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der Gläubigen waren somit wenigstens räumlich unmöglich gemacht. Obgleich er selber mit einer gewissen peinlichen Beflissenheit an seinem strenggläubigen Christenthum festhielt, hatten doch statt seiner andre Männer der Wissenschaft kühn die Consequenzen gezogen und waren, mit den religiösen Anschauungeu der Menge zerfallen, zu jenen naturreligiösen Anschauungen gekommen, die in den Schriften der englischen Deisten ihren Ausdruck fanden; andere frivolere Geister, und diese bildeten zu jener Zeit die ungeheure Mehrheit, waren in eine übel begründete Freigeisterei versunken, die von cynischem Nihilismus nicht fern war, obgleich sie äusseres Kirchenthum natürlich nur aus politischen oder egoistischen Motiven hoch hielten und verfochten.

Und wie moralisch herunter war das damalige Geschlecht: Auf die allzustrenge pedantische Ascese der Rundköpfe war die schamloseste Liederlichkeit unter der Herrschaft der rückkehrenden Stuarts gefolgt, und diese hatte fast ein ganzes Menschenalter hindurch ihren verderblichen Einfluss auf Staat und Familie ausgeübt. Man war freilich endlich zur Besinnung gekommen; man bemühte sich ernstlich andere Bahnen wieder einzuschlagen, aber man war so weit gesunken, dass darüber Unsicherheit herrschte, was zu dem Erlaubten, was zu dem Unerlaubten gehöre.

Und wie war es nun um den Kunstgeschmack bestellt? Noch galt freilich die Antike als Muster, doch nicht mehr war ihr Cultus wie zur Zeit der Elisabeth eine naturgemässe freudige Hingabe an dieselbe. Nein, man war hochmüthig geworden, man glaubte sie durch neue, durch französische Kunstproducte überholt. Dass Boileau sein Vorbild Horaz, dass Racine Sophokles wenigstens erreicht, ward allgemein geglaubt. Die Herrschaft des französischen Geschmacks war so fest begründet, dass noch fast ein Jahrhundert nach der Vertreibung der Stuarts vergehen musste, ehe das nationale Element in der Literatur wieder zur Besinnung kam.

Wir müssen freilich annehmen, dass der eigentliche Kern der Bevölkerung, der Kleinbürgerstand, der zu Shakespeare's Zeiten nachweislich so lebhaften Antheil an der vaterländischen

Literatur genommen, von diesen Einflüssen nur äusserlich berührt wurde. Zunächst war seine Lage nicht derartig, dass er die zur Hingabe an die Literaturgenüsse so nothwendige innere und aussere Ruhe und Unbefangenheit gefunden hätte. Und wenn er auch Sonntags die Theater füllte, um sich nach den Sorgen und Mühen der Woche einmal recht tüchtig auszulachen, so konnte doch eben das, was ihm dort geboten wurde, nicht zu einer nähern Bekanntschaft mit der Tagesliteratur einladen. Auch war die Erinnerung an eine bessre Zeit noch nicht so ganz geschwunden. Die Riesengestalt eines Shakespeare war, wenn auch nur in unsichern, verwischten Umrissen, in dem Andenken der Menge geblieben. Er ist nie so ganz vergessen worden, wie vielfach angenommen wird, sein Hamlet besonders ist nie von der Bühne geschwunden. Einen Beleg hierzu liefern die Dichter jener Periode selbst durch die Verballhornisirung seiner Stücke. Dieselben Leute, die mit souveräner Verachtung auf ihn, den gothischen Barbaren, herabsehen möchten, müssen nothgedrungen seine Grösse, natürlich unter allerhand möglichen Verklausulirungen anerkennen. Sie glauben aber der Welt und Shakespeare's Andenken einen grossen Dienst erwiesen zu haben, wenn sie den Versuch machen, Shakespearesche Helden in eine französische Schnürbrust einzuengen und auf französisch-antikem Cothurn einherschreiten zu lassen.

Das Interesse an der Literatur war also nur bei den eigentlichen Weltleuten, bei den Leuten von Ton vorhanden, ein grosser, schwerwiegender Uebelstand für Dichter der Zeit, die sich nicht an das Volk, sondern nur an Coterien wenden konnten. Tories und Whigs standen sich noch mit einer Schroffheit gegenüber, von der wir jetzt kaum noch eine Vorstellung haben. Jedes von der einen Partei gewonnene Talent war eine Niederlage für die andere, und so war das Mäcenatenthum seit Vertreibung der Stuarts auf die Häupter der politischen Parteien übergegangen. Jedes neu auftauchende Talent wurde von ihnen gleichsam mit Beschlag belegt. In demselben Masse aber wie hierdurch die äusseren Verhältnisse der schriftstellerischen Talente sich hoben, denn Sinecuren aller Art, einträgliche Privatund Staatsanstellungen waren der reichlich gereichte und meist gierig erhaschte Köder, in demselben Masse musste wahre

Kunst dabei herunterkommen; und so kann es nicht weiter
Wunder nehmen, dass alle literarischen Erzeugnisse, in welcher
Form sie auch auftreten mochten, ob als directe Satire, ob als
Lehrgedicht, als Novelle oder als Drama, ja bis zu Addison's
Cato hinauf, Parteischriften nach der einen oder andern Rich-
tung hin wurden. War doch letztgenannter Dichter mit seinem
Freunde Steele der Stolz der Whigs, wie andrerseits Pope und
Swift, letzterer nach seiner aus persönlichen und selbstsüchtigen
Motiven veranlassten Wandlung, die Gefeierten der Tories
waren. Wahre Poesie fand unter solchen Umständen kein
Verständniss, keine Stätte, und selbst ein ursprüngliches Dich-
tergenie musste von seiner Bahn abgelenkt werden.

Pope selbst nun stand den politischen Parteien noch verhältnissmässig fern, obgleich sein Katholicismus ihn den Tories geneigt machte. Aber gerade dieser Katholicismus war es, der ihn vor einem allzuengen Anschluss an die Partei bewahrte; denn noch war derselbe so sehr im Verruf, dass Pope, als Bekenner desselben, von den Landes universitäten ausgeschlossen war. Ein Umstand, der, wie es scheint, für seinen Bildungsgang von keinem, für seine Charakterbildung jedoch nicht ohne Nachtheil geblieben ist. Er steht jedoch keineswege den Bestrebungen seiner Zeit fern, er ist im Gegentheil, wie jeder wahre Dichter, ein echtes Kind seiner Zeit und hat neben Swift, seinem ausdauernden Freunde, dem Geist derselben am besten Ausdruck verliehen. Auch in soweit harmonirt er mit seinen Zeitgenossen, dass sein kirchliches Bekenntniss nur rein äusserlich ist; in seinen Schriften documentirt er sich als reiner Deist, obgleich er sich feierlich dagegen zu verwahren sucht. Während Swift's Schriften uns die religiösen und politischen Parteigetriebe der Zeit in lebendiger, oft drastischer Weise vorführen, werden wir durch Pope in den feinen und vielfach raffinirten Ton der nobeln Gesellschaft eingeweiht. Beider Werke allein schon würden hinreichen, ein klares und ziemlich vollständiges Bild jener Epoche zu liefern.

Pope ist also durch die Ungunst der Zeitverhältnisse der Dichter einer gewissen Coterie geworden, durch die einseitige Geschmacksrichtung der Zeit wurden nicht Shakespeare, obgleich

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er diesen edirte, und die Griechen, sondern Dryden, Boileau und in zweiter Reihe Horaz, Virgil seine Vorbilder. War er nun kein ursprüngliches echtes Dichtertalent, sondern nur ein talentvoller Verstandesdichter, so war es unabweislich, dass er in der herrschenden Richtung seine volle Befriedigung fand, dass er volltsändig darin aufging. Dass er dies aber nicht that, dass er Werke hinterlassen, die sich in das allgemeine Register seiner Schriften absolut nicht einfügen wollen, Werke, in denen er nur Pope ist, und zwar der von seinen vielen Nachahmern unerreichte Pope, Werke, die von reicher Phantasie zeugen, in denen echtmenschliches Gefühl wahr und ungekünstelt zu Tage tritt, beweist das Gegentheil, beweist, dass der wahre Dichterfunke in ihm gesprüht hat.

Wir räumen ein, dass deren verhältnissmässig wenige sind, aber diese wenigen zeugen um so lauter für ihn..

Zunächst wird wohl von fast allen Kennern Pope's zugegeben, dass er in seinen Nachahmungen seine Vorbilder weit überholt hat, dass er ähnlich wie Shakespeare die übernommenen Stoffe vertieft und ihnen einen poetischen Hauch verliehen hat. Von den antiken Stoffen muss dabei selbstredend abgesehen werden, diese hat er durch eine französische Brille angesehen und sie ganz geflissentlich modernisirt. Dass er aber auch hierin seine besondere Eigenart zur Geltung brachte, beweist seine Anglicanisirung des Homer, die vielen nachfolgenden Uebersetzungen zum Trotz in England noch immer bevorzugt wird.

Wir haben hauptsächlich drei Gedichte von ihm im Auge, den Lockenraub, die Elegie auf den Tod eines unglücklichen Mädchens, und seine Epistel der Heloise an Abelard, die, obgleich allgemein bekannt, doch unsrer Ansicht nach bei der Würdigung von Pope's Talent zu wenig berücksichtigt worden sind. Wer hätte je den Lockenraub gelesen ohne von den übersprudelnden Phantasiegebilden, von dem liebenswürdigen heitern Humor, von der mosaikartigen Ausarbeitung der Scenerie, von dem Schmelz der Sprache entzückt zu werden? Und wie einfach ist das Sujet, das ihm vorliegt! Ein Liebhaber hat der Dame seines Herzens eine Locke geraubt und sich dadurch ihre Ungunst zugezogen. Was aber hat seine Phantasie daraus

geschaffen! Himmel und Erde hat er gleichsam bevölkert, süssverlockende, neckisch - schäkernde und wirklich erhabene Töne schlägt er an und hat daraus das liebenswürdigste, anziehendste humoristische Gedicht der englischen Literatur geschaffen.

Rechnet man dazu, dass das Gedicht zunächst in der Absicht verfasst wurde, die getrennten Liebenden wieder zu vereinigen, so ist das für seinen Charakter, der uns nicht sehr rosig geschildert wird, ein gutes Zeichen. Aber wir sehen ihn auch, ihn, den Dichter der nobeln Gesellschaft, und das ist ein wichtiges Moment für ihn, in seiner Elegie auf den Tod eines unglücklichen Mädchens, mit dem ganzen Schwunge dichterischer Begeisterung für eine Unglückliche eintreten, die aus eben diesem Kreise, aus Familie und Vaterland, weil sie es gewagt hat, anders zu fühlen und zu denken, aus Vorurtheil und Hartherzigkeit vertrieben, in der Fremde in Verzweiflung durch Selbstmord endet.

Die weichen, wahrhaft elegischen Töne, die er abwechselnd mit von edlem Zorn und sittlicher Entrüstung zeugenden gewaltigen Tönen seiner Leier entlockt, sprechen zu Herzen, denn sie kommen vom Herzen. Das Gedicht ist nicht gedacht, sondern empfunden.

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Leider treffen wir Pope nur selten auf dieser Fährte. Aber er hat noch ein Document hinterlassen, das laut bekundet, was von seinem Genius unter glücklicheren Zeitumständen zu erwarten gewesen wäre. Wer erkennt in seinem unvergleichlichen Gedicht: Heloise an Abelard, den Dichter der Dunciad oder des Essay on Man wieder? wenn nicht etwa an der äussern Formgewandtheit, die auch hier überall gewahrt ist, an dem Tonfall und Klang der Verse.

Wie Shakespeare in seinem Gedicht Venus und Adonis das überströmende Feuer sinnlich entbrannter Liebe unvergleichlich, freilich bis hart an die Grenze des Erlaubten gehend, geschildert, wie er alle Töne einer vergeblich nach Erhörung ringenden Seele erschöpft hat, so hat Pope in diesem Gedicht, bei der Schilderung einer edleren Leidenschaft, der die Sinnlichkeit nur als naturgemässe Beigabe anhaftet, alle Höhen und Tiefen des menschlichen Herzens durchforscht und ans Licht gekehrt.

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