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Weil, wie aus mythischen und historischen Quellen hervorgeht, die meisten Völker bei ihrem Erscheinen auf der Weltbühne das Leben der Hirten geführt, d. h. auf ihren Feldern mit ihren Heerden und von dem Ertrage derselben gelebt haben, und weil sich auch schon sehr früh Beispiele von Hirtendichtung, wenn auch noch nicht in kunstmässiger Form finden, wie z. B. in der hebräischen Literatur das Buch Ruth, so ist man oft der Ansicht gewesen, und diese Hypothese wird u. a. von Gottsched in seiner „Kritischen Dichtkunst", und von Fontenelle in seinem Traité sur l'Eglogue" 1) verfochten, dass die Hirtendichtung die erste Frucht des poetischen Genius, der Anfangs- und Ausgangspunkt aller Dichtung gewesen sei. Es würde mich zu weit führen, wollte ich auf alle Gründe für und wider diese Ansicht eingehen, ich will nur bemerken, dass eine andere Hypothese mir wahrscheinlicher erscheint, nach welcher die Poesie erst entstanden ist, nachdem die Völker aus dem süssen Taumel ihrer Kindheit herausgerissen, von Leidenschaften entflammt, durch Ereignisse mannigfacher Art zum Handeln getrieben wurden. Erst als Stämme und

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1) a. J. Ch. Gottsched, Versuch einer kritischen Dichtkunst etc. Leipzig 1751. 8o, pag. 581-602.

b. Bernard Le Bovier de Fontenelle, Poesies Pastorales avec un traité sur la Nature de l'Eglogue & une digression sur les Anciens & les Modernes. Paris 1698. 120, pag. 138: ,,La Poesie Pastorale est apparemment la plus ancienne de toutes les Poesies, parce que la condition de Berger est la plus ancienne de toutes les conditions. Il est assez vraysemblable que ces premiers Pasteurs s'avisèrent, dans la tranquillité & l'oisiveté dont ils jouïssoient, de chanter leurs plaisirs & leurs amours; & il estoit naturel qu'ils fissent souvent entrer dans leurs Chansons, leurs Troupeaux, les Bois, les Fontaines & tous les objets qui leur estoient les plus familiers. Ils vivoient à leur manière dans une grande opulence, ils n'avoient personne au dessus de leur teste, ils estoient, pour ainsi dire, les Rois des leurs Troupeaux, & je ne doute pas qu'une certaine joye qui suit l'abondance & la liberté, ne les portast encore au Chant & à la Poesie." etc. c. Oliver Goldsmith, Essay on the origin of poetry.

Völkerschaften zur Wahrnehmung ihrer Interessen einander gegenüberzutreten anfingen, als der Einzelne, sei es durch körperliche oder geistige Ueberlegenheit, sich vor der Menge auszeichnete und zum Helden wurde, fühlten poetisch angelegte Naturen den Drang, von den grossen Thaten ihrer Helden und Völker zu singen.

Die Hirtendichtung als Kunstdichtung, und von dieser kann ja nur die Rede sein, stammt nicht aus jenem glücklichen, goldenen Zeitalter, von welchem die Dichter aller Zeiten und Zungen singen, sie ist erst entstanden zu einer Zeit, als das Hirtenleben als solches schon längst aufgehört hatte zu existieren. Lange nachdem die Hirten von ihren Feldern in Städte gezogen, nachdem sie ihr einfaches Leben mit einer verfeinerten, mannigfache Genüsse bietenden Lebensweise vertauscht hatten und dennoch noch nicht glücklich und zufrieden waren, erschien es ihnen, als ob sie sich früher glücklicher gefühlt hätten. Sie sehnten sich zurück in ihre einfachen Verhältnisse und ihre Phantasie malte jene Zeit in den glänzendsten Farben aus. So idealisierte man das Hirtenleben und stellte es dar, wie es in Wirklichkeit nie gewesen sein kann.

Auf dem glücklichen Sicilien, jener fruchtbaren Insel, der Kornkammer des alten Italiens, wo der Himmel sich selten trübte, und dem Menschen ohne Anstrengung und Mühe in den Schoss fiel, was ihm zum Leben nötig war, wo die ländlichen Götter, wie die römische Pales, als Schutzgötter verehrt wurden, soll der Mythe nach der Hirt Daphnis die Hirtenpoesie erfunden haben. Viele Versuche sind gemacht worden, diesen Mythos auf die eine oder die andere Art zu erklären, bisher ist es aber nicht gelungen, nachzuweisen, auf welche historischen Thatsachen derselbe etwa zurückzuführen sei. Jedenfalls wird durch diesen Mythos die Vermutung nahe gelegt, dass schon zu sehr früher Zeit auf Sicilien die Hirtenpoesie gepflegt wurde. So geht aus anderen Quellen hervor, dass hier die Hirten oft Wettgesänge veranstalteten, und bei Gelegenheit von Festen, wenn sie in die Stadt kamen,

auch dort ihre Lieder vortrugen 1). Aber abgesehen von der Mythe, ist Sicilien auch historisch nachweisbar die Wiege der Hirtenpoesie gewesen. Von Theocrit, der ungefähr 270 v. Chr. Geb. lebte, besitzen wir die ersten kunstmässigen Hirtengedichte, daher wird er oft mit Recht der Vater der Hirtendichtung genannt. Theocrit 2) steht mit seinen Idyllen fast einzig und unerreicht da. Seine Schilderungen der Hirtenwelt tragen neben natürlicher Einfalt und Einfachheit, welche beide charakteristische Merkmale echter Hirtendichtung sind, das Gepräge der Wahrheit. Theocrit hat seine Arcadia nicht nach seiner Phantasie aufgebaut, sondern nach lebendigem Vorbilde gearbeitet, seine Hirtenwelt ist nicht eine allegorisierte, sondern eine wie sie thatsächlich vorhanden gewesen ist. Er hat unter diesen Hirten gelebt und sie in ihrem ganzen Thun und Treiben belauscht. — Ungefähr gleichzeitig mit Theocrit lebten Moschos und Bion, deren Hirtengedichte denen Theocrits aber nicht gleichkommen.

Im Augusteischen Zeitalter wurde die Hirtenpoesie in Rom eingeführt. Vergil ist der erste der römischen Dichter,

1) a. Storia della Letteratura Italiana del Cavaliere Abate Girolamo Tiraboschi. Roma 1783. 4o. La poesia pastorale: lib. III. tom. VII. pt. III, pag. 73 ec. Ibidem: vol. I, pag. 136 ec., 145: Poesia pastorale è ritrovamento dei Siciliani.

b. F. S. Quadrio, Della Storia et della Ragione d'ogni Poesia vol. II. Milano, 1741. 4o.

Particella I. Dimostrasi, da chi, e quanto inventata fosse la Pastoral Poesia; quante maniere di componimenti ella avesse, quale carattere le convenga et chi ne scrivesse.

c. P. L. Ginguené, Histoire littéraire d'Italie, Paris 1819, 4o. vol VI, pag. 318-24: Opinions sur l'origine de la fable Pastorale: Eglogue, née en Grèce est le fondement de la fable pastorale.

2) a. von Finkenstein, Bucolische Dichter des Altertums, Arethusa,,Theocrit's Idyllen".

b. G. Bernhardy, Grundriss der griechischen Literatur, 3. Bearbeitung, 2. Teil, 553 ff., Halle 1880. 4o.

c. Pauly, Real-Encyclopädie für Altertumswissenschaft: „Hirtengedicht".

welcher sich auf diesem Gebiete versuchte. Unter dem Namen Bucolica, noch nicht Eclogen 1), einer erst von späteren Grammatikern herrührenden Bezeichnung, besitzen wir von Vergil noch 10 Gedichte dieser Art, die wahrscheinlich nur einen Teil aller seiner Hirtengedichte ausmachen. Obgleich Vergil's Bucolica 2) Nachahmungen, zum Teil nur Uebersetzungen der Idyllen Theocrit's sind, besteht doch zwischen ihnen ein bedeutender Unterschied, ja der römische Dichter hat schon den Charakter dieser Dichtungsgattung ganz verändert. Die Schilderung des Hirtenlebens, auf die bei der wahren Hirten

1) a. Weichert, Poet. Lat. Reliq. S. 20 ff. (De Saevio poeta § 2 Anm. 1) führt aus, dass der Name Ecloge nicht von dem Dichter selbst herrühre, sondern erst von späteren Grammatikern gebraucht worden sei, um damit einzelne aus grösseren Sammlungen ausgewählte Stücke zu bezeichnen; später sei die Bedeutung unsicher geworden. (Vergl. ibid. S. 366 Anm. auch „electa“.) b. Diomed. Gl. 1. 486: „bucolica dicuntur poemata secundum carmen pastorale composita."

c. Plinius, Ep. IV. 14.9. „sive epigrammata, sive idyllia, sive eclogas, sive poematia vocare malueris."

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d. Ueber den Namen „Idyll" vergl. W. Christ, Verhandlungen der Würzburger Philologen Versammlung. Leipzig 1869. 49. Ecloga auserlesenes Gedicht, in der Kaiserzeit für jedes kleinere Gedicht gebraucht. Mit diesem Namen sind belegt worden die Hirtenlieder des Vergil und Calpurnius sowie eine Sammlung kleinerer Stücke von Ausonius.

e. E. K. (Edmund Kirke), Einleit. zu Spenser's Shepheards Calendar und andere behaupten: Ecloge sei von Aegon oder Aeginomon logi d. h. Erzählungen von Ziegenhirten herzuleiten, weil Theocrit von Ziegenhirten handelt.

2) a. F. W. Teuffel, Geschichte der römischen Literatur. 4. Aufl. Leipzig 1882. 4o.

b. F. G. Genthe, Vergil's Eclogen mit Einleitung über das Leben des Dichters nnd einem Versuch über die Ecloge. 1. Aufl. Magdeburg 1830. 2. Aufl. Leipzig 1855. 4o.

c. Patin, Sur l'églogue latin, I et II Revue des deux mondes, Tom. XV. 1838. Juillet pag. 234; août. pag. 382.

d. Johnson im „Adventurer“ No. 92, September 1753, Criticism on the Pastorals of Vergil.

dichtung alles ankommt, wird als Nebensache bei Seite gesetzt. Die Hirten, obgleich denen des Theocrit nachgebildet, sind nicht mehr wirkliche Hirten, sondern Geschöpfe des dichterischen Geistes, unter denen zeitgenössische Personen gedacht werden; sie handeln daher auch nur gezwungener Weise wie Hirten und können in ihrem ganzen Verhalten nicht verbergen, dass sie einer viel höheren Gesellschaftsklasse angehören. So wird bei Vergil schon die Hirtenpoesie verallgemeinert und unter dem äusserlichen Gewande der Hirtenwelt die Trägerin ganz an- . derer Anschauungen. Vergil führt ferner schon die Allegorie ein und giebt der Hirtenpoesie neben dem lyrischen schon ein episches Element. Seine Bucolica enthalten Anspielungen auf persönliche Verhältnisse und auf politische Ereignisse seiner Zeit.

So grossen Beifall die bucolische Dichtung anfangs in Rom fand, sie war nicht geeignet, sich auf die Dauer zu behaupten. Nach noch einigen missglückten Versuchen, und nachdem sie den Reiz der Neuheit verloren, verschwindet dieselbe ganz und wird erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts, beim Wiedererwachen der Wissenschaften, zu neuem Leben erweckt. Damals, als man sich mit grossem Eifer dem Studium der Alten zuwandte, wurde die bucolische Dichtung, besonders aber die römische, sehr begünstigt. Vergil's Eclogen erschienen in einer langen Reihe von commentierten Ausgaben und Uebersetzungen, und bald fing man an, dieselben zunächst in lateinischer Sprache nachzuahmen. Die frühesten modern-lateinischen Eclogen rühren von dem italienischen Dichter Petrarca 1) (ca. 1350) her, denen diejenigen Man

1) a. Ginguené, vol. II, pag. 447 ff. „Les douze Eglogues latines de Pétrarque sont aussi bonnes à connaître par un autre motif: La plupart ont rapport à des circonstances de sa vie et les interlocuteurs qu'il y emploie sont quelquefois sous des noms déguisés, les personnages les plus illustres de son temps. Quelques unes sont de vraies satires, telle que la sixième et septième, où le pape Clément VI est évidemment représenté sous le nom de Mition" etc.

b. Tiraboschi, Storia ec. vol. V, pag. 893 ff.

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