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Doch wurden dieselben in der Sitzung der Nationalversammlung vom 9. Februar 1849 mit 317 gegen 114 Stimmen abgelehnt, ohne dass eine eingehende Debatte über das Recht auf Arbeit stattfand, und zwar in der Erwägung, dass die Vorsorge für arbeitsunfähige Arme einen Gegenstand der Heimats-, Gemeinde- und Armengesetzgebung bildet. 54 Seither blieb auch in Deutschland die ganze Frage verschollen; nur Marlo hat ungefähr um dieselbe Zeit (1850), wie weiter unten (§. 2) gezeigt werden wird, das Recht auf Arbeit vertreten. Erst in der neuesten Zeit wird wieder von einigen deutschen Schriftstellern, darunter Stöpel, 55 Hitze 56 und Hahn, 57 ein Recht der Staatsbürger auf Arbeit anerkannt. Doch mangelt diesen Schriftstellern, selbst Stöpel nicht ausgenommen, jeder Einblick in den Zusammenhang und in die geschichtliche Entwickelung der socialistischen Ideen, zu welchen doch auch das Recht auf Arbeit gehört, und sie sind deshalb nicht im Stande, einen klaren Begriff dieses Rechtes zu gewinnen.

Nachdem ich in dem Vorstehenden den Begriff der drei socialistischen Grundrechte bestimmt habe, soll nunmehr die allmähliche geschichtliche Entwickelung der Ideen über das Recht auf den vollen Arbeitsertrag in den socialistischen Sy

54 Vgl. die Verhandlungen der Nationalversammlung Bd. 1, S. 710, und den Aufsatz „Die Arbeiterfrage im Frankfurter Parlament“ in der Neuen Zeit" Bd. 1, 1883, S. 38-46.

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55 Franz Stöpel, Die freie Gesellschaft, 1881, S. 263–299, und: Sociale Reform, 3. Heft, 1884, Das Recht auf Arbeit, S. 6, 7, 13, 25 ff. (die beste deutsche Schrift über das Recht auf Arbeit).

56 Franz Hitze, Kapital und Arbeit und die Reorganisation der Gesellschaft, 1881, S. 145-196, und dazu v. Hertling, Reden und Aufsätze, 1881, S. 30 ff.

57 Otto Hahn, Das Recht auf Arbeit, 1885 (ein verworrenes, ganz wertloses Buch). Ebenso wertlos ist Haun, Das Recht auf Arbeit, 1889, eine Schrift, deren geschichtliche Angaben die Citate nicht ausgenommen zum grossen Teil aus dem vorliegenden Buch ohne Quellenangabe abgeschrieben sind.

stemen seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts dargestellt werden. Nur diese stehen mit der socialen Bewegung der Gegenwart in einem ununterbrochenen historischen Zusammenhang, und ich habe deshalb den Socialismus der älteren Zeit, namentlich die so reichhaltige Utopien-Litteratur, von dieser Darstellung absichtlich ausgeschlossen. Ebenso konnten auch aus der hier behandelten Zeitperiode nur jene socialistischen Systeme Raum finden, deren Mittelpunkt das Recht auf den vollen Arbeitsertrag bildet, während diejenigen Schriftsteller, welche vorherrschend das Recht auf Existenz verwirklichen wollen, in einer späteren Schrift behandelt werden sollen. Freilich war es nicht leicht, diese Scheidung zu vollziehen, da die meisten socialistischen Systeme zwischen jenen beiden fundamentalen Principien eine Vermittlung versuchen, und so kann ich kaum dem Tadel entgehen, dass ich diese oder jene Erscheinung willkürlich einer der beiden Gruppen zugewiesen habe. Namentlich wird in dieser Richtung die Darstellung der deutschen Rechtsphilosophie (§. 2) Anfechtung erfahren, da diese, soweit sie überhaupt socialistische Ideen vertritt, mehr zu der Anerkennung des Rechts auf Existenz hinneigt. Dennoch hielt ich die Aufnahme dieses Abschnittes für unerlässlich, weil es von Interesse ist, die Stellung der deutschen Philosophie zu dem Problem der ökonomischen Grundrechte zu kennzeichnen.

Gar Mancher könnte sich darüber wundern, dass ich eine Scheidung der socialistischen Systeme nach jenem Gesichtspunkt überhaupt für notwendig halte, da diese doch insgesamt nur einen wesentlichen Zweck, nämlich die Hebung der arbeitenden Klassen, anstreben. Aber man darf nicht vergessen, dass zur Erreichung dieses Zweckes in dem einen und dem anderen Falle völlig verschiedene Triebfedern der menschlichen Natur in Bewegung gesetzt werden. Jedes socialistische System, dessen Mittelpunkt das Recht auf den vollen Arbeitsertrag bildet, beruht auf dem menschlichen

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Egoismus, und zwar in einem höheren Grad, als die gegenwärtige Rechtsordnung; denn dort arbeitet Jeder nur für sich selbst, hier aber teils für sich, teils für das arbeitslose Einkommen. Dagegen muss jedes sociale System, dessen letztes Ziel die Anerkennung des Rechtes auf Existenz bildet, auf dem Gefühl der Nächstenliebe und der Brüderlichkeit beruhen. Obgleich also die socialen Systeme der einen und der anderen Gattung zu dem Socialismus in seiner herkömmlichen Bedeutung gerechnet werden, so besteht doch zwischen denselben in ihrem ganzen Wesen ein schroffer Gegensatz, welcher auch eine sorgfältige Trennung in der Darstellung rechtfertigt.

§. 2. Die deutsche Rechtsphilosophie.

Die moderne Rechtsphilosophie unterscheidet zwischen angeborenen oder natürlichen und erworbenen Rechten. Jene stehen jedem Menschen kraft seines Daseins zu, während diese durch Vertrag, Erbschaft oder andere juristische Thatsachen für jeden Einzelnen besonders begründet werden müssen. Das Recht auf den vollen Arbeitsertrag (und ebenso das Recht auf Existenz) könnte selbstverständlich nur unter der ersten Gruppe von Rechten gesucht werden.

Hat nun die rechtsphilosophische Doktrin ein angeborenes Recht jedes Einzelnen auf den vollen Arbeitsertrag oder auf die Existenz anerkannt? Diese Frage ist, wenigstens was die weit überwiegende Anzahl der rechtsphilosophischen Theoretiker anbetrifft, gewiss zu verneinen. Die herrschende Ansicht. der rechtsphilosophischen Doktrin geht/ nämlich dahin, dass jedem Menschen ein ursprüngliches Recht, das sogen. Urrecht eigen ist, welches unmittelbar auf der menschlichen Natur beruht und deren ursprünglichste Bedürfnisse zu befriedigen bestimmt ist. Was freilich der nähere Inhalt dieses Urrechts ist, darüber besteht vielfacher Streit. Stahl bezeichnet als solchen das was zur Existenz der Person gehört: Integrität (Schutz für Leib und Leben), Freiheit, Ehre, Rechtsfähigkeit, Schutz in den erworbenen Rechten.1 Manche fügen zu diesen Ele

1 Stahl, Die Philosophie des Rechts, Bd. 2, 3. Aufl., 1854, S. 312. Ahrens, Naturrecht, Bd. 1, §. 47, Bd. 2, §. 56 ff. u. a. Gegen die Lehre von den angeborenen Rechten: Lasson, System der Rechtsphilosophie, 1882, S. 258.

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menten des Urrechts noch die Gleichheit hinzu, während andere wieder einzelne Bestandteile, z. B. das Recht auf Ehre verwerfen. Ich kann diese Streitigkeiten, die mit dem Gegenstand der vorliegenden Schrift in keinem Zusammenhang stehen, hier füglich übergehen.

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2 Vgl. z. B. die Déclaration des droits de l'homme et du citoyen der konstituierenden Nationalversammlung vom 26. August bis 3. November 1789. Art. 1. Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits .; Art. 2. Le but de toute association politique est la conservation des droits naturels et imprescriptibles de l'homme. Ces droits sont la liberté, la propriété, la sûreté et la résistance à l'oppression. Die Erklärung der Menschenrechte statuiert also einesteils die Gleichheit der Menschen in Beziehung auf ihre Rechte und erklärt andrerseits das Eigentum, die wichtigste Quelle aller Ungleichheit, für ein natürliches und unverjährbares Recht. Da auch in vielen der folgenden Verfassungen, die Konstitution vom 24. Juni 1793 (Art. 1—3) nicht ausgenommen, derselbe Widerspruch vorkommt, so bildete sich in der neueren Staatslehre der absurde Begriff der „Gleichheit vor dem Gesetz heraus (Art. 3 cit.), worunter die Gleichheit in den minder wichtigen Rechtsgebieten (Civilprozess, Strafrecht und Strafprozess u. s. w.), dagegen Ungleichheit in Beziehung auf das wichtigste Rechtsgebiet (das Vermögensrecht) zu verstehen ist. Robespierre wollte bei Beratung der Verfassung vom Jahre 1793 der Gleichheit vor dem Gesetz auch einen vermögensrechtlichen Inhalt geben, doch blieben seine Bemühungen ohne Erfolg. (Vgl. die Rede Robespierre's in der Sitzung des Konvents vom 24. April 1793 und seinen Entwurf einer Erklärung der Menschenrechte in den Oeuvres de Robespierre, herausgegeben von Vermorel, 1866, S. 268-274, ferner Saint-Just, Fragments sur les institutions républicaines S. 34, 58, 70, 71 der Originalausgabe.) Einen ganz socialistischen Charakter hat der Entwurf der Erklärung der Menschenrechte, welchen der Kommunist François Boissel (gest. um 1807) in der Sitzung des Jakobinerklubs vom 22. April 1793 vorlegte, doch wurde dieser selbst von den Jakobinern abgelehnt. Vgl. Buchez, Histoire parlementaire, Bd. 26, S. 107, und über das Leben und die Lehre von Boissel den Aufsatz von Grünberg in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1891, S. 207-252.

3 Vgl. z. B. Anton Bauer, Lehrbuch vom Naturrecht, 3. Aufl., 1825, §. 86-88, und die daselbst angeführte Litteratur.

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