsamsten Gestaltungen in phantastisch wuchernder Formfülle ausgebildet wurden, aber trotz dieser verschiedenen Fortbildungen und Umwandlungen lässt sich nicht verkennen, dass in den Hauptzügen, sowohl die griechischen wie die deutschen Heldensagen mit denen der alten Inder in einem ursprünglichen Zusammenhange stehen. In der Iliade wie im Nibelungenliede vollzieht sich der Kampf feindlicher Geschlechter bis zum Untergange, dasselbe findet im Mahabarata statt; die gegenseitige Treue und Hingebung, wie sie uns in Odysseus und Penelope, Siegfried und Kriemhild, oder Hagen und Gudrun vorgeführt werden, findet sich ebenfalls in den Gestalten einzelner Episoden der indischen Sage; Muth und Treue, diese beiden Grundpfeiler der sittlichen Weltordnung, bilden auch die Grundlagen dieser Dichtungen und geben ihnen ewige Dauer im Wechsel der äusserlichen Veränderung.

In Indien tritt nun als charakteristisches Moment jener Zug traumhafter Schwärmerei, der Abwendung vom realen Dasein und der Versenkung in die Betrachtung der göttlichen Dinge hinzu. Die höchste sittliche Vollendung erreicht der Mensch nach den religiösen Anschauungen Indiens durch eine unendliche Selbstverleugnung, weil er durch die strengste Abgezogenheit von allen sinnlichen Einwirkungen auf sein Ich erst zur wahren Erkenntniss des göttlichen Funkens, der in ihm waltet, gelangen kann.

Eine solche Religionslehre führt consequent zu der Lebensanschauung, dass im Entsagen aller irdischen Freuden und Genüsse, und im Erdulden der grössten Widerwärtigkeiten die höchste Moralität zu suchen sei. Abgesehen von jener Verirrung des menschlichen Geistes, die uns in den indischen Büssern entgegentritt, welche sich raffinirte Martern auferlegen, um dadurch im Ansehen vor Brama und den Menschen zu steigen, abgesehen von diesen bemitleidenswerthen Erscheinungen, lässt sich nicht verkennen, dass eine Religionslehre, die eine ganz passive Unterwerfung bei allen Schicksalsschlägen fordert, zwar allen sanfteren Tugenden, aber auch gar mancher

unmännlichen Schwäche Vorschub leistet. Wie daher in der nordischen Sage die männliche Kraft so sehr vorwiegt, dass der Begriff einer edlen Weiblichkeit dort auch bei den Frauengestalten kaum zur Geltung kommt, so bewirkt der vorwiegend weibliche Charakter der indischen Sage oft eine etwas weichliche Zeichnung der männlichen Gestalten, und man kann auch hieran wieder erkennen, welchen grossen Einfluss die natürliche Beschaffenheit des Landes auf die Entwicklung des Volkscharakters ausübt. Wo die Natur ihre Gaben in verschwenderischer Fülle bietet und der Mensch sich nicht gezwungen sieht, sein Dasein täglich durch thatkräftiges Wirken zu erkämpfen, da stellt sich nach und nach ein mehr passives Geistesleben ein, aber wie die Nibelungensage ewig gross und bedeutend bleibt, als Bild der einseitig entwickelten, nach Aussen treibenden Kraft, neben welcher Anmuth und sanfte Weiblichkeit keinen Raum finden, so bietet die indische Sage ein Gemälde von passiven Tugenden voll rührender und ergreifender Züge, wenn auch das eigentlich Heldenhafte dabei etwas zurücksteht. Wie schwer dem Inder überhaupt der Begriff männlich wirkender Kraft ist, mag wohl die Art, wie sie diese Kraft in ihren Werken der bildenden Künste, Malerei und Skulptur, darstellen, beweisen. Dort sind Gesichtszüge und Körperformen stets mit derselben Zartheit und Weiche gebildet und den Ausdruck grösserer oder geringerer Stärke sucht der Künstler durch die grössere oder kleinere Anzahl von Armen zu veranschaulichen, gleich als beruhe solche Kraft nicht in der inneren Befähigung, sondern in den zu Gebot stehenden äusseren Mitteln.

Wie im Verhältniss zu ihren Göttern, so erscheinen die Gestalten der indischen Sage auch in den gegenseitigen Beziehungen der Familie oder in der Liebe. Die höchste Selbstverleugnung, eine Aufopferungsfähigkeit und Zartheit der Empfindung, wie sie keine andere nationale Sage aufzuweisen hat, verleihen namentlich den Frauengestalten eine hohe Vollendung. Durch sie kommen jene Tugenden, die auch das Christenthum so hoch stellt, wie still verschwiegene Treue, Geduld und Gehorsam, zur schönsten Geltung, und während die Grundzüge der nordischen Helden- und Göttersage dem milden Lichte,

welches die christliche Lehre von der Versöhnung und Feindesliebe brachte, in ihrer gewittermächtigen, wild leidenschaftlichen Schönheit schroff entgegengesetzt waren, findet dies bei den indischen Sagen nicht statt, denn die Maximen, welche denselben zu Grunde liegen, nähern sich den Principien des Christenthums in auffallender Weise.

Der Zwiespalt in der menschlichen Natur, welcher sich im Gegensatze der edlen, nur dem Betrachten der himmlischen Dinge hingegebenen Richtung, zur völligen Versenkung in das sinnliche Dasein zeigt, tritt hauptsächlich bei der indischen Weltanschauung hervor und bildet häufig den Gegenstand ihrer Sagen; die Vermittlung fällt der schrankenlosen Phantasie, welche die Extreme liebt, schwer, doch ist sie mitunter in ziemlich ergreifender Weise gelungen, und Goethe, der am Schlusse seines reichen Dichterlebens auch die unerschöpflichen Quellen orientalischer Poesie uns erschloss, hat zwei kostbare Perlen aus dem indischen Sagenschatze ausgewählt und in christlich germanischem Geiste umgedichtet, in welchen gerade die Idee der Ausgleichung zwischen der idealen und niederen Menschennatur in herrlicher Weise ausgeführt ist. Ziemlich bekannt ist sein Gedicht „Der Gott und die Bajadere," worin die Macht der entsühnenden Liebe geschildert ist, und man kann sich dabei dem Gedanken nicht entziehen, als sei in dieser Bajadere das Bild einer anderen Sünderin, der büssenden Magdalene, ahnend vorgebildet, wenngleich nicht zu verkennen ist, dass die indische Legende nur in ganz rohen und materiellen Zügen jene erhabene Idee veranschaulicht. Den angedeuteten Vergleich glaubte ich nicht scheuen zu müssen, da er nur dazu beitragen kann, zu zeigen, wie im Christenthume alle jene stammelnden Laute der Vorzeit zum klaren Worte sich gestalteten, in welchem der erhabene Geist einer neuen Weltanschauung sich offenbarte. Wie der eine Gott alle heidnischen Götter überragt, so erscheint Christus im Vergleiche zu den Menschwerdungen des indischen Wischnu voll Würde und strahlender Hoheit.

Die zweite, von Goethe umgedichtete Sage ist von grossartiger Composition und gedankenvoller Tiefe. Goethe hat sie nach einer indischen Erzählung behandelt, welche von der

sechsten Menschwerdung des Gottes Wischnu als Parasu Rama und Sohn des Bramen Dschamadagni berichtet. Der Inhalt bezieht sich auf die Mutter des Parasu Rama. Als Einleitung dient das Gebet des Paria, eines Menschen aus der niedrigen verachteten Kaste des Volkes. Dies Gebet lautet:

[merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small][merged small]

An dies Gebet schliesst sich die Legende an, in welcher das edle Weib des Bramen Dschamadagni durch den Anblick eines schönen Götterjünglings in Versuchung fällt und dann zur Göttin für die Armen und Verworfenen umgeschaffen wird:

[ocr errors][merged small]
[ocr errors]

Täglich von dem heiligen Flusse
Holt sie köstliches Erquicken.
Aber wo ist Krug und Eimer?
Sie bedarf derselben nicht.
Seligem Herzen, frommen Händen
Ballt sich die bewegte Welle
Herrlich zu kristallner Kugel;
Diese trägt sie, frohen Busens,
Reiner Sitte, holden Wandels
Vor den Gatten in das Haus.

Heute kommt die morgendliche
Im Gebet zu Ganges Fluthen,
Beugt sich zu der klaren Fläche
Plötzlich überraschend spiegelt,
Ueber ihr vorübereilend

Aus des höchsten Himmels Breiten,
Allerlieblichste Gestalt

Hehren Jünglings, den des Gottes
Uranfänglich schönes Denken
Aus dem ewigen Busen schuf;
Solchen schauend fühlt ergriffen
Von verwirrenden Gefühlen
Sie das innere tiefste Leben,
Will verharren in dem Anschau'n,
Scheucht es weg, da kehrt es wieder;
Und verworren strebt sie fluthwärts,

Mit unsichrer Hand zu schöpfen;
Aber ach! sie schöpft nicht mehr!
Denn des Wassers heilige Welle
Scheint zu fliehn, sich zu entfernen,
Sie erblickt nur hohler Wirbel
Grause Tiefen unter sich.

Arme sinken, Tritte straucheln,

Ist's denn auch der Pfad nach Hause?
Soll sie zaudern? soll sie fliehen?
Will sie denken, wo Gedanke,
Rath und Hülfe gleich versagt?
Und so tritt sie vor den Gatten;
Er erblickt sie, Blick ist Urtheil,
Hohen Sinns ergreift das Schwert er
Schleppt sie zu dem Todtenhügel,
Wo Verbrecher büssend bluten.
Wüsste sie zu widerstreben?

« 前へ次へ »