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hat sich durch diese, die Fähigkeit dieser hat sich durch jene gestärkt und erweitert. Wenn man von den Hunden der Kamtschadalen lieset: so weiß mau kaum, wer das vernünftigere Geschöpf sei, ob der Hund oder der Kamtschadale ?

In dieser Sphåre nun steht der erste thåtige Verstand des Menschen still, ja allen Nationen, die an sie gewöhnt waren, ist's, fie zu verlassen, schwer worden: insonderheit hat sich jede vor der unterjochenden Herrschaft des Ackerbaues gefürchtet. Ev schöne Wiesenstriche Nordamerika hat: so genau jede Nation ihr Eigenthum liebt und beschüßt; ja so sehr manche durch die Europäer den Werth des Geldes, des Branntweins und einiger Bequemlichkeiten kennen gelernt haben: so sind's doch nur die Weiber, denen sie die Bearbeitung des Feldes, den Bau des Maizes und einiger Gartenfrüchte, so wie die ganze Besorgung der Hütte überlassen; der kriegerische Jåger hat sich nicht entschließen können, ein Gärtner, Hirt oder Ackermann zu werden. Das thåtige, freie Leben der Natur geht dem sogenannt-Wilden über Alles: mit Gefahren umringt weckt es seine Kräfte, seinen Muth, seinen Entschluß, und lohnt ihn dafür mit Gesundheit im Leben, in seiner Hütte mit unabhängiger Ruhe, in seinem Stamm mit Ansehen und Ehre. Weiter begehrt, weiter bedarf er nichts; und was könnte ihm auch ein andrer Zustand, dessen Beschwerden er nicht mag, für neue Glückseligkeit geben? Man ́lese so manche unverschönte Rede derer, die wir Wilde nennen; ist nicht gesunder Verstand, so wie natürliche Billigkeit in ihnen unverkennbar? Die Form des Menschen ist auch in diesem Zustande, obwohl mit roher Hand und zu wenigen Zwecken, dennoch so weit ausgebildet, als sie hier ausgebildet werden konnte; zur gleichmüthigen Zufriedenheit nämlich und nach einer dauerhaften langen Gesundheit zum ruhigen Abschied aus diesem Leben. Der Beduin und Abipone befindet sich in seinem Zustande wohl; jener schauert vorm Leben der Städte, wie der lezte vorm Begräbniß in der Kirche noch nach seinem Tode zurück bébt; seinem Gefühl nach wåren sie dort wie hier lebend begraben.

Auch wo der Ackerbau eingeführt ist, hat es Mühe gekostet, die Menschen an Einen Erdklos zu befestigen und das Mein und Dein einzuführen: manche Völker kleiner cultivirter Negerkönigreiche haben noch bis jezt keine Begriffe davon, da, wie sie sagen,

die Erde ein gemeines Gut ist. Jährlich theilten sie die Aecker unter sich aus und bearbeiteten sie mit leichter Mühe; ist die Erndte eingebracht, so gehört der Boden sich selbst wieder. Ueberhaupt hat keine Lebensart in der Gesinnung der Menschen so viele Verånderungen bewirkt, als der Ackerbau auf einem bezirkten Stück Erde. Indem er Handthierungen und Künste, Flecken und Städte hervorbrachte, und also Geseze und Polizei befördern mußte: hat er nothwendig auch jenem fürchterlichen Despotismus den Weg geöffnet, der, da er jeden auf seinem Acker zu finden wußte, zuleßt einem jeden vorschrieb, was er auf diesem Stück Erde allein thun ́ und sein sollte. Der Boden gehörte jeßt nicht mehr dem Menschen, sondern der Mensch dem Boden. Durch den Nichtgebrauch verlor sich auch bald das Gefühl der gebrauchten Kräfte: in Eklave rei und Feigheit versunken ging der Unterjochte vom arbeitseligen Mangel zur weichen Neppigkeit über. Daher kommt's, daß auf der ganzen Erde der Zeltbewohner den Bewohner der Hütte, wie ein gefesseltes Lastthier, wie eine verkümmerte Abart seines Geschlechts betrachtet. Der herbste Mangel wird jenem eine Luft, so lange Selbstbestimmung und Freiheit ihn würzet und lohnet; dagegen alle Leckereien Gift sind, sobald sie die Seele erschlaffen und dem sterblichen Geschöpf den einzigen Genuß seines hinfälligen Lebens, Würde und Freiheit rauben.

Glaube niemand, daß ich einer Lebensart, die die Vorsehung zu einem ihrer vornehmsten Mittel gebraucht hat, die Menschen zur bürgerlichen Gesellschaft zu bereiten, etwas von ihrem Werth rauben wolle: denn auch ich effe Brod der Erde. Nur lasse man auch andern Lebensarten Gerechtigkeit widerfahren, die, der Beschaffenheit unsrer Erde nach, eben sowohl zu Erzieherinnen der Menschheit bestimmt sind, als das Leben der Ackerleute. Ueberhaupt bauet der kleinste Theil der Erdbewohner den Acker nach unsrer Weise und die Natur hat ihm sein anderweites Leben felbft angewiesen. Jene zahlreichen Völkerschaften, die von Wurzeln, vom Reis, von Baumfrüchten, von der Jagd des Wassers, der Luft und der Erde leben, die ungezählten Nomaden, wenn sie sich gleich jego etwa nachbarliches Brod kaufen oder etwas Getreide bauen, alle Völker, die den Landbau ohne Eigenthum oder durch ihre Weiber und Knechte treiben, sind alle noch eigentlich nicht Acker

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feute; und welch ein kleiner Theil der Erde bleibt also dieser künst lichen Lebensart übrig? Nun hat die Natur entweder allenthalben ihren Zweck erreicht, oder sie erreichte ihn nirgend. Der praktische Verstand der Menschen sollte in allen Varietäten aufblühen und Früchte tragen: darum ward dem vielartigsten Geschlecht eine sø vielartige Erde.

IV.

Die Empfindungen und Triebe der Menschen sind allenthalben dem Zustande, worin sie leben, und ihrer Organisation gemäß; allenthalben aber werden sie von Meinungen und von der Gewohn: heit regiert.

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Selbsterhaltung ist das erste, wozu ein Wesen da ist: vom Staub-forn bis zur Sonne strebt jedes Ding, was es ist, zu bleiben; dazu ist den Thieren Instinkt eingeprägt: dazu ist dem Menschen sein Analogon des Instinkts oder der Vernunft gegeben. Gehor chend diesem Gesez, suchet er sich, durch den Hunger gezwungen, überall seine Speise: er strebt, ohne daß er weiß, warum und wozu? von Kindheit auf nach Uebung seiner Kråfte, nach Bewegung. Der Matte ruft den Schlummer nicht; aber der Schlummer kommt und erneuet ihm sein Dasein: dem Kranken hilft, wenn fie kann, die innere Lebenskraft, oder sie verlangt wenigstens und åchzet. Seines Lebens wehret sich der Mensch gegen Alles, was ihn anficht, und auch ohne daß er's weiß, hat die Natur in ihm und um ihn her Anstalten gemacht, ihn dabei zu unterstüßen, zu wahren, zu erhalten.

Es hat Philosophen gegeben, die unser Geschlecht, dieses Triebes der Selbsterhaltung wegen, unter die reißenden Thiere gefeßt und seinen natürlichen Zustand zu einem Stande des Kriegs gemacht haben. Offenbar ist viel Uneigentliches in dieser Behaup tung. Freilich indem der Mensch die Frucht eines, Baumes bricht, ist er ein Räuber, indem er ein Thier tödtet, ein Mörder, und wenn er mit seinem Fuß, mit seinem Hauch vielleicht einer zahl

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losen Menge ungesehener Lebendigen das Leben nimmt, ist er der årgste Unterdrücker der Erde. Jedermann weiß, wie weit es die zarte indische, so wie die übertriebene ågyptische Philosophie zu bringen gesucht hat, damit der Mensch ein ganz unschädliches Geschöpf werde; aber für die Spekulation vergebens. In's Chaos der Elemente sehen wir nicht; und wenn wir kein großes Thier verzehren, verschlingen wir eine Menge kleiner Lebendiger im Wasser, in der Luft, der Milch, den Gewächsen.

Von dieser Grübelei also hinweg, stellen wir den Menschen ünter seine Brüder und fragen: ist er von Natur ein Raubthier gegen seines Gleichen, ein ungeselliges Wesen? Seiner Gestalt nach ist er das Erste nicht und seiner Geburt nach das Lezte noch minder. Im Schoos der Liebe empfangen und an ihrem Busen gesäugt, wird er von Menschen auferzogen und empfing von ihnen tausend Gutes, das er um sie nicht verdiente. Sofern ist er also wirklich in und zu der Gesellschaft gebildet; ohne sie konnte er weder aufstehen, noch ein Mensch werden. Wo Ungeselligkeit bei ihm anfångt, ist, wo man seine Natur bedrångt, indem er mit andern Lebendigen collidirt; hier ist er aber wiederum -keine Ausnahme, sondern wirkt nach dem großen Geseß der Selbsterhaltung in allen Wesen. Lasset uns sehen, was die Natur für Mittel aussann, ihu dennoch auch hier, so viel sie konnte, befriedigend einzuschränken und den Krieg aller gegen alle zu hindern.

1. Da der Mensch das vielfach-künstlichste Geschöpf ist: so findet auch bei keiner Gattung der Lebendigen eine so große Verschiedenheit genetischer Charaktere statt, als beim Menschen. Der hinreißende, blinde Instinkt fehlt seinem feinen Gebilde: die Strah len der Gedanken und Begierden hingegen laufen in seinem Geschlecht wie in keinem andern aus einander. Seiner Natur nach darf also der Mensch weniger mit andern collidiren, da diese in einer ungeheuern Mannichfaltigkeit von Anlagen, Sinnen und Trieben bei ihm vertheilt und gleichsam vereinzelt ist. Was- Einem Menschen gleichgültig vorkommt, ziehet den andern; und so hat jedweder eine Welt des Genusses um sich, eine für ihn geschaffene Schöpfung.

2. Diesem divergirenden Geschlecht gab die Natur einen großen Raum, die reiche weite Erde, auf der die verschiedensten Erdstriche

und Lebensweisen die Menschen zerstreuen sollten. Hier zog sie Berge, dort Ströme und Wüsten, damit sie die Menschen auseinander bråchte: den Jågern gab sie den weiten Wald, den Fischern das weite Meer, den Hirten die weite Ebene. Ihre Schuld ist's also nicht, wenn Vögel, betrogen von der Kunst des Vogelstellers, in ein Neh flogen, wo sie einander Speise und Augen weghacken und den Athem verpesten: denn sie seßte den Vogel in die Luft und nicht in's Nez des Voglers. Seht jene wilden Stämme an, wie unwild sie unter sich leben! da neidet keiner den andern, da erwirbt fich und genießet jeder das Seine in Frieden. Es ist gegen die Wahrheit der Geschichte, wenn man den bösartigen, widersinnigen Charakter zusammengedrängter Menschen, wetteifernder Künstler, streitender Politiker, neidischer Gelehrten zu allgemeinen Eigenschaften des menschlichen Geschlechts macht; der größeste Theil der Menschen auf der Erde weiß von diesen rißenden Stacheln und ihren blutigen Wunden nichts: er lebt in der freien Luft und nicht im verpestenden Hauch der Städte. Wer das Gesez nothwendig macht, weil es sonst Gesetzesverächter gåbe, der sezt voraus, was er erst beweisen sollte. Drånget die Menschen nicht in enge Kerker: so dürft ihr ihnen keine frische Luft zufächeln. Bringt sie nicht in künstliche Raserei: so dürft ihr sie durch keine Gegenkünfte binden.

3. Auch die Zeiten, wenn Menschen zusammen sein mußten, verkürzte die Natur, wie sie sie verkürzen konnte. Der Mensch ist einer langen Erziehung bedürftig.; aber alsdann ist er noch schwach: er hat die Art des Kindes, das zürnt und wieder vergißt, das oft unwillig ist, aber keinen langen Groll nåhret. Sobald er Mann wird, wacht ein Trieb in ihm auf, und er verläßt das Haus des Vaters. Die Natur wirkte in diesem Triebe: ste stieß ihn aus, damit er sein eigen Neft bereite.

Und mit wem bereitet er dasselbe? mit einem Geschöpf, das ihm so unåhnlich ähnlich, das ihm in streitbaren Leidenschaften so ungleichartig gemacht ist, als es im Zweck der Vereinigung beider nur irgend geschehen konnte. Des Weibes Natur ist eine andre, als des Mannes: sie empfindet anders, sie wirket anders. Elender, dessen Nebenbuhlerin sein Weib ist, oder die ihn in männlichen Tugenden gar überwindet! Nur durch nachgebende Güte soll sie ihn beherrschen; und so wird der Zankapfel abermals ein Apfel der Liebe.

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