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Bemerkung, die der ganzen Geschichte unsres Verstandes enge Grenzen und eine sehr unwesenhafte Gestalt giebt. Alle unsre Metaphysik ist Metaphysik, d. i. ein abgezognes, geordnetes Namenregister hinter Beobachtungen der Erfahrung. Als Ordnung und Register kann diese Wissenschaft sehr brauchbar sein und muß gewissermaßen in allen andern unsern künstlichen Verstand leiten; für sich aber, und als Natur der Sache betrachtet, giebt sie keinen einzigen vollständigen und wesentlichen Begriff, keine einzige innige Wahrheit. All' unsre Wissenschaft rechnet mit abgezognen einzelnen äußern Merkmalen, die das Innere der Eristenz keines einzigen Dinges berühren, weil zu dessen Empfindung und Ausdruck wir durchaus kein Organ haben. Keine Kraft in ihrem Wesen kennen wir, können sie auch nie kennen lernen: denn selbst die, die uns belebt, die in uns denket, genießen und fühlen wir zwar, aber wir kennen sie nicht. Keinen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung verstehen wir also, da wir weder das, was wirkt, noch was gewirkt wird, im Innern einsehn und vom Sein eines Dinges durchaus keinen Begriff haben. Unsre arme Vernunft ist also nur eine bezeichnende Rechnerin, wie auch in mehreren Sprachen ihr Name saget.

2. Und womit rechnet sie? Etwa mit den Merkmalen selbst, die sie abzog, so unvollkommen und unwesenhaft diese sein mögen? Nichts minder! Diese Merkmale werden abermals in willkürliche, ihnen ganz unwesenhafte Laute verfaßt, mit denen die Seele denket. Sie rechnet also mit Rechenpfennigen, mit Schållen und Ziffern: denn daß ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Sprache und den Gedanken, geschweige der Sache selbst sei, wird Niemand glauben, der nur zwei Sprachen auf der Erde kennet. Und wie viel mehr als zwei sind ihrer auf der Erde! in denen allen doch die Vernunft rechnet und sich mit dem Schattenspiel einer willkürlichen Zusammenordnung begnüget. Warum dies ? weil sie selbst nur unwesentliche Merkmale besißt und es am Ende ihr gleichgültig ist, mit diesen oder jenen Ziffern zu bezeichnen. Trüber Blick auf die Geschichte des Menschengeschlechts! Irrthümer und Meinungen sind unsrer Natur also unvermeidlich: nicht etwa nur aus Fehlern des Beobachters, sondern der Genesis selbst nach, wie wir zu Begriffen kommen, und diese durch Vernunft und Sprache fortpflanzen. Dächten wir Sachen

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ftatt abgezogner Merkmale und sprächen die Natur der Dinge `aus, statt willkürlicher Zeichen: so lebe wohl, Irrthum und Meinung, wir sind im Lande der Wahrheit. Jeßt aber wie fern sind wir demselben, auch wenn wir dicht an ihm zu stehen glauben, da, was ich von einer Sache weiß, nur ein äußeres abgerissenes Symbol derselben ist, in ein andres willkürliches Symbol gekleidet. Verstehet mich der andre? verbindet er mit dem Wort die Idee, die ich damit verband, oder verbindet er gar keine? Er rechnet indessen mit dem Wort weiter, und giebt es andern vielleicht gar als eine leere Nußschaale. So gings bei allen philosophischen Sekten und Religionen. Der Urheber hatte von dem, was er sprach, wenigstens klaren, obgleich darum noch nicht wahren Begriff; seine Schüler und Nachfolger verstanden ihn auf ihre Weise, d. i. sie belebten mit ihren Ideen seine Worte, und zuletzt tönten nur leere Schälle um das Ohr der Menschen. Lauter Unvollkommenheiten, die in unserm einzigen Mittel der Fortpflanzung menschlicher Gedanken liegen: und doch sind wir mit unsrer Bildung an, die Kette geknüpft: sie ist uns unentweichbar.

Große Folgen liegen hierin für die Geschichte der Menschheit. Zuerst: Schwerlich kann unser Geschlecht nach diesem von der Gottheit erwählten Mittel der Bildung für die bloße Spekulation oder für die reine Anschauung gemacht sein: denn beide liegen sehr unvollkommen in unserm Kreise. Nicht für die reine Anschauung, die entweder ein Trug ist, weil kein Mensch das Innere der Sachen sieht, oder die wenigstens, da sie keine Merkmale und Worte zuläßt, ganz unmittelbar bleibt. Kaum vermag der Anschauende den andern auf den Weg zu führen, auf dem Er zu seinen unnennbaren Schäßen gelangte, und muß es ihm selbst und seinem Genius überlassen, wiefern auch Er dieser Anschauungen theilhaftig werde. Nothwendig wird hiermit eine Pforte zu tausend vergeblichen Qualen des Geistes und zu ́ unzähligen Arten des listigen Betruges eröffnet, wie die Geschichte aller Völker zeigt. Zur Spekulation kann der Mensch eben so wenig geschaffen sein, da sie ihrer Genesis und Mittheilung nach nicht vollkommener ist und nur zu bald die Köpfe der Nachbeter mit tauben Worten erfüllt. Ja wenn sich diese beiden Extreme, Spekulation und Anschauung gar gesellen wollen, und der metaphysische Schwärmer auf eine wortlose Vernunft voll

Anschauungen weiset: armes Menschengeschlecht, so schwebst du gar im Raum der Undinge zwischen kalter Hiße und warmer Kålte. Durch die Sprache hat uns die Gottheit auf einer sicherern, den Mittelweg geführt. Nur Verstandesideen find's, die wir durch sie erlangen und die zum Genuß der Natur, zu Anwendung unsrer Kräfte, zum gefunden Gebrauch unsres Lebens, kurz zur Bildung der Humanitát in uns genug sind. Nicht Aether sollen wir athmen, dazu auch unsre Maschine nicht gemacht ist, sondern den gesunden Duft der Erde.

Und o sollten die Menschen im Gebiet wahrer und nußbarer Begriffe so weit von einander entfernt sein, als es die stolze Spekulation wähnt? Die Geschichte der Nationen sowohl, als die Natur der Vernunft und Sprache verbietet mir fast, dies zu glauben. Der arme Wilde, der wenige. Dinge sah und noch weniger Begriffe zusammenfügte, verfuhr in ihrer Verbindung nicht anders, als der Erste der Philosophen. Er hat Sprache wie sie, und durch diese seinen Verstand und sein Gedächtniß, seine Phantaste und Zurückerinnerung tausendfach geübt. Ob in einem kleinen oder größern Kreise? dieses thut nichts zur Sache; zu der menschlichen Art nåmlich, wie er sie übte. Der Weltweise Europens kann keine einzige Seelenkraft nennen, die ihm eigen sei; ja selbst im Verhältniß der Kräfte und ihrer Uebung erstattet die Natur reichlich. Bei manchen Wilden z. B. ist das Gedächtniß, die Einbildungskraft, praktische Klugheit, schneller Entschluß, richtiges Urtheil, lebhafter Ausdruck in einer Blüthe, die bei der künstlichen Vernunft europäischer Gelehrten selten gedeihet. Diese hingegen rechnen mit Wortbegriffen und Ziffern, freilich unendlich feine und künstliche Combinationen, an die der Naturmensch nicht denket; eine fißende Rechenmaschine aber, wåre sie das Urbild aller menschlichen Vollkommenheit, Glückseligkeit und Stärke ? Laß es sein, daß jener in Bildern denke, was er abstrakt noch nicht zu denken vermag; selbst wenn er noch keinen entwickelten Gedanken, d. i. kein Wort von Gott håtte und er genÿsse Gott als den großen Geist der Schöpfung thätig in seinem Leben; o so lebt er dankbar, indem er zufrieden lebt, und wenn er sich in Wortziffern keine unsterbliche Seele erweisen kann und glaubt dieselbe, so geht er mit glücklicherem Muthe als mancher zweifelnde Wortweise in's Land der Våter.

Lasset uns also die gütige Vorsehung anbeten, die durch das zwar unvollkommene, aber allgemeine Mittel der Sprache im Innern die Menschen einander gleicher machte, als es ihr Aeußeres zeiget. Alle kommen wir zur Vernunft nur durch Sprache, und zur Sprache durch Tradition, durch Glauben an's Wort der Våter. Wie nun der ungelehrigste Sprachschüler der wåre, der vom ersten Gebrauch der Worte Ursache und Rechenschaft forderte: so muß ein ähnlicher Glaube an so schwere Dinge, als die Beobachtung der Natur und die Erfahrung sind, uns mit gesunder Zuversicht durch's ganze Leben leiten. Wer seinen Sinnen nicht traut, ist ein Thor und muß ein leerer Spekulant werden; dagegen wer sie trauend übt und eben dadurch erforscht und berichtigt, der allein gewinnt einen Schaß der Erfahrung für sein menschliches Leben. Ihm ist sodann die Sprache mit allen ihren Schranken genug: denn sie sollte den Beobachter nur aufmerksam machen und ihn zum eignen thätigen Gebrauch seiner Seelenkräfte leiten. Ein feineres Idiom, durchdringend wie der Sonnenstrahl könnte theils nicht allgemein sein, theils wåre es für die jeßige Sphäre unsrer gröbern Thätigkeit ein wahres Uebel. Ein gleiches ist's mit der Sprache des Herzens; ste kann wenig sagen und doch sagt sie genug; ja gewissermaßen ist unsre menschliche Sprache mehr für das Herz, als für die Vernunft geschaffen. Dem Verstande kann die Geberde, die Bewegung, die Sache selbst zu Hülfe kommen; die Empfindungen unsres Herzens aber bleiben in unfrer Bruft vergraben, wenn der melodische Strom sich nicht in fanften Wellen zum Herzen des andern hinüber bråchte. Auch darum also hat der Schöpfer die Musik der Töne zum Organ unfrer Bildung gewählt; eine Sprache für die Empfindung, eine Vater- und Mutter, Kindes- und Freundessprache. Geschöpfe, die sich einander noch nicht innig berühren können, stehn wie hinter Gegittern und flüstern einander zu das Wort der Liebe; bei Wesen, die die Sprache des Lichts oder eines andern Organs språchen, verånderte sich nothwendig die ganze Gestalt und Kette ihrer Bildung.

Zweitens. Der schönste Versuch über die Geschichte und mannichfaltige Charakteristik des menschlichen Verstandes und Herzens wåre also eine philosophische Vergleichung der Sprachen: denn in jede derselben ist der Verstand eines Volks und sein Charakter geprägt. Nicht nur die Sprachwerkzeuge åndern sich mit

den Regionen und beinahe jeder Nation sind einige Buchstaben und Laute eigen; sondern die Namengebung selbst, sogar in Bezeichnung hörbarer Sachen, ja in den unmittelbaren Aeußerungen des Affekts, den Interjectionen, åndert sich überall auf der Erde. Bei Dingen des Anschauens und der kalten Betrachtung wächst diese Verschiedenheit noch mehr und bei den uneigentlichen Ausdrücken, den Bildern der Rede, endlich beim Bau der Sprache, beim Verhältniß, der Ordnung, dem Consensus der Glieder zu einander, ist sie beinahe unermeßlich; noch immer aber also, daß sich der Genius eines Volks nirgend besser als in der Physiognomie feiner Rede offenbaret. Ob z. B. eine Nation viele Namen oder viel Handlung hat? wie es Personen und Zeiten ausdrückt? welche Ordnung der Begriffe es liebet? alles dies ist oft in feinen Zügen äußerst charakteristisch. Manche Nation hat für das månnliche und weibliche Geschlecht eine eigne Sprache; bei andern unterscheiden sich im bloßen Wort Ich gar die Stände. Thätige Völker haben einen Ueberfluß von modis der Verben; feinere Nationen eine Menge Beschaffenheiten der Dinge, die sie zu Abstraktionen erhöhten. Der sonderbarste Theil der menschlichen Sprachen endlich ist die Bezeichnung ihrer Empfindungen, die Ausdrücke der Liebe und Hochachtung, der Echmeichelei und der Drohung, in denen sich die Schwachheiten eines Volks oft bis zum Lächerlichen offenbaren a). Warum kann ich noch kein Werk nennen, das den Wunsch Baco's, Leibniz, Sulzers u. a. nach einer allgemeinen Physiognomik der Völker aus ihren Sprachen nur einigermaßen erfüllet habe? Zahlreiche Beiträge zu demselben giebts in den Eprachbüchern und Reisebeschreibern einzelner Nationen: unendlichschwer und weitläuftig dürfte die Arbeit auch nicht werden, wenn man das Nuzlose vorbeiginge und was sich ins Licht stellen läßt, desto besser gebrauchte. An lehrreicher Anmuth würde es keinen Schritt fehlen, weil alle Eigenheiten der Völker in ihrem praktischen Verstande, in ihren Phantasteen, Sitten und Lebensweisen, wie ein Garten des Menschengeschlechts dem Beobachter zum mannichfaltigsten Gebrauch vorlågen und am Ende sich die reichste Archi

a) Beispiele von diesen Säßen zu geben, wäre zu weitläufig; fie gehören nicht in dies Buch und bleiben einem andern Ort aufbehalten.

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