ページの画像
PDF
ePub

sondern das Geschlecht erzogen werde, so spräche er für mich unver ståndlich, da Geschlecht und Gattung nur allgemeine Begriffe sind, außer so fern sie in einzelnen Wesen eristiren. Gåbe ich diesem allgemeinen Begriff nun auch alle Vollkommenheiten der Humanität, Cultur und höchstens Aufklärung, die ein idealischer Begriff gestate tet: so hätte ich zur wahren Geschichte unsres Geschlechts eben so viel gesagt, als wenn ich von der Thierheit, der Steinheit, der Metallheit im Allgemeinen spräche, und sie mit den herrlichsten, aber in einzelnen Individuen einander widersprechenden Attributen auszierte. Auf diesem Wege der Averroischen Philosophie, nach der das ganze Menschengeschlecht nur Eine, und zwar eine sehr nie drige Seele befizet, die sich dem einzelnen Menschen nur theilweise mittheilet, auf ihm soll unsfre Philosophie der Geschichte nicht wandern. Schränkte ich aber gegenseits beim Menschen alles auf Individuen ein, und läugnete die Kette ihres Zusammenhanges sowohl unter einander als mit dem Ganzen: so wäre mir abermals die Natur des Menschen und seine helle Geschichte entgegen: denn kein einzelner von uns ist durch sich selbst Mensch worden. Das ganze Gebilde der Humanitåt in ihm hångt durch eine geistige Genesis, die Erziehung, mit seinen Eltern, Lehrern, Freunden, mit allen Umstånden im Lauf seines Lebens, also mit seinem Volk, und den Våtern desselben, ja endlich mit der ganzen Kette des Geschlechts zusammen, das irgend in einem Gliede Eine seiner Seelenkräfte berührte. So werden Völker zulezt` Familien: Familien ́ gehn, zu Stammvåtern hinauf: der Strom der Geschichte enget sich bis zu seinem Quell, und der ganze Wohnplay unsrer Erde verwandelt sich endlich in ein Erziehungshaus unsrer Familie, zwar mit vielen Abtheilungen, Claffen und Kammern, aber doch nach Einem Ty pus der Lectionen, der sich mit mancherlei Zusåßen und Verånderungen durch alle Geschlechter vom Urvater heraberbte. Trauen wir's nun dem eingeschränkten Verstande eines Lehrers zu, daß er die Abtheilungen seiner Schüler nicht ohne Grund machte, und finden, daß das Menschengeschlecht auf der Erde allenthalben, und zwar den Bedürfnissen seiner Zeit und Wohnung gemäß, eine Art künstlicher Erziehung finde: welcher Verständige, der den Bau unfrer Erde und das Verhältniß der Menschen zu ihm betrachtet, wird nicht vermuthen, daß der Vater unsres Geschlechts, der bestimmt

[ocr errors]
[ocr errors]

J

hat, wie lange und weit Nationen wohnen sollen, diese Bestimmung auch als Lehrer unsres Geschlechts gemacht habe? Wird, wer ein Schiff betrachtet, eine Absicht des Werkmeisters in ihm läugnen? und wer das künstliche Gebilde unsrer Natur mit jedem Klima der bewohnbaren Erde vergleicht, wird er dem Gedanken entfliehen können, daß nicht auch in Absicht der geistigen Erziehung die klimatische Diversität der vielartigen Menschen ein Zweck der Erdeschöpfung gewesen? Da aber der Wohnplaß allein noch nicht alles ausmacht, indem lebendige, uns ähnliche Wesen dazu gehören, uns zu unterrichten, zu gewöhnen, zu bilden; mich důnkt, so giebt es eine Erziehung des Menschengeschlechts, und eine Philosophie seiner Geschichte so gewiß, so wahr es eine. Menschheit, d. i. eine Zusammenwirkung der Individuen giebt, die uns allein zu Menschen machte.

Sofort werden uns auch die Principien dieser Philosophie offenbar, einfach und unverkennbar, wie es die Naturgeschichte des Menschen selbst ist; sie heißen Tradition und organische Kräfte. Alle Erziehung kann nur durch Nachahmung und Uebung, also durch Uebergang des Vorbildes in's Nachbild werden, und wie könnten wir dies besser als Ueberlieferung nennen? der Nachahmende aber muß Kräfte haben, das Mitgetheilte und Mittheilbare aufzunehmen, und es, wie die Speise, durch die er lebt, in seine Natur zu verwandeln. Von wem er also? was und wie viel er aufnehme? wie er's sich zueigne, muße und anwende? das kann nur, durch seine, des Aufnehmenden, Kråfte bestimmt werden; mithin wird die Erziehung unsres Geschlechts in zweifachem Sinne genetisch und organisch; genetisch durch die Mittheilung, organisch durch die Aufnahme und Anwendung des Mitgetheilten. Wollen wir diese zweite Genesis des Menschen, die sein ganzes Leben durchgeht, von der Bearbeitung des Ackers Cultur, oder vom Bilde des Lichts Aufklärung nennen: so stehet uns der Name frei; die Kette der Cultur und Aufklärung reicht aber sodann bis an’s Ende der Erde. Auch der Californier und Feuerländer lernte Bogen und Pfeile machen und sie gebrauchen: er hat Sprache und Begriffe, Nebungen und Künste, die er lernte, wie wir fie lernen; sofern warð er also cultivirt und aufgeklärt, wiewohl im niedrige ften Grade. Der Unterschied zwischen aufgeklärten und unaufge

klärten, zwischen cultivirten und uncultfvirten Völkern ist also nicht specifisch); sondern nur gradweise. Das Gemålde der Nationen hat hier unendliche Schattirungen, die mit den Räumen und Zeiten wechseln; es kommt also auch bei ihm, wie bei jedem Gemålde, auf den Standpunkt an, in dem man die Gestalten wahrnimmt. Legen wir den Begriff der europäischen Cultur zum Grunde: so findet sich diese allerdings nur in Europa; seßen wir gar noch willkürliche Unterschiede zwischen Cultur und Aufklärung fest, deren keine doch, wenn sie rechter Art ist, ohne die andre sein kann: so entfernen wir uns noch weiter in's Land der Wolken. Bleiben wir aber auf der Erde und sehen im allgemeinsten Umfange das an, was uns die Natur, die den Zweck und Charakter ihres Geschöpfs am besten kennen mußte, als menschliche Bildung selbst vor Augen legt, so ist diese keine andre, als die Tradition einer Erziehung zu irgend einer Form menschlicher Glückseligkeit und Lebensweise. Diese ist allgemein, wie das Menschengeschlecht; ja unter den Wilden oft am thätigsten, wiewohl nur in einem engern Kreise. Bleibt der Mensch unter Menschen: so kann er dieser bildenden oder mißbildenden Cultur nicht entweichen: Tradition tritt zu ihm und formt seinen Kopf und bildet seine Glieder. Wie jene ist, und wie diese sich bilden lassen: so wird der Mensch, so ist er gestaltet. Selbst Kinder, die unter die Thiere geriethen, nahmen, wenn sie einige Zeit bei Menschen gelebt hatten, schon menschliche Cultur unter dieselbe, wie die bekannten meisten Erempel beweisen; dagegen ein Kind, das vom ersten Augenblick der Geburt an der Wölfin übergeben würde, der einzige uncultivirte Mensch auf der Erde wåre.

Was folgt aus diesem festen und durch die ganze Geschichte unsres Geschlechts bewährten Gesichtspunkt? Zuerst ein Grundsaß, der, wie unserm Leben, so auch dieser Betrachtung, Aufmunterung und Trost giebt, nåmlich: ist das Menschengeschlecht nicht durch sich selbst entstanden, ja wird es Anlagen in seiner Natur gewahr, die keine Bewunderung genugsam preiset: so muß auch die Bildung dieser Anlagen vom Schöpfer durch Mittel bestimmt sein, die seine weiseste Vatergüte verrathen. Ward das leibliche Auge vergebens so schön gebildet? und findet es nicht sogleich den goldnen Lichtstrahl vor sich, der für dasselbe, wie das

Auge für den Lichtstrahl, erschaffen ist, und die Weisheit seiner Anlage vollendet? So ift's mit allen Sinnen, mit allen Organen: sie finden ihre Mittel zur Ausbildung, das Medium, zu dem sie geschaffen wurden. Und mit den geistigen Sinnen und Organen, auf deren Gebrauch der Charakter des Menschengeschlechts, so wie die Art und das Maaß seiner Glückseligkeit beruhet: hier sollte es anders sein? hier sollte der Schöpfer seine Absicht, mithin die Abficht der ganzen Natur, sofern sie vom Gebrauch menschlicher Kräfte abhängt, verfehlt haben? Unmöglich! Jeder Wahn hierüber muß an uns liegen, die wir dem Schöpfer entweder falsche Zwecke unterschieben, oder, so viel an uns ist, fie vereiteln. Da aber auch diese Vereitlung ihre Grenzen haben muß, und kein Entwurf des Allweisen von einem Geschöpf seiner Gedanken, verrückt werden kann: so lasset uns sicher und gewiß sein, daß, was Absicht Gottes auf unsrer Erde mit dem Menschengeschlecht ist, auch in seiner verworrensten Geschichte unverkennbar bleibe. Alle Werke Gottes haben dieses eigen, daß, ob sie gleich alle zu Einem unübersehlichen Ganzen gehören, jedes dennoch auch für sich ein Ganzes ist und den göttlichen Charakter seiner Bestimmung an sich trägt. So ist's mit der Pflanze und mit dem Thier; wäre es mit dem Menschen und feiner Bestimmung anders? daß Tausende etwa nur für Einen, daß alle vergangenen Geschlechter für's leßte, daß endlich alle Individuen nur für die Gattung, d. i. für das Bild eines abstracten Namens hervorgebracht wären ?. So spielt der Allweise nicht: er dichtet keine abgezognen Schattenträume; in jedem seiner Kinder liebt und fühlt er sich mit dem Vatergefühl, als ob dies Geschöpf das Einzige seiner Welt wåre. Alle seine Mittel sind Zwecke, alle seine Zwecke Mittel zu größern Zwecken, in denen der Unendliche allerfüllend sich offenbart. Was also jeder Mensch ist und sein kann, das muß Zweck des Menschengeschlechts sein; und was ist dies? Hu-... manitåt und Glückseligkeit auf dieser Stelle, in diesem Grad, als dies und kein andres Glied der Kette von Bildung, die durch's ganze Geschlecht reicht. Wo und wer du geboren bist, o Mensch, da bist du, der du sein solltest: verlaß die Kette nicht, noch seße dich über sie hinaus; sondern schlinge dich an sie. Nur in ihrem Zusammenhange, in dem, was du empfångest und giebft und also in beidem Fall thätig wirst, nur da wohnt für dich Leben und Friede.

[ocr errors]
[ocr errors]

3weitens. So sehr es dem Menschen schmeichelt, daß ihn die Gottheit zu ihrem Gehülfen angenommen; und seine Bildung hienieden ihm selbst und seines Gleichen überlassen habe: so zeigt doch eben dies von der Gottheit erwählte Mittel die Unvollkommenheit unsres irdischen Daseins, indem wir eigentlich Menschen noch nicht sind, sondern tåglich werden. Was ist's für ein armes Geschöpf, das nichts aus sich selbst hat, das alles durch Vorbild, Lehre, llebung bekommt, und wie ein Wachs darnach Gestalten annimmt! Man sehe, wenn man auf seine Vernunft stolz ist, den Spielraum seiner Mitbrüder an auf der weiten Erde, oder höre ihre vieltônige dissonante Geschichte. Welche Unmenschlichkeit gåbe es, zu der sich nicht ein Mensch, eine Nation, ja oft eine Reihe von Nationen gewöhnen konnte, sogar daß ihrer viele und vielleicht die meisten das Fleisch ihrer Mitbrüder fraßen. Welche thörichte Einbildung wåre denkbar, die die erbliche Tradition nicht hie oder da wirklich geheiligt håtte? Niedriger also kann kein Geschöpf stehn, als der Mensch steht: denn er ist lebenslang nicht nur ein Kind an Vernunft, sondern sogar ein Zögling der Vernunft andrer. In welche Hånde er fällt; darnach wird er gestaltet, und ich glaube nicht, daß irgend eine Form der menschlichen Eitte möglich sei, in der nicht ein Volk oder ein Individuum desselben eristirt oder eristirt habe. Alle Laster und Gråuelthaten erschöpfen sich in der Geschichte, bis endlich hie und da eine edlere Form menschlicher Gedanken und Tugenden erscheint. Nach dem vom Schöpfer erwählten Mittel, daß unser Geschlecht nur durch unser Geschlecht gebildet würde, war's nicht anders möglich; Thorheiten mußten sich vererben, wie die sparsamen Schäße der Weisheit: der Weg der Menschen ward einem Labyrinth gleich, mit Abwegen auf allen Seiten, wo nur wenige Fußtapfen zum innersten Ziel führen. Glücklich ist der Sterbliche, der dahin ging oder führte, dessen Gedanken, Neigungen oder Wünsche, oder auch nur die Strahlen seines stillen Beispiels auf die schönere Humanität seiner Mitbrüder fortgewirkt haben. Nicht anders wirkt Gott auf der Erde, als durch erwählte, größere Menschen; Religion und Sprache, Künfte und Wissenschaften, ja die Regierungen selbst können sich mit keiner schönern Krone schmücken, als mit diesem Palmzweige der sittlichen. Fortbildung in menschlichen Seelen. Unser Leib vermodert im Grabe,

« 前へ次へ »