ページの画像
PDF
ePub

des Romans, welche den Jesuiten Isla zum Verfasser hat, der diese Anklage in der schärfsten Weise auf dem Titelblatte seiner Ausgabe wiederholte. Dasselbe lautet nämlich:

„Aventuras de Gil Blas de Santillana, robadas á España, adoptadas en Francia por Mons. Lesage, restituidas á su patria y á su lengua nativa por un Español zeloso que no sufre que se burlen de su nacion."* Die Beweise, auf welche derartige Behauptungen sich stützen, sind äusserst schwach. Voltaire war es, welcher zuerst den cri de guerre gegen Lesage erhob, allein er war den Beweis für seine Behauptungen nicht nur vollständig schuldig geblieben, sondern hat denselben auch in einer Weise aufgestellt, welche von vornherein der Anklage die Spitze abbricht. Voltaire war von Lesage in einem seiner Dramen lächerlich gemacht worden und ausserdem mag wohl auch die Stelle in Buch 10, Cap. V des Romans, wo über die Schauspiele eines gewissen ,,Gabriel Triaquero" der Stab gebrochen wird, auf den Verfasser der Henriade gemünzt sein. Jedenfalls glaubte er sich von Lesage beleidigt und behauptete daher in seinem Siècle de Louis XIV. (1752), dass „Gil Blas ganz und gar einem spanischen Roman entlehnt ist, welcher den Titel führt: La vidad de lo escudiero Dom Marcos de Obrego." Dieses Citat beweisst, dass Voltaire jenes vorgebliche Original nie gesehen hat (es sei denn in der Uebersetzung) und dass er nicht spanisch verstand. In wie weit Lesage den Marcos de Obregon wirklich benutzt hat, werden wir nachher untersuchen. Isla behauptete, der Gil Blas sei die Arbeit eines andalusischen Advocaten, der sie dem Lesage bei dessen Anwesenheit in Spanien, gegebeu habe. Unglücklicherweise hat nie ein Mensch dies supponirte Manuscript gesehen, auch ist Lesage nie in Spanien gewesen. Gleichwol wurde dieser müssige Streit noch in den 20. Jahren unsers Jahrhunderts zwischen Antonio de Llorente, dem Verfasser der Geschichte

* Auf deutsch: Die Abenteuer des Gil Blas de Santillana, (welche) Spanien geraubt und in Frankreich durch Herrn Lesage adoptirt (worden. sind), ihrem Vaterland und ihrer Muttersprache wiedergegeben durch einen eifrigen Spanier, welcher es nicht duldet, dass man seine Nation zum Besten habe.

der Inquisition, und einem Franzosen François de Neufchâteau aufs Neue durchgefochten. Den gänzlich hinfälligen Beweisen, auf die Llorente seine Hypothese zu gründen sucht, stehen für die andere Ansicht so bedeutende Momente von positivem Wert entgegen, dass der Prozess als zu Gunsten Lesage's entschieden betrachtet werden muss. Die häufigen Irrtümer in spanischer Geschichte und Geographie lassen es unmöglich erscheinen, dass der Historiker Solis, dem Llorente die Autorschaft vindicirt, weil derselbe damals der einzige Spanier gewesen, der ein solches Buch hätte schreiben können, den Roman verfasst habe. Andrerseits befinden sich in demselben directe Anspielungen auf Anecdoten aus den Regierungen Ludwigs des XIV. und XV., die nur einem Franzosen bekannt sein konnten. Viele Episoden des Gil Blas sind in der Tat spanischen Schriftstellern entnommen, die in ihrem Vaterland zu den gelesensten gehörten. Ein spanischer Verfasser des Gil Blas würde gewiss nicht gewagt haben, wie Lesage es gethan, diese fremden Bestandteile mit Beibehaltung der Namen der handelnden Personen seinem Werk zu assimiliren. Dagegen waren diese Quellen in Frankreich, wo das Spanische aus der Mode gekommen war' wenig oder gar nicht bekannt, ein Bearbeiter brauchte sich also nach dieser Seite hin nicht zu geniren. Lesage selbst ging später noch einen Schritt weiter, indem er auf dem Titel eines andern Romans ähnlicher Art, des Bachélier de Salamanque, behauptet, derselbe sei aus dem Spanischen „übersetzt." Und dabei findet sich darin eine, dem Moreto'schen Lustspiel „El desden con el desden" (deutsch: Donna Diana) genau nachgebildete Episode!

Wenden wir uns von diesem Streit um die Autorschaft dem Roman selber zu und versuchen wir zum Schluss, ein Bild seines reichen Inhalts zu geben, teils um diese Anklagen auf ihr richtiges Mass zurückzuführen, teils auch um zu zeigen, welche Fortschritte das ganze Genre in diesem seinem Vertreter gemacht hat. Da müssen wir denn gleich gestehen, dass schon die Vorrede einen Zug enthält, welcher nicht original sondern dem Marcos de Obregon nachgebildet ist. Die kleine Anecdote von den beiden Studenten, welche auf ihrer Wanderschaft nach Salamanca einen Stein mit rätselhafter Inschrift finden, die in

dessen von dem einen richtig verstanden wird, worauf derselbe sich in den Besitz des darunter verborgenen Schatzes setzt diese Erzählung findet sich, mit ganz geringen Abweichungen, auch in dem spanischen Roman von Vicente Espinel.

Gil Blas, zu dessen Abenteuern wir uns nunmehr definitiv zu wenden haben, verlässt im 17. Lebensjahr das Haus seines Vaters, eines armen Escudero, und seine Geburtsstadt Oviedo, um, mit geringen Kenntnissen und noch weniger Geld ausgerüstet, zu Salamanca den Studien obzuliegen. In Pennaflor, wo er sich und seinem müden Maultier die erste Ruhe gönnt, wird er das Opfer zweier Gauner, die seine Leichtgläubigkeit und Eitelkeit zu benutzen wissen, um ihm sein Maultier für eine Kleinigkeit abzuhandeln und sich noch ausserdem auf seine Kosten den Magen zu füllen. Diese Episode ist in Marcos de Obregon, dem sie ursprünglich angehört, etwas ausführlicher behandelt als bei Le Sage. Espinel lässt seinen Helden, welcher natürlich kein andrer ist als der junge Student Marcos de Obregon, in ähnlicher Weise einem Wirte seine Verhältnisse anvertrauen. Ein Iudustrieritter, von dem Wirt vorher über Alles, was den zu Rupfenden betrifft, unterrichtet, weiss sich durch seine unmässigen Lobeserhebungen dessen ganzes Vertrauen zu erwerben. Nachdem er sich zunächst auf seine Kosten gesättigt, giebt er ihm noch eine ebenso witzige als derbe Lection mit auf den Weg. „Der Ruf Eurer Gelehrsamkeit," sagt er zu dem guten, einfältigen Marcos, „,ist bereits in ganz Salamanca herumgekommen und ich selbst kenne einen Mann, der wohl hundert Ducaten geben würde, wenn er Euch sehen könnte. Ist's Euch recht, so folgt mir in seine Wohnung. Für einen guten Empfang glaube ich stehen zu dürfen." Natürlich willigt Marcos mit Freuden in diesen Vorschlag ein und der Gauner fordert auch den Wirt und mehrere Anwesende auf, sie zu begleiten, damit sie Zeugen seien des Triumphes, welcher seinen neuen Freund erwartete. Je höher nun auf diese Weise das Selbstgefühl des wackern Marcos geschraubt worden war, desto trauriger musste die Figur sein, welche er, dem allgemeinen Hohngelächter preisgegeben, machen mochte, nachdem ihn der Schwindler zu einem Blinden gebracht und ihn bei demselben mit den Worten eingeführt hatte: „Dieser

hier gäbe sicherlich 100 Ducaten und vielleicht auch noch etwas mehr, wenn er Euch sehen könnte" ein Witz, dessen sich selbst Le Sage nicht zu schämen brauchte. Kehren wir jedoch zu unserm Gil Blas zurück, der auch ohne den letzten, derben Teil dieser Lection an den in jener Venta (Wirtshaus) gemachten Erfahrungen genug hatte. Einigermassen melancholisch setzt er seine Reise auf einem der Saumtiere eines Maultiertreibers (Arriero) fort, eine Art zu reisen, welche in Spanien damals für Leute niederen Standes gewöhnlich war. In seiner Gesellschaft befindet sich u. a. auch ein junger Bürger aus Astorga mit seiner Frau, welche dem Arriero böse Gelüste einflösst. In Cacabelos, dem nächsten Orte, erklärt er plötzlich zum Schrecken der Reisenden, es sei ihm ein ganzer Beutel mit Geld unterwegs abhanden gekommen und er werde die Justiz zur Entdeckung des Diebes in Bewegung setzen. Obgleich keiner der Reisenden sich selbst einer Schuld bewusst war, so wirkte doch der Gedanke, mit der Dame Themis in Berührung zu kommen oder, wie sich Scapin ausdrücken würde, ein „démêlé“ zu haben, so durchschlagend bei ihnen dass sie mit Einschluss des jungen Ehemannes, der seine Frau in seiner Angst im Stiche lässt, sich nach allen Seiten aus dem Staube machen, ohne dass es jedoch, wie der Verlauf dieses für uns weiter nicht interessanten Abenteuers zeigt, dem Arriero gelingt, seine schändlichen Pläne zur Ausführung zu bringen. Gil Blas, den wir nicht aus den Augen verlieren dürfen, irrt querfeldein, verliert den Weg und sieht sich plötzlich von einem Haufen berittner Räuber umgeben, die ihn, sans autre forme de procés mit sich schleppen nach ihrem Schlupfwinkel, einer aus der Zeit der Maurenkriege stammenden unterirdischen Höhle, deren Eingang nicht leicht aufzufinden war. Obgleich die Dienste, welche er hier als Küchenjunge und Aufwärter leisten musste, nicht zu den schwersten gehörten, so sehnte sich Gil Blas begreiflicher Weise doch nach der Freiheit. Ein Fluchtversuch misslang indessen und um der Strafe, die ihn sonst wohl getroffen hätte, zu entgehen, steckt Gil Blas nun die Miene auf, als habe er sich in sein Schicksal gefunden und willigt ein, dem wackern Corps als actives Mitglied beizutreten. Auf einem Streifzug, den er, gewissermassen als Probecandidat fiir

die höhere Räubercarriere, mitzumachen hat, fällt eine in Begleitung ihres Gemahls reisende Dame in die Hände der Räuber, welche den mit mehreren Wunden der Ihrigen erkauften Sieg durch das Blut des Edelmanns zu beflecken sich nicht scheuen. Gerührt von dem Unglück der Donna Mencia, beschliesst Gil Blas, sie und sich selbst zu befreien. Zu dem Ende stellt er sich sehr krank und die Räuber, welche keine Veranlassung zu haben glauben, ihm zu misstrauen, lassen ihn allein in der Höhle, um selbst die erbeuteten Pferde auf einen benachbarten Markt zum Verkauf zu führen. Auf einem der zurückgebliebenen Pferde entflieht Gil Blas, nachdem er ausser der Dame auch noch die besten Kleider und Geld, welches sich in den Vorratskammern der unterirdischen Wohnung befand, zu sich genommen. Die beiden Flüchtlinge werden in Astorga verhaftet, auf die Denunciation eines Cavaliers, der in den Kleidern und dem Pferde des Gil Blas sein vor wenigen Monaten ihm geraubtes Eigentum erkennt. Die Dame, deren hoher Rang sich herausstellt, erlangt natürlich bald ihre Freiheit wieder, Gil Blas dagegen wird erst losgelassen, nachdem einer seiner Mitreisenden von Pennaflor bis Cacabelos für ihn Bürge sein zu wollen erklärt hat. Die Justiz schenkt ihm freilich nur das nackte Leben, alles Andere bleibt ihr zwischen den Barten hängen. Der arme Geplünderte wendet sich nach Burgos, dem Aufenthalt der Donna Mencia. Diese überhäuft ihren Retter mit Geld und Geschenken, so dass derselbe, völlig neu equipirt, in Begleitung eines Dieners Ambrose de Lamela, sich auf die Reise nach Madrid begeben kann, denn so sehr haben ihn bereits die 1000 Ducaten der Donna Mencia zukunftsicher gemacht, dass er die Laufbahn eines Gelehrten, zu der er sich in Salamanca vorbereiten sollte, seinen hochfliegenden Plänen, in der Hauptstadt schnell zu Reichtum und Ehren zu gelangen, opfert.

Kaum ist er zu Valladolid, wohin sein Weg ihn zunächst führte, in einem Gasthause abgestiegen, als eine vornehme und schöne Dame sich bei ihm melden lässt und ihn einlädt, ihr Gast zu sein, indem sie vorgiebt, von ihrer Cousine, der Donna Mencia, die Nachricht erhalten zu haben, dass ihr Retter Valladolid mit seiner Anwesenheit beehren werde. Herr und

« 前へ次へ »