ページの画像
PDF
ePub

eingefallen, mit den wenigen allegorischen Worten, Kindheit, Jugend, das männliche, das hohe Alter unseres Geschlechts, deren Verfolg mir nur auf wenige Völker der Erde angewandt und amvendbar war, eine Heerstraße auszuzeichnen, auf der man auch nur die Geschichte der Cultur, geschweige die Philosophie der ganzen Menschengeschichte mit sicherm Fuß ausmessen könnte. Welches Volk der Erde ist's, das nicht einige Cultur habe? und wie sehr käme der Plan der Vorsehung zu kurz, wenn zu dem, was Wir Cultur nennen und oft nur verfeinte Schwachheit nennen sollten, jedes Individuum des Menschengeschlechts geschaffen wäre? Nichts ist unbestimmter als dieses Wort und nichts ist trüglicher als die Anwendung desselben auf ganze Völker und Zeiten. Wie wenige find in einem cultivirten Volke cultiviret? und worin ist dieser Vorzug zu sehen? und wie fern trågt er zu ihrer Glückseligkeit bei? zur Glückseligkeit einzelner Menschen nåmlich; denn daß das Abstractum ganzer Staaten glücklich sein könne, wenn alle einzelne Glieder in ihm leiden, ist Widerspruch oder vielmehr nur ein Scheinwort, daß sich auf den ersten Blick als ein solches blos giebt.

Also mußte viel tiefer angefangen und der Kreis der Ideen viel weiter gezogen werden, wenn die Schrift einigermaßen ihres Titels werth sein sollte. Was ist Glückseligkeit der Menschen? und wiefern findet sie auf unsrer Erde statt? wiefern findet sie, bei der großen Verschiedenheit aller Erdwesen und am meisten der Menschen allenthalben statt, unter jeder Verfassung, in jedem Klima, bei allen Revolutionen der Umstände, Lebensalter und Zeiten? Giebt es einen Maaßstab dieser verschiedenen Zustånde und hat die Vorsehang auf's Wohlsein ihrer Geschöpfe in allen diesen Situationen als auf ihren lezten und Hauptendzweck gerechnet?

Alle diese Fragen mußten untersucht, ste mußten durch den wilden Lauf der Zeiten und Verfassungen verfolgt und berechnet werden, ehe ein allgemeines Resultat für's Ganze der Menschheit herausgebracht werden konnte. Hier war also ein weites Feld zu durchlaufen und in einer großen Tiefe zu graben. Gelesen hatte ich so ziemlich alles, was darüber geschrieben war, und von meiner Jugend an war jedes neue Buch, das über die Geschichte der Menschheit erschien und worin ich Beiträge zu meiner großen Aufgabe hoffte, wie ein gefundener Schah. Ich freuete mich, daß in den neuern Jahren diese Philosophie mehr emporkam, und nußte jede Beihülfe, die mir das Glück verschaffte.

Ein Autor, der sein Buch darstellt, giebt, wenn dieß Gedanken enthält, die er, wo nicht ersand (denn wie weniges läßt sich in unsrer Zeit eigentliches Neues erfinden?), so doch wenigstens fand und sich eigen machte, ja in denen er Jahre lang wie im Eigenthum seines Geistes und Herzens lebte: ein Autor dieser Art, sage ich, giebt mit seinem Buch, es möge dies schlecht oder gut sein, gewissermaßen einen Theil seiner Seele dem Publikum Preis. Er offenbaret nicht nur, womit sich sein Geist in gewissen Zeiträumen und Angelegenheiten beschäftigte, was er für Zweifel und Auflösungen im Gange feines Lebens fand, mit denen er sich bekümmerte oder aufhalf; sondern er rechnet auch (denn was in der Welt hätte es sonst für Reiz, Autor zu werden und die Angelegenheiten seiner Brust einer wilden Menge mitzutheilen?), er rechnet auf einige, vielleicht wenige, gleichgestimmte Seelen, denen im Labyrinth ihrer Jahre diese øder ähnliche Ideen wichtig wurden. Mit ihnen bespricht er sich unsichtbar und theilt ihnen seine Empfindungen mit, wie er, wenn sie weiter vorgedrungen sind, ihre besseren Gedanken und Belehrungen erwartet. Dieß unsichtbare Commercium

der Geister und Herzen ist die einzige und größeste Wohlthat der Buchdruckerei, die sonst den schriftstellerischen Nationen eben so viel Schaden als Nußen gebracht hätte. Der Verfasser dachte sich in den Kreis derer, die wirklich ein Interesse daran finden, worüber er schrieb und bei denen er also ihre theilnehmenden, ihre bessern Gedanken hervorlocken wollte. Dies ist der schönste Werth der Schriftstellerei, und ein gutgesinnter Mensch wird sich viel mehr über das freuen, was er erweckte, als was er fagte. Wer daran denkt, wie gelegen ihm selbst zuweilen dies oder jenes Buch, ja auch nur dieser oder jener Gedanke eines Buches kam, welche Freude es ihm verschaffte, einen andern, von ihm entfernten und doch in seiner Thätigkeit ihm nahen Geist auf seiner eignen oder einer bessern Spur zu finden, wie uns oft ein solcher Gedanke Jahre lang beschäftigt und weiter führet; der wird einen Schriftsteller, der zu ihm spricht und ihm sein Inneres mittheilet, nicht als einen Lohndiener, sondern als cinen Freund betrachten, der auch mit unvollendeten Gedanken zutraulich hervortritt, damit der erfahrene Leser mit ihm denke und sein Unvollkommenes der Vollkommenheit näher führe.

Bei einem Thema, wie das Meinige: „Geschichte der Menschheit, Philosophie ihrer Geschichte," ist, wie ich glaube, eine solche Humanität des Lesers, eine angenehme und erste Pflicht. Der da schrieb, war Mensch und du bist Mensch, der du liesest. Er konnte irren und hat vielleicht geirret: du hast Kenntnisse, die jener nicht hat und haben konnte; gebrauche also was du kannst, und siehe seinen guten Willen an; laß es aber nicht beim Tadel, sondern beßre und baue weiter. Mit schwacher Hand legte er einige Grundsteine zu einem Gebäude, das nur Jahrhunderte vollführen können, vollführen werden: glücklich, wenn alsdenn

diese Steine mit Erde bedeckt, und wie der, der sie dahin trug, vergessen sein werden, wenn über ihnen, oder gar auf einem andern Plaz, nur das schönere Gebäude selbst dastehet.

Doch ich habe mich unvermerkt zu weit von dem ent

fernt, worauf ich Anfangs ausging; es sollte nämlich die Geschichte sein, wie ich zur Bearbeitung dieser Materie gekommen und unter ganz andern Beschäftigungen und Pflichten auf sie zurückgekommen bin. Schon in ziemlich frühen Jahren, da die Auen der Wissenschaften noch in alle dem Morgenschmuck vor mir lagen, von dem uns die Mittagssonne unsres Lebens so viel entziehet, kam mir oft der Gedanke ein: ob denn, da alles in der Welt seine Philosophie und Wissenschaft habe, nicht auch das, was uns am nächsten angeht, die Geschichte der Menschheit im Ganzen und Großen eine Philosophie und Wissenschaft haben sollte? Alles erinnerte mich daran, Metaphysik und Moral, Physik und Naturgeschichte, die Religion endlich am meisten. Der Gott, der in der Natur Alles nach Maas, Zahl und Gewicht geordnet, der darnach das Wesen der Dinge, ihre Gestalt und Verknüpfung, ihren Lauf und ihre Erhaltung eingerichtet » hat, so daß vom großen Weltgebäude bis zum Staubkorn, von der Kraft, die Erden und Sonnen hält, bis zum Fa-. den eines Spinnegewebes nur eine Weisheit, Güte und Macht herrschet, Er, der auch im menschlichen Körper und in den Kräften der menschlichen Seele alles so wunderbar und göttlich überdacht hat, daß, wenn wir dem AlleinWeisen nur fernher nachzudenken wagen, wir uns in einem Abgrunde seiner Gedanken verlieren; wie, sprach ich zu mir, dieser Gott sollte in der Bestimmung und Einrichtung unsres Geschlechts im Ganzen von seiner Weisheit und Güte ablassen und hier keinen Plan haben? Oder er sollte

[ocr errors]

uns denselben verbergen wollen, da er uns in der niedrigern Schöpfung, die uns weniger angeht, so viel von den Gesezen seines ewigen Entwurfs zeigte? Was ist das menschliche Geschlecht im Ganzen, als eine Heerde ohne Hirten? oder wie jener klagende Weise sagt: Låsfest du sie gehen wie Fische im Meer und wie Gewurm, das keinen Herrn hát? Oder hatten sie nicht nöthig, den Plan zu wissen? Ich glaube es wohl; denn welcher Mensch überstehet nur den kleinen Entwurf seines eigenen Lebens? und doch siehet er, so weit er sehen soll, und weiß genug, um seine Schritte zu leiten; indessen wird nicht auch eben dieses Nichtwissen zum Vorwande großer Mißbräuche? Wie viele sind, die, weil sie keinen Plan sehen, es geradezu läugnen, daß irgend ein Plan sei, oder die wenigstens mit scheuem Zittern daran denken und zweifelnd glauben und glaubend zweifeln. Sie wehren sich mit Macht, das menschliche Geschlecht nicht als einen Ameishaufen zu betrachten, wo der Fuß eines Stärkern, der unförmlicher Weise selbst Ameise ist, Lausende zertritt, Tausende in ihren klein-großen Unternehmungen zernichtet, ja wo endlich die zwei größten Tyrannen der Erde, der Zufall und die Zeit, den ganzen Haufen ohne Spur fortführen und den leeren Plaß einer andern fleißigen Zusammenkunft überlassen, die auch so fortgeführt werden wird, ohne daß eine Spur bleibe; der stolze Mensch wehret sich, sein Geschlecht als eine solche Brut der Erde und als einen Raub der alles-zerstörenden Verwesung zu betrachten; und dennoch dringen Geschichte und Erfahrung ihm nicht dieses Bild auf? Was ist denn Ganzes auf der Erde vollführt? was ist auf ihr Ganzes? Sind also die Zeiten nicht geordnet, wie die Räume geordnet sind? und beide sind ja die Zwillinge Eines Schicksals. Jene sind voll Weisheit; diese voll scheinbarer Unordnung; und

[ocr errors]
« 前へ次へ »