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Die Kindheit der Sprache,
mit Rücksicht auf die Sprache der Kindheit.

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Wir beobachten", sagt Max Müller, „die Kindheit der Sprache mit allen ihren kindischen Einfällen, und wir ziehen wenigstens diese eine Lehre daraus, dass in der Sprache mehr steckt, als sich unsere Philosophen träumen lassen."*

Dieser Ausspruch des grossen Gelehrten lässt sich durch eine kleine Modification so wenden, dass eine neue Aufgabe gestellt wird. Lesen wir anstatt,, Kindheit der Sprache Sprache der Kindheit mit allen ihren kindischen Einfällen", so eröffnet sich ein Feld der Untersuchung, das wir wohl mit Interesse und vielleicht nicht ohne lohnende Resultate betreten mögen. Nicht nur weiss Jeder, der sich seiner Kinderjahre noch lebhaft zu erinnern im Stande ist, und Jeder, der mit Kindern gerne umgeht, dass jene Jahre der Kindheit fast märchenhaft in einer ganz eigenen Sphäre liegen, sowohl nach Denkungsart als nach Ausdrucks weise, sondern auch, und das ist für uns ein wesentlicher Anhaltspunkt - die Sprache der Kindheit oder die Kindersprache findet auf sprachwissenschaftlichem Gebiete ihre ganz besondere Berücksichtigung. Max Müller und Diez sprechen an ziemlich zahlreichen Stellen von der Kindersprache, ersterer sogar von Kindergrammatik.

Um nun aber nachzuweisen, dass in dieser Sprache „mehr steckt als sich die Philosophen träumen lassen", wird es nöthig

Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache, II. pag. 35.

sein, die wichtigsten der aus der Kindersprache von den beiden genannten Gelehrten erklärten und zur Stütze anderer Spracherscheinungen citirten Eigenthümlichkeiten nach Form und Inhalt zu beleuchten.

Bei Durchsicht der namentlich in neuerer Zeit so vielfach und sorgfältig bearbeiteten Sammlungen von Kinderliedern sind es folgende drei charackteristische Erscheinungen, welche dem aufmerksamen Leser die Sprache der Naivität kennzeichnen:

1. Der durch die Vocale i, a, (u) gebildete Ablaut.
2. Die Gemination oder Reduplication.

3. Die Deminutivformen.

Diez, Gramm. I. 71 sagt: „Noch eines merkwürdigen Umstandes ist hier zu gedenken, der uns deutlich zeigt, wie die fremde Sprachsitte zur Nachahmung reizen konnte. Es sind dies die mit den Vocalen i, a, u, gewöhnlich mit beiden ersten gebildeten Ablautformeln, meist Interjectionen (bif baf buf, kling klang, sing sang, wirr warr), die im Romanischen, welches übrigens noch einige andere, aber minder übliche Arten derselben kennt, ihren Wiederhall gefunden, besonders in den Volksmundarten."

...

Solche Ablautformeln kommen in der Kindersprache so massenhaft vor, dass es zuviel Raum einnehmen würde, sie alle hier anzuführen, und dass man unwillkürlich nach dem Grunde dieses merkwürdigen Umstandes" zu fragen veranlasst wird. Diez führt uns selbst auf die Spur in einem Artikel seines Etym. Wört. I. 290: ninno . . . ninna-nanna. Er fragt: „Woher nun jenes schlafbringende ninna-nanna, worin man das Schaukeln der Wiege zu hören glaubt? . . . Kinder- und Ammenwörter," fährt er fort, „können leicht in hohes Alterthum hinaufsteigen und aus verlorenen Wurzeln herrühren. Ninna - nanna ist eine der häufigen gewöhnlich über den Grenzen der Etymologie liegenden Ablautformeln, wie das lomb. ginna - gianna, Name eines Kinderspiels, oder littalatta Schaukel." Die Etymologie scheitert also an diesem ninna-nanna etc. ebenso wie an unsern „bim bam (bum)“, „ticktack" und unzähligen andern. Aber was ist ihnen allen denn gemeinschaftlich? Diez deutet es an in den Worten worin man das Schaukeln der Wiege zu hören glaubt." Der Vocal

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ablaut i, a (u) dient zur Nachahmung einer regelmässigen Doppelbewegung.

Dem Kinde, das durch die von dem Recitativ ninna-nanna begleitete Bewegung der Wiege in Schlaf gesungen worden, wird unter ähnlichen Taktzurufen auf des Vaters Knie und der Mutter Schooss der Gebrauch der Glieder gesichert. Zum „Bitsche-batsche" schlägt es die Händchen zusammen, zum Tippe-tappe" versucht es die ersten Schrittchen zu machen, zum „Bibchen-babchen" spitzt es das Mündchen zum Sprechen, zum „Kling - klang" macht es den ersten Versuch zu singen, mit Quick-quack" u. a. sucht es aufgefasste Thierlaute nachzuahmen. Immer sind es Nachahmungen von Naturlauten mit Doppelbewegung.

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Der uns angeborne Trieb des Nachahmens und das von der Natur uns eingepflanzte Gefühl für Takt oder Rhythmus haben diese Ablautformeln geschaffen. Kein Wunder, wenn das Kind in seinem später erlernten oder erfundenen Reimgeklingel ein Schnibel-schnabel“ oder „Nigel-nagel“ ** zur Ausfüllung des Verses und Stütze des Rhythmus anbringt. Bedient sich ja sogar der Dichter dieses malerischen Momentes, um Bewegung, grössere Lebhaftigkeit hervorzurufen, doch meist nur bei Behandlung echt volksthümlicher Stoffe. *** Vollends ähnlich dem eben erwähnten „, Schnibel-Schnabel" findet es sich in der Volkspoesie der süddeutschen Gebirgswelt. Das unwillkürliche, freudige Aufjauchzen des Gebirgsbewohners kann sich nur in naiven, der umgebenden Natur abgelernten oder instinctmässig unbewusst geschaffenen Lauten und Ausdrucks weisen kundgeben. Um Reim und Rhythmus lediglich zum Singen sich zu verschaffen, dichtet der Kärntner Aelpler:

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* Deutsche Kinderreime und Kinderspiele aus Schwaben von Ernst Meyer, Tübingen 1851. pag, 28.

**Eod. pag. 37.

*** Göthe: Todtentanz; Bürger: Lenore, der wilde Jäger; Reinick: Frühlingsglocken.

Deutsche Volkslieder aus Kärnten von Pogatschnigg und Herrmann 1869. Graz. pag. 4.

oder:

„Und er bizelt und bazelt

Schean zuber za mir."*

Es ist also die Sprache der Kinder und in kindlicher Naivität verharrender Volksstämme, in der wir solche Ablautformeln vorwiegend wahrnehmen und der wir deshalb auch die Entstehung derselben zuschreiben dürfen. Und da sie durchgängig Nachahmungen von Naturlauten sind, so möchte es wohl nicht schwer sein, ihre Spur bis in die Kindheitsjahre der Sprache überhaupt zu verfolgen. Dass man in einem „Krimskrams“, „Mischmasch“, „flim - flam“, „mic-mac" u. a. m. figürliche Bedeutung findet, kann nicht gegen die Entstehung derselben aus der Sprache der Kindheit sprechen. Die Bedeutungen lassen sich auf den Begriff „albern", „kindisch" reduciren, und von da aus haben sie sich in malam partem individualisirt. Dass sie aber auch aller Wahrscheinlichkeit nach der Kindheit der Sprache angehören, dafür möchte wohl schon der Umstand sprechen, dass die ablautende Conjugation der germanischen Sprachen z. B. in ein weit höheres Alter hinaufsteigt, als die schwache, also der Kindheit der Sprache näher liegt.

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Wir müssen bei diesem Punkte der Untersuchung noch einen Augenblick verweilen, um die Richtigkeit oder das Zutreffende der mittels der Vocale i, a, (u) bezeichneten Nachahmung eingehender zu beleuchten. Die Frage ist deutlicher, wenn wir sie etwa so stellen: Warum heisst es nicht „Tack tick", ,Bambim" etc. anstatt umgekehrt? Diese Frage gehört allerdings weniger dem Gebiete der Sprachwissenschaft an; drum mögen die Gedanken, die wir hier mittheilen, auch nur als Versuche einer Erklärung betrachtet werden. Zunächst bietet sich uns eine Erklärungsweise an die Hand, die ein dynamisches Motiv geltend machen möchte. Nehmen wir das Läuten der Glocke als Beispiel. Beim Ziehen am Seile findet eine Hebung der Glocke statt nach einer Seite; hierzu wird mehr Kraft erfordert als die Glocke durch ihr Gewicht im Fallen nach ihrem Ruhepunkte und Steigen nach der entgegen

Eod. pag. 31.

gesetzten Seite zum zweiten Schlage entwickeln kann; der erste Schlag muss also stärker sein. Er verursacht deshalb eine schnellere Vibration der Schallwellen, also einen stärkereren oder helleren Ton für unser Ohr. Ob oder inwieweit dieser Gedanke richtig ist, wollen wir bescheiden dahin gestellt sein lassen. Eine genügendere Antwort giebt uns vielleicht die Tonlehre: Behalten wir als Beispiel die Glocke bei. Mit dem uns angeborenen Gefühl für Takt und Rhythmus scheint das Gefühl für Tonmannigfaltigkeit oder Musik eng verbunden zu sein. Ein Geläute von drei ganz gleichen Glocken würde unserem Ohre ganz unerträglich sein. Dieses Bedürfniss nach Mannigfaltigkeit des Tones ist so stark in uns, dass wir z. B. bei drei ganz gleichen Hammer- oder Dreschflegelschlägen Verschiedenheit des Schalles in Bezug auf Höhe und Tiefe instinctmässig wahrnehmen. Haben aber die drei Glocken verschiedene nach den Gesetzen der Tonlehre bestimmte Töne, so ist unser Ohr befriedigt. Der Grundton oder der Ruhepunkt ist gefunden. Unterscheiden wir, daher bei einer regelmässigen Doppelbewegung einen stärkeren oder helleren und einen schwächeren oder tieferen Schall oder Ton, so ist unser Ohr daran Schuld, welches das Bedürfniss hat, einen dritten Ton oder Grundton zu suchen oder zu substituiren, auffallend ähnlich dem zu i, a, in den meisten Fällen nicht zur ausgesprochenen Geltung kommenden u. Mag auch die Stichhaltigkeit dieser Erklärung dahingestellt bleiben, - das was nachzuweisen wir uns zur Aufgabe gestellt haben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die durch die Vocale i, a, u gebildeten Ablautformeln der Sprache der Kinder entlehnt oder abgelernt sind.

Von der zweiten charakteristischen Erscheinung in der Kindersprache, der Gemination oder Reduplication, sagt Diez geradezu: „Die der Sprache der Kinder abgelernte Gemination (franz. bobo, dodo) hat nur in Volksmundarten Wurzel gefasst.* Dass Diez auch den Ausdruck „Reduplication" gebraucht zur Bezeichnung derselben Sache, beweist der Artikel „dodo" Wört. I. 24. Ist dieselbe, wie wir an manchen Beispielen erkennen werden, auch nicht immer mit ganz

* Etym. Wört. Vorrede. pag. XXIV.

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