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ihrer Wirksamkeit viel umfasset und es in rastloser Wohlthätigkeit zu ihr Selbst zåhlet; elend ist aber die andre, deren Gefühl in Worte verschwemmt, weder sich noch andern taugt. Der Wilde, der sich, der sein Weib und Kind mit ruhiger Freude liebt, und für seinen Stamm, wie für sein Leben, mit beschränkter Wirksamkeit glühet, ist, wie mich důnkt, ein wahreres Wesen, als jener gebildete Schatten, der für den Schatten seines ganzen Geschlechts, d. i. für einen Namen in Liebe entzückt ist. In seiner armen Hütte hatte jener für jeden Fremden Raum, den er mit gleichgültiger Gutmüthigkeit als seinen Bruder aufnimmt, und ihn nicht einmal, wo er her sei? fragt. Das verschwemmte Herz des můßigen Kosmopoliten ist eine Hütte für Niemand.

Sehen wir denn nicht, meine Brüder, daß die Natur alles, was sie konnte, gethan habe, nicht um uns auszubreiten, sondern um uns einzuschränken und uns eben an den Umriß unsres Lebens zu gewöhnen? Unfre Sinne und Kräfte haben ein Maaß; die Horen unsrer Tage und Lebensalter geben einander nur wechselnd die Hånde, damit die Ankommende die Verschwundne ablöse. Es ist also ein Trug der Phantasie, wenn der Mann und Greis sich noch zum Jüngling träumt. Vollends jene Lüsternheit der Seele, die, selbst der Begierde zuvorkommend, sich Augenblicks in Efel verwandelt, ist sie Paradieses-Lust oder vielmehr Tantalus-Hölle, das ewige Schöpfen der unsinnig gequålten Danaiden? Deine einzige Kunst, o Mensch, hienieden ist also Maaß: das Himmelskind, Freude, nach dem du verlangest, ist um dich, ist in dir, eine Tochter der Nüchternheit und des stillen Genuffes, eine Schwester der Genügsamkeit und der Zufriedenheit mit deinem Dasein im Leben und Tode.

Noch weniger ist's begreiflich, wie der Mensch also für den Staat gemacht sein soll, daß aus dessen Einrichtung nothwendig seine erste wahre Glückseligkeit keime: denn wie viele Völker auf der Erde wissen von keinem Staat, die dennoch glücklicher sind, als mancher gekreuzigte Staatswohlthåter. Ich will mich auf keinen Theil des Nußens oder Schadens einlassen, den diese künstliche Anstalten der Gesellschaft mit sich führen; da jede Kunst aber nur Werkzeug ist, und das künstlichste Werkzeug nothwendig den vorfichtigsten, feinsten Gebrauch erfordert: so ist offenbar, daß mit der

Größe der Staaten und mit der feinern Kunft ihrer Zusammenseßung nothwendig auch die Gefahr, einzelne Unglückliche zu schaffen, unermeßlich zunimmt. In großen Staaten müssen Hunderte hungern, damit Einer prasse und schwelge: Zehntausende werden gedrückt und in den Tod gejagt, damit Ein gekrönter Thor oder Weiser seine Phantasie ausführe. Ja endlich, da, wie alle Staatslehrer sagen, jeder wohleingerichtete Staat eine Maschine sein muß, die nur der Gedanke Eines regiert; welche größere Glückseligkeit könnte es gewähren, in dieser Maschine als ein gedankenloses Glied mitzudienen? Oder vielleicht gar wider besser Wissen und Gefühl lebenslang in ihr auf ein Rad Irions geflochten zu sein, das dem traurig Verdammten keinen Trost läßt, als etwa die leßte Thätigkeit seiner selbstbestimmenden, freien Seele wie ein geliebtes Kind zu ersticken und in der Unempfindlichkeit einer Maschine sein Glück zu finden 0 wenn wir Menschen sind, so laßt uns der Vorsehung danken, daß fie das allgemeine Ziel der Menschheit nicht dahin sezte. Millionen des Erdballs leben ohne Staaten, und muß nicht ein jeder von uns auch im künstlichsten Staat, wenn er glücklich sein will, es eben da anfangen, wo es der Wilde anfångt, nåmlich, daß er Gesundheit und Seelenkräfte, das Glück seines Hauses und Herzens, nicht vom Staat, sondern von sich selbst erringe und erhalte. Vater und Mutter, Mann und Weib, Kind und Bruder, Freund und Mensch

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das sind Verhältnisse der Natur, durch die wir glücklich werden; was der Staat uns geben kann, sind Kunstwerkzeuge, leider aber kann er uns etwas Wesentlicheres, Uns selbst, rauben.

Gütig also dachte die Vorsehung, da sie den Kunstendzwecken großer Gesellschaften die leichtere Glückseligkeit einzelner Menschen vorzog, und jene kostbaren Staatsmaschinen, so viel sie konnte, den Zeiten ersparte. Wunderbar theilte sie die Völker, nicht nur durch Wälder und Berge, durch Meere und Wüsten, durch Ströme und Klimate, sondern insonderheit auch durch Sprachen, Neigungen und Charaktere; nur damit sie dem unterjochenden Despotismus sein Werk erschwerte und nicht alle Welttheile in den Bauch eines hölzernen Pferdes steckte. Keinem Nimrod gelang es bisher, für sich und sein Geschlecht die Bewohner des Weltalls in Ein Gehäge zusammen zu jagen, und wenn es seit Jahrhunderten der Zweck des verbündeten Europa wåre, die Glück-aufzwingende

Tyrannin aller Erdnationen zu sein, so ist die Glücksgöttin noch weit von ihrem Ziele. Schwach und kindisch wäre die schaffende Mutter gewesen, die die åchte und einzige Bestimmung ihrer Kina der, glücklich zu sein, auf die Kunstråder einiger Spåtlinge gebauet und von ihren Hånden den Zweck der Erdeschöpfung erwar tet håtte. Ihr Menschen aller Welttheile, die ihr seit Aeonen dahingingt, ihr hättet also nicht gelebt, und etwa nur mit eurer Asche die Erde gedüngt, damit am Ende der Zeit eure Nachkommen durch europäische Cultur glücklich würden; was fehlet einem stolzen Gedanken dieser Art, daß er nicht Beleidigung der NaturMajestät heiße?

Wenn Glückseligkeit auf der Erde anzutreffen ist: so ist sie in jedem fühlenden Wesen; ja sie muß in ihm durch Natur sein, und auch die helfende Kunst muß zum Genuß in ihm Natur werden. Hier hat nun jeder Mensch das Maaß seiner Seligkeit in sich: er trågt die Form an sich, zu der er gebildet worden und in deren reinen Umriß er allein glücklich werden kann. Eben deswegen hat die Natur alle ihre Menschenformen auf der Erde erschöpft, damit sie für jede derselben in ihrer Zeit und an ihrer Stelle einen Genuß hätte, mit dem sie den Sterblichen durch's Leben hindurch täuschte.

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Weuntes Buch.

I.

So gern der Mensch alles aus sich selbst hervor zubringen wähnet; so sehr hanget er doch in der Entwicklung seiner Fähigkeiten von an

dern ab.

Nicht nur Philosophen haben die menschliche Vernunft, als uns abhängig von Einnen und Organen, zu einer ihm ursprünglichen, reinen Potenz erhoben; sondern auch der finnliche Mensch wähnet im Traum seines Lebens, er sei alles, was er ist, durch sich selbst worden. Erklärlich ist dieser Wahn, zumal bei dem sinnlichen Menschen. Das Gefühl der Selbstthätigkeit, das ihm der Schöpfer gegeben hat, regt ihn zu Handlungen auf, und belohnt ihn mit dem süßesten Lohn einer selbstvollendeten Handlung. Die Jahre seiner Kindheit sind vergessen: die Keime, die er darin empfing, ja die er noch tåglich empfångt, schlummern in seiner Seele : er siehet und genießt nur den entsproßten Stamm und freuet sich feines lebendigen Wuchses, seiner Früchte-tragenden Zweige. Der Philosoph indessen, der die Genesis und den Umfang eines Menschenslebens in der Erfahrung kennt, und ja auch die ganze Kette der Bildung unsres Geschlechts in der Geschichte verfolgen könnte; er müßte, dünkt mich, da ihn alles an Abhängigkeit erinnert, sich aus seiner idealischen Welt, in der er sich allein und allgenugsam fühlt, gar bald in unsre wirkliche zurückfinden.

So wenig ein Mensch seiner natürlichen Geburt nach aus sich entspringt: so wenig ist er im Gebrauch seiner geistigen Kräfte ein Selbstgeborner. Nicht nur der Keim unsrer innern Anlagen ist genetisch wie unser körperliches Gebilde: sondern auch jede Ent

wickelung dieses Keimes hångt vom Schicksal ab, das uns hie oder dorthin pflanzte und nach Zeit und Jahren die Hülfsmittel der Bildung um uns legte.. Schon das Auge mußte sehn, das Ohr hören lernen: und wie künstlich das vornehmste Mittel unsrer Gedanken, die Sprache, erlangt werde, darf keinem verborgen bleiben. Offenbar hat die Natur auch unsern ganzen Mechanismus, sammt der Beschaffenheit und Dauer unsrer Lebensalter zu dieser fremden Beihülfe eingerichtet. Das Hirn der Kinder ist weich ́und hangt noch an der Hirnschale: langsam bildet es seine Streifen aus und wird mit den Jahren erst fester; bis es allmålig sich hårtet und keine neuen Eindrücke mehr annimmt. So sind die Glies der, so die Triebe des Kindes; jene sind zart und zur Nachahmung eingerichtet: diese nehmen, was sie sehen und hören, mit wunderbar-reger Aufmerksamkeit und innerer Lebenskraft auf. Der Mensch ist also eine künstliche Maschine, zwar mit genetischer Disposition und einer Fülle von Leben begabt; aber die Maschine spielt sich nicht selbst, und auch der fähigste Mensch muß lernen, wie er sie spiele. Die Vernunft ist ein Aggregat von Bemerkuns gen und Uebungen unsrer Seele; eine Summe der Erziehung unsres Geschlechts, die, nach gegebenen fremden Vorbildern, der Erzogene zulezt als ein fremder Künstler an sich vollendet.

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Hier also liegt das Principium zur Geschichte der Menschheit, ohne welches es keine solche Geschichte gåbe. Empfinge der Mensch alles aus sich und entwickelte es abgetrennt von äußern Gegenstånden: so wåre zwar eine Geschichte des Menschen, aber nicht der Menschen, nicht ihres ganzen Geschlechts möglich. Da nun aber unser specifischer Charakter eben darin liegt, daß wir, beinah ohne Instinkt geboren, nur durch eine lebenslange Nebung zur Menschheit gebildet werden, und sowohl die Perfectibilität als Corruptibilität unsres Geschlechts hierauf beruhet: so wird eben damit auch die Geschichte der Menschheit nothwendig ein Ganzes, d. i. eine Kette der Geselligkeit und bildenden Tradition vom ersten bis zum lezten Gliede.

Es giebt also eine Erziehung des Menschengeschlechts; eben weil jeder Mensch nur durch Erziehung ein Mensch wird, und das ganze Geschlecht nicht anders als in diefer Kette von Individuen lebt. Freilich wenn jemand sagte, daß nicht der einzelne Mensch,

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