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durch Hinweis auf den Dichter die höchsten Fragen der Menschheit endgültig zu entscheiden. „Seht die Folgen der Sünde", schrien die Frommen im Verein mit der ganzen Priesterzunft, wollt Ihr noch zweifeln an den ewigen, heiligen Wahrheiten der Religion?" Seht auf Byron, den Sünder, den Religionsverächter!“ „'T is shocking!" bekräftigten die Ladies, die so. eben im Geheim sich am Don Juan und den Schilderungen sinnlicher Liebe ergötzt hatten. „Das sind die Folgen eines Lebens ohne Tugend," schrien die Moralprediger, den kriechenden Hofpoetaster Southey an der Spitze, „seht den lasterhaften Lord, seht die Folgen seines Lebens in seinen unmoralischen Gedichten." „Die Werke dieser ,,satanic school," zeterte der neidische scribbler, „müssen durch die Staatsgewalt unterdrückt werden!" "He is right, quite right!" bekräftigten die alten. Weiber, putzten ihren Sprösslingen die Nase und erzählten ihnen. die Thaten des lasterhaften Byron zum abschreckenden Exempel. Alle Zeitungen, alle Journale und reviews wetteiferten in unsinnigen Bemerkungen und Kritiken, von denen selbst die besten nur den Beweis liefern, mit welcher Gewandtheit der menschliche Geist auf falschen Voraussetzungen ein himmelhohes Gebäude durch Trugschlüsse zu errichten vermag.

Des Dichters wahre Freunde versuchten zwar oft genug, ihn zu rechtfertigen; aber sie verstanden nicht, die Thorheit in der Wurzel anzugreifen, was durchaus nöthig war, um das Geschrei zum Schweigen zu bringen. Man wird vergebens versuchen, eine durch solche Lieblingsbeschäftigung aufgeregte Masse zu überschreien. Allen Versicherungen wurde mit Achselzucken das Sprüchwort: „Freundeslob hinkt" entgegengehalten.

Dies sind die wahren Gründe für die Angriffe, welche den grossen Dichter getroffen haben. Er wurde sein eigenes Opfer nicht durch Sündenschuld denn er besass deren nicht mehr, als ein Goethe, oder der lustige Fielding und andere Dichter, die wie er „viel geliebt" haben nicht durch Schwelgerei denn er lebte zu Zeiten, um seine zunehmende Körperfülle zu schwächen, wie ein Anachoret nicht durch Menschenhass denn sein edles wohlwollendes Herz, dass nur zu leicht sich jedem Bittenden öffnete, kannte diesen Hass garnicht nicht

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Geschwätz der grossen Menge, sowie Jeden, den sein Scharfblick als unwahren heuchlerischen Charakter erkannte dern gerade durch die naive Schönheit seines grossen dichterischen Genius und durch die naive Offenheit seines Wesens, das bei seiner Reizbarkeit und leidenschaftlichen Heftigkeit heimtückischen Kniffen und Ränken nicht gewachsen war.

Nach seinem Tode, nachdem die Gegner ihm noch den letzten Hornstoss versetzt und die Beisetzung seiner Leiche in der Westminsterabtei hintertrieben hatten, begann das Geschwätz allmählich zu verstummen. Unsere Zeit hat den alten Klatsch wieder aufgerührt und pedantische Schulmeisterklugheit hat als neueste Errungenschaft hinzugefügt, dass Alles die Folge schlechter Erziehung gewesen sei! Guter Byron, du sollst nun durchaus ein schwerer Sünder mit tiefem Schuldbewusstsein und ruhelosem, zerrissenem Gemüth gewesen sein!

Auch sogar seine letzte Liebesthat, die Aufopferung für die Sache der Griechen hat man aus diesem Gefühl der eigenen Unwürdigkeit ableiten wollen. Macaulay hat die Unbesonnenheit gehabt, dies in die Welt zu schreien und das ganze unkritische Heer der Nachbeter hat es ihm gehorsamst nachgeschwatzt. Haben die Menschen, welche dies behaupten, seine Briefe und Tagebücher und die Notizen seiner Freunde gelesen? Leider besitzt der Philister hinter seinem Ofen selten eine Idee von rechtem Edelsinn und jener Begeisterung, die sich bis zu persönlicher Aufopferung steigern kann. Er freut sich, wenn sie ihm zu Gute kommt; im Uebrigen schilt er sie als Thorheit und sucht die eigennützigen Motive, die ihn bei seinem Thun leiten, auch ihr unterzuschieben. Byron ging nach Griechenland aus reiner Hingabe an die Sache der Freiheit des alten Heldenvolkes, das einst die Perserkönige besiegt und so grossartige Geisteswerke der Nachwelt hinterlassen hat. Er hatte sich in ähnlichem Edelsinn schon vorher der Sache der unterdrückten Italiener gegen Oesterreich angenommen. Ein gewisser romantischer Hang, an der Spitze einer treuen Schaar mit dem Schwerte in der Hand in wackerm Kampfe für eine gute Sache zu streiten und zu fallen, hat wohl auch dabei mitgespielt; aber wahrlich nicht das Bestreben, ein „unwürdiges Leben" durch einen wackern Tod zu sünnen.

Eydtkuhnen.

A. Goerth.

Pope und seine Zeit.

Es ist eine noch nicht in allen Kreisen antiquirte Anschauung, dass hervorragende Schriftsteller den Geist ihrer Zeit stark beeinflussen, ja ihn sogar in ganz neue Bahnen zu lenken vermögen. Noch hört man wohl Voltaire, den Vater der Revolution, die Encyclopädisten, die Erzeuger der Freigeisterei nennen, und doch ist keine Ansicht verkehrter. Es sind ganz andre Faktoren, die hier bestimmend einwirken. Die menschliche Natur ist im Allgemeinen aus viel zu zähem Stoff, als dass sie die von Alters hergebrachten, mit ihrem inneren Leben gleichsam verwachsenen Ideen neuen Philosophemen eines geistreichen Metaphysikers oder den schwungvollen Versen eines Poeten zu Lieb, selbst wenn diese vorausschauend das Richtigere geahnt hätten, aufgeben sollte.

Nicht konnten die Angriffe eines Savonarola, nicht vermochte die Ueberzeugungstreue eines Huss die mittelalterliche Idee zum Wanken zu bringen; erst musste das Wiederaufleben der Antike sich in so und so viel Geistern vollzogen haben, erst musste die Entdeckung des Columbus bewiesen haben, dass die Erde wirklich eine Kugel ist, und dass es für uns Menschen kein Unten und kein Oben giebt.

Und ähnlich verhält es sich mit dem Kunstgeschmack. Noch hört und liest man vielfach, wie dieser oder jener Schriftsteller massgebend für den Geschmack seiner Zeit gewesen, ja dass er sogar den eignen Geschmack der Mitwelt aufgedrückt habe. Allein auch diese Anschauung ist eine verkehrte. Eben

sowenig wie der Dichter für neue Anschauungen und Ideen, die nicht im Zeitgeist begründet sind, wirksam Propaganda machen kann, ebensowenig kann er seinen Kunstgeschmack, wenn er nicht zeitgemäss ist, populär machen. Man missverstehe mich nicht.

Es soll hiermit keineswegs geleugnet werden, dass der Dichter neuauftauchenden Ideen Eingang in weiteren Kreisen verschaffen, noch auch, dass er eine Geschmacksrichtung, die in der Zeit begründet liegt, durch künstlerische Ausbildung für lange Zeit als massgebend hinstellen kann. Immerhin aber bleibt er selbst ein Product seiner Zeit und wird von ihren Strömungen, wenn auch nicht blindlings beherrscht, so doch mindestens stark beeinflusst, die Vorzüge wie andrerseits die Mängel derselben werden sich in seinen Schriften documentiren, ja sie werden sich seinem Talente anheften.

Wollen wir daher über die Ursprünglichkeit eines Talentes zu Gericht sitzen, so müssen wir vor Allem diese Zuthaten, um mich so auszudrücken, zu erkennen suchen; und zwar vermögen wir das nur durch eine genaue Sondirung der religiösen, der politischen, der künstlerischen Bestrebungen, kurz der ganzen geistigen Atmosphäre der Zeit, in der dasselbe auftritt. Es steigt dadurch nicht nur ein Shakespeare von seiner fast übermenschlichen Höhe einen Schritt zu uns herab, es wird auch andrerseits ein nur einseitig ausgebildetes Talent in unsern Augen gewinnen. Das der Standpunkt, von dem aus wir einen Blick werfen wollen auf das so viel gepriesene, so viel geschmähte augusteische Zeitalter der englischen Literatur und zwar mit directer Beziehung auf den Hauptrepräsentanten derselben, Pope, welchen wir, um dies gleich vorauszuschicken, keineswegs in überschwänglicher Weise, wie Lord Byron es gethan, zu den Sternen erster Grösse rechnen, mit dessen Herabsetzung aber zu einem puren Verstandesdichter wir uns ebensowenig einverstanden erklären können.

Seit der Kirchenreform Heinrich VIII. war bis zur Zeit, in der Pope auftrat, ein Zeitraum von ungefähr zweihundert Jahren dahingegangen, der mit nur geringen Unterbrechungen angefüllt ist mit offenen und versteckten Angriffen der verschie

denen Religionsparteien gegen einander, mit blutigen Kämpfen, mit schonungslosen Verfolgungen der Unterdrückten. Und wie oft hatte sich das Blatt gewandt! Dabei war die Würde des Staates nur von der Elisabeth und dem viel verschrienen Cromwell gewahrt, von den übrigen Herrschern aber auf nichtswürdige Weise hintenangesetzt worden. Wo sollte da Selbstvertrauen, Vaterlandsgefühl herkommen? Ein Gefühl des Missbehagens, der Unsicherheit, des Zweifels an den jeweiligen Zuständen hatte sich der Bürger bemächtigt; sie waren kleinmüthig, beschränkt geworden, immer noch lag die Furcht vor dem Katholicismus wie ein Alp auf der Brust der englischen Protestanten, die doch jetzt die ungeheure Mehrheit der Nation ausmachten. Eine Furcht, die neue Nahrung gewann, als die kinderlose Königin Anna ihre Gunst den Tories zuwandte, welche offen Rückführung der vertriebenen Stuarts auf ihre Fahne geschrieben hatten.

Der grosse Oranier hatte freilich den Versuch gemacht, den Grundsätzen religiöser Duldung auch in England Eingang zu verschaffen; dies war ihm aber nur zum Theil, nur in Bezug auf die verschiedenen protestantischen Bekenntnisse gelungen. Der Kampf gegen Rom, der immerhin noch etwas Nationales in sich hatte, dauerte fort. Aber auch die Anfeindungen unter den Ersteren hörten darum nicht auf. Nicht mehr im offenen Felde, aber von der Kanzel herab, in Satiren und Pamphleten wurde weidlich weitergezankt.

Was aber der ganzen Zeit ein so widerliches Gepräge verleiht, ist dass über diesen dogmatischen Streitigkeiten die Religion selber, ja sogar der Glaube an die verfochtene Sache abhandengekommen war. Der Geist ist entflohen, der Apparat ist aber noch nicht vernuzt, er arbeitet nach wie vor weiter. Es hatte sich nämlich inzwischen eine Umwandlung in den Anschauungen der Gebildeten jener Periode vollzogen: Newton hatte das Gesetz der gegenseitigen Anziehungskraft der stofflichen Welt entdeckt, er hatte nachgewiesen, dass dasselbe Gesetz, welches einen Stein von einer Höhe herab zur Erde fallen lässt, auch in den fernsten Fernen des Universums thätig ist und Planeten und Fixsternen ihre Bahnen vorschreibt. Himmel und Hölle

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