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schmolznes Blei eintauchen lernte, und die starrende Kälte, so wie der Zorn und andre Gemüthsbewegungen, tragen auch zur Abstumpfung des Gefühls bei d). Die zarteste Empfindlichkeit dagegen scheint in Erdstrichen und bei einer Lebensweise zu sein, die die sansteste Spannung der Haut, und eine gleichsam melodische Ausbreitung der Nerven des Gefühls fordert. Der Ostindier ist vielleicht das feinste Geschöpf im Genuß sinnlicher Organe. Seine Zunge, die nie mit dem Geschmack gegohrner Getränke oder scharfer Speisen entnervt worden, schmeckt den geringsten Nebengeschmack des reinen Wassers, und sein Finger arbeitet nachahmend die niedlichsten Werke, bei denen man das Vorbild vom Nachbilde nicht zu unterscheiden weiß. Heiter und ruhig ist seine Seele, ein zarter NachKlang der Gefühle, die ihn ringsum nur sanft bewegen. So spielen die Wellen um den Schwan; so säuseln die Lüfte um das durchsichtige junge Laub des Frühlings. —

Außer dem warmen und sanften Himmelsstrich trägt nichts so sehr zu diesem erhöheten Gefühl bei, als Reinheit, Mäßigkeit und Bewegung: drei Tugenden des Lebens, in denen viele Nationen, die wir ungesittet nennen, uns übertreffen, und die insonderheit den Völkern schöner Erdstriche eigen zu sein scheinen. Die Reinig keit des Mundes, das öftere Baden, Liebe zur Bewegung in freier Luft, selbst das gesunde und wollüstige Reiben und Dehnen des Körpers, das den Römern so bekannt war, als es unter Indiern, Persern und manchen Tataren weit umher noch gewöhnlich ist, be fördert den Umlauf der Säfte und erhält den elastischen Ton der Glieder. Die Völker der reichsten Erdstriche leben mäßig: sie haben keinen Begriff, daß ein widernatürliches Reizen der Nerven und eine tågliche Verschlämmung der Eäfte das Vergnügen sein könne, dazu ein Mensch erschaffen worden; die Ståmme der Braminen haben in ihren Våtern vom Anfange der Welt her weder Fleisch noch Wein gekostet. Da es nun bei Thieren sichtbar ist, was diese Lebensmit tel auf's ganze Empfindungssystem für Macht haben; wie viel står ker muß diese Macht bei der feinsten Blume aller Organisationen, der Menschheit wirken. Måßigkeit des sinnlichen Genusses ist ohne Zweifel eine kräftigere Methode zur Philosophie der Humanitåt, als

d) Haller Physiol. T. V. p. 16.

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tausend gelernte künstliche Abstractionen. Alle grobfühlenden Völker in einem wilden Zustande oder harten Klima leben gefråßig, weil fie nachher oft hungern müssen; sie effen auch meistens, was ihnen vorkommt. Völker von feinerm Sinn lieben auch feinere Vergnůgen. Ihre Mahlzeiten sind einfach," und sie genießen täglich dieselben Speisen; dafür aber wählen sie wollüstige Salben, feine Gerüche, Pracht, Bequemlichkeit, und vor allem ist ihre Blume des Vergnügens die sinnliche Liebe. Wenn blos von Feinheit des Organs die Rede sein soll: so ist kein Zweifel, wohin sich der Vorzug neige? denn kein gesitteter Europåer wird zwischen dem Fett- und Thranmahle des Grönländers und den Specereien des Indiers wählen. Indessen wäre die Frage, wem wir, trøß unsrer Cultur in Worten, dem größesten Theil nach nåher sein möchten, ob jenem oder diefem? Der Indier seßt seine Glückseligkeit in leidenschaftslose Ruhe, in einen unzerstörbaren Genuß der Heiterkeit und Freude: er athmet Wollust: er schwimmt in einem Meer süßer Träume und erquickender Gerüche; unsre Neppigkeit hingegen, um deren Willen wir alle Welttheile beunruhigen und berauben, was will, was suchet ste? Neue und scharfe Gewürze für eine gestumpfte Zunge, fremde Früchte und Speisen, die wir in einem überfüllenden Gemisch oft nicht einmal kosten, berauschende Getränke, die uns Ruhe und Geist rauben; was nur erdacht werden kann, unfre Natur aufregend zu zerstören, ist das tågliche große Ziel unsres Lebens. Dadurch unterscheiden sich Stånde: dadurch beglücken sich Nationen Beglücken? Weßhalb hungert der Arme und muß bei stumpfen Einnen in Mühe und Schweiß das elendeste Leben führen? Damit seine Großen und Reichen ohne Geschmack, und vielleicht zu ewiger Nalrung ihrer Brutalitåt täglich auf feinere Art ihre Sinne stumpfen. „Der Europåer ist alles," sagt der Indier, und sein feinerer Geruch hat schon vor den Ausdünstungen desselben einen Abscheu. Er kann ihn nach seinen Begriffen nicht anders, als in die verworfne Caste classificiren, der, zur tiefsten Verachtung, alles zu 'essen ers laubt ward. Auch in vielen Ländern der Mahomedaner heißen die Europåer, und nicht blos aus Religionshaß, unreine Thiere.

Schwerlich hat uns die Natur die Zunge gegeben, daß einige Wårzchen auf ihr das Ziel unseres mühseligen Lebens, oder gar des Jammers andrer Unglücklichen würden. Sie überkleidete sie

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mit einem Gefühl des Wohlgeschmacks, theils damit sie uns die Pflicht, den wüthenden Hunger zu stillen, versüßte, und uns mit gefälligern Banden zur beschwerlichen Arbeit zöge; theils aber auch sollte das Gefühl dieses Organs der prüfende Wächter unsrer Gesundheit werden, und den haben an ihm alle üppige Nationen långst verloren. Das Vieh kennt, was ihm gesund ist, und wählt mit scheuer Vorsicht seine Kräuter; das Giftige und Schädliche berührt es nicht, und täuscht sich selten. Menschen, die unter den Thieren lebten, konnten die Nahrungsmittel unterscheiden; sie verloren dies Kriterium unter den Menschen, wie jene Indier ihren reinern Geruch verloren, da sie ihre einfachen Speisen aufgaben. Völker, die in gesunder Freiheit leben, haben noch viel von diesem sinnlichen Führer. Nie oder selten irren sie sich an Früchten ihres Landes; ja durch den Geruch spürt der Nord-Amerikaner sogar seine Feinde aus, und der Antille unterscheidet durch ihn die Fußtritte verschiedner Nationen. So können selbst die sinnlichsten, thierartigen Kräfte des Menschen wachsen, nachdem sie gebauet und geübt werden: der beste Anbau derselben indessen ist Proportion ihrer aller zu einer wahrhaft-menschlichen Lebensweise, daß keine herrsche und sich keine verliere. Dies Verhältniß ändert sich mit jedem Lande und Klima. Der Anwohner heißer Gegenden ist mit wildem Geschmack für uns höchst ekelhafte Speisen: denn seine Natur fordert ste als Arzneien, als rettende Wohlthat e)..

Gesicht und Gehör endlich sind die edelsten Sinne, zu denen der Mensch schon seiner organischen Anlage nach vorzüglich geschaffen worden: denn bei ihm sind die Werkzeuge dieser Sinne vor allen Thieren kunstreich ausgebildet. Zu welcher Schärfe haben manche Nationen Auge und Ohr gebracht! Der Kalmucke sieht Rauch, wo ihn kein europäisches Auge gewahr wird: der scheue Araber horcht weit umher in seiner stillen Wüste. Wenn nun mit dem Gebrauch dieser scharfen und feinen Sinne sich zugleich eine ungestörte Aufmerksamkeit verbindet: so zeigen es abermals viele Völker, wie weit es auch im kleinsten Werk der Geübte vor dem Ungeübten zu bringen vermöge. Die jagenden Völker kennen jeden Strauch und Baum ihres Landes: die Nord-Amerikaner verirren sich nie in ihren Wål

e) Wilson's Beobachtungen über den Einfluß des Klima. S. 93. u. f.

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dern; Hunderte von Meilen suchen sie ihren Feind auf und finden ihre Hütten wieder. Die gesitteten Quaranier, erzählt Dobrighofer, machen mit einer bewundernswürdigen Genauigkeit alles nach, was man ihnen an feiner künstlicher Arbeit vorlegt; aber nach dem Gehör, aus beschreibenden Worten, können sie sich wenig denken und nichts erfinden: eine natürliche Folge ihrer Erziehung, in der die Seele nicht durch Worte, fondern durch gegenwärtige, anfchaubare Dinge gebildet wurde, da wortgelehrte Menschen oft so viel gehört haben, daß sie, was vor ihnen ist, nicht mehr zu sehen vermögen. Die Seele des freien Natursohnes ist gleichsam zwifchen Auge und Ohr getheilt: er kennt mit Genauigkeit die Gegenstånde, die er sah: er erzählt mit Genauigkeit die Sagen, die er Hörte. Seine Zunge stammelt nicht, so wie sein Pfeil nicht irret: denn wie sollte seine Seele bei dem, was ste genau sah und hörte, irren und stammeln?

Gute Anlage der Natur für ein Wesen, bei dem die erste Sprosse seines Wohlgenusses und Verstandes doch nur aus sinnliden Empfindungen keimet. Ist unser Körper gesund, sind unsre Sinne geübt und wohlgeordnet: so ist die Grundlage zu einer Heiterkeit und innern Freude gelegt, deren Verlust die speculirende Vernunft mit Mühe kaum zu ersehen weiß. Das Fundament der sinnlichen Glückseligkeit des Menschen ist allenthalben, daß er lebe, wo er lebt, daß er genieße, was ihm vorliegt, und sich, so wenig es sein kann, mit zurück- oder vorwärts blickenden Sorgen theile. Erhält er sich auf diesem Mittelpunkt fest, so ist er ganz und fråftig; irrt er aber, wenn er allein an das Jeßt denken und dasselbe genießen soll, mit seinen Gedanken umher: o wie zerreißet er sich und wird schwach, und lebt oft mühseliger, als die zu ihrem Glück enge-beschränkten Thiere. Das Auge des unbefangenen Naturmenschen blickt auf die Natur und erquickt sich, ohne es zu wissen, schon an ihrem Gewande; oder es arbeitet in seinem Geschäft, und indem es die Abwechselung der Jahreszeiten genießt, altert es kaum im höchsten Alter. Unzerstreut von Halbgedanken und unverwirrt von schriftlichen Zügen hört das Ohr ganz, was es hört; es trinkt die Rede in sich, die, wenn sie auf bestimmte Gegenstände weiset, die Seele mehr als eine Reihe tauber Abstraktionen befrie

digt. So lebt, so stirbt der Wilde, satt aber nicht überdrüssig der einfachen Vergnügen, die ihm seine Sinne gaben.

Aber noch Ein wohlthätiges Geschenk verlieh die Natur unferm Geschlecht, da sie auch den gedankendürftigsten Gliedern desselben die erste Sprosse der feinern Sinnlichkeit, die erquickende Tonkunst, nicht versagte. Ehe das Kind sprechen kann, ist es des Gesanges oder wenigstens der ihm zutönenden Reize deffelben fåhig; auch unter den ungebildeten Völkern ist also auch Musik die erste schöne Kunst, die ihre Seele bewegt. Das Gemälde der Natur für's Auge ist so mannichfalt abwechselnd und groß, daß der nachahmende Geschmack lange umhertappen und sich an der Barbarei des Ungeheuern, des Auffallenden versuchen muß, ehe er richtige Proportionen lernt. Aber die Tonkunst, wie einfach und rohe sie sei, sie spricht zu allen menschlichen Herzen, und ist nebst dem Tanz das allgemeine Freudenfest der Natur auf der Erde. Schade nur, daß aus zu zärtlichem Geschmack die meisten Reisenden uns diese kindlichen Töne fremder Völker versagen. So unbrauchbar fie dem Tonkünstler sein mögen; so unterrichtend sind sie für den Forscher der Menschheit: denn die Musik einer Nation auch in ihren unvollkommensten Gången und Lieblingstönen zeigt den innern Charakter derselben, d. i. die eigentliche Stimmung ihres empfindenden Organs tiefer und wahrer, als ihn die långste Beschreibung außerer Zufälligkeiten zu schildern vermöchte.

Je mehr ich übrigens der ganzen Sinnlichkeit des Menschen in feinen mancherlei Gegenden und Lebensarten nachspüre; desto mehr finde ich, daß die Natur sich allenthalben als eine gütige Mutter bewiesen habe. Wo ein Organ weniger befriedigt werden konnte, reizte sie es auch minder, und läßt Jahrtausende hindurch es milde schlummern. Wo sie die Werkzeuge verfeinte und öffnete, hat sie auch Mittel umhergelegt, sie bis zur Befriedigung zu vergnügen, so daß die ganze Erde mit jeder zurückgehaltnen oder sich entfaltenden Organisation der Menschheit ihr wie ein harmonisches Saitenspiel zutont, in dem alle Töne versucht sind, oder werden versucht werden.

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