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die Dinge zusammenhängend auf ihr Wesen gegründet sind. Sein innerstes Gesetz ist also Erkenntnis der Existenz und Wahrheit; Zusammenhang der Geschöpfe nach ihren Beziehungen und Eigenschaften. Er ist ein Bild der Gottheit; denn er erforscht die Gesetze der Natur, die Gedanken, nach denen der Schöpfer sie verband und die er ihnen wesentlich machte. Die Vernunft kann also ebenso wenig willkürlich handeln, als die Gottheit selbst willkürlich dachte").,,Mit diesem Leitfaden, so nimmt er sich vor, durchwandre ich das Labyrinth der Geschichte und sehe allenthalben harmonische göttliche Ordnung. Selbst ein Gott könnte es nicht ändern, ohne dass er die Wesen der Dinge, mithin sich selbst zerstört"). „Wer aber mit Vernunft die Geschichte liest, dem wird auch sie, ein so klares Buch der Gesetze Gottes wie sein Leben; eine mit tausend Fehlern und Verirrungen versuchte Auflösung des grossen Problems menschlicher Humanität und Glückseligkeit unter allen Völkern, in allen Zeiten“).

In diesem Buch der Gesetze Gottes" liest er nun und legt sich die Geschichte für sein passiv sich labendes Gemüt zurecht. Da dies ein Gottesdienst ist, wird uns seine priesterliche Sprache nicht befremden. Wie in einem ,,Sonnentempel" geht er seinem ,,erhabensten Geschäft“ nach, erforscht er den Plan,,der himmlischen Vernunft"). Um den Stil erhabener zu gestalten, muss Gott seinen Namen hergeben. Anschaulich, metaphorisch redet er so vom Schöpfer, der die Pflanze baute), von der Mutter Natur, die den Menschen schuf), voir der grossen Mutter, die allenthalben compensirt hat. Künstlerisch heben will er die Schilderung, wenn er von der Natur sagt: „Denn auf der ganzen Erde hat die Natur durch nichts so dauernde Uuterschiede gemacht, als durch Gebirge. Hier sitzt sie auf ihrem ewigen Thron, sendet Ströme und Witterung aus, und verteilt so wie das Klima, so auch die Neigungen, oft auch das Schicksal der Nationen").

Hingerissen von der in der Natur herrschenden Zweckmässigkeit schreibt er über die Menschen:,,Hier erzog sie

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solche mit mütterlicher Hand und hatte um sie gelegt, was vom ersten Anfange an die Bildung ihres künstlichen Menschencharakters erleichtern konnte"1).

Voll Bewunderung über das Walten Gottes in der Natur, durchbebt vom Gefühl seiner Nähe, ruft er aus: ,,Grosser lebendiger Geist der Erde, der du alle deine Gebilde durchhauchst und dich in ihnen freuest und fühlest: du führest auf und zerstörest, verfeinst Gestalten und änderst sie ab, nachdem du die Welt um sie her änderst und verfeinest. Licht ist dein Leib und die Lüfte sind dein Gewand"). Und wiederum schreibt er: „Grosser Vater der Menschen, welche leichte und schwere Lektion gabst du deinem Geschlecht auf Erden zu seinem ganzen Tagewerk auf!") Seiner Dankbarkeit gegen den Schöpfer will er Ausdruck geben, wenn er ausruft:,,Gütige Vorsehung, wie gut hast du es gemacht, dass du uns über den Gang des Menschenschicksals im grossen Ganzen die Augen verbunden hast")!

Wir sehen deutlich, es sind das lauter lyrische Apostrophen eines gottbegeisterten Gemüts. Der stete Hinblick auf Gott soll ihm die Forschung erwärmen; die religiöse Anteilnahme an dem Gegenstand bekunden. Vergessen wir auch nicht, dass Herder immer erziehen, bilden, erbauen will; sein Werk soll daher stets einen angenehmen Gefühlseindruck machen und die Gefühle des Autors im Leser erwecken. So ernst er sich daher vorgenommen, die Welt in ihren Gesetzen empirisch zu erforschen, so ist das für sein warmes Herz ein zu harter und nüchterner Vorsatz. Immer wieder spricht dies Herz, dem doch bei jeder Betrachtung, in jedem Augenblicke nicht gleichmässig zu Mute ist. Darum auch das ständige Flimmern im ungewissen mystischen Licht, wobei jedes Objekt gleichzeitig naturwissenschaftlich und religiös beleuchtet wird. Setzt doch Herder an jedem Punkte der Betrachtung seine ganze Seele ein, die das Objekt liebevoll umfangend, gleichzeitig denken, fühlen, anschauen, geniessen und Gott dienen will. In der pantheistischen Weltanschauung Herders verlangt die Welt ihr eignes Leben, denn sie hat ja ein für alle mal ihre unabänderlichen Gesetze erhalten. Um aber diese Welt zu

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erkennen und zu beschreiben, kann er unmöglich den Geist aus ihr hinaustreiben. Wie Gott in und von der Welt lebt, so bezieht auch Herders Seele von der Aussenwelt ihre Nahrung. Nur der Idealismus der Personalität und der Freiheit, den in sich auszugebären sein Geist so verlangte, nur der hätte ihm mehr inneren Halt, seiner Stellung zur Natur, Freiheit, seiner Geschichtsphilosophie mehr begriffliche Strenge und Methode verschafft, während er so bei einem ,,empirischen Herumtappen" stehen blieb.

Doch sehen wir weiter, welche Surrogate für Gottes Walten in der Geschichte Herder zu gewinnen sucht. Er spricht von einer Stadt Gottes auf der Erde'), von einem Gang Gottes in der Natur"), von der Vorsehung, die sich in der Welt offenbare'), von Licht, Aether, Lebenswärme als dem Sensorium des Allerhöchsten). Allmählich scheint er auch, ohne dass ihm der Widerspruch zu seiner empirischen Tendenz zum Bewustsein kommt, Eingriffe Gottes in den Lauf der Geschichte zu gestatten: So spricht er von der menschlichen Seele, die vom Allgütigen als ein Kind gegängelt wird,,,sie zur Fülle des wachsenden Genusses, im Wahn erworbener Kräfte und Sinne allmählich zu bereiten). Er redet auch von einer Gottheit, welche die Sprache eingesetzt hat; wills jedoch nicht entscheiden wie das geschah, denn bald darauf äussert er: „Sobald der Mensch, durch welchen Gott oder Genius es geschehen sei, auf den Weg gebracht war, eine Sache als Merkmal sich zuzueignen").

Ueberhaupt zeigt sich seine unmethodische Betrachtungsweise am deutlichsten da, wo er über die Anfänge der menschlichen Kultur spricht. Hier besonders glaubt er ein persönliches Eingreifen der Gottheit annehmen zu müssen. Die Elohim haben die ersten Menschen unterweisen müssen, Gott selbst muss dem Menschen Religion und Humanität eingegraben haben). Wie wir uns aber diese Erziehung Gottes zu denken haben, bleibt dahingestellt, denn er schreibt:,,Wie nun aber die Elohim sich der Menschen angenommen, d. i. sie gelehrt,

1) Vergl. A. W. S. Bud. IV, S. 383.

2) Ebenda S. 9, f.

3) Ebenda S. 144, f.

4) Ebenda 172.

5) Ebenda S. 196.

6) Ebenda S. 347, f; S. 358.

7) Ebenda S. 382 und S. 422, f.

gewarnt und unterrichtet haben?

Wenn es nicht eben so kühn ist, hierüber zu fragen, als zu antworten, so soll uns an einem andern Ort die Tradition selbst darüber Aufschluss geben"). So naturalistisch Herder denkt, so restlos er den Menschen in die Gesetzmässigkeit des Weltganzen auflösen möchte, so sucht sein Herz immer noch Surrogate für die besondere Stellung des Menschen im Universum zu gewinnen. Und in dieser Gemütsstimmung ist er geneigt Ausnahmegesetze und eine Art Weltregierung Gotes anzunehmen. Er redet von einer Vorsehung, die auf die Völker wirken wollte") und meint:,,Gut, dass die Vorsehung selbst den Ausschlag gab, und dass mit dem Untergange Judäas die alten Mauern gestürzt wurden, durch welche sich mit unerweichlicher Härte dies sogenannte einzige Volk Gottes von allen Völkern der Erde schied"). Dass ihm diese Vorsehung aber nur einen leisen gefühlsmässigen Schimmer einer Weltregierung bedeutet ersieht man aus dem, was er kurz vorher gesagt hat: ,,So wunderbar es scheint, schreibt er, dass eine Revolution, die mehr als einen Weltteil der Erde betraf, aus dem verachteten Judäa hervorgegangen: so finden sich doch, bei näherer Ansicht, hierzu historische Gründe, da es gewiss ist, dass bei ihren eigensten Anstalten die Gottheit sichtbare Mittel nicht verschmähe, sondern unter den Menschen, menschlich handle").

Halb religiös, halb naturwissenschaftlich webt Herder auch sein Urteil über den Ausgang des römischen Reiches zusammen. „Also bliebe nichts übrig, meint er, als dass die Vorsehung den römischen Staat und die lateinische Sprache als eine Brücke aufgestellt habe, auf welcher von den Schätzen der Vorwelt auch etwas zu uns gelangen möchte“. Doch bald wieder erklärt er: „,,Sie wiegelten alle Völker auf, bis sie zuletzt die Beute derselben wurden und die Vorsehung tat ihrethalben kein Wunder. Lasset uns also auch diese, wie jede andre Naturerscheinung, deren Ursachen und Folgen man frei erforschen will, ohne untergeschobenen Plan betrachten". ,,Das Werk der Vorsehung geht nach allgemeinen Gesetzen in seinem ewigen Gange fort"). Wir sehen, dass Herders Vor

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sehung hier nur eine Art religiöser Gefühlsbetonung der Betrachtung geben soll und keineswegs den natürlichen Geschichtsprozess unterbricht.

Bedenklicher als alle hier angeführten Stimmungsrückfälle Herders, bei welchen er seiner empirischen Geschichtsbetrachtung untreu wird, ist seine teleologische Deutung der Geschichte. Wohl verwahrt er sich öfters gegen jegliche Teleologie. So erklärt er in seinen Gesprächen über Gott:,,Welche Kindheit wäre es, allein und immer zu fragen: warum und zu welchen geheimen Absichten er sich denn wohl also geoffenbaret haben möge? statt der notwendigeren und schöneren Untersuchung: was es denn eigentlich sei, das sich und welchergestalt es sich offenbare? d. i. welche Kräfte der Natur und nach welchen Gesetzen sie in diesem oder jenem Organ wirken?",,Der Naturweise, sagt Herder in demselben Aufsatz, der von diesen Absichten vorerst hinwegsah und eben ,,das verdeckte Gesetz" aufsuchte, durch welches die Sterne vermischt und nicht verwirret,

in eignen Kreisen gehen und nie ihr Lauf verirret, er tat gewiss mehr als der grösste Absichten-Dichter unter den Menschen tun konnte").

Auch in den Ideen verwahrt sich Herder gelegentlich sehr entschieden gegen die Einführung von Zwecken in die Geschichte:,,Die Philosophie der Endzwecke, meint er, hat der Naturgeschichte keinen Vorteil gebracht; sondern ihre Liebhaber vielmehr statt der Untersuchung mit scheinbarem Wahn befriedigt; wie viel mehr die tausendzweckige, in einander greifende Menschengeschichte!")

Bei diesen guten Vorsätzen bleibt er jedoch nicht und kann bei seiner unmethodischen Forschungsweise nicht bleiben. Denn ist die Natur eine Offenbarung Gottes, so wird sie dieser durch seine unendlich weisen und gütigen Gesetze zu sich hinaufbilden. Ausserdem soll bei Herder seiner Problemstellung wie Gemütsverfassung gemäss, alles zugleich naturwissenschaftlich abgeleitet sein und einem ethischen Sinn entsprechen, Tatsächlichkeit und Metaphysik sich durchdringen. Da er der Ethik und Religion keine besondere Sphäre im Innern des Menschen angewiesen, irren sie in der Welt umher und Herder muss sie trotz seiner oben angeführten Grundsätze in

1) Vergl. S. W. S. Bud. XVI. S. 487, 490.
2) Vergl. A. W. S. Bnd. V, S. 202.

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