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der scheueste aller Sinne; es empfindet lebhaft, aber nur dunkel : es kann nicht zusammenhalten, nicht bis zur Klarhett vergleichen: denn seine Gegenstände gehen im betäubenden Strom vorüber.

Bestimmt, die Seele zu wecken, kann es, ohne Beihilfe der andern Sinne, insonderheit des Auges, sie selten bis zur deutlichen Genugthuung belehrën.

3. Man siehet daher, bei welchen Völkern die Eine bildungskraft am stärksten gespannt sein müsse? bei solchen nämlich, die die Einsamkeit lieben, die wilde Gegenden der Natur, die Wüste, ein felsigtes Land, die sturmreiche Küfte des Meeres, den Fuß feuerspeiender Berge oder andre Wunder- und bewegungvolle Erdstriche bewohnen. Von den åltesten Zeiten an ist die arabische Wüste eine Mutter hoher Einbildungen gewesen, und die solchen nachhingen, waren meistentheils einsame, staunende Menschen. In der Einsamkeit empfing Mahomed seinen Koran ; feine erregte Phantasie verzücke ihn in den Himmel, und zeigte ihm alle Engel, Seligen und Welten: nie ist seine Seele entflammter, als wenn sie den Bliß der einsamen Nacht, den Tag der großen Wiedervergeltung und andre ünermeßliche Gegenstände malet. Wo und wie weit hat sich nicht der Aberglaube der Schamanen verbreitet? Von Grönland und dem dreifachen Lappland an über die ganze nördliche Küste des Eismeeres tief in die Tatarei hinab, nach Amerika hin, und, fast durch diesen ganzen Welttheil. Ueberall erscheinen Zauberer, und überall sind Schreckbilder der Natur die Welt, in der sie leben. Mehr als drei Viertheile der Erde sind also dieses Glaubens: denn auch in Europa hangen die meisten Nationen finnischen und slavischen Ursprungs noch an den Zaubereien des Naturdienstes, und der Aberglaube der Neger ist nichts, als ein nach ihrem Genius und Klima gestalteter Schamanismus. In den Ländern der astatischen Cultur ist dieser zwar von positiven künstlichern Religionen und Staatseinrichtungen verdrängt worden; er läßt sich aber blicken, wo er sich blicken lassen darf, in der Einsamkeit und beim Pöbel; bis er auf einigen Inseln des Südmeeres wieder in großer Macht herrschet. Der Dienst der Natur hat also die Erde umzogen, und die Phantasieen desselben halten sich an jeden klimatischen Gegenstand der Uebermacht und des Schreckens, an den die menschliche Noth

durft grenzet. In åltern Zeiten war, er der Gottesdienst beinahe aller Völker der Erde.

4. Daß die Lebensart und der Genius jedes Volks hiebet mächtig einwirke, bedarf fast keiner Erwähnung. Der Schäfer siehet die Natur mit andern Augen an, als der Fischer und Jåger: und in jedem Erdstrich sind auch diese Gewerbe wiederum, wie die Charaktere der Nationen, verschieden. Mich wunderte z. B. in der Mythologie der so nördlichen. Kamtschadalen eine freche Lüfternheit zu bemerken, die man eher bei einer südlichen Nation suchen sollte; ihr Klima indessen und ihr genetischer Charakter geben auch über diese Anomalie Aufschluß i). Ihr kaltes Land hat feuerspeiende Berge und heiße Quellen: starrende Kälte und kochende Glut find im Streit daselbst: ihre lüfterne Sitten, wie ihre grobe mythologische Possen sind ein natürliches Produkt von beiden. Ein Gleiches ist's mit jenen Mährchen der schwaßhaften, brausenden Neger, die weder Anfang noch Ende haben k); ein Gleiches mit der zusammengedrückten, festen Mythologie der Nord-Amerikaner); ein Gleiches mit der Blumenphantasie der Indier m), die, wie sie selbst, die wollüstige Ruhe des Paradieses hauchet. Ihre Götter baden in Milch und Zuckerseen: ihre Göttinnen wohnen auf kühlenden Teichen im Kelch süßduftender Blumen. Kurz, die Mythologie jedes Volks ist ein Abdruck der eigentlichen Art, wie es die Natur ansah, insonderheit ob es seinem Klima und Genius nach mehr Gutes oder Uebel in derselben fand, und wie es sich etwa das Eine durch das Andre zu erklären suchte. Auch in den wildesten Etrichen also und in den mißrathensten Zügen ist sie ein philosophischer Versuch der menschlichen Seele, die, ehe sie aufwacht, träumt und gern in ihrer Kindheit bleibet.

5. Gewöhnlich siehet man die Angekoks, Zauberer, Magier, Schamanen und Priester als die Urheber dieser Verblendungen des Volks an, und glaubt, alles erklårt zu haben, wenn man sie Betrüger An den meisten Orten find sie es freilich; nie aber ver

nennet.

i) S. Steller, Krascheninikow u. f.

k) S. Nimer, Boßmann, Müller, Oldendorp u. f. 1) S. Lafiteau, le Beau, Carver u. a.

m) Baldeus, Dow, Sonnerat, Holwell u. f.

gesse man, daß sie selbst Volk sind, und also auch Betrogne ålterer Sagen waren. In der Masse der Einbildungen ihres Stammes Masse wurden sie erzeugt und erzogen: ihre Weihung geschah durch Fasten, Einsamkeit, Anstrengung der Phantasie, durch Abmattung des Leibes und der Seele; daher niemand ein Zauberer ward, bis ihm sein Geist erschien, und also in seiner Seele zuerst das Werk vollendet war, das er nachher lebenslang, mit wiederholter Anstrengung der Gedanken und Abmattung des Leibes, für andre treibet. Die kåls testen Reisenden mußten bei manchen Gaukelspielen dieser Art erstaunen, weil sie Erfolge der Einbildungskraft sahen, die sie kaum möglich geglaubt hatten und sich oft nicht zu erklären wußten. Ueberhaupt ist die Phantasie noch die unerforschteste, und vielleicht die unerforschlichste aller menschlichen Seelenkräfte: denn da sie mit dem ganzen Bau des Körpers, insonderheit mit dem Gehirn und den Nerven zusammenhängt, wie so viel wunderbare Krankheiten zeigen: so scheint sie nicht nur das Band und die Grundlage aller feinern Seelenkräfte, sondern auch der Knoten des Zusammenhanges zwischen Geist und Körper zu sein, gleichsam die sproffende Blüthe der ganzen sinnlichen Organisation zum weitern Gebrauch der denkenden Kräfte. Nothwendig ist sie also auch das Erste, was von Eltern auf Kinder übergeht, wie dies abermals viele widernatürliche Beispiele, sammt der unanstreitbaren Aehnlichkeit des äußern und innern Organismus auch in den zufälligsten Dingen bewähret. Man hat lange gestritten, ob es angeborne Ideen gebe? und wie man das Wort verstand, finden sie freilich nicht statt; nimmt man es aber für die nächste Anlage zum Empfängniß, zur Verbindung, zur Ausbreitung gewiffer Ideen und Bilder: so scheinet ihnen nicht nur nichts entgegen, sondern auch alles für ste. Kann ein Sohn sechs Finger, konnte die Familie des Porcupine-man in England seinen unmenschlichen Auswuchs erben, geht die äußere Bildung des Kopfs und Angesichts oft augenscheinlich über; wie könnte es ohne Wunder geschehen, daß nicht auch die Bildung des Gehirns überginge und sich vielleicht in ihren feinsten organischen Faltungen vererbte? Unter manchen Nationen herrschen Krankheiten der Phantasie, von denen wir keinen Begriff haben: alle Mitbrüder des Kranken schonen sein Uebel, weil sie die genetische Disposition dazu in sich fühlen. Unter den tapfern und gesunden Abiponern z. B. herrscht ein periodischer Wahnsinn,

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von welchem in den Zwischenstunden der Wüthende nichts weiß: er ist gesund, wie er gesund war; nur seine Seele, sagen sie, ist nicht bei ihm... Unter mehreren Völkern hat man, diesem Uebel Ausbruch zu geben, Traumfeste verordnet, da dem Träumenden alles, was ihm sein Geist befiehlt, zu thun erlaubt ist. Ueberhaupt sind bei allen phantasiereichen Völkern die Träume wunderbar mächtig; ja wahrs scheinlich waren auch Tråume die ersten Musen, die Mütter der eigentlichen Fiction und Dichtkunst. Sie brachten die Menschen auf Gestalten und Dinge, die kein Auge gesehen hatte, deren Wunsch aber in der menschlichen Seele lag: denn was z. B. war natürlicher, als daß geliebte Verstorbene dem Hinterlassenen in Tråumen erschienen, und daß die, so lange wachend mit uns gelebt hatten, jest wenigstens als Schatten im Traum mit uns zu leben wünschten. Die Geschichte der Nationen wird zeigen, wie die Vorsehung das Organ der Einbildung, wodurch sie so stark, so rein und natürlich auf Menschen wirken konnte, gebraucht habe; abscheulich aber war's, wenn der Betrug oder der Despotismus es mißbrauchte, und sich des ganzen, noch ungebåndigten Oceans menschlicher Phantasien und Träume zu seiner Absicht bediente.

Großer Geist der Erde, mit welchem Blick überschauest du alle Schattengestalten und Träume, die sich auf unsrer runden, Kugel jagen; denn Schatten find wir, und unsre Phantasie dichtet nur Schattenträume. So wenig wir in reiner Luft zu, athmen vermögen: so wenig kann sich in unsrer zusammengeseßten, aus Staub gebildeten Hülle jezt noch die reine Vernunft ganz mittheilen. Ins dessen auch in allen Irrgången der Einbildungskraft wird das Menschengeschlecht zu ihr erzogen; es hangt an Bildern, weil dieseihm Eindruck von Sachen geben, es sieht und suchet auch im dickften Nebel Strahlen der Wahrheit. Glücklich und auserwählt ist der Mensch, der in seinem engebeschränkten Leben, so weit er kann, von Phantasieen zum Wesen, d. i. aus der Kindheit zum Mann erwächst, und auch in dieser Absicht die Geschichte seiner Brüder mit reinem Geist durch andert. Edle Ausbreitung giebt es der Seele, wenn sie sich aus dem engen Kreise, den Klima und Erziehung um uns gezogen, herauszuseßen wagt, und unter andern Nationen wenigstens lernt, was man entbehren möge. Wie manches findet man da entbehrt und entbehrlich, was man lange für

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wesentlich hielt! Vorstellungen, die wir oft für die allgemeinsten Grundsäße der Menschenvernunft erkannten, verschwinden dort und hier mit dem Klima eines Drts, wie dem Schiffenden das feste Land als Wolke verschwindet. Was diese Nation ihrem Gedankenkreise unentbehrlich hält, daran hat jene nie gedacht, oder hält es gar für schädlich. So irren wir auf der Erde in einem Labyrinth menschlicher Phantasieen umher: wo aber der Mittelpunkt des Labyrinths sei? auf den alle Jahrgänge wie gebrochne Strahlen zur Sonne zurückführen, das ist die Frage.

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III.

Der praktische Verstand des Menschengeschlechts ist allenthalben unter Bedürfnissen der Lebensweise erwachsen, allenthalben aber ist er eine Blü: the des Genius der Völker, ein Sohn der Tra dition und Gewohnheit.

Man ist gewohnt, die Nationen der Erde in Jäger, Fischer, Hirten und Ackerleute abzutheilen, und nach dieser Abtheilung nicht nur den Rang derselben in der Cultur, sondern auch die Cultur selbst als eine nothwendige Folge dieser oder jener Lebensweise zu bestimmen. Vortrefflich, wenn diese Lebensweisen zuerst nur selbst bestimmt wären; sie åndern sich aber beinahe mit jedem Erdstrich, und verschlingen sich meistens so sehr in einander, daß die Anwendung der reinen Classification überaus schwer wird. Der Grönlånder, der den Wallfisch trifft, das Rennthier jagt, den Seehund tödtet, ist Fischer und Jåger; aber auf ganz andere Weise, als der Neger Fische fångt oder der Arauker auf den Wüsteneien des Andes jagt. Der Beduin und der Mongole, der Lappe und der Peruaner sind Hirten; wie verschieden aber von einander, wenn jener Kameele, dieser Pferde, der dritte Rennthiere, der vierte Alpaka's und Llacma's weidet. Der Ackermann in Whidah und der Japanese sind einander so unähnlich, als im Handel der Engländer und Sinese.

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Eben so wenig scheint auch das Bedürfniß allein, selbst wenn

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