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Ich war von der erkennen wie sie sich auch das LeAber tausende sind

aber nicht die Leser befreien konnte, ja bei diesen nur zu leicht die entgegengesetzte Wirkung hervorrief. Der Dichter gedenkt mit klaren Worten der Verwirrungen, die das Buch hervorgerufen, des Schadens, den es gestiftet habe, und es fehlte nicht an ergänzenden Zeugnissen von anderen Seiten. Nicolai macht über die von ihm verfassten Freuden Werther's die Bemerkung: „Den grossen Talenten des Verfassers der Leiden Werther's habe ich immer Gerechtigkeit widerfahren lassen; nur den Schaden wollte ich verhüten, den sein Kunstwerk indirect veranlassen könnte und wirklich veranlasst hat, wovon ein Paar auffallende Beispiele im Europ. Magazin erzählt sind.“ Und ein Freund Tieck's schreibt: „Ich war siebzehn Jahr alt, als Werther erschien. Vier Wochen lang habe ich mich in Thränen gebadet, die ich aber nicht über die Liebe und das Schicksal des armen Werther vergoss, sondern in der Zerknirschung des Herzens, im demüthigenden Bewusstsein, dass ich nicht so dächte, nicht so sein könne, als dieser da. Idee befallen, wer fähig ist die Welt zu wirklich ist, müsse so denken, so sein: ben nehmen? Das haben einige gethan. innerlich zerrissen und auf lange Zeit, manche wohl auf immer, an sich selbst irre geworden und des Ankers beraubt, dessen jeder Mensch bedarf, und den er irgendwo findet, wenn er sucht." Solche Worte können uns nicht in Verwunderung setzen. Finden wir die Schilderung einer Gemüthskrankheit von solchen poetischen Zaubern umgeben, wie gerade im Werther, verbindet sich, ja verschmilzt das Bild dieser Krankheit mit so vielen edeln und liebenswürdigen Charakterzügen des von ihr gequälten Menschen, sehen wir in diesem die kranken und die gesunden Stoffe so gar nicht, auch durch keine Andeutung, kritisch auseinandergehalten, vertheidigt die Krankheit, die Verwirrung mit einer so feurigen, tieferschütternden Beredsamkeit das Recht ihrer eigenen Existenz, ohne von irgend einer durchdringenden Stimme auch nur einmal zurückgewiesen zu werden, treten die entgegengesetzten Ansichten besonnener Menschen durch den ganzen Farbenton der Darstellung, wie auch durch einzelne Aeusserungen in das Licht der Philisterei, und erscheint der das Ganze beschliessende Selbstmord nicht als Unnatur, als

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Frevel, als letzte Consequenz einer verkehrten Gemüthsrichtung, sondern nur als Gegenstand eines klagenden, ja verklärenden Mitgefühles, so fragt man: woher soll für den, der sich der Dichtung hingibt, und nicht stark genug ist, ihr gegenüber seine Selbständigkeit zu behaupten, woher soll für diesen die Einsicht kommen, dass die Krankheit Krankheit ist? Wird nicht vielmehr durch ein solches Buch die Krankheit eines solchen Lesers befördert und die Heilung verzögert, selbst vereitelt, ja möglicherweise die Zerstörung des Kranken herbeigeführt werden? Wir finden im Werther selbst, wie er unmittelbar wirkt, nichts, wodurch der in gleichem Leid und gleicher Schuld Befangene aufgeschreckt und zur Selbstbesinnung gebracht würde. Dass ein Mensch vom Anfang bis zum Ende ein völlig unbefreites Leben führt, wird eben als ein natürlicher Verlauf geschildert, an dem nichts zu tadeln ist, als das Schicksal, dem er allein zur Last fallen soll.

In der durch Lebendigkeit und physiologische Feinheit ausgezeichneten, in der späteren Bearbeitung gemilderten, aber auch abgeschwächten Erzählung von Werther's letztem Besuche bei Lotten, von Albert's Rückkehr, Lottens Stimmung und der gegenseitigen Entfremdung der Gatten treten allerdings die sittlichen Widersprüche, die Werther durch seine unselige Leidenschaft herbeigeführt, tritt die durch ihn verschuldete Untergrabung, wohl gar Zerstörung eines ehelichen Glückes zu Tage. Lotte ist mit sich zerfallen; sie schwankt zwischen verbotener Liebe und Pflicht; aber die erstere scheint doch zu überwiegen und das Gewissen in ihr schon seine Stärke verloren zu haben. Um so furchtbarer muss ihr schwaches Gemüth durch Werther's Tod erschüttert werden. Er selber macht sich erst in der letzten Nacht seines Lebens, und nicht mit harten Worten, den Vorwurf, dass er sich am Freunde und an der Geliebten versündigt habe. Solche Mahnungen in den Herzen der Schuldigen klingen jedoch, wie alles, wodurch wir an die Freiheit des Bewusstseins erinnert werden, nur als leise, verlorene Töne an. Sie verhallten unter den tausend Stimmen des Mitleidens, die der Dichter mit der einfachen, aber um so gefährlicheren Schönheit seiner Sprache und Herzensmalerei in uns erweckt, in der süssen Wemuth, die, wenn man sich ihr gefangen giebt,

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was

nur Sympathie mit dem Unglücklichen und eine tiefe, schwere Anklage gegen das Schicksal zurücklässt und keiner freien, sittlichen Betrachtung Raum gönnt. Die Muse dieser Dichtung, weit entfernt, an ihrem Helden und dessen Verirrungen ihr zukäme, das Gericht der tragischen Nemesis zu üben, fühlt sich geehrt, bei der Bestattung Werther's einen Zipfel seines Leichentuches zu halten. Wer sich in ihren Geist und Ton hineinlebt und ihm nicht eine befestigte Gesinnung entgegen zu setzen hat, der legt das Buch mit dem Gefühle einer unüberwindlichen, tückischen Nothwendigkeit, durch die der Mensch an seine Leidenschaften gefesselt sei und in der verkehrten, feindseligen Welt an ihnen zu Grunde gehen müsse, und zugleich in dem Wahne, dass ohne die Sättigung dieser Leidenschaften das Leben werthlos und nichtig sei, aus der Hand. Wer aber mit sittlicher Freiheit an das Buch herantritt, der wird, so lebhaft er die Gestaltungskraft, die Seelenkenntniss, die geniale Gedankenfülle, die stilistische Vortrefflichkeit und namentlich auch die warme Humanität desselben anerkennt, doch Mühe haben, eine Abneigung, ja einen Widerwillen gegen seine durchgreifende Unfreiheit zu bekämpfen, die nicht etwa nur stofflich in dem Hauptcharakter als psychologisch - künstlerische Aufgabe liegt, sondern in der ganzen Darstellung und Haltung, in dem Lebenshauche dieses Romanes webt und waltet.

Allerdings war es nicht ein objectives Kunstwerk, was Goethe in seinem Werthers schuf und schaffen wollte; er schrieb ihn nach seinem eigenen Ausdrucke „ziemlich unbewusst, einem Nachtwandler ähnlich," in der Absicht, dadurch von den Schmerzen seiner eigenen Leidenschaften befreit zu werden. Aber bei diesem subjectiven Selbstbefreiungsprocesse konnte er jene objective Katharsis, die wir im Sinne des Aristoteles an jeder künstlerisch-freien Darstellung der Leidenschaften fordern, so wenig vollziehen, dass wir dieselbe durch eine kritische Zersetzung des Romanes, ja durch einen kritischen Kampf mit ihm erst erobern müssen. * Des Dichters Absicht mochte,

* Zu der mangelnden Katharsis stimmt auch die von Werther durch einzelne Andeutungen ausgesprochene ästhetische Theorie. Werther

ausser dem individuellen Bedürfnisse, der Welt gegenüber die reinste und beste sein: durch eine solche Erzählung der Krankheit, wie er sie gab, konnte die Heilung nur für wenige erzielt werden, die eben mit einer tieferen Einsicht und Bildung, mit klaren und reinen sittlichen Principien über der auch ihnen nicht fremden Krankheit standen, die also durch Werther's Leiden einen neuen, sehr anregenden Stoff erhielten, über ihre eigenen nachzudenken, die gemeinsame Krankheit zu studieren, die Heilmittel, die ihnen bereits nicht fremd waren, um so eifriger aufzusuchen und die bei ihnen schon im Gange begriffene Genesung weiter zu fördern. Wie sah es aber mit der unreifen, verworrenen Jugend, mit jenen hin- und herdämmernden, in ihren sittlichen Grundsätzen unsicheren, verschrobenen und eiteln, titanisirenden Feuerköpfen der Genieperiode, wie sah es mit allen wissenschaftlich-unmündigen, mit allen innerlich schwankenden, zügellosen im Volke, mit allen unbefesigten Frauengemüthern aus, denen das Buch nicht verschlossen war, in dem sie gar manches verstehen und leider auch missverstehen konnten? Denkt man sich, ein solches Buch habe nur unterhaltend gewirkt, wirke auch heute nur unterhaltend, und lasse keine tiefere Spuren zurück? Wir machen dem Dichter keine Vor

betrachtet es als die Aufgabe der Kunst, die Natur (das äussere und innere Leben) mit Wahrheit (aus der Seele der Wirklickeit heraus) zu erfassen und wiederzugeben, und diese Wahrheit kann, seiner Ansicht gemäss, durch Regeln nur zerstört werden. Er eifert nicht allein gegen die unselbständige, mechanische Anwendung der gewöhnlichen Terminologie, der gestempelten Kunstworte, gegen das „garstige wissenschaftliche Wesen" bornirter Köpfe, gegen die Beachtung willkürlicher und beschränkter Vorschriften, sondern gegen die Gesetzlichkeit und Zucht in der Kunst überhaupt. Ihm gilt nur das Gefühl, die Eingebung, das Genie, und er verlangt in der Production das ungehemmte Walten dieser natürlichen Mächte. Dass der Künstler seine Stimmungen den ewigen Gesetzen des Guten, Wahren und Schönen zu unterwerfen und dadurch zu läutern habe, sieht er nicht ein. Es erscheint ihm als Philisterei, wenn die Beurtheilung dem wilden Strome des Genie's mit Besonnenheit entgegentritt und die verheerenden Wirkungen desselben abzuwenden sucht. Er kennt jene höhere Begeisterung nicht, die aus der Bewältigung und Verklärung des Natürlichen durch die Freiheit des Gedankens und des gereinigten Gemüthes hervorgeht, wie bei Klopstock, der in einer trefflichen Stelle des Romanes gefeiert wird.

würfe, er gab der Welt ehrlich hin, was er ebenso ehrlich, mit einem Herzen voll gährender Leidenschaft, aber auch voll Menschenliebe hingeworfen hatte; dass manche Köpfe noch mehr dadurch verdreht werden könnten, als sie schon waren, das wird ihm nicht eingefallen sein; und Goethe war, als er das Buch herausgab, ein Jüngling. Machte man ihm späterhin Vorwürfe, so hatte er ein Recht, aufzufahren. Aber unsere Bedenken bleiben doch stehen.

Solche Bedenken regten sich nach der Erscheinung des Werther in Männern, die sich in ihrer Kritik auf den Standpunkt der Volkspädagogik stellten. Da sich Lessing unter ihnen befindet und sein Urtheil gerade das schärfste ist, wird man sich doch besinnen, sie ohne Weiteres als Philister abzufertigen. Man braucht, um nachtheilige Wirkungen vom Werther zu besorgen, nicht eben kleinlich zu moralisiren und zu mäkeln, sondern nur den einfachen, gesunden, allgemein anerkannten sittlichen Begriffen, der Rücksicht auf die Freiheit des menschlichen Bewusstseins, der unverfälschten Stimme des Guten und Richtigen zu folgen, wobei auch die Anforderungen unserer Natur, die Rechte unserer Leidenschaften mit Besonnenheit in Betracht gezogen werden. Gehen auch die Künste, die Wissenschaften, die praktischen Beschäftigungen, einem natürlichen Gesetz der Arbeitstheilung folgend, aus einander, so fordern wir doch, dass sie in der Bildung, im persönlichen Dasein und Leben sich vereinigen, sich verschmelzen, dass hier insbesondere der künstlerische Geschmack mit dem ethischen übereinstimme. Indem wir ein Werk der Dichtkunst, sobald es in die Oeffentlichkeit eingetreten ist, nicht mehr als das exclusive Besitzthum eines Kreises von Freunden und Kennern, sondern als das Besitzthum der Nation betrachten, verlangen wir, dass gerade die Seite desselben, die alle Menschen berührt, nämlich die ethische, rein und, wenn sie dies ist, auch nicht leicht dem Missverständnisse ausgesetzt sei.

Von diesem Gesichtspunkt aus wollen wir die Acten des über Werther's Leiden, bald nach ihrer Veröffentlichung ausgebrochenen literarischen Streites einer neuen Durchsicht unterwerfen. Eine Analyse des Streitobjectes, bei der wir die älteste Ausgabe zu Grunde legen, wird füglich vorausgehen.

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