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vortrefflicher Thaten wird sie zu vortrefflichen Thaten zu entflammen und den Sinn für den Werth des Nachruhms zu beleben suchen; den Einzelnen aber wird sie durch die Vorhaltung edler Menschen, die sich durch Anstrengung, durch Mäßigung, Entsagung, Aufopferung hervorgethan, aufzuregen trachten, um die Seele zu stärken, damit ihr Gedanken solcher Art nicht zu groß dünken, und um die mürbe gewordenen Knochen zu stählen, damit nicht der Ausführung die Kraft fehle. Aber wenn diese Klasse auf solche Art auch ganz bei den Einzelnheiten zu bleiben scheint: wird sie nicht nothwendig einen innern Zusammenhang dieser Einzelnheiten, nicht Einheit in den Erscheinungen voraussehen müssen? Wer aus dem Leben Regeln für. das Leben zu gewinnen sucht: wird Der nicht eine Regelmäßigkeit des Lebens zugestehen? Wer nach den Begebenheiten vergangener Zeiten die Begebenheiten künftiger zu leiten strebt: wird Der nicht behaupten, daß es einen festen Gang der Begebenheiten, daß es ein Gesetz gebe, durch welches das Spåtere mit dem Frühern zusammenhange und Eins sei? Es scheint unwidersprechlich, daß derjenige, welcher die Handlungen der Menschen nicht auf ein sölches inneres Weltgesez bezieht, sondern die Ereignisse des Lebens für zufällige Folgen willkürlicher Thaten, ohne eine innere Nothwendigkeit, ansieht, weder der Gottheit im Leben der Menschen jemals begegnen, noch irgend eine festgegründete Lehre aus der Geschichte entwickeln könne. Scheint es ja doch wohl klar, daß niemals zwei Fålle im Leben sich vollkommen gleich sind; daß vielmehr ein jeder Fall durchaus etwas Besonderes haben müsse! Wenn daher auch zugegeben werden muß, daß gleiche Ursachen gleiche Wirkungen hervorbringen werden: so wird doch nichts desto weniger die Erfahrung der Geschichte für die später Leben

den verloren sein, weil eben niemals dieselben Ursachen, die vormals wirkten, herbeigeführt werden können. Denn felbst das muß ja schon eine Verschiedenheit herbeiführen, daß der Mensch die Erfahrungen früherer Menschen bennzzen will, und sich durch sie bestimmen läßt, um ihr Schicksal entweder zu erwirken oder zu vermeiden. Endlich aber wird keiner leugnen, daß, wie die Geschichte beweiset, über Völker, wie über Familien, Unglücksfälle Hereinbrechen können, die weder menschlicher Verstand vorauszusehen, noch menschliche Klugheit abzuwenden vermag; daß Völker, die weder die Ausbildung ihrer Kraft versäumten, noch diese Kraft unnüß oder verderblich aufwandten, in namenlofez Elend gerathen können, aus welchem keine Anstrengung, keine Ausdauer sie zu retten im Stande ist. Wie will der Geschichtschreiber die Genossen eines solchen Volks, die sich bewußt sind, nichts verschuldet zu haben, oder entschlossen, die Verschuldung durch jede mögliche Sühne, durch jede Aufopferung wieder gut zu machen, die aber dennoch vergebens streben, und den Untergang des gemeinen Wesens anzuschauen gezwungen sind, und in demselben die Vernichtung aller eigenthümlichen Cultur fürchten müssen wie will der Geschichtschreiber solche Menschen trösten, wenn er blos bei den Einzelnheiten vergangener Zeiten stehen bleibt? Erheben mag er ste, durch glänzende Beispiele großer Männer der Vorzeit, über ihr eignes Loos: aber wie soll er sie erheben über das Schicksal ihres Volks, wenn er nicht hinweiset auf den Gang des Lebens, auf ein höheres, inneres Gesetz, auf ein Göttliches? Wie soll der Mensch an sich selbst fefthalten, wenn er am Leben verzweifelt, und wie sollte er nicht verzweifeln unter Greueln, Verbrechen und Untergang, wenn er nicht ein Bleibendes in der Zerstörung gewahrt,

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welches darum nicht vertilgt werden kann, weil es in des Geistes Wesen gegründet ist!

Wenn man dieses bedenkt, so scheint es in der That sonderbar, wie es gerade unter uns Deutschen so manche gelehrte, verdienstvolle, geistreiche Männer geben kann, die sich aller höhern Ansicht der Geschichte, d. h. aller Bemůhungen, daß Einzelne zu Einem Ganzen zu verbinden, in den mannichfaltigen Erscheinungen die Einheit zu erkennen, aus welcher sie sich entwickelten, und in den Weltbege= benheiten einen geschmäßigen Gang aufzusuchen, abhold erflåren, und alle Bemühungen dieser Art entweder mit. vornehmer Gleichgültigkeit übersehen, oder, nicht ohne eigne schnöde Bitterkeit, bekämpfen. Es ist gewiß: bei diesen. Versuchen, wie bei allen andern, kann der menschliche Geist auf Abwege gerathen und zu verderblichen Irrthümern hingeriffen werden, aber damit können die Versuche. selbst, ihrem Sinn und Wesen nach, darum ihren Werth: nicht verlieren, weil sie dem menschlichen Wesen, dem Geiste wie dem Herzen, Bedürfniß sind. Herodot schrieb seine Geschichte in den schönsten kraftvollsten Jahren des menschlichen Lebens: die Vollendung in Form und Plan mag sie durch die Feile des spåtern Alters erhalten haben; er schrieb in Griechenlands glücklichster Zeit, als nach den großen ruhmvollen Siegen, die Griechenlands und Europa’3 Cultur gerettet hatten, der griechische Geist zum tiefen Gefühl seiner Kraft gekommen war, als er, in diesem Gefühle schwelgend, sich an allem Schönen und Herrlichen versuchte, und das Erhabenste und Zarteste, welches das Alterthum in Wissenschaft und Kunst gesehen hat, mit bewunderungswerther Schnelligkeit hervorzubringen, und ein reges, buntes, fröhliches, reiches Leben zu entfalten begann. Da freilich konnte der Altvater sich wohl mit

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dem Gedanken begnügen, nur erzählen zu wollen, was er gesehen und erforscht hatte, lediglich damit den Thaten der Hellenen wie der Barbaren bei späteren Geschlechtern der Ruhm bleiben sollte, der ihnen zu gebühren schien! Aber war selbst ihm möglich, diesem Vorsaz, blos zu erzählen, getreu zu bleiben? Tritt ihm nicht überall, bald flarer, bald verborgener, immer geheimnißvoll, die waltende Gottheit entgegen, die, überall sich selbst gleich, die Thaten der Menschen fördert oder vernichtet, je nachdem Vernunft oder Leidenschaft sie zur Tugend oder zur Verkehrtheit bestimmt hatte? Ist es nicht eine innere, in sich gleiche Kraft, an welcher sich die Kraft des Menschen bricht, sobald sie nicht mit ihr wirkt? Und dasjenige, was dem Werke Herodots die unaussprechliche Erhabenheit giebt, die keiner, der es versteht, verkennen mag: ist es etwa der bequeme Plan, nach welchem es angelegt ist," und den so wenige gefunden haben? Ist es der WohlLaut ironischer Rede, mit welcher er doch nicht seine Erzählung allen Ohren unwiderstehlich einzuschmeicheln vermocht hat? Sind es die Nachrichten, die seine Wißbegierde, sein Geist echter Forschung von fremden Ländern und Völkern zu erhalten wußte, und wegen welcher man ihn so oft den Mährchen-Erzählern beigesellt hat? Ist es die Sanftheit seiner Seele, mit welcher er jedes Menschliche behandelt, oder die Gemüthlichkeit, mit welcher er das Kleinste wie das Größte, das Rührendste wie das Furchtbarste darlegt? Oder ist es nicht vielmehr jener alte Geist, der hinter den Begebenheiten verborgen bleibt, und den Menschen am Wollen und Thun nicht hindert, aber dann durch staunenerregende Wirkungen hervortritt und seine Allgegenwart verkündigt ist es nicht dieser Geist, der, das Buch durchaus belebt, darum, weil er den Verfasser

belebte? Thucydides hingegen, der, nach dem Anfange des Verfalls, die heillösen Zeiten des unglückseligen Kriegs beschrieb, welchen die Griechen zu eigenem Verderben gegen sich selbst führten, mußte sich eben deswegen einen ganz andern Zweck sehen. Wohl mochte die Tugend und Tapferkeit Einzelner hoher Feier würdig sein, und die große Einsicht, die Klugheit, die andere bewiesen, mochten das größte Lob verdienen: aber was war diese Tugend, was war diese Klugheit gegen die fürchterlichen Greuel, die aus der Ungebundenheit aller Leidenschaften verderblich hervorbrachen, und gegen die Laster, welche unter den Ausbrüchen jener Greuel Wurzel faßten? was war überhaupt die Rettung der Einzelnen gegen die entseßliche Zerrüttung des gemeinen Wesens? gegen die Auflösung aller das Leben haltenden und leitenden Grundsäße? gegen die Verwirrung der Städte? gegen das grenzenlose Unglück von ganz Griechenland? Unter solchen Verwirrungen und Verworrenheiten konnte Thucydides sich nicht mit der bloßen Darstellung des Geschehenen begnügen wollen: denn was hätte solch eine Erzählung Erhebendes oder Erquickliches haben können? Er mußte vielmehr streben, solchem Unheil vorzubeugen, und deswegen zu warnen suchen vor der Zügellosigkeit der Leidenschaften. Wollte er aber dieses: so mußte er die Bestimmung des Lebens in die Hand der Menschen legen: die Freiheit des Menschen mußte an der Spize erscheinen und eben deswegen mußten die Götter zurücktreten; er mußte, wie wirklich geschah, Verzicht darauf thun, solchen Lesern zu gefallen, welche durch das Erzählte unterhalten, ergößt, entzückt sein wollen, und sich allein an solche wenden, die durch unglückselige Verhältnisse ihrer Zeit geneigt gemacht sind, unglückselige Verhältnisse früherer Zeiten zu beachten, und die Erfahrungen Anderer zu durchdenken :

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