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Gottesdienst der Tiroler zweifellos eine lebendige und in ihrer Weise innige und wahre Mystik vor mir. Niemals hatte ich bisher mich so, wie hier, genötigt gefunden, dies Moment im religiösen Leben genauer zu prüfen, niemals auch die Schwierigkeit, sich darüber klarer zu werden, persönlich so schmerzlich empfunden. Aus Eindrücken, die schon mit meiner Kindheit im Elternhause verwachsen waren, ging mir hervor, daß eine be= stimmte christliche Mystik den Höhepunki wahren christlichen Lebens bilde und bilden müsse. Johann Arnd und später Luther waren darin meine Autoritäten und führer. Undererseits waren Bewegungen, die ich nicht anders als mystisch bezeichnen konnte, mir nicht selten bei Menschen begegnet, deren religiöses Leben mich als niederer Art, als schwach und sentimental bestimmt vorkam. Konnte das mystische Moment zugleich einen Höhepunkt und einen Tiefpunkt im religiösen Leben bestimmen? In dogmengeschichtlichen Studien hatte ich dann bemerken müssen, daß Mystik im allgemeinsten Sinne des Wortes im Laufe der Zeiten bald ganz verschwindet, bald aufs klarste und zugleich so zutage tritt, als ob eine innerliche historische Kontinuität dabei doch immer gewahrt bleibe. So kennt man ja Kometen mit ungewissen und doch wirklichen Umlaufszeiten. Bestimmte Bemerkungen, die ich gelesen hatte, kamen mir wieder in den Sinn. Mystizismus kann die Dämmerung sein, die dem Tage des Glaubens, und die Dämmerung, die der Nacht des Unglaubens vorangeht." „Myftizismus erscheint, wenn die Frömmigkeit den Glauben überlebt hat." Derartige Sentenzen boten mir Perspektiven, denen ich im stillen länger nachging, ohne daß ich zu einem befriedigenden Abschluß hindurchdringen konnte.*) Jedenfalls war es mir eine innige freude, im katholischen Wesen, wo es in Einfalt vorlag, doch auch eine mystische Bewegung zu finden, die mich sympathisch berührte und die Erinnerung an die eine, heilige, allgemeine Kirche Gottes lebendig in mir werden ließ.

*) „Alle großen Ereignisse und Vorgänge auf Erden haben ihren Anteil an der Bestimmtheit der Ekde, daß nur die eine Hälfte erleuchtet ist, während die andere im Dunklen liegt."

Voltaire.

VI.

Unsere Rückreise vollzog sich viel schneller, als die Ausreise. Wir waren immer reicher geworden an Reiseeindrücken und immer ärmer an Reisegeld. Dazu hatten wir am Anfange aus unsern Mitteln eine Summe zusammengelegt, um einem Freunde, dessen Wechsel vergeblich in Erlangen auf sich warten ließ, die Reise doch zu ermöglichen. Er wollte uns dies dann bei der Rückkehr in Erlangen zurückzahlen. Über unsere Börse war nun zuguterleht auch kaum noch imstande, uns bis Erlangen zu bringen.

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In München begegneten wir auf der Straße unserm verehrten und lieben Professor Delitzsch. Auf unsern Gruß blieb er bei uns stehen und musterte uns mit heiterstem Ausdruck im Gesicht von Kopf bis zu fuß. Etwas ungemütlich wurde uns dabei zu Sinne, denn, mochten wir sonst nicht allzu viel Gewicht auf unsern Unzug legen, so quälte uns jezt doch die Uhnung, daß wir ungefähr wie Vogelscheuchen aussehen müßten. Er schmunzelte indes nur und meinte in seiner hohen Stimme: Sind wohl in den Bürgen gewesen!" Dann lud er uns sehr freundlich und dringend zum Mittagessen in sein Hotel ein, ich meine, es war dies die „Vier Jahreszeiten". Wir machten wegen unserer mangelhaften Erscheinung einige Bedenken geltend; aber er erklärte, wenn wir nur keinen mangelhaften Appetit hätten, so sollten wir uns doch ja nicht genieren. Dies schlug durch; und nach einem Diner, wie wir es lange nicht mehr genossen hatten, zogen wir sehr vergnügt zum Bahnhof, um die lekten Stunden nach Erlangen zurückzufahren. Dort sollte noch ein Tag gerastet werden, ehe wir dann unsere Heimat aufsuchten.

Nun aber war der Wechsel, den unser Gefährte, dem wir das Reisegeld vorgeschossen hatten, bestimmt in Erlangen vorzufinden erwartete, nicht vorhanden. In seiner Abwesenheit war er eingelaufen, dann aber eben, weil er ihn nicht erhob, durch ein Mißverständnis wieder zurückgeschickt worden. So saßen wir in der Klemme. Wir mußten leihen oder vielmehr pumpen"; aber bei wem? Wegen der ferien waren keine Studenten da. Auch familien, an die wir sonst uns wohl hätten wenden können, waren verreist. Freund Lührs hatte nun von seinem

Vater einen Empfehlungsbrief an einen reichen Herrn in Erlangen gehabt; und einstimmig wurde er verurteilt, bei diesem einen Pumpversuch zu machen. Wir andern warteten in einer benachbarten Kneipe auf den Erfolg, den wir als ganz gewiß ansahen. Nach kurzer Zeit kam er sehr geschlagen wieder an. Jener Herr hatte ihm erwidert, er wisse nicht, ob es dem Vater Lührs recht wäre, wenn er dem Sohne Geld liehe! Nachdem wir ihn etwas wieder aufgerichtet hatten, wurde nun ein förmlicher Schlachtplan entworfen, und jeder ron uns übernahm es, Leute zu suchen, die uns helfen würden. Wir erlebten eine Reihe von Auftritten, die uns sehr komisch vorgekommen sein würden, wenn wir nicht aus allen mit leeren Häuden hätten wieder abziehen müssen. Einer indes war so klug gewesen, sich an unsern Kneipwirt zu wenden, der sofort mit der größten Bereitwilligkeit uns die ganze, nicht eben kleine Summe mit der Bemerkung auszahlte, er täte das sehr gern, denn unsere Leute hätten ihn noch nie betrogen!

Da wir nun nichts mehr in Erlangen zu tun hatten, gingen wir gleich zum Bahnhof und feierten dort noch eine kleine Abschiedskneipe, weil wir uns ja nun trennen mußten. Wir hatten das Zimmer für uns allein; nur ein älterer Herr saß in der Ecke, um den wir uns weiter nicht kümmerten. Jeder von uns mußte nun eine Pauke halten über seine Erlebnisse auf seinem Pumpwege; und die Heiterkeit war groß. Als dann der Zug angemeldet wurde, der die Ersten von uns mitnehmen sollte, kam plößlich jener Herr aus der Eđe in unsere Mitte, erklärte, er hätte vor dreißig Jahren in Erlangen studiert, lebe jest in Amerika und müsse uns doch sagen, daß er seit langer Zeit keine so heitere Stunden verlebt habe, wie an diesem Abend als stiller Teilnehmer an unserer Abschiedskneipe und beim Anhören unserer Geschichten, die übrigens die erlebten tatsächlichen Vorgänge dichterisch frei ausgestalteten. Er hielt uns dann seine offene Geldtasche hin, die voll von Goldstücken war, und bat uns, wir möchten zulangen. Es würde ihm eine Freude sein, wenn er uns die Heimreise etwas verschönern könne. Wir wußten zuerst kaum, was wir sagen sollten. Dies Erlebnis war doch zu nett, und unsere Stimmung wurde, wenn möglich, noch ge

hobener. Wir schüttelten seine Hand, rieben ihm noch rascheinen urkräftigen Salamander, aber sein großmütiges Unerbieten lehnten wir dankend ab, da wir jedenfalls ja Reisegeld genug hatten. Zuerst konnte er sich nicht recht darin finden. Doch wie sehr sein Anerbieten uns erfreute, sah er wohl vor sich und beruhigte fich bald. Schnell kam auch der Zug heran. Mir ist, als sähe ich ihn noch dastehen unter dem Lichte der Laterne, mit strahlend heiterem Gesichte, den Hut in der einen, die Geldtasche in der anderen Hand. Und dies Bild möge den Schluß meiner Burschenzeit bilden!

fünftes Kapitel.

Das „alte Haus.“

Je näher ich auf dieser Rückreise der alten Heimat und dem Elternhause kam, desto näher kam mir von neuem die Tatsache, daß ich meinen jüngeren Bruder Hermann nicht mehr wiederfinden würde. In dem lebhaften Verkehr mit den Freunden und während der schönen Reise war die Trauer um ihn wohl nicht aus meinem Herzen verschwunden; aber ich hatte eine gewisse Verpflichtung gefühlt, sie nach außen nicht störend hervortreten zu lassen. Durch diese notwendige äußere Zucht und die übermächtigen Reiseeindrücke war dann auch die Trauer in mir selber doch zurückgedrängt worden. Jetzt fühlte ich dies wie ein Unrecht, eine Lieblosigkeit und Untreue, deren ich mich schämte. Außerdem mußte ich mir Vorwürfe machen, daß ich in den letzten Jahren ihm nur sehr selten geschrieben hatte. Von ihm in seinem schweren, anstrengenden seemännischen Beruf konnte ich nicht viel Korrespondenz erwarten. Ich selber aber hätte Zeit und Vermögen genug dazu gehabt, wenn ich nur treuer im Gebrauch derselben gewesen wäre. Jest fiel mir dies und sonst manche Versäumnis und Lieblosigkeit schwer aufs Herz.

I.

Im Elternhause traf ich alle in sehr trüber Stimmung. Gerade durch meine glückliche Heimkehr wachte bei den Eltern, Geschwistern und mir die Trauer um den sehr lebhaft wieder auf, der nun auf Erden nie wieder zu uns heimkehren werde.

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