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auf, und lange noch nach seinem Tode stürmten die Winde; so nahm Rom der Welt auf mehr als ein Jahrtausend den Frieden und eine halbe Welt wilder Völker ward zur langsamen Wiederherstellung des Gleichgewichts erfordert"). Billigkeit ist eine Formel des Gleichgewichts gegen einander strebender Kräfte, auf deren Harmonie der ganze Weltbau ruhet). Ein und dasselbe Gesetz erstreckt sich also von der Sonne und von allen Sonnen bis zur kleinsten menschlichen Handlung: ,,was alle Wesen und ihre Systeme erhält, ist nur Eins: Verhältnis ihrer Kräfte zur periodischen Ruhe und Ordnung". Gewiss hat Herder Recht, dass für den Menschen keine Ausnahmegesetze beansprucht werden dürfen, aber wir möchten hören, wie sich diese Gesetze in dem menschlichen Individuum kreuzen, sich in der Entwiklung der Menschheit darstellen. Wer die allgemeinen und ewigen Elemente des Seins, sich zum Bewusstsein zu bringen vermag, sagt Simmel, muss auch die Form des Individuellen, in der sie sich zusammenfinden, scharf percipiren, weil gerade nur der genannte Einblick in die einzelne Erscheinung die allgemeinen Gesetze und Bedingungen erkenne lässt, die sich in ihr kreuzen"). Sagt uns Herder, dass die Gesetze der Wiedervergeltung, der Nemesis nichts weiter sind als die Gesetze der Bewegung bei dem Stoss des kleinsten physischen Körpers, so ist diese nackte Behauptung eine μετάβασις εἰς ἄλλο γένος. Was erst den Schlusssatz einer langen Kette von Untersuchungen und Beweisen bilden sollte, wird einfach als Tatsache hingestellt und naiv für zutreffend gehalten.

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Wir brauchen hier nicht weiter die Analogiegesetze Herders auf ihren wissenschaftlichen Gehalt zu zergliedern. Ihre psychologische Provenienz ist uns klar. Herder will die scheinbaren Willkürlichkeiten der Geschichte in eine Gesetzmässigkeit auflösen, aber seine Prinzipien reichen dazu nicht aus. Er begnügt sich, da sein ruhebedürftiges Herz nur an einer gesetzlichen Geschichte sich laben und erfreuen kann, die geschichtliche Wirklichkeit mit einem Geflecht von Analogien zu umwinden. Nicht in einem lebendigen Organismus von Gesetzen, deren Erforschung mühselige Analysen erheischen

1) Vergl. A. W. S. Bnd. V, S. 233.

2) Ebenda S. 234.

3) Vergl. Ueber sociale Differenzierung. Sociologische und psychologische Untersuchungen, Lpzg. 1890.

würde, sondern in einem mechanischen Gefüge von Analogien, deren Aufstellung leicht war, fasst sich ihm die geschichtliche Welt zusammen. Freilich wiederholt sich in der Welt das Gesetz der niederen Stufe auch in der höheren, und dies haben schon viele vor Herder behauptet, aber es wiederholt sich auf seine Weise. So hat z. B. Franz Baader die Ethik als eine Art höherer Physik des Geistes darzustellen gesucht, wobei das Eigenartige der geisteswissenschaftlichen Methoden wie der psychologischen Probleme auf seine Rechnung kommt. Analogieprinzip führt Baader in der Tat auf manchen fruchtbaren Gedanken, wobei die Probleme der Natur mit denen der Geisteswissenschaft nicht vermengt werden. Sagt uns hingegen der Pantheist Herder, dass ,,Geist und Moralität auch Physik sind", so wissen wir im voraus, dass es bei einigen mehr oder weniger glücklichen Einfällen sein Bewenden haben wird und dass die Grenzen zwischen Geist und Natur nicht reguliert, sondern verwischt werden.

Hier ist aber der Hauptgesichtspunkt, welcher Herders Stellung zur geschichtlichen Wirklichkeit bestimmend, ihn auf die Analogiegesetze führte. Die sittlich-historischen Begriffe wie Vernunft, Billigkeit, Wiedervergeltung sind ebenso transcendent, ohne Beziehung zum wirklichen Inhalt der Geschichte gefasst worden, wie die allgemeine Analogie zur Natur ohne nähere Zerlegung der geschichtlichen Kräfte, historische Gesetze ergeben kann. Die Analogie wird in Herderscher Anwendung ein inadaequater Massstab der Geschichte; die Gesetze, welche jedes Gebiet der Tatsachen beherrschen, für sich und in ihrem Zusammenhang zu bestimmen, unternimmt der Autor nicht; sie stehen auch zu den praktischen Ausführungen, wie wir später sehen werden, keineswegs im Verhältnis von induktiv gewonnenen Gesetzen. Herder begnügt sich da grösstenteils mit dem allgemeinen Eindruck, den das Zusammenwirken der realen Faktoren auf ihn hervorbringt und den er auf ein einheitliches Grundgeschehen proiciert. Er verschmäht es, — da ich nun einmal kein Zerleger bin, wie er oft betont diese Erscheinungskomplexe selbst erst in ihren Bestandteilen zu zeigen und zu erklären. Es ist ein erstes gesetzmässiges Ergreifen der geschichtlichen Welt in Bausch und Bogen, welches Herder Befriedigung und Glückseligkeit verschaffen soll, da ihm nur eine gesetzliche Geschichte von Gott zeugen kann.,,In dem Gedanken von der Fortentwicklung der Welt zu den Gesetzen göttlicher Notwendigkeit, sagt Kühne

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mann, bauen sich Herder die religiös philosophischen Ueberzeugungen zur Grundlage historischer Betrachtung aus").

(Der Humanitätsgedanke.) Sehen wir uns jetzt die anderen Massstäbe an, welche nach Herder die Geschichtswissenschaft begründen sollen. Wie unklar und verschwommen sind gerade diese Begriffe! Dass er nie in einer begrifflichen Systematik sich über die Massstäbe der Geschichtsforschung klar geworden ist, beweisen die Widersprüche, in die er sich hier verwickelt. Die allgemeinen Schlagworte, welche er als Massstäbe anführt wie Humanität, Freiheit, Glückseligkeit werden in ihrer gegenseitigen Beziehung nie bestimmt und so wird der Humanitätsgedanke viel mehr als psychologisches Motiv der Forschung wie als Massstab der Entwicklung angewandt. Er soll Herders Sympathie für einzelne Völker wie für bestimmte Seiten des geschichtlichen Prozesses teils begründen teils entschuldigen. Dieses Humanitätsideal ist quietistisch; Herder würde es am besten passen, wenn jeder einzelne Mensch, wie jedes einzelne Volk in stiller behaglicher Ruhe nach Anpassung an die klimatischen Lebensbedingungen seines Wohnsitzes verharrte.

Denn was heisst Humanität? Soll es nur die Anlage zur Bildung bedeuten, oder ist es die bereits erreichte Bildung des Kulturmenschen? Es heisst beides! Sie soll jeder Stufe der Menschheit entsprechen, so dass auch die Wilden Humanität besitzen, und wieder soll sie ein noch zu erreichendes Ideal der Menschheit sein. So bricht der Massstab nach zwei Seiten auseinander, aber Herders Gemüt ist damit sehr zufrieden. — Denn hören wir, wie er diesen Massstab findet. Der Zweck einer Sache, meint er, die nicht bloss ein totes Mittel ist, muss in ihr selbst liegen: Wären wir dazu geschaffen, um wie der Magnet sich nach Norden kehrt, einem Punkt der Vollkommenheit, der ausser uns ist und den wir nie erreichen könnten, mit ewig vergeblicher Mühe nachzustreben, so würden wir als blinde Maschinen nicht nur uns, sondern selbst das Wesen bedauern dürfen, das uns zu einem tantalischen Schicksal verdammte, indem es unser Geschlecht bloss zu seiner, einer schadenfrohen, ungöttlichen Augenweide schuf"). Nun hat aber der Mensch, sagt Herder an einer anderen Stelle, kein

1) Vergi. Kühnemann's Einl. z. d. Ideen, S. 16.
2) Vergl. A. W. S. Bnd. V, S. 207.

edleres Wort für seine Bestimmung, als er selbst ist, in den das Bild des Schöpfers unsrer Erde, wie es hier sichtbar werden konnte, abgedrückt lebet. Um seine edelsten Pflichten zu entwickeln, dürfen wir nur seine Gestalt zeichnen"). Und Herder malt nun das Idealbild des Menschen aus, als da sind: aufrechter Gang im Gegensatz zu den Tieren, dann Friedlichkeit, Wohlanständigkeit, Vernunft, Sprache und als höchste Würde nennt er die Religion. Dieser Humanität nachzuforschen, erscheint ihm als die echte menschliche Philosophie. Sie offenbart sich in allen Sphären des Geistes, im Umgange ebenso wie in der Politik, in Wissenschaft nicht minder wie in den Künsten. Herder sucht sie überall, bei den wildesten und kultiviertesten Völkern, alle werden vor dem Richterstuhle des reinen Menschentums verurteilt oder gelobt. Er nimmt hierbei das Wort: „Kultur" in dem weitesten Sinne, um auch an ihren kleinsten Spuren bei den Naturvölkern sich freuen zu können. „Auch der Kalifornier und Feuerländer, sagt er, lernte Bogen und Pfeile machen und sie gebrauchen, er hat Sprache und Begriffe, Uebungen und Künste, die er lernte, wie wir sie lernen; sofern ward er also wirklich kultiviert und aufgekläret, wiewohl im niedrigsten Grade. Der Unterschied zwischen aufgeklärten und unaufgeklärten, zwischen kultivierten und unkultivierten Völkern ist also nicht specifisch, sondern nur gradweise. Das Gemälde der Nationen hat hier unendliche Schattierungen, die mit den Räumen und Zeiten wechseln; es kommt also auch bei ihm, wie bei jedem Gemälde, auf den Standpunkt an, in dem man die Gestalten wahrnimmt. Legen wir den Begriff der europäischen Kultur zu Grunde, so findet sich diese allerdings nur in Europa; setzen wir gar noch willkürliche Unterschiede zwischen Kultur und Aufklärung fest, deren keine doch, wenn sie rechter Art ist, ohne die andre sein kann, so entfernen wir uns noch weiter ins Land der Wolken. Bleiben wir aber auf der Erde und sehen im allgemeinsten Umfange das an, was uns die Natur, die den Zweck und Charakter ihres Geschöpfes am besten kennen musste, als menschliche Bildung selbst vor Augen legt, so ist dies keine andre als die Tradition einer Erziehung zu irgend einer Form menschlicher Glückseligkeit und Lebensweise. Diese ist

1) Vergl. A. W. S. Bnd. IV, S. 151, f.

allgemein wie das Menschengeschlecht, ja unter den Wilden oft am tätigsten, wiewohl nur in einem engern Kreise").

So denkt sich Herder die Humanität als eine Idee, die bei jedem Volke zur Erscheinung kommt, bei jedem in besonderer Weise; dagegen eine Bewegung der Geschichte auf ein Ziel hin, deutet er in sehr vagen Ausdrücken an. Er ordnet die Völker isolirt neben einander ohne Rücksicht darauf, dass die Geschichte vor allen Dingen ein Nacheinander und Auseinander der Geschehnisse sei. Nur indem Herder in der Geschichte die Tradition wirksam findet, das Humanitätsideal in die Zukunft rückt, legt er die einzelnen Völker als Momente einer historischen Bewegung fest. Freilich auch diese Tradition, die sich lebendig durch die Jahrhunderte schlingt, wird nie definirt. Sie bedeutet einesteils ein Weitergehen in der Bildung durch Erziehung und Sprache, andernteils bildet sie sich in eine starre Tradition um und zeugt von der Stagnation aller Bewegung, endlich fungirt sie auch als Stimme Gottes und wird so der fortbildenden Kraft der Geschichte entgegengesetzt.

Herder sucht in dem reinen Menschentum ein ethisches Ideal für die Geschichte zu gewinnen, denn so sehr er von seinem Pantheismus aus den Menschen in den allgemeinen Naturgang einfügt, so verlangt sein Herz doch eine besondere Stellung für den Menschen. So schreibt er einmal: ,,Müde und matt von allen Veränderungen des Erdenrundes nach Gegenden, Zeiten und Völkern, finden wir denn nichts auf demselben, das der gemeinschaftliche Besitz und Vorzug unsres Brudergeschlechts sei? Nichts als die Anlage zur Vernunft, Humanität und Religion, der drei Grazien des menschlichen Lebens" lautet die Antwort!

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Eine Kette der Kultur zieht sich nach Herder in sehr abspringenden krummen Linien durch alle Nationen. In jeder derselben bezeichnet sie zu- und abnehmende Grössen und hat Maxima allerlei Art. Die Geschichte hat diese Maxima zu berechnen, er selbst fängt damit an: ,,Bei den Chinesen wars eine feine politische Moral: bei den Indiern eine Art abgezogener Reinheit, stiller Arbeitsamkeit und Duldung: bei den Phöniziern der Geist der Schiffahrt und des handelnden Fleisses. Die Kultur der Griechen, insonderheit Athens, ging auf ein Maximum des sinnlich Schönen sowohl in der Kunst als

1) Vergl. A. W. S. Bnd. IV, S. 341.

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