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spricht er im Anfange von den unstäten Geistern, die, um sich in ihrer Freiheit nicht hindern zu lassen, auch jetzt noch gleich den Akademikern des Alterthums darauf verzichteten, die Wahrheit zu erkennen. Es ist kein Zweifel, dass diese Anmerkung besonders auf Montaigne abzielt. Und im Verlauf desselben Essais wird Montaigne mit Lob citirt. Montaigne leitet sein Buch mit der Bemerkung ein: C'est ici un livre de bonne foy, lecteur; es ist kein Zweifel, dass Bacon das zur Anregung genommen hat, wenn er in der lateinischen Uebersetzung seines Buches sermones fideles, d. h. etwa,, wohlgemeinte Ausführungen" betitelt hat. Gleichwohl hat Bacon die Sache ganz anders aufgefasst und ein in Gesinnung und Haltung ziemlich entgegengesetztes Buch geliefert.

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Betrachten wir zunächst den Styl und die äussere Form der beiden Schriften. Montaigne folgt durchaus keiner systematischen Ordnung oder strengen Form der Gedankenentwicklung. Er macht wohl eine Capitelüberschrift; aber während er über den Gegenstand seine Gedanken äussern will, fällt ihm so viel ziemlich Entlegenes ein, dass er lieber zunächst dies vornimmt, dann mit aller Behaglichkeit nach allen Seiten hin Diversionen macht, bis er endlich mit ein paar Worten noch auf sein Thema kommt, und auch dies nicht einmal immer. Montaigne's Styl ist bezaubernd durch eine naive und zum Theil nachlässige Formlosigkeit, in der sich die Eigenthümlichkeit eines höchst liebenswürdigen Menschen und eines höchst talentvollen Kopfes darstellt. Seine Redeweise ist ruhig, langsam fliessend, fern von allem rhetorischen Pathos, aber auch von allem geschäftsmässigen Ernste: behaglich, fast spielend, gemüthlich ruht er auf dem langsam hintrabenden Strome seiner Gedanken aus. Da ist nichts Studirtes, aber viel gesunder Mutterwitz, viel vortrefflich, witzig, geistreich Ausgedrücktes, liebenswürdige Ironie, und eine geistige Freiheit, die oft an ächten Humor streift. Ohne alle Prätensionen spricht er durchgängig: wo aber einmal eine wärmere Gefühlsregung ihn ergreift in Liebe oder Abneigung, da trifft sein Ausdruck den Nagel auf den Kopf, und die Wärme, die er empfindet, theilt sich seinen Lesern mit. Es ist wie eine Art von Unschuld und Harmlosigkeit, die Abwesenheit aller Leidenschaft, alles gewöhnlichen

Interesses, der reine Athem geistiger Freiheit und Ungebundenheit, was über seinem Ausdruck, wie über seinem Gedankengange ruht, und was ihm schnell das Herz des Lesers gewinnt.

Dagegen möchten wir den Leser sehen, dessen Herz bei der Lectüre Bacon's in's Spiel käme. Dieser wirkt nur auf den Kopf. In seinem Styl nat er sich offenbar Montaigne nicht zum Vorbild genommen. Wenn ein solches Vorbild für Bacon angenommen werden muss, so möchte sein Styl eher an Seneca erinnern, dessen Briefe an Lucilius er selbst als Vorgänger seiner Essais bezeichnet. Bacon's Styl ist aber vor Allem knapp und geschäftsmässig. Es ist offenbar, dass er weder eine glückliche Anlage zur Beredtsamkeit hat ungestört walten lassen, noch dass er sich sonderliche Mühe gegeben hat um die Form seines Ausdrucks. Er will vor Allem die Sache selbst reden lassen, klar und bestimmt, in meist aphoristischer Form. Seine Sätze sind wenig miteinander verbunden, sein Gedankengang hat etwas Springendes und ewig Bewegtes. Der einzige Schmuck, den er anwendet, ist eine schlagende Kürze, die oft sehr gedankenvoll wird, ein treffendes Gleichniss, das seinen Aussprüchen zuweilen etwas von der Kraft des Sprichwortes giebt. Etwas sehr scharf Pointirtes, Hastiges und wenig zum Ausruhn Einladendes, eine gewisse schneidende Schärfe, die zuweilen unbarmherzig wird, wenn sie die wahren Zustände der Welt aufdeckt: das ist Bacon's entscheidendes Merkmal. Er schreibt vielfach in Imperativen, weil ein grosser Theil seiner Essais Regeln für die äussere Lebenseinrichtung, Klugheitsvorschriften für den hochgestellten Weltmann oder Staatslenker und Beamten mittheilt. Neben seinem geschäftsmässigen Ernst und der Trockenheit und Förmlichkeit, neben diesen schnell verschwindenden Gedankenblitzen ist aber dieser Schriftsteller auch dem rednerischen Pathos zugänglich, der Sprache entschiedener Feierlichkeit und der Andacht.

Dieser Gegensatz des Styls beruht nun auf dem Gegensatze auch der behandelten Gegenstände. In manchen Thematen treffen się zusammen. Beide sprechen über Freundschaft und Liebe, über das Studium, über das Elend irdischer Grösse; Manches, was der eine ausführlich erörtert, behandelt der andere

wenigstens gelegentlich, und in vielen Fällen ist bei Bacon offenbar das Streben ersichtlich, Montaigne's Behauptungen zu widerlegen oder zu berichtigen. Aber der Geist, in dem sie auch diese gemeinschaftlichen Themata behandelt haben, ist nichtsdestoweniger ein durchaus verschiedener. Montaigne giebt aus einer umfassenden Lectüre alle Anregungen, die er empfangen hat, wieder; die Fragen, die ihm aufgestossen sind; allerlei kuriose Bemerkungen über Erscheinungen des Seelenlebens und den Lauf der äussern Ereignisse; die Fragen über Tugend und Weisheit, über mancherlei Leidenschaften u. dgl.; alles das erörtert er, wie er sagt, nur, um sich eben auszusprechen, um seinen Freunden und auch wohl einem weitern Kreise sein getreues Portrait zu hinterlassen. Sich selbst malt er, er ist die Materie seines Buchs. Wer ihn nicht mag, dem räth er, sich nicht mit einer so geringfügigen Persönlichkeit zu befassen. Sein Buch ist für irgend einen Winkel in einer Bibliothek bestimmt, um etwa einen Nachbar, einen Verwandten, einen Freund zu ergötzen. Wenn ihn Niemand lesen wird, so hat er dennoch seine Zeit nicht verloren. Er hat so viele müssige Stunden sich mit so nützlichen und angenehmen Gedanken vertrieben; die Arbeit, sich für Andere zu schildern, hat ihm das Vergnügen und den Nutzen eindringlicher Selbstbetrachtung gewährt. Er hat nicht sowohl sein Buch gemacht, als vielmehr sein Buch ihn gemacht hat, das mit ihm gleichsam gleicher Substanz ist. Eine liebenswürdige Naivetät, die unbefangen Alles ausplaudert, was sie auf dem Herzen hat, auch Schlimmes und Bedenkliches, erscheint in seinem Wesen überall. Was er spricht, ist zum allerwenigsten im Interesse der Erörterung, der Aufhellung der Sache gesprochen, weit mehr, um seine eigene Seelenstimmung zu charakterisiren. Diese Subjectivität der Behandlung aller vorliegenden Fragen zieht sich überall hindurch. Das hauptsächlichste Object seiner Betrachtung bleibt doch immer er sich selbst. Am liebsten recurrirt er auf seine eigene Erfahrung. Wie ein angenehmer Gesellschafter theilt er Geschichten, unwichtige und wichtige Erlebnisse aus seinem eigenen Leben mit zur Aufhellung und Verdeutlichung dessen, was er gesagt hat. Was ihm am nächsten aufstösst, ob es nun in engerer oder weiterer Weise zu der

vorliegenden Sache gehört, das giebt er, wie es ihm in die Feder fliesst. Am liebsten analysirt er sein eigenes Gemüth. Nicht leicht hat irgend ein Schriftsteller so ausführlich, und doch zugleich mit so liebenswürdiger Bescheidenheit von sich selbst gesprochen. Er erzählt uns seine Erziehung von den frühesten Jahren an; er spricht von seinem Charakter seit seinen Knabenjahren; analysirt alle Stufen seiner Entwicklung und beklagt schliesslich, dass nicht mehr und nichts Besseres aus ihm geworden ist. Er sieht aber ein, dass leider nichts Besseres aus ihm werden konnte. Seine Urtheile sind niemals als maassgebliche intendirt. Er warnt immer wieder, was er sagt, als das Abschliessende und Bestimmende zu betrachten, während er doch nur sagen wolle, wie ihm die Sache erscheine, oft nur wie sie ihm jetzt und in dieser Stimmung erscheine, nicht wie sie sei. Montaigne's ganzes Leben ist der Selbstbetrachtung gewidmet gewesen. Mögen Andere nach Aussen blicken: er versenkt seinen Blick in sein Inneres. Sein eigenes Leben zu bilden, das ist sein Handwerk. Er treibt überhaupt kein Geschäft, aber am allerwenigsten das eines Büchermachers. Wie er uns alle Motive und Triebfedern seines gemächlichen, ruhigen und etwas indolenten Wesens auseinandersetzt, das doch zu einer stillen Schwärmerei neigt und vielen der edelsten Antriebe offen ist; so redet er von sich mit einer gewissen Behaglichkeit und ohne tiefere Selbstanklage, aber sicher ohne alle Selbstgefälligkeit und mit einer wahrhaft rührenden Bescheidenheit. Von seinen geistigen Anlagen sagt er selbst das Schlimmste. Hört man ihn, so ist er eigentlich ein recht mittelmässiger Kopf und zu keinem Dinge recht geeignet. Selbst sein Styl gilt ihm für höchst elend und schwach, und zu keinem grössern Unterfangen als zu solchen Plaudereien passend. Vergleicht er sich mit seinen Mustern und den grossen Geistern vergangener Zeiten, so schämt er sich eigentlich, nur ihre Worte zu citiren, weil er fürchtet, ein so aufgeklebter Purpurstreifen möchte die Werthlosigkeit und Geringheit des zu Grunde liegenden Gewebes nur um so deutlicher kundthun.

Bacon dagegen redet beständig mit der Miene des Amts, mit der ernsten Fassung des Geschäftsmannes. Seine Essais werden fast durchgängig besser mit dem zweiten Titel, Coun

sels, Rathschläge für das politische und sittliche Leben bezeichnet, doch vorwiegend für das politische. Sie enthalten durchaus Regeln der Lebensklugheit,, denen Regeln einer ernsten Sittlichkeit eigentlich nur wie eine Art von Empfehlung aufgeklebt sind. Montaigne geht fast nirgends in das tiefere Wesen des Begriffes der Dinge ein. Das thut nun Bacon noch viel, viel weniger. Dafür aber legt er mit hellem Blick und sehr scharfer Beobachtungsgabe die Auffassungsweise eines praktischen Kopfes dar, der durch's Leben will, und der dazu vor Allem redliche Mittel sucht, um nicht anzustossen; er zeigt aber auch, wie man sich unredlicher Mittel bedienen kann ohne wirklichen Schaden. Seine Rathschläge streifen sehr oft nahe an die Macchiavelli's, den er mit sichtbarer Aufmerksamkeit und einer Art von Vorliebe studirt hat, wie mehrfache Anführungen beweisen. Anweisungen zu praktischer Lebensklugheit, zur Geschäftsführung, von einem Geschäftsmanne gegeben: das sind Bacon's Essais im Wesentlichen. So giebt er seine Ansichten über die beste Art, einen fürstlichen Palast und einen fürstlichen Garten anzulegen, über die Veranstaltung von Hoffesten, über die besten Mittel zur Colonisirung, über die Regierung der Staaten und Führung der Staatsgeschäfte, über die richtige Verwendung der Menschen am richtigen Platz und dergleichen, und eigentlich jedes Thema führt auf solche Nutzanwendung praktischer Klugheit hinaus. Er ist bald Baumeister, bald Gärtner, bald Höfling, bald Weltmann, dann aber auch wieder einmal bloss ein Christ. Da ist von einer philosophischen Welt- und Lebensanschauung, von einem höhern Standpunkt nicht die Rede. Aber seine Rathschläge sind wirklich praktisch für den, der vorwärts kommen will; seine Anweisungen sind aus dem wirklichen Leben gegriffen und wirklich zum Theil höchst beachtenswerth; sein Scharfblick für Mängel und Vorzüge von Menschen und Verhältnissen verleugnet sich nirgends. Nur neue, originelle, principielle Bemerkungen erwarte man von ihm nicht. Sein Blick haftet am Einzelnen, sehr oft am Kleinlichen, und das Höchste, wozu er es bringt, ist jene Art von Menschenkenntniss, der Stolz von Naturen, die in die trüglichen irdischen Verhältnisse oft allzu tief verwickelt, aber durch Erhebung und Grossartigkeit, durch irgend welche Idealität

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