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die sonst in der Erfahrung gegebene Verkettung von Ursache und Wirkung so sehr verkennen, dass sie, als die unmittelbare Folge der Verwirklichung ihrer Vorschläge, die Vervierfachung oder die Verfünffachung des wirtschaftlichen Produkts in Aussicht stellen. Selbstverständlich sind diese phantastischen Versprechungen, wenn einzelne socialistische Systeme (z. B. die von Fourier und Cabet) praktisch erprobt wurden, niemals wirklich erfüllt worden. 18

Aber

Marx und Engels meinen freilich, dass die Centralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit allmählich einen Punkt erreichen werden, wo dadurch notwendig das Privateigentum gesprengt werden muss. wie wenig die grössten socialen Missstände geeignet sind, eine Umgestaltung der Gesellschaftsordnung herbeizuführen, wenn den Nationen nicht ein klares, von aller Ueberschwenglichkeit freies Bild des künftigen Zustandes vorschwebt, zeigt ein Blick auf das sinkende römische Reich. Noch nie waren die Produktionsmittel so centralisiert, wie zu der Zeit, da die Hälfte der afrikanischen Provinz sich im Eigentum von sechs Personen befand (Plin. hist. nat. XVIII, 35, ed. Sillig); niemals waren die Leiden der arbeitenden Klassen grösser als in der Zeit, wo fast jeder produktive Arbeiter ein Sklave war. Es fehlte damals auch nicht namentlich bei den Kirchenvätern an heftigen Kritiken des bestehenden Gesellschaftszustandes, die sich mit den besten socialistischen Schriften der

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Gegenwart messen können. 19 Dennoch folgte auf den Sturz des weströmischen Reichs nicht etwa der Socialismus, sondern die mittelalterliche Rechtsordnung.

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Leroux lautet: Sur un moyen de quintupler, pour ne dire pas plus, la production agricole du pays.

18 Vgl. über die praktischen Versuche, welche in Nordamerika mit dem Fourierismus gemacht wurden, Noyes, History of American Socialisms S. 200 ff.

19 Vgl. Villegardelle, Histoire des Idées sociales, 1846, S. 50 ff.

Wie notwendig eine gründliche Ausbildung der socialistischen Staatslehre von einem juristischen Gesichtspunkte, sowohl im Interesse der besitzenden als auch der arbeitenden Klassen ist, zeigt der Verlauf der französischen Revolution des Jahres 1848, die ja doch durchgreifend einen socialen Charakter an sich trug. Ich verkenne nicht, dass die Machtverhältnisse bei dieser Umwälzung im Allgemeinen für die arbeitenden Klassen ungünstig lagen, und dass deshalb eine durchgreifende sociale Reform überhaupt nicht durchzusetzen war. Aber die wenigen Massregeln, welche damals ergriffen wurden, vollzogen sich nicht etwa im Sinne von Marx und Engels kraft einer den wirtschaftlichen Verhältnissen immanenten geschichtlichen Notwendigkeit, sondern sie waren schon vorlängst in Büchern und Zeitschriften vorgeschlagen und besprochen worden. Ich verweise nur auf die oben (§. 1) gegebene Darstellung der historischen Entwicklung des Rechts auf Arbeit, dessen Anerkennung durch eine vieljährige, sehr „utopische" Diskussion vorbereitet worden war.

Eine zweite Massregel, deren socialistische Tendenz unzweifelhaft ist, war die Einsetzung einer Kommission der Regierung für die Arbeiter, welche von der provisorischen Regierung durch das Dekret vom 28. Februar 1848 verfügt wurde. 20 Das Pariser Volk hatte am 28. Februar 1848 ein Arbeits- und Fortschrittsministerium (Ministère du travail et du progrès) verlangt, d. h. eine Behörde, welche zur Wahrung der Arbeiterinteressen eine wirkliche Vollziehungsgewalt besessen hätte. 21 Louis Blanc liess sich jedoch von seinen Kollegen in der provisorischen Regierung bestimmen, statt des Arbeits- und Fortschrittsministeriums eben jene Regierungs

20 Carrey, Bd. 1, Nr. 42, 58. Die Verhandlungen dieser Kommission wurden von Louis Blanc in einer Broschüre: La Révolution de Février au Luxembourg, Paris, 1849, herausgegeben.

21 Louis Blanc, Histoire de la Révolution de 1848, 5. Aufl., 1. Bd., 1880, S. 133 ff.

kommission zu acceptieren, welche einen rein theoretischen Charakter hatte und eine Art Akademie zur Diskussion der Arbeiterinteressen war. Das Fortschrittsministerium war aber ebenso wie das Recht auf Arbeit ein alter Plan der fourieristischen Schule. 22

Endlich bestimmte ein Dekret der konstituierenden Versammlung vom 5. Juli 1848 einen Betrag von drei Millionen zur Unterstützung von Arbeiterassociationen, welche in der Weise verwendet wurden, dass Kredite unter 25000 Franken mit drei Prozent, Kredite in einem höheren Betrage zu fünf Prozent zu verzinsen waren. Die drei Millionen Franken wurden auch von den Arbeiterassociationen in Paris und in der Provinz fast vollständig in Anspruch genommen und manche derselben erfreuten sich einer grossen Blüte, bis sie infolge des Staatsstreichs vom 2. Dezember 1851 wegen der republikanischen Gesinnung ihrer Mitglieder aufgelöst wurden. 23 Man wird in diesen Massregeln die Vorschläge, welche Louis Blanc schon früher in seiner Schrift über die Organisation der Arbeit und dann während der Februarrevolution selbst in der Luxemburger Kommission gemacht hatte, 24 leicht wieder erkennen.

Fragt man aber, was die Führer der socialistischen Bewegung bestimmt, trotz dieser geschichtlichen Thatsachen, die ja bekannt genug sind, eine wissenschaftliche Detaildarstellung

22 Vgl. Bases de la politique positive, Manifeste de l'école sociétaire, fondée par Fourier, 2. Aufl., 1842, S. 207 ff.

23 Enquête de la commission extraparlementaire des associations ouvrières Bd. I, 1883, S. 10, Bd. II, S. 329 ff.

24 Louis Blanc, Organisation du travail, 1. Aufl., 1841, S. 76 ff., S. 107, 113, 114. Derselbe, La Révolution de Février au Luxembourg, 1849, S. 100 ff. Derselbe in der von ihm herausgegebenen Monatsschrift le Nouveau Monde vom 15. September 1849, S. 129 (Le socialisme en projet de loi). Derselbe, Org. d. travail, 9. Aufl., 1850, S. 119 ff., und in der zehnten Ausgabe in den Questions d'aujourd'hui et de demain im 4. Bd., 1882. S. 152. Die hier angeführten Vorschläge stimmen übrigens nicht vollkommen überein.

Menger, Arbeitsertrag. 2. Aufl.

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des angestrebten Gesellschaftszustandes oder mit anderen Worten die Ausbildung einer socialistischen Staatslehre zu vermeiden, so dürften wohl zwei Punkte die Erklärung für diese an sich befremdende Erscheinung bieten. Zunächst die Thatsache, dass die hervorragenden socialistischen Theoretiker in der Regel auch einflussreiche Führer der socialistischen Parteien sind. Unter politischen und ökonomischen Parteien ist aber erfahrungsgemäss die Einigkeit viel leichter durch Negation bestehender Zustände als durch Aufstellung positiver Ziele zu erreichen.

Dann aber mag zu jener Haltung einer wichtigen Gruppe socialistischer Theoretiker eine Verkennung der Unterschiede zwischen den theoretischen und den praktischen Disziplinen beitragen. In den theoretischen Wissenschaften ist schon der blosse Nachweis eines Irrtums von Bedeutung, auch wenn es dem Forscher noch nicht möglich sein mag, die wahre Einsicht an die Stelle des beseitigten Irrtums zu setzen. So hätte Kopernikus schon durch die Widerlegung des Ptolemäischen Weltsystems sich unsterblichen Ruhm erworben, auch wenn er sein eigenes nicht hätte aufstellen oder begründen können.

Anders verhält es sich auf dem Gebiet der praktischen Disziplinen. Hier ist keine noch so wahre Kritik bestehender Einrichtungen berechtigt, solange nicht die Möglichkeit eines besseren Zustandes genügend erwiesen wird. So gross auch der Druck sein mag, den das arbeitslose Einkommen (die Rente, der Mehrwert) auf die arbeitenden Klassen ausübt, so werden sich doch die Völker niemals zu einem eingreifenden socialen Experiment entschliessen, wenn nicht zuvor eine nur von erfahrungsmässigen Gesichtspunkten geleitete socialistische Staatslehre geschaffen ist. Auch die politischen Reformbestrebungen des 18. und 19. Jahrhunderts hätten keinen dauernden Erfolg gehabt, wenn den Nationen in den Schriften von Montesquieu und Rousseau nicht schon ein Abriss des künftigen politischen Zustandes vorgelegen wäre.

§. 10. Louis Blanc und Ferdinand Lassalle.

most Louis Blanc und Lassalle sind die zwei hervorof that ragendsten Vertreter derjenigen Form des Socialismus, welche ich oben (S. 108) den Gruppensocialismus genannt habe. Der Grundgedanke dieses socialistischen Systems besteht darin, dass grössere oder kleinere Associationen von Arbeitern desselben Berufes einesteils das Eigentum an den Produktionsmitteln haben und andrerseits diese gemeinsam benützen sollen. Dem steht selbstverständlich nicht entgegen, dass zwischen den verschiedenen Arbeitergruppen desselben Zweiges oder vielleicht sogar zwischen allen Arbeitergruppen eine einheitliche Organisation besteht. Es genügt, dass die Arbeitergruppe oder -Association Subjekt des Eigentums und der Wirtschaft ist, um den Gruppensocialismus von den übrigen socialistischen Grundformen. (dem Gemeinde-, Staats- und Weltsocialismus) scharf zu unterscheiden.lostus

Das Verhältnis zwischen Louis Blanc und Lassalle lässt sich etwa so bestimmen? Die philosophische und historische Grundlegung des Gruppensocialismus ist bei Louis Blanc sehr dürftig, während Lassalle nicht nur die historischen und philosophischen Seiten der Frage beherrscht, sondern auch einen Teil der früheren Litteratur über das Grundproblem des Socialismus: das arbeitslose Einkommen kennt. Dagegen ist Lassalle in seinen praktischen Vorschlägen von Louis Blanc vollständig abhängig.

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