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mit ihrem starken Selbstgefühl und hohen Ansprüchen an das Leben einen zuweilen recht tragikomischen Gegensatz zu ihren Mitteln und Fähigkeiten. Sie belagerten die Türen der Minister, in der Hoffnung, irgend eine Gnade, ein Aemtchen zu erlangen. Andrea Navagiero, welchen die Republik Venedig 1524 als Gesandten an Carl V. schickte, und der diese Herren in Toledo einherstolziren sah, characterisirt sie treffend: „Von den Cavalieren," sagt er in seinem Reisebericht, giebt es wenige, die viel Einkommen haben. Aber dieses ersetzen sie durch Stolz, woran sie so reich sind, dass, wenn die Mittel dem gleich wären, die Welt für sie zu klein sein würde."

Aber auch die unteren Volks classen, welche bisher in williger Unterwürfigkeit gelebt hatten, waren bestimmt, die Zahl dieser problematischen Existenzen zu vergrössern. Durch die Entdeckung der neuen Welt wurde Spanien, bisher eins der ärmsten Länder Europa's, mit einem Male von Reichtümern überflutet. Die verderbliche Wirkung dieses plötzlichen Wohlstandes zeigte sich am schnellsten bei den unteren Classen. Da die Grossen die Macht hatten, jene neuen Länder auszubeuten, so musste von der anderen Seite Licht und Vorurteilslosigkeit in's Feld gerufen werden, um diese Goldströme auch den ungünstig situirten Boden befruchten zu lassen. Mit den Cortez, Pizarro etc. zogen Abenteurer aus den untersten Schichten des Volkes in die Welt hinaus und kehrten meistens beutebeladen heim, oft nur, um zu Hause von Parasiten und Gaunern, den Catarileras (Winkeladvocaten) und Picaros (Schelme) ausgeplündert zu werden. Wenn der Satz emporsteigt, trübt sich das Getränk. Was Wunder also, wenn diese Hefe des Volks durch ihr Emporstreben bei einem grossen Teile der Nation eine ganz heillose Verwirrung des sittlichen Bewusstseins verursachte?

Dies waren die Zustände, welche die novela picaresca, den Schelmenroman, dem sie als historischer Hintergrund dienen, hervorbrachten. Das Verdienst, auf diesem bisher noch unangebauten Felde die erste Furche gezogen zu haben, gebührt dem berühmten Geschichtschreiber Diego Hurtado de Mendoza, Gesandten Carls V. zu Venedig und beim Concil zu Trident. Mendoza hatte seine gelehrte Ausbildung zu Salamanca erhalten und fand auch später, nachdem er die militärische Lauf

bahn eingeschlagen (ursprünglich war er für den geistlichen Stand bestimmt), besonders in Italien Gelegenheit, seinen wissenschaftlichen Neigungen nachzuleben. In Venedig, wo er 1538 einen Gesandtschaftsposten bekleidete, gab er sich, neben seinen diplomatischen Geschäften, dem Studium der alten Schriftsteller mit besonderem Eifer hin und sammelte eine werthvolle Bibliothek, aus der manche Schätze des Altertums zum ersten Mal ihren Weg in die Oeffentlichkeit fanden (z. B. Josephus, sowie einige Kirchenväter). Nachdem Mendoza zu Trident und nachher in Italien dem Papst Julius III. gegenüber seines Kaisers Interessen lange Zeit auf das Geschickteste vertreten hatte, kehrte er 1554 nach Spanien zurück. Mit dem tyrannisch strengen System Philipp des II., der 1555 den Thron bestiegen hatte, konnte sich sein humaner Geist nicht wohl vertragen, dazu kam ein unangenehmer Vorfall, der ihm die Gunst dieses Monarchen ganz entzog. Auf einem Corridor des königl. Palastes zu Madrid geriet Mendoza eines Tages in einen heftigen Wortwechsel mit einem Höfling, der sich soweit vergass, dass er einen Dolch gegen den Greis zückte. Mendoza wand ihm die Waffe aus der Hand und schleuderte sie zum Fenster hinaus. Einige erzählen, er habe seinen Angreifer hinterher geworfen. Jedenfalls empfand Philipp in diesem Verhalten eine gegen ihn gerichtete Beleidigung. Der alte Soldat wurde verbannt und zog sich nach Granada zurück, wo er sich ausschliesslich wissenschaftlichen Bestrebungen hingab, namentlich sein berühmtes Geschichtswerk über die Empörung, welche die Mauren von Granada in den Jahren 1568-70 versuchten, abfasste. An den Hof schliesslich zurückgerufen, starb er nur wenige Tage nach seiner Ankunft in Madrid (1575).

Von Mendoza's Schriften interessirt uns hier nur ein kleiner Roman, den er vermutlich schon während seines Aufenthalts in Salamanca geschrieben hat. Es ist der Lazarillo de Tormes, die Selbstbiographie eines Knaben Lazarillo - geboren in einer Mühle auf dem Flusse Tormes bei Salamanca. Von seinen Eltern früh dem Kampf um das Dasein hülflos überlassen, weiss er sich indessen nicht so schlecht in der Welt zurechtzufinden, voll Schalkheit und von ungeheuer weitem Gewissen, wie ihn die Natur gebildet hat. Als Führer eines Blinden be

ginnt er seine bescheidene Laufbahn. Später dient er einem armen Edelmann, einem Ablassverkäufer etc., bis endlich die Geschichte mit seiner Verheiratung ihr Ende, wenn auch nicht einen eigentlichen Abschluss, findet. Die Absicht des Verfassers war, eine Satyre auf verschiedene Stände zu liefern, was kaum auf eine wirksamere Weise geschehen konnte, als dadurch, dass er einen Diener, welcher, der Natur seiner Stellung nach, mit den einzelnen Vertretern dieser Classen in die intimste Berührung kommen musste, ihre Fehler und Schwächen schildern lässt. Ein Beispiel dieser launigen Beschreibungen möge hier anzuführen gestattet sein.

Besonders gute Zeit verlebte Lazarillo bei einem Bulero (Ablassbullenverkäufer). Herr und Diener zogen von einem Ort zum andern, einige Predigten und unbedeutende Geschenke an die Geistlichen, deren Kirchspiel sie grade absuchten, genügten gewöhnlich, Ablass begehrende Seelen in Menge herbeizulocken, so dass der gute Pater im buchstäblichen Sinne von den Zinsen lebte, welche der Schatz der guten Werke seiner Heiligen ihm trug. Dass zuweilen auch wirksamere Mittel angewendet werden mussten, um dem blöden Volk die Augen über seinen Vorteil zu öffnen, lag in der Natur der Sache oder vielmehr der Personen. In einem Dorfe der Sagra von Toledo zeigte sich, auch nach mehreren Predigten, bei den Einwohnern wenig Neigung nach den Gnadenspenden des Paters. Eines Abends, nach einem solchen vergeblichen Tagewerk, suchte der gute Pater Erholung indem er mit dem Alguazil (Gerichtsdiener) des Ortes Karten spielte. Ueber dem Spiel entstand zwischen Beiden ein heftiger Wortwechsel, der in Tätlichkeiten ausgeartet sein würde, wenn nicht der Wirt und mehrere Gäste dazwischengetreten wären und die Streitenden auseinander gebracht hätten. Am andern Morgen erschien der Pater, seiner Gewohnheit gemäss, in der Kirche um zu predigen und seinen Ablass zu empfehlen. Mitten in seinem Sermon wurde er in einer für alle Anwesenden höchst unerwarteten Weise durch jenen Alguazil unterbrochen, der, in die Kirche eintretend, seine Stimme laut gegen den Pater und dessen Ablass erhob und seine Landsleute warnte, sich von diesem gewöhnlichen Gauner nicht anführen zu lassen. Die entstehende Aufregung

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der Zuhörerschaft beherrschte mit Mühe die Stimme des würdigen Paters, als er, die Augen nach oben drehend, so dass die Aepfel unter den buschigen Brauen ganz verschwanden, Gott anflehte, durch ein Zeichen darzutun, dass dieser Mensch ein bösartiger Ketzer und Verleumder sei. Indem er dabei seine Brust dem Blitzstrahl des himmlischen Zornes zu entblössen vorgab, liess er zugleich eine Aufforderung an die Erde ergehen, sich zu öffnen und ihn zu verschlingen. Sei es nun, dass der Alguazil wirklich ein falscher Ankläger war, oder dass die Erde keinen Appetit trug, die lausige Kutte eines Franziskaners in ihren Eingeweiden zu bergen genug, sie öffnete sich nicht, dagegen aber stürzte der skeptische Alguazil, wie vom Schlage getroffen, auf das harte Steinpflaster der Kirche hin, Schaum trat vor seinen Mund und er schleuderte, von krampfhaften Zuckungen ergriffen, mehrere Männer, die zu seiner Hülfe herbeieilten, wie Federbälle an die Wand. Auf die Bitte der Anwesenden, sich an diesem offenbaren Wunder genügen zu lassen, und den armen Besessenen zu exorciren, verliess der Mönch die Kanzel, wo er noch immer auf den Knien gelegen hatte, trat vor den Rasenden hin und berührte dessen Stirn mit dem Ablasskästchen. Die Wirkung war eine augenblickliche. Der Schauder verschwand, die Zuckungen liessen nach und in wenigen Minuten kehrte auch das Bewusstsein bei dem Lästerer wieder, der sich dem Mönch zu Füssen warf und mit reuigen Tränen seine Schuld bekannte. Der Pater besass Grossmut genug, ihm zu verzeihen. Natürlich beeilte sich, auf die Kunde von diesem Wunder, Jeder männiglich des durch den Mönch gespendeten Heils teilhaftig zu werden und ein sanfter Regen von Realen und Maravedis erquickte die lechzende Seele des guten Paters. An Stelle des bittern Hasses zwischen Alguazil und Mönch war, zur Befriedigung aller, die innigste Freundschaft getreten und es muss besonders für Lazarillo ordentlich rührend gewesen sein, als er Gelegenheit hatte, zu sehen, mit welcher Eintracht die beiden Ehrenmänner bei der Teilung des Gewinnes verfuhren.

Die mehrfachen directen Nachahmungen und Fortsetzungen des Lazarillo von Seiten anderer Verfasser kann ich füglich übergehen, um so mehr, da keine derselben auf den Namen einer

hervorragenden Leistung Anspruch hat. Jedenfalls geht aus denselben hervor, dass der Lazarillo allgemeinen Beifall fand und zwar nicht nur in Spanien. Soll doch selbst Boileau beabsichtigt haben, über das Leben Diogenes des Cynikers einen Roman zu schreiben „de la plus parfaite gueuserie," eine Geschichte,,beaucoup plus plaisante et plus originale que celle de Lazarillo de Tormes et de Guzman d' Alfarache."

Sechsundvierzig Jahre nach dem Erscheinen des Lazarillo wurde der bedeutendste spanische Roman dieser Gattung, dessen Namen wir soeben in der Aeusserung Boileau's begegnet sind, veröffentlicht. Ueber das Leben des Mateo Aleman, seines Verfassers, ist sehr wenig bekannt. Seine Vaterstadt war Sevilla. Er selbst bekleidete lange Zeit eine Stelle bei dem königlichen Schatzamt, welche Stellung ihm schliesslich einen unangenehmen Prozess zuzog. Freiwillig trat er in das Privatleben zurück, besuchte 1609 Mexico und widmete den Rest seiner Tage der Beschäftigung mit den Wissenschaften. Der Roman welcher nach seinem Helden den Namen Guzman de Alfarache führt, erschien in seinem ersten Teil 1599 zu Madrid. Der Inhalt desselben ist kurz folgender. Guzman, der Sohn eines an Ehre und Vermögen heruntergekommenen genuesischen Kaufmanns in Sevilla, verlässt nach dem Tode des Vaters seine Mutter, um auf eigne Hand in der Welt sein Glück zu versuchen. Wir finden ihn in Madrid wieder, wo er das Schwerste durchzumachen hat, als Küchenjunge und Laufbursche dienend. Endlich stiehlt er eine grössere ihm anvertraute Geldsumme und entkommt damit nach Toledo, wo er sich als feiner Herr aufhielt. Von einem Collegen aus der ehrsamen Schelmenzunft geprellt und nunmehr völlig mittellos, tritt er bei einem nach Italien bestimmten Regiment ein. In Barcelona stiehlt und raubt er für seinen Hauptmann. In Rom sinkt er bis zum Strassenbettler herab. Ein Cardinal erbarmt sich seiner und macht ihn zu seinem Pagen. Auch in dieser angenehmen Stellung kann er sich seine schlechten Streiche nicht abgewöhnen und giebt die Stellung auf, nachdem er im Spiel gänzlich ausgeplündert worden ist. Soweit der erste Teil. Der Erfolg desselben war durchschlagend (drei Auflagen in einem Jahr, sechsundzwanzig in sechs Jahren). Nachahmer bemächtigten

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