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sie keinen ausgedrückten Begriff von Gott haben; ein lebhaftes und wirksames Gefühl, wie selbst ihre Abgöttereien und ihr Aberglaube zeiget. Bei allen Verstandesbegriffen blos sichtbarer Dinge handelt der Mensch dem Thier ähnlich; zur ersten Stufe der höheren Vernunft mußte ihn die Vorstellung des Unsichtbaren im Sichtbaren, einer Kraft in der Wirkung heben. Diese Vorstellung ist auch beinah das Einzige, was rohe Nationen von transscendenter Vernunft besißen und andere Völker nur in mehrere Worte entwickelt haben. Mit der Fortdauer der Seele nach dem Tode war's ein Gleiches. Wie der Mensch auch zu ihrem Begriff gekommen sein möge; so ist dieser Begriff, als allgemeiner Volksglaube auf der Erde, das Einzige, das den Menschen im Tode vom Thier unterscheidet. Keine wilde Nation kann sich die Unsterblichkeit einer Menschenseele philosophisch erweisen, so wenig es vielleicht ein Philosoph thun kann: denn auch dieser vermag nur den Glauben an sie, der im menschlichen Herzèn liegt, durch Vernunftgründe zu bestårken; allgemein aber ist dieser Glaube auf der Erde. Auch der Kamtschadale hat ihn, wenn er seinen Todten den Thieren hinlegt; auch der Neuholländer hat ihn, wenn er den Leichnam in's Meer senket. Keine Nation verscharrt die Ihren, wie man ein Thier verscharrt; jeder Wilde geht sterbend in's Reich der Våter, in's Land der Seelen. Religiöse Tradition hierüber, und das innige Gefühl eines Daseins, das eigentlich von keiner Vernichtung weiß, geht also vor der entwickelnden Vernunft voraus; sonst würde diese auf den Begriff der Unsterblichkeit schwerlich gekommen sein oder ihn sehr kraftlos abstrahirt haben. Und so ist der allgemeine Menschenglaube an die Fortdauer unsres Daseins die Pyramide der Religion auf allen Gräbern der Völker.

Endlich die göttlichen Geseße und Regeln der Humanität, die sich, wenn auch nur in Resten, bei dem wildesten Volk äußern, sollten sie nach Jahrtausenden etwa von der Vernunft ersonnen sein, und diesem wandelbaren Gebilde der menschlichen Abstraction ihre Grundfeste zu danken haben? Ich kann's, selbst der Geschichte nach, nicht glauben. Wären die Menschen wie Thiere auf die Erde gestreut, sich die innere Gestalt der Humanitåt erst selbst zu erfinden: so müßten wir noch Nationen ohne Sprache, ohne Vernunft, ohne Religion und Sitten kennen: denn wie der Mensch

gewesen ist, ist er noch auf der Erde. Nun sagt uns aber keine Geschichte, keine Erfahrung, daß irgendwo menschliche Orang-Outangs leben; und die Mährchen, die der spåte Diodor oder der noch spätere Plinius von den unempfindlichen und andern unmenschlichen Menschen erzählen, zeigen sich entweder selbst in ihrem fabelhaften Grunde oder verdienen wenigstens auf das Zeugniß dieser Schriftsteller noch keinen Glauben. So sind auch gewiß die Eagen übertrieben, die die Dichter, um das Verdienst ihrer Drpheus und Kadmus zu erheben, von den rohen Völkern der Vorwelt geben: denn schon die Zeit, in der diese Dichter lebten, und der Zweck ihrer Beschreibung schließt sie von der Zahl historischer Zeugen aus. Wilder als der Neusee oder der Feuerlånder ist auch, nach der Analogie des Klima zu rechnen, kein europäisches, geschweige ein griechisches Volk gewesen; und jene inhumanen Nationen haben Humanitåt, Vernunft und Sprache. Kein Menschenfresser frißt seine Brüder und Kinder; der unmenschliche Gebrauch ist ihnen ein grausames Kriegsrecht zur Erhaltung der Tapferkeit und zum wechselseitigen Schrecken der Feinde. Er ist also nichts mehr und minder als das Werk einer groben politischen Vernunft, die bei jenen Nationen die Humanität in Absicht diefer wenigen Opfer des Vaterlandes so bezwang, wie wir Europåer sie in Absicht anderer Dinge noch jezt bezwungen haben. Gegen Fremde schämten sie sich ihrer grausamen Handlung, wie wir Europåer uns doch der Menschenschlachten nicht schåmen; ja gegen jeden Kriegsgefangenen, den dies traurige Loos nicht trifft, beweisen sie sich brüderlich und edel. Alle diese Züge also, auch wenn der Hottentott sein lebendiges Kind vergråbt und der Eskimo seinem alten Vater das Alter verkürzt, sind Folgen der trau rigen Noth, die indeß nie das ursprüngliche Gefühl der Humanitåt widerlegt. Viel sonderbarere Gråuel hat unter uns die mißgeleitete Vernunft oder die ausgelaßne leppigkeit erzeugt, Ausschweifungen, an welche die Polygamie der Neger schwerlich reicht. Wie nun deswegen unter uns niemand läugnen wird, daß auch in die Brust des Sodomiten, des Unterdrückers, des Meuchelmörders das Gebilde der Humanität gegraben sei, ob er's gleich durch Leidenschaften und freche Gewohnheit fast unkenntlich machte : so vergonne man mir, nach allem, was ich über die Nationen der

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Erde gelesen und geprüft habe, diese innere Anlage zur Humanitåt so allgemein als die menschliche Natur, ja eigentlich für diese Natur selbst anzunehmen. Sie ist ålter, als die speculative Vernunft, die durch Bemerkung und Sprache sich erst dem Menschen angebildet hat, ja die in praktischen Fållen kein Richtmaaß in sich håtte, wenn sie es nicht von jenem dunklen Gebilde in uns borgte. Sind alle Pflichten des Menschen nur Conventionen, die er als Mittel der Glückseligkeit sich selbst aussann und durch Erfahrung feststellte: so hören sie Augenblicks auf, meine Pflichten zu sein, wenn ich mich von ihrem Zweck, der Glückseligkeit, lossage. Der Syllogismus der Vernunft ist nun vollendet. Aber wie kamen.

sie denn in die Brust dessen, der nie über Glückseligkeit und die Mittel dazu speculirend dachte? wie kamen Pflichten der Ehe, der Vater- und Kindesliebe, der Familie und der Gesellschaft in den Geist eines Menschen, ehe er Erfahrungen des Guten und Bösen über jede derselben gesammelt hatte, und also auf tausendfache Art zuerst ein Unmensch håtte sein müssen, ehe er ein Mensch ward. Nein, gütige Gottheit, dem mörderischen Ungefähr überließest du dein Geschöpf nicht. Den Thieren gabst du Instinkt, dem Menschen grubest du dein Bild, Religion und Humanitåt in die Seele: der Umriß der Bildsäule liegt im dunkeln tiefen Marmor da; nur er kann sich nicht selbst aushauen, ausbilden. Tradition und Lehre, Vernunft und Erfahrung sollten dies thun, und du ließest es ihm an Mitteln dazu nicht fehlen. Die Regel der Gerechtigkeit, die Grundsäße des Rechts der Gesellschaft, selbst die Monogamie, als die dem Menschen natürlichste Ehe und Liebe, die Zärtlichkeit gegen Kinder, die Pietåt gegen Wohlthäter und Freunde, selbst die Empfindung des mächtigsten, wohlthätigsten Wesens sind Züge dieses Bildes, die hie und da bald unterdrückt, bald ausgebildet sind, allenthalben aber noch die Uranlage des Menschen selbst zeigen, der er sich, sobald er sie wahrnimmt, auch nicht entsagen darf. Das Reich dieser Anlagen und ihrer Ausbildung ist die eigentliche Stadt Gottes auf der Erde, in welcher alle Menschen Bürger sind, nur nach sehr verschiednen Klassen und Stufen. Glücklich ist, wer zur Ausbreitung dieses Reichs der wahren innern Menschenschöpfung beitragen kann: er beneidet keinem Erfinder seine Wissenschaft und keinem Könige seine Krone.

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Wer aber ist's nun, der uns sage:,,wo und wie diese aufweckende Tradition der Humanität und Religion auf der Erde entstand, und sich mit so manchen Verwandlungen bis an den Rand der Welt fortbreitete, wo sie sich in den dunkelsten Resten verliert? Wer lehrte den Menschen Sprache, wie noch jezt jedes Kind diefelbe von andern lernet und niemand sich seine Vernunft erfindet? Welches waren die ersten Symbole, die der Mensch faßte, so daß eben im Schleier der Kosmogenie und religiöser Sagen die ersten Keime der Cultur unter die Völker kamen? Wo hangt der erste Ring der Kette unsres Geschlechts und seiner geistig - moralischen Bildung?" Lasset uns sehen, was uns darüber die Naturgeschichte der Erde sammt der åltesten Tradition sage.

Behntes Buch.

I.

Unfre Erde ist für ihre lebendige Schöpfung eine eigengebildete Erde.

Da der Ursprung der Menschengeschichte, dem Philosophen sehr im Dunkeln ist, und schon in ihren ältesten Zeiten Sonderbarkeiten erschienen, die Der und Jener mit seinem System nicht zu fügen wußte: so ist man auf den verzweifelnden Weg gerathen, den Knoten zu zerschneiden, und nicht nur die Erde als eine Trümmer voriger Bewohner, sondern auch das Menschengeschlecht als einen überbliebenen, entkommenen Rest anzusehen, der, nachdem der Planet in einem andern Zustande, wie man sagt, seinen jüngsten Tag erlebt hatte, etwa auf Bergen oder in Höhlen sich diesem allgemeinen Gericht entzogen habe. Seine Menschenvernunft, Kunst und Tradition sei ein geretteter Raub der untergegangenen Vorwelt a); daher er theils schon vom Anfange her einen Glanz zeige, der sich auf Erfahrungen vieler Jahrtausende gründe, theils auch nie in's Licht gesezt werden könne, weil durch diese überbliebene Menschen, wie durch einen Isthmus, sich die Cultur zweier Welten verwirre und binde. Ist diese Meinung wahr: so giebt es allerdings keine reine Philosophie der Menschengeschichte: denn unser Geschlecht selbst und alle seine Künste wåren nur ausgeworfene Schlacken einer vorigen Weltverwüftung. Lasset uns sehen, was diese Hypothese,

a) S. insonderheit den scharfsinnigen Versuch über den Ursprung der Erkenntniß der Wahrheit und der Wissenschaften. Berlin 1781. Die Hypothese, daß unser Erdball aus den Trümmern einer andern Welt gebildet sei, ist mehreren Naturforschern aus sehr verschiednen Gründen gemein.

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