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gedankenloses Pharisäerthum zu stärken, haben in jener oben genannten Beurtheilung von Byron's Lebenswandel noch bis zum heutigen Tage den Austrag gegeben. Kein Wunder, dass diese Ansichten zu des Dichters Lebzeiten in dem bigotten priesterlich erzogenen England, der Heimath jener Familienromane, in so gehässiger und widerlicher Weise, wie die Thatsachen lehren, sich breit machen konnten.

Es ist klar, dass ein Gefühl der Verantwortlichkeit für alle unsre Thaten in dem Busen eines jeden Menschen lebt. Die Natur hat es uns eingepflanzt, wie den Geschlechtstrieb. So wie dieser „der Kunstgriff der Natur zur Erhaltung der Gattung" ist, bildet diese Verantwortlichkeit das Mittel zur Erhaltung der Gesellschaft im weitesten Sinne. Es basirt dies Gefühl auf unsern Anlagen für Gerechtigkeit und Liebe. Wir fühlen uns in unserm Thun nicht bloss dem eigenen Ich verantwortlich, sondern auch der nächsten Umgebung, der Stadt, der Nation, in der wir leben, ja der ganzen Menschheit. Dies Gefühl hat viel Gemeinsames - dies ist es ja, das ein Abstrahiren allgemeiner Sittengesetze möglich gemacht hat

aber

es ist an Stärke und Richtung bei jedem Menschen ein anderes. Thüricht ist's also, zu behaupten, Jemand müsse einer That wegen diesen oder jenen innern Vorwurf fühlen; wir müssten ihn denn zuvor gefragt haben, was sein subjectives Gefühl der Verantwortlichkeit als Richter dazu gesagt hat. Der feinfühlende Mensch kann über eine Verstellung, eine Lüge, die er im Leichtsinn gegen seine bessere Ueberzeugung ausgesprochen, solche Gewissens bisse fühlen, dass er in Thränen ausbricht, dass ihm die Erinnerung daran noch nach Jahren das Blut in die Wangen treibt. Der Mensch von rohem Gemüth belügt Euch mit frecher Stirn eines elenden Gewinnes wegen und wundert sich, wie man einen solchen „,Act der Klugheit" ihm zur Last legen darf. Ein Faraday macht sich eine schwere Sünde daraus, seine Talente des eigenen Vortheils wegen auszubeuten. Er will, statt der unermesslichen Reichthümer, die er sicher erworben hätte, lieber der Wissenschaft sein Leben opfern und stirbt als armer Mann. Der reiche Banquier richtet durch Finanzoperationen, die seine Kasse füllen, hunderte von Familien zu Grunde und wundert sich, wie man dies unsittlich

finden, wie man ein so offenes, schönes Geschäft auch nur tadeln könne!

Es ist klar, dass sich die Stärke des Schuldbewusstseins lediglich nach der Feinheit des subjectiven sittlichen Gefühls (des Gefühls der inneren Verantwortlichkeit) und nach der Grösse der subjectiv darnach abgeschätzten Sünde richten wird.

Byron besass als Dichter ein sehr feines Gefühl. Es fragt sich aber, ob er diese geschlechtlichen Verirrungen für so schwere Verbrechen angesehen hat, dass ihm der Gedanke daran Lebensruhe und Freudigkeit rauben und seine Seele mit Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit füllen konnte. Es giebt ohne Zweifel zartfühlende Naturen, die sich Gewissensbisse machen, wenn sie vor der Ehe ein Weib berühren und die den furchtbaren Kampf mit den sinnlichen Reizen, welche gerade im Jünglingsalter so verzehrend wirken, mit ganzem Ernst durchführen. Aus allen Briefen und Mittheilungen erhellt aber zur Genüge, dass Byron zu diesen Naturen durchaus nicht gehört habe. Er war eine ächte, frisch und heisslebige Dichternatur, der es Bedürfniss war, viel zu lieben und das Leben zu geniessen. Sehen wir uns doch unter seines Gleichen, unter ächten Dichtern um, ob je Einer in seiner Jugend anders gelebt, und ob je Einer über dergleichen Thaten eine solche Hölle der Verzweiflung gefühlt habe, wie man ihm andichten will.

Aber, wird man sagen, es leiden doch so viel der reichen und vornehmen Leute, namentlich in England, am Spleen, warum sollte dies bei Byron nicht der Fall gewesen sein?

Diese Frage enthüllt uns den rechten Kern der Gedankenlosigkeit unter den Beurtheilern. Es giebt in der That solche Menschen; aber es sind wollüstige, gedankenlose, freche und faule Wüstlinge, die nach einem greulichen Leben voll unnatürlicher Ausschweifungen in diese Art von Krankheit, den Spleen oder Lebensüberdruss verfallen. Mit diesen elenden Lumpenseelen haben Viele Byron auf eine Stufe gestellt! Wagt man es, ihm gegenüber von Faulheit und Gedankenarmuth und geistiger Hohlheit zu sprechen, ihm, dem grossen Denker und Dichter, der in seinem kurzen Leben eine solche Fülle von Werken geschaffen? Wird man noch länger wagen, seine feine Sinnlichkeit auf eine Stufe zu stellen mit der viehischen Brunst

Archiv f. n. Sprachen. XLV.

und Tobsucht jener innerlich ausgebrannten, mark- und saftlosen Gesellen, die man eben nur Menschen nennen darf, weil sie die äussern Kennzeichen der Gattung an sich tragen? Wo bleibt die Logik, wo die Vernunft in der Welt? Doch genug davon. Gehen wir zu den andern Behauptungen über.

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Man hat zur Begründung seiner tiefen Melancholie auf seine verunglückte Jugendliebe hingewiesen. Als er sechzehn Jahre alt war, fasste er eine zärtliche Neigung zu seiner schönen Cousine Miss Mary Ann Chaworth. Leider musste er eines Tages hören, dass das Mädchen in der Nebenstube zu ihrer Zofe sagte: Glaubst Du, dass ich mir im Ernste aus dem lahmen Jungen Etwas mache?" Dies wirkte auf ihn so niederschlagend, dass er im selbigen Augenblicke in später Abendstunde das Haus verliess und sich dem Mädchen nicht mehr näherte. Was haben die Biographen über diese unbedeutende Geschichte gefaselt, was für ein mächtiges Gebäude von Trugschlüssen aller Art haben sie darauf begründen wollen! Eine Primanerliebe, die unreife Liebe eines Jüngelchen von sechzehn Jahren, eine Gefühlsaufwallung, die durch eine einzige Dosis verletzter Eitelkeit unterdrückt werden kann, soll nicht allein der Grund für Byron's, des Menschen Trübsinn, sondern zugleich für Byron's, des Dichters, trübe Lebensanschauung in seinen Kunstwerken geworden sein! Man braucht wahrlich nicht mehr hinzuzufügen; jedoch wollen wir, da ähnliche Anschauungen überall sich breit machen, die Sache noch näher untersuchen.

Die Liebe, selbst die tiefste und gewaltigste, welche mit der ganzen Macht dämonischer Leidenschaft einen Menschen ergreift, vermag nie das ganze Wesen desselben, seinen Charakter und dessen Grundanschauung auf die Dauer umzuformen, geschweige denn, der Grundstimmung einer dichterischen Muse eine andere Richtung zu geben. Sie wirkt nach Art einer tief erschütternden Nervenkrankheit. Der Mensch kann durch diese Leidenschaft vernichtet werden; ist dies nicht der Fall, so vernichtet er die Leidenschaft. Er kann im Liebesstadium so ergriffen werden, dass er wie in einer Art von Delirium denkt und handelt; aber dies ist eben nur vorübergehend. Es können Spuren und Schwächen dieses Zustandes zurückbleiben; aber nimmer kann die Liebe aus einem Schurken einen

edeln Menschen, oder aus einem Menschenfreunde mit liebevollem, hochherzigem Gemüthe einen Menschenhasser machen. Dergleichen Kunststücke werden wol von schlechten Romanschreibern und Versemachern, aber nie von der Natur zu Stande gebracht. Dass der Mensch Byron keinen Menschenhass kannte, dass er überall ein edles, hochherziges, liebendes Gemüth zeigte, ist so zur Genüge constatirt worden, dass man darüber nicht Worte zu verlieren braucht. Bei Byron können wir nicht einmal von einer so verzehrenden, gewaltigen Leidenschaft sprechen. Worauf wollen denn die Biographen ihre Faseleien gründen? Sie weisen auf das Gedicht: Der Traum und auf einzelne Gedichte aus seinen ersten Versuchen, den Hours of idleness, in denen er von seiner tiefen Liebe zu jenem Mädchen spricht. „Das,“ rufen sie aus, „sind keine erdichtete Klagen, das kommt tief aus dem Grunde eines schmerzbewegten und verzweifelten Herzens."

Abgesehen davon, dass man solche Citate aus den Gedichten, wie ich bereits erwähnt habe und später beleuchten werde, nur mit sehr sorgfältiger Kritik zur Beurtheilung des Menschen im Dichter benutzen darf, will ich die Herren hier mit ihren eigenen Waffen schlagen. Man lese unter andern Herzensergiessungen aus den Hours of idleness das Gedicht an die blondlockige Mary, cine junge Dame, von deren schönem Haar Byron stets eine Locke bei sich trug:

Hier sah ich (er spricht von ihrem Bilde) dieser Locken Gold,
Die Deine weisse Stirn umgeben,

Die Wange

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Den Mund, der Dir mich ganz gegeben.

Dein holdes Bild . . . .

Betrübt und bangend ohne Grund
Ob wol die Zeit mich lasse wanken,
Nicht wissend, wie in Herzens Grund
Ihr Bild mein einziger Gedanke.
Durch Zeit und Jahre lächelnd mild

Mein Hoffen all' in Gram und Leiden,

So häng an Dir, Du theures Bild,

Mein Blick noch bei dem letzen Scheiden.

Welche Mary hat er nun bis zur Verzweiflung geliebt, diese, oder die andre?

Eine grosse Hauptrolle spielen bei allen Biographen die Behauptungen über den Einfluss von Byron's Erziehung. Die bösen Wärterinnen, die schlechten Schulmeister, die heftige Mutter, der Einfluss der Pairs würde, die er im zehnten Lebensjahre erbte, die schlechten Freunde diese Alle haben an dem Kinde gesündigt, diese haben ihn verdorben, haben ihn zu einem fürchterlichen, lasterhaften Menschen und zu einem zwar grossen, aber entsetzlich unmoralischen Dichter gemacht! Namentlich schildert dies in wahrhaft ergötzlicher Weise der Herr Professor Eberty in seiner viel gelesenen Biographie. Ich glaube in der That, er hat dies Buch nur in der Absicht geschrieben, an Byron den Einfluss schlechter Erziehung darzulegen, und ein warnen des Beispiel für Eltern, Erzieher und junge Leute aufzustellen, Es fehlte nur noch, dass er als haec fabula docet hinzufügt: Ihr Jünglinge, meidet die Wollust und die Schwelgerei, sonst fallt Ihr in Menschenhass und Trübsinn und schreibt wol gar Gedichte, wie Childe Harold, der Corsar und Don Juan! Es wäre endlich an der Zeit, diese unklaren, empirischen, schulmeisterlichen Begriffe von dem Einfluss der Erziehung auf das rechte Mass einzuschränken. Man vergisst nur zu oft, dass unser Einfluss auf das sittliche Handeln unsres Zöglings über eine gewisse Dressur und ein gedächtnissmässiges Einprägen von sittlichen Grundsätzen nicht hinauskann. Ob diese Grundsätze für die Denk- und Handlungsweise zur Grundlage werden, oder bloss als Gelerntes und auch wohl Verstandenes im Kopfe unfruchtbar liegen bleiben, hängt durchaus nicht mit der Wirksamkeit der Erzieher, sondern mit der innern Organisation des Zöglings zusammen. Aus dem, was ich über das Wesen der

*Lord Byron, eine Biographie von Dr. Felix Eberty, Professor in Breslau. Alle Vorwürfe, die ich in der Einleitung Biographien im Allgemeinen gemacht habe, gelten dieser Schrift im reichsten Masse. Keine hat den grossen Dichter ärger misshandelt. Sie ist nach ihrem Erscheinen sehr viel gelesen worden, ist aus naheliegenden Gründen in die meisten Leihbibliotheken übergegangen und fährt auf diese Weise noch immer fort, die Begriffe zu verwirren und die Klatschsucht zu befördern. Sie liefert den Beweis, wohines führt, wenn schulmeisterliche Pedanterie und hohle Büchergelehrsamkeit sich an eine Arbeit wagen, zu der sie auch nicht den mindesten Beruf besitzen.

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