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weicher Mann, isst und trinkt vortrefflich, liebt mit Galanterie die Damen, hat das Podagra und ist unverheirathet.

Herr Christoph Koch, sein dritter, unverheiratheter Bruder, ein guter Mann von denen, die am nächsten an die Tröpfe gränzen.

Noch haben diese Leute zwei Schwestern. Die eine, Madame Sartorius, eine feine Frau, die mehr Verstand hat, als ihre Geschwister. Ihr Mann ein Debauché wie die Gattung; dafür aber auch beinahe an jedem Gliede durch Podagra und Gicht krumm und lahm. Uebrigens ein kluger, aber arglistiger Mann, und für einen Kaufmann von vieler Wissenschaft.

Madame Hogreve, eine Witwe, die aber lebendig todt ist, nicht nach dem Ausspruche des Apostels, weil sie in Wollüsten lebt, sondern weil sie seit verschiedenen Jahren wegen Nervenschwäche beinahe nicht aus dem Hause kommt.

Diese Familie ist sehr genau verbunden, obgleich das Band, das sie zusammenhält, oft nur aus Zänkereien gewebt ist. Sie überlegen Alles gemeinschaftlich, und Keiner darf etwas thun, wozu er nicht durch ein Familien-Decret bevollmächtigt ist. In der Beredtsamkeit suchen sie ihres Gleichen, wie Du aus den wohlstylisirten Reden, die Einer nach dem Andern an Dich halten wird, weitläufiger vernehmen wirst. Mich haben sie bald so lahm gratulirt, wie den Vetter Sartorius, und wenn Du nicht ein so ausserordentliches Mädchen wärst, so hätte es mich gereuet, zu dergleichen Unfug Gelegenheit gegeben zu haben. Die Einlage habe ich gestern vergessen. Nun poch zwei Briefe.

Adieu, Beste!

Nro. 22.

Leisewitz.

Braunschweig, den 8. Septbr. 1781.

Gestern konnte ich Dir wegen verschiedener Verhinderungen nicht schreiben; aber Du sollst den Brief von gestern heute haben und kein Tittle dabei verlieren. Ich will mit meinen Charakteren schliessen, und Dir dann antworten.

Die Klosterräthin von Voigts ist eine der angenehmsten Frauen, die ich kenne; allein sie hat auch Alles angewandt, um es zu sein: anhaltenden Fleiss, Gesundheit und den ehrwürdigen Charakter einer Hausmutter. Um deren Geschäfte, die Bildung ihrer Kinder ausgenommen, bekümmert sie sich durchaus nicht, überlässt Küche und Keller ihrem Manne. Dagegen weiss sie Französisch und Italienisch und Lateinisch, spielt und singt als eine Virtuosin, macht deutsche und französische Komödien in Prosa und in Versen, agirt und tanzt wie eine Meisterin. Durch das Alles läuft freilich zuweilen ein Zug von Pedanterie; allein er wird durch ihren lebhaften, naiven und familiären Witz weniger sichtbar. Ich brauche nicht zu sagen, dass das Alles mit aus der Absicht, zu glänzen, und also aus Coquetterie geschieht; allein die ist von einer besonderen Art, sie coquetirt mit sich selbst, besonders ohne alle Rücksicht auf unser Geschlecht. Ihr Charakter ist in allen Dingen gut, wozu kein Sentiment gehört, wovon sie wenig oder gar

nichts hat.

Ihr Mann ist ein guter, ehrlicher Mann, der sich des Hauswesens treulich annimmt, die Bouteille liebt und, wie die Fama sagt, noch allerlei.

Den Hofgerichts- Assessor Hartken kennst Du schon ziemlich. Er ist wirklich ein ehrlicher Mann, der aber nichts Feines und ziemlich viel Eigensinn hat. Da er von Verstellung nichts weiss, so habe ich alle Ursache, ihn für meinen Freund zu halten, und ich bilde mir auf diese Eroberung etwas ein.

Der Professor Eschenburg*) ist kein Genie der ersten

*) Joh. Joach. Eschenburg, geboren 1. Dec. 1743 zu Hamburg, gestorben 29. Febr. 1820 als Geh. Justizrath, Hofrath und Professor der schönen Literatur am Collegio Carolino zu Braunschweig. Die Zahl seiner Schriften ist ausserordentlich gross. Darunter befinden sich viele Uebersetzungen, von denen die erste, ziemlich vollständige Uebertragung Shakespeare's die meiste Bedeutung hat. Ebenso sind unter seinen literarhistorischen Leistungen, ausser seinem Antheile an der Revision der Lessingschen Werke, seine Commentationen über Shakespeare die wichtigsten. Am nachhaltigsten blieb sein Einfluss durch seine vielen trefflichen, zum Theil noch jetzt auf höheren Lehranstalten unentbehrlichen Lehrbücher über Literaturgeschichte und Archäologie. Vom Dichter Eschenburg haben sich, unter allen seinen dramatischen und lyrischen Productionen, nur einige Kirchenlieder, aus

Grösse, der aber Vieles weiss, und mit grosser Leichtigkeit arbeitet. Ein sehr ehrlicher Mann, der aber auch tausend Eigenheiten hat. Er hat das Unglück, dass ihm der grösste Theil des menschlichen Geschlechts nicht gefällt, und Stunden, in denen ihm auch seine besten Freunde nicht gefallen. Unterdessen bemerkt man dieses nicht leicht, weil er allen Leuten mit viel Höflichkeit und mit wahrer Dienstfertigkeit begegnet. Er thut alles mit Heftigkeit, ist oft lustig, ohne zufrieden zu sein, und jagt dem Witze eifriger nach, als es diese Tugend oder dieses Lob verdient. Er ist ein schöner, aber schwächlicher Mann.

Seine Frau, eine Tochter des Professor Schmid, hat nicht die glänzenden Eigenschaften ihrer Schwester; aber eine vorzüglichere Figur, einen naiveren Witz, und zeichnet sich durch eine ungemeine Zärtlichkeit gegen ihren Mann und ihre Kinder aus. Sie ist übrigens von allen Dingen zu leicht affizirt, von ihrem Gesichte etwas eingenommen, und abergläubisch, ob sie gleich zuweilen über ihren Aberglauben lacht. Diese liebenswürdige Frau erwartet Dich mit wahrer Sehnsucht, und fiel mir einmal mit einem Kusse um den Hals, wie ich von Dir sprach.

Dieses wären ungefähr meine Bekannten, von denen Dir eine vorläufige Kenntniss vorzüglich nützlich sein könnte.

Also wären wir am Ende unsers Briefwechsels und unsers Romans, von dem es mir gleich lieb ist, dass er so lange gedauert hat, und dass er zu Ende ist. Nimm noch einmal meine heiligsten Versicherungen an, bestes Mädchen, dass Du ewig meine einzige und über alles Geliebteste bleiben sollst. Keine Zeit, kein Besitz, kein anderes Weib soll und kann Dir mein Herz rauben, und wenn meine Kräfte nicht hinreichen, Dich zu verdienen, so soll Niemand wenigstens meinem Willen etwas vorzuwerfen haben. Wenn ich bedenke, was jedes ver

gezeichnet durch innige Empfindung, in Gesangbüchern erhalten. Eschenburg war überhaupt mehr kritisch-historischer, als productiver Natur, und als gelehrter Fachordner gewissermassen ein prägnant ausgeprägter Typus des braunschweiger Literaturkreises, in welchem, selbst einen Lessing, Zachariae, Leisewitz und Campe nicht ausgenommen, die Forschbegier die Productionslust überwog, und oft sogar beeinträchtigte.

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nünftige Mädchen, das sich einem Manne in die Arme wirft, thut, aufopfert und wozu es sich verbindlich macht: so scheinen mir die Pflichten eines gewöhnlichen Mannes gegen eine gewöhnliche Frau äusserst schwer; und wenn es nun gar ein Mädchen wäre, wie Du!

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Lass uns also getrost unser Schicksal verbinden; wenn wir nicht glücklich würden, so wäre es eine höchst traurige Sache, ein Mensch zu sein. Wahl, Ueberlegung, Tugend und Liebe hülfen zu nichts. Aber sie helfen gewiss.

Am Montage bin ich gewiss in Deinen Armen, und ich hoffe, früh zu kommen.

Adieu, meine Beste, adieu, Mädchen oder Weib, Du bleibst ewig meine Geliebteste!

Dein Leisewitz.

Henri Murger.

Eine literarische Skizze.

Am 31. Januar 1861 bewegte sich durch die langen einförmigen Strassen, welche zu dem grossen Kirchhofe des Montmartre in Paris führen, ein einfacher, aber von zahlreichen Leidtragenden gebildeter Leichenzug. Er kam aus einem Krankenhause des Faubourg St. Dénis, nicht einem jener aus Gemeindemitteln oder der Privatmildthätigkeit erhaltenen Hospitale, in denen der Arme einen Zufluchtsort findet, sondern aus dem mit allem Confort, allem Luxus ausgestatteten Krankenhause eines bekannten Arztes, in dem nur bemittelte Kranke, welche daheim der nöthigen Pflege zu ermangeln glauben und sich der unmittelbaren Obhut des Arztes anvertrauen wollen, Aufnahme zu suchen pflegen.

Aber der, welcher diesmal in dem trefflich eingerichteten Hospitale Linderung in seinen letzten Leiden gefunden, und den die Freunde jetzt zur Ruhestätte geleiteten, war kein Reicher, es war ein armer Schriftsteller, Henri Murger, so arm, dass er von dem Tage an, wo das Schicksal ihn auf das Krankenlager warf, der öffentlichen Mildthätigkeit anheim gefallen wäre, hätten sich nicht auf die erste Nachricht von seiner Krankheit die Börsen aller seiner Freunde unaufgefordert geöffnet. Und er hatte zahlreiche Freunde in allen Kreisen, namentlich in dem, welchem er selbst angehörte, der Pariser Schriftstellerwelt, in diesem letzteren mehr als irgend ein anderer. Er verdankte diese allgemeine Beliebtheit, welche,

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