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wir in der That nach der Naturwahrheit seiner Charaktere gar nicht fragen.

Wir wollen wenigstens ein Beispiel betrachten. Es mag zugleich zum Belege dienen, dass das Schaffen solcher Charaktere bei einem lyrischen Dichter aus dem Bedürfniss nach plastischer Darstellung hervorgeht. Lösen wir Childe Harold in Schilderungen der Natur- und Menschenwerke und in philosophische Betrachtungen auf, so wird eine solche Arbeit, mag sie noch so sorgfältig den Inhalt wiedergeben, zuletzt herzlich langweilig werden. Auch würde dies Gefühl wesentlich dadurch vermehrt werden, dass man dann die ganze trübe verzweifelnde Lebensanschauung, die das Gedicht athmet, dem Umarbeiter zur Last legen muss. Byron brauchte darum zunächst einen Träger dieser innern Verzweiflung, um durch ihn die mannigfaltigsten Empfindungen, welche diese stille grübelnde Melancholie in dem Busen der Menschen erregt, zur Darstellung bringen zu können. Auf diese Weise gelang es ihm zugleich, persönlich ganz zurückzutreten. (Selbstverständlich ist ihm dies Alles unbewusst* klar geworden.) Um den tiefen Seelenschmerz zu begründen, gab er ihm Stolz, Menschenverachtung, Menschenhass und dabei zugleich ein tief liebebedürftiges Herz, Eigenschaften, welche Aufsehen erregen, interessiren. Um dies allgemeine Interesse noch wirksamer zu machen, gab er ihm ein tiefes Schuldbewusstsein, dessen eigentlichen Grund er im Dunkeln liess und deutete nur leise an, dass es die Folge von sittlicher Zuchtlosigkeit, von einem Leben ohne Tugend sei. Damit hatte er für seine Kunst das Richtige getroffen. Gerade diese Unbestimmtheit in der Charakterzeichnung bewirkte, dass jeder Leser sich mit Leichtigkeit an die Stelle des Childe Harold setzen konnte. Fand doch Jeder in sich selbst ein mehr oder weniger klares Schuldbewusstsein, und wie gern erhebt sich die Menschheit über die Mitbrüder, sieht verächtlich auf ihr Thun und Treiben, ist zu Hass viel eher geneigt, als zur Liebe, während sie nach frem

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*Wer diesen Ausdruck unbewusst klar werden", wunderlich findet, den weise ich auf die sehr verdienstvollen Untersuchungen von E. v. Hartmann in seinem Werke: Philosophie des Unbewussten.

der Liebe ein so tiefes Sehnen empfindet. Daher folgte man dem Ritter willig auf seiner unsteten Pilgerfahrt, und theilte willig dessen wahre und tiefe Empfindungen, obgleich keine spannende Handlung die nach Aufregung geizende Masse fesseln konnte. Dies wird zu allen Zeiten der Grund für die Theilnahme an dieser Dichtung sein. Für jene Zeit kam noch der schon früher erwähnte Umstand hinzu, dass sich mehr, als sonst, eine allgemeine Schmerzstimmung der Menschheit bemächtigt hatte. Daher der ungeheure Erfolg, den Byron bereits mit den zwei ersten, weniger vollendeten Gesängen dieses Gedichtes erregte. Schon am dritten Tage nach dem Erscheinen war die ganze Auflage vergriffen. Byron wurde der gefeiertste Held des Tages. „Ich erwachte eines Tages," sagt er, und war ein berühmter Mann." Macaulay erzählt: „Es wurde Mode, sein Halstuch à la Byron zu knüpfen; man gewöhnte sich an gewisse melancholische Stellungen, die man für interessant hielt, weil sie dem schwärmerisch melancholischen Charakter des Childe Harold entsprachen; man affectirte eine Verachtung der Welt und ihrer Freuden. Einige Jahre hindurch erschienen in allen Zeitungen Novellen, deren Held stets ein Charakter wie Childe Harold war."

Aber so treffend und wirkungsvoll diese Darstellung des Childe Harold auch für die Kunst war, so gefährlich war' sie diesmal für die Persönlichkeit des Dichters selbst. „Der Ritter," erzählt Byron, „, wandelte nicht den Tugendpfad! ausser Concubinen und Schwelgereien fanden wenig irdische Dinge Gunst vor seinen Augen. Nun überfiel ihn Schlimmeres, als Unglück: er fühlte Uebersättigung. Darum wurde es ihm in seinem Heimathlande zu enge. Er hatte nur Eine geliebt, die nie die Seine werden konnte. Aber Heil ihr! Sein Kuss hätte ihren keuschen Mund entweiht. Und nun war sein Gemüth krank, und er wollte die wilden Bachanalien fliehen. Einsam wandelte er oft in freudeloser Träumerei, bis er sich entschloss, den brennenden Süden aufzusuchen. Durch Vergnügen vergiftet, verlangte es ihn nach Schmerz, und sollte er den Wechsel bei den Schatten der Unterwelt finden. Zuweilen inmitten der heitersten Laune zuckte ein sonderbarer Schmerz über des Ritters Brauen, als ob das Andenken an irgend eine

tödtliche Fehde, oder enttäuschte Leidenschaft tief im Innern laure."

Alles dies stimmte scheinbar ganz genau mit des Dichters eigenem Leben überein. Hatte er doch vor seiner Reise gcschwelgt, locker gelebt, in der Einsamkeit seinen Träumen nachgehangen. Hatte er doch in seiner Liebe Schiffbruch gelitten. So war denn alles gegeben, was der Klatschsucht die rechte Nahrung darzubieten vermag, und sie schoss auch sehr bald ins Kraut und begann überall ihre widerlich stinkenden Blüthen zu treiben. Vergebens betonte Byron in der Einleitung, dass man hinter Harold keine wirkliche Persönlichkeit suchen solle, dass diese Gestalt nur das Kind seiner Muse sei; die Menge, unbekannt mit der Schaffensweise eines Dichtergenius, hielt seine Worte für leere Prüderie und begann um so eifriger, alle seine Bewegungen zu überwachen, auszukundschaften und durch gräuliche Zusätze zu entstellen. Der Dichter zog sich verstimmt in seine Einsamkeit zurück und schuf die neuen Gestalten eines Lara, Corsair, Giaour. Sie mussten naturgemäss Childe Harold ähnlich werden, er musste ihnen naturgemäss ein tiefes Schuldbewusstsein geben. Dadurch bekam die Klatschsucht immer mehr Aufwasser; sie wurde noch erhöht durch Byron's leidenschaftliche Heftigkeit. Walter Scott, der ihm persönlich befreundet war, sagt: „Tadelnde Einwürfe eines Freundes, über dessen gute Absicht und Herzensgüte er im Klaren war, hatten oft bei ihm ein grosses Gewicht. Aber blossen Tadel ertrug er mit Ungeduld und Vorwürfe bestärkten ihn in seinem Irrthum, so dass er oft dem edeln Schlachtross glich, das in den Stahl rennt, der es verwundete. In der peinvollsten Krisis seines Privatlebens zeigte er jene Reizbarkeit und Ungeduld gegen jede Censur in solchem Grade, dass er geradezu dem edeln Opfer des Stierkampfes ähnlich war, welches durch die Pfeile, das Gelächter und die kleinlichen Quälereien des unwürdigen Pöbels hinter den Schranken mehr gereizt wird, als durch die Lanze seines noblern und so zu sagen mehr legitimen Gegners."

Byron hatte schon durch seine „English bards and Scotch reviewers" das Heer der Kritikaster gegen sich aufgehetzt. Er wurde selbst bitter und bissig genug; aber der Schaden war auf seiner Seite. Die Leute nahmen zu den gemeinsten Mitteln

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ihre Zuflucht, machten wiederholt Anspielungen auf sein körperliches Gebrechen er hatte einen Klumpfuss und pcinigten ihn mit Nadelstichen, gegen die er nur zu empfindlich war. Nun kam seine unglückliche Ehe, der treulose Verrath seines thörichten Weibes, und seine Abreise unter dem Hussah und Pfeifen des „,süssen mob". Gleich darauf erschienen die letzten Gesänge des Childe Harold und Manfred, dessen innere Verzweiflung, Zerrissenheit, Ruhelosigkeit wieder durch ein tiefes Schuldbewusstsein begründet wird, über dessen Entstehung und Ursache der Dichter uns im Dunkeln lässt. Childe Harold's Charakter erscheint in demselben Lichte, wie in den ersten zwei Gesängen; die Darstellung ist nur verschärft, aber nicht verändert. Sein Herz trägt Wunden, die nicht tödten, aber nie heilen. Den Zauberbecher des Lebens, der nur am Rande funkelt, hatte er zu früh geleert und gefunden, dass die Hefe wurmzerfressen ist. Er füllte ihn wieder aus einem reinern Borne, auf heiligerm Grunde und hielt nun seine Quelle für beständig; aber umsonst! Unsichtbar schlang sich um ihn eine Kette, die ihn beständig marterte, und schwer genug drückte, obgleich ihr Rasseln Niemand hörte. Er war stolz in seiner Verzweiflung, die in sich selbst ein Leben finden konnte, das den Umgang mit der Menschheit ausschloss."

Dazu fügte er jene ergreifenden Liebes-Klagen um die Beraubung seines Töchterchens Ada und auch jenes schon früher erwähnte Wort: And thus untaught in youth my heart to tame, my springs of life were poison'd. 'Tis too late! die Fundgrube des Witzes für so viele Biographen. Kein Wunder, dass man nun allgemein im Recht zu sein glaubte, Byron mit seinen Helden, namentlich mit Childe Harold und Manfred vollständig zu identificiren. Wer verstand damals die Natur eines Dichters und seine poetische Schaffensweise? Niemand begriff den Inhalt der Strophe aus dem Eingang zum dritten Gesange:

'Tis to create and in creating live
A being more intense that we endow
With form our fancy, gaining as we give
The life we image, even as I do now.
What am I? Nothing: but not so art thou,
Soul of my thought! with whom I traverse earth

Invisible but gazing, as I glow

Mix'd with thy spirit, blended with thy birth

And feeling still with thee in my crush'd feelings dearth.

(In wörtlicher Uebersetzung: Um zu schaffen und im Schaffen ein intensiveres Dasein zu leben, begaben wir mit Form unsere Phantasie, gewinnend, während wir das Leben darreichen, das wir bilden, gerade so, wie ich's jetzt thue. Was bin ich? Nichts; aber nicht so bist du, Seele meiner Gedanken, mit der ich die Erde durchwanderc, unsichtbar, aber schauend, während ich erglühe, durchdrungen von Deinem Geiste, belebt durch deine Erzeugungskraft und mit dir noch fühlend selbst in der Dürre meines jetzt so misshandelten Gemüthes.)

Der verständige Leser meiner Darstellung wird diese Worte begreifen; aber damals konnten sie nur ächten Dichtern klar werden. Von allen Andern wurden sie übersehen und man verrannte sich immer wüster in ein gräuliches Geschwätz. Die ganze Welt betheiligte sich an diesem Riesenklatsch. Byron, den grossen Dichter, der in seinem kurzen Leben mehr geschaffen und gearbeitet hat, als der ganze mob der Kritikaster zusammengenommen, machte man zu einem faulen, blasirten Roué; Byron, den hochherzigen, edeln, liebevollen Menschen zu einer gemeinen, verworfenen Creatur. Um die Sündenschuld, die man ihm andichtete, zu begründen, erfand man die abenteuerlichsten Märchen und gräulichsten Klatschgeschichten. Zu keiner andern Zeit ist diese widerliche Schattenseite der grossen Menge in ihrer ganzen Erbärmlichkeit so grell ans Licht getreten. Sie bemächtigte sich zuletzt wie ein böser Rausch der ganzen europäischen Bevölkerung. Ist doch selbst Goethe in seiner Beurtheilung des Manfred unvorsichtig genug gewesen, die boshafte Erfindung, dass Byron selbst eine Blutschuld in sich trage, ohne Kritik nachzusprechen! Freilich haben sich auch selten die Umstände so vereinigt, um der Klatschsucht eine scheinbare Berechtigung zu geben. Der sogenannte „gesunde Menschenverstand," der allenfalls da richtig zu urtheilen vermag, wo es sich um Pfeffer und Salz, um Tagelöhnerarbeit, um Prügeleien in der Schänke, um die handgreiflichsten, ganz nahe liegenden Dinge handelt, erhielt ein scheinbares Recht, durch Hinweis auf den Dichter die höchsten Fragen der Mensch

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