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stückt hatte, konnte ich den Heimweg nach Hause antreten, a sadder and a wiser boy.*) Das Rudern mit beiden Riemen und bei starkem Winde, der gegen starken Strom ansteht, war doch nicht so leicht und einfach, wie ich es mir gedacht hatte. Da ich diese Erfahrung an meinem eigenen Leibe machte, fühlte ich das Komische darin zunächst nur wenig, das Tragische und Entmutigende aber so stark, daß die Schrecknisse dieser mißlungenen Fahrt mir im Traume noch oft wieder vorkamen.**) Ich erzähle dies hier so ausführlich, weil ich, im Begriffe meine Studentenzeit zu beschreiben, mich in der Unnahme nicht zu irren glaube, daß sehr viele Studenten ebenso, wie ich, mit Schmerzen inne werden müssen, wie schwer es ist, nach einer ungenügenden Vorbereitung auf dem Gymnasium dann auf der Universität bei starkem Winde und starkem Gegenstrom in ihrem kleinen Boot mit beiden Händen und beiden Riemen so zu rudern, daß sie, heiler Haut, gleichmäßig vorwärts und ans Ziel kommen. Jedenfalls sind mir nicht wenige Studenten bekannt geworden, die später vom Ufer aus ihr Boot unter viel Mühe und Beschwerden an einem Tau wieder dorthin zogen, wo sie es losgemacht hatten, und Gott dankten, wenn sie einstweilen freund

*) Dergl. Waverley von Sir Walter Scott, Tauchn. ed. p. 399. Scott hat eine so große Bedeutung für meine Jünglingsjahre gehabt, daß ich hier die Verse anfüge, in denen man auch ihn charakterisiert fand: A man godfearing, loving God with heart,

With mind, with soul, true christian of the cross,
Faithful to king, to country and to friend;

A polished gentleman, all graceful without art,
Cheerful, yet grave; counting world gain a loss,
Wise, humble, constant, patient to the end!

**) Sich selber kann man schon auch nach langer Zeit noch kondolieren und wird darin bei sich selber immer das gewünschte Verständnis finden, obwohl hierbei überhaupt gilt „Lenit albescens animos capillus" und ein humoristisches Moment nicht fehlen darf. Handelt es sich aber um ein Kondolieren, das man anderen Leuten ausspricht, die vor langer Zeit einen Verlust erlitten, so bewegt man sich auf recht glattem Boden. Als einst die Bewohner von Jlium dem Kaiser Tiberius ihre Teilnahme an dem Tode seiner Tochter aussprachen, nachdem schon eine lange Zeit nach diesem Todesfall verstrichen war, kondolierte der Kaiser in seinem Antwortschreiben ihnen zum Tode Hektors!

liche Herberge fanden, sei es auch unter Scheltworten. Die zweite fahrt mochte ihnen dann schon besser_gelingen.*)

Ehe ich indessen diese Beschreibung meiner Studentenzeit anfange, oder vielmehr, ehe ich die letzte Hand daran lege, um fie der Öffentlichkeit zu übergeben, habe ich wieder die Empfindung, als sei ich, wie einst als Knabe, jezt als alter Mann von neuem im Begriff, eine Unternehmung durchzuführen, für die ich nicht, oder doch jedenfalls nicht genügend ausgerüstet bin. Die Erinnerungen „Aus der Jugendzeit eines alten Pastors" haben ja eine sehr freundliche Aufnahme gefunden. Das hat den alten Pastor sehr erfreut und auch sehr beschämt. Wenn ihm dann oft der Wunsch ausgesprochen wurde, er möge auch seine Studentenzeit usw. beschreiben, so konnte er nur zugeben, daß seine eigene Herzensneigung ihn stark und nachhaltig antreibe, diesem Wunsche Folge zu geben. Aber nötigte ihn die Ausführung nicht von dem Burggraben und Mühlenteich und aus dem Schuß des Hochwaldes hinweg und auf den offenen Weltstrom hinaus, der allen Winden und Wettern **) ausgesetzt ist? Hat er inzwischen auch wirklich gelernt, in seinem Boote mit zwei Rudern ordentlich zurechtzukommen?

Die Erinnerungen Aus der Jugendzeit" waren unter

*) Bei meiner großen Vorliebe für die See zog mich alles sehr an, was im Wort das Meer und Meerfahrten schildert, Homer, Virgil, Gudrun, dann Shakespeare, Tegner, Heine u. a. Unter neueren Dichtern scheinen

Tennyson und Victor Hugo mir die Palme davonzutragen. Vergl. z. B. Hugos Darstellung des Wesens der See:

Unter modernen

an erster Stelle. **)

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Prosadichtern steht auf diesem Gebiete „Pierre Loti“ wohl

As cruel waves full ofte be found

Against the rockes to rore and cry,
So doth my heart full oft rebound
Against my breast full bitterly.

Surrey, Elizabeth. age.

Anonymität erschienen. Ich hatte wenigstens versucht, ihnen den Charakter der Anonymität mitzugeben. Dieser Versuch gelang nicht, konnte auch, wie ich mir bald sagte, angesichts des Inhalts jenes Buchs nicht gelingen. Dieser Schleier mußte fallen. Warum ich ihn anzubringen mich bemühte, habe ich im Vorwort der zweiten Auflage besprochen und komme nicht darauf zurück. Jett indessen, bei dieser nicht mehr anonymen fortsetzung stand ich auch vor allen den ernsten Bedenken, die mir sonst beim Lesen von Selbstbiographien anderer Leute so oft und so gewichtig entgegengetreten waren.

Während des lehten Jahrzehnts waren diese Bedenken obendrein von C. Hilty*) wieder sehr nachdrücklich auch in der Öffentlichkeit geltend gemacht worden. Er sagt: Wie oft triefen Selbstbiographien von Eitelkeit!" Oder, wenn sie das nicht tun, ,,wie oft verhüllen sie durch zu große Bescheidenheit ihren wirklichen Wert vor den Lesern!" Oder „Ulle Selbstbiographien sind Torheit“; „Jeder Subjektivismus ist Heidentum.“ Nach seiner Überzeugung „lebt der rechte Mensch, in späteren Jahren wenigstens, auf der Welt gar nicht für sich selbst und hat daher weder Zeit noch Lust, so viel an sich zu denken oder gar sich selbst zu beschreiben." Überhaupt sei ja „das Interessante an ihm nicht das für ihn und andere offen Darliegende, sondern das Geheimnisvolle feines Werdens und seines Zusammenhanges mit dem Ewigen, dem keine Biographie Worte verleihen könne!” Diese Urteile machten einen um so tieferen Eindruck auf mich, als Hilty zu den Autoren der Gegenwart gehört, mit denen ich auf bestimmten Gebieten ganz besonders gern übereinstimme, wogegen ich höchst ungern von ihnen abweiche. So viel Richtiges indessen seine Kritik von Selbstbiographien bringt, wie sie im einzelnen vorliegen, und so beachtenswerte Warnungstafeln er hierin aufrichtet, so vermochte ich ihm in seiner prinzipiellen Geringschätzung und Verwerfung der Selbstbiographie doch nicht beizustimmen. Ist es denn wirklich so, daß der Mensch, zumal im Altern, auf der Welt gar nicht für sich selbst lebt, wenn er ein „rechter Mensch“ ist und, allgemein ausgedrückt, seinem Ideal

*) Prof. Dr. C. Hilty, „Lesen und Reden“ (Leipz. 1899) p. 24, Anm. 2; „Glück“ (Leipz. 1899) I. pag. 232, Unm. 2, und sonst öfter.

nachzukommen sucht? Die evangelische Ethik*) beruht doch vielmehr immer und auch im Altern auf dem Grundsatz: „Du sollst deinen Nächsten lieben, als dich selbst!" Das christliche Personleben hat ja ewigen Wert und reift einer ewigen Vollendung entgegen. Christen sollen bei zunehmenden Jahren sich in Gott nicht weniger, sondern immer mehr selber angehören. Daß jemand dann in Wirklichkeit gar nicht mehr sich selber**), sondern nur für andere und anderes lebt, ist mir bei geistig gesunden Menschen überhaupt nie begegnet. Der von Hilty vertretene Grundsak erscheint mir als ein Widerspruch in sich selber, und wenn jemand ihn im wirklichen Leben durchzuführen sucht, so wird er m. E., von anderem abgesehen, bald in der Brandung an den Klippen eitler Selbstüberhebung scheitern oder vom Maelstrom der Selbstverwerfung verschlungen werden. Ebensowenig konnte ich der

*) „Die Hingebung an das außer uns bestehende Reich Gottes, an die Gemeinschaft, an den Nächßten, an die gesamte Kreatur darf keine unbeschränkte sein, sondern muß ihre Schranken, ihr Maß haben, bedingt durch die Hingebung an das Reich Gottes in uns selbst, an mein eigenes, gott verordnetes Ideal, durch die fürsorge für mein persönliches Verhältnis zu Gott, mein Heil und meine Vollendung, also durch mein Bestreben, das zu werden, wozu Gott gerade mich bestimmt hat." (Martensen, Christl. Ethik, Gotha 1878, II, p. 338-341; 354–357 usw.) Wie stark übrigens die falsche Hingabe an die außer uns vorhandene Kreatur, der Altruismus (vivre pour autrui), in der Gegenwart theoretisch sich geltend macht, zeigt fich z. B. auch darin, daß er in die Nationalökonomie eindringen konnte.

**) Der jüdische Geist, wie er sich nach einer bestimmten Seite wohl mit am durchfichtigsten in Moses Mendelssohn ausspricht, sieht im Leben Christi und seinem sittlichen Prinzip gern falschen Altruismus. Mendelssohn fand an der Moral Jesu eben nichts auszusetzen, als daß er den ersten Grundsatz der ganzen Sittenlehre: „Liebe dich selbst" durch sein eigenes Beispiel beseitigt und sich seinen Feinden nicht entzogen habe, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre (Boysen, Lebensbeschreibg., Quedlinburg 1797, II. pag. 170 ff.). Mendelssohn erkennt eben weder die Einzigartigkeit der Person des Herrn noch seinen einzigartigen Beruf. Auch ist ihm das Wesen der sich selbst opfernden menschlichen Liebe verborgen, die sich ganz hingeben kann, ohne sich zu verlieren, weil sie in Gott sich ewiglich besitzt. übrigen ist nirgends geboten „Liebe dich selbst!" Die Selbstliebe ist voraus gesetzt. Daher geht die Argumentation St. Pauli, Eph. 5, 29, darauf hinaus, daß es лaçà quoir wäre, fich nicht selbst zu lieben. Dergl. Seneca, Ep. XIV:,,Fateor, insitam nobis esse corporis nostri caritatem (Harleß, Eph. Br. ad loc..

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Behauptung zustimmen, die Selbstbiographie als solche sei unzulässig, weil sie das eigentliche Wesen der Person und ihrer Entwickelung nicht zu erreichen vermöge, da dies unter dem Schleier eines undurchdringlichen Geheimnisses liege. Wer diese Beweisführung anerkennt, müßte folgerichtig die Berechtigung aller menschlichen Forschung bezweifeln. Früher oder später langen eben alle unsre Forschungen vor einem undurchdringlichen Geheimnis an, und wir müssen immer wieder anerkennen: „Der Rest ist Schweigen!" Um deswillen pflegt aber doch kein Forscher von seiner Arbeit Abstand zu nehmen! Auch ist es am Tage, daß eine Selbstbiographie, ohne sich unmögliches anzumaßen, sehr wohl imstande ist, das Wesen und die Entwickelung des Personlebens in wichtigen Einzelheiten zutreffend darzustellen und so wenigstens unterrichtend, vielleicht auch erziehend zu wirken. Wenn allerdings über dem innersten Wesen der Person und ihrer Entwickelung ein undurchdringliches Geheimnis ruht, so möchte nur der wirklich berechtigt sein, dies für sich anzuerkennen, der mit allem gebührenden Ernst und Nachdruck bemüht war, diesen Schleier zu lüften.

Wenn ich demnach die prinzipielle Verwerfung der Selbstbiographie nicht zu teilen imstande war, so hatte ich damit die Widerstände, die meiner eigenen Biographie in den Weg traten, doch nicht schon überwunden.

Gerade der Lebensabschnitt, den ich zu schildern hatte, war ganz darnach angetan, mir die größten Schwierigkeiten zu machen. Bei meinem Ubgang vom Gymnasium hatte ich einzusetzen. Zunächst freilich folgten die Gedanken, die sich daran knüpften, ohne weitere Mühe aufeinander. Sie hüpften wie Vögel leicht von einem Zweige zum andern. Bald indeffen drängte sich mir der Eindruck auf, daß jener Schluß meiner Gymnasialzeit einen sehr tiefen Einschnitt in meine Lebensentwickelung machte. Was vor diesem Zeitpunkte liegt, ist für mich eine vergangene, ja eine untergegangene Welt; was nachher kommt, lebt weiter und ist Gegenwart. Nicht soll damit gesagt sein, daß meine Kindheit und erste Jugend für mein innerstes Personleben ihre Bedeutung und Wirkungskraft verloren haben. Sie sind vielmehr grün, frisch und fruchtbar für mich geblieben. Aber die geistige und

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