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3. Der entwicklungsgeschichtliche Gedanke Herders in
praktischer Ausführung:

a. die Ideen zur Philosophie der Geschichte der
Menschheit als Herders Lebenswerk und als Ganzes
gewürdigt

b. die Geschichte der Griechen

c. die Geschichte der Römer.

d. die Geschichte des Mittelalters

C. Schlussgedanke: Herders entwicklungsgeschichtlicher Gedanke in seiner Bedeutung für die Geschichtswissenschaft

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Anmerkung: Wir citiren Herders Werke nach der Ausgabe von Bernhard Suphan: Herders sämmtliche Werke, Berlin 1877-1889. Da jedoch die Ideen in dieser Gesamtausgabe noch nicht vollständig erschienen sind, führen wir sie nach der kleinen Ausgabe an: Herders Ausgewählte Werke, Berlin 1884-1901; sie ist ebenfalls von Suphan besorgt. Beim Citiren bedienen wir uns folgender Kürzungen:

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Sämmtliche Werke Suphan.

A. W. S. Ausgewählte Werke Suphan.

A.

Einleitung.

Massstäbe der Entwicklungsgeschichte.

Entwicklung ist ein solcher Verlauf unter sich kausal verbundener Ereignisse, durch welchen die im Vorgang angelegten zielstrebigen Wachstumsmöglichkeiten in kontinuirlichen Stadien gesetzmässig zur Erfüllung gelangen Entwicklung setzt demnach immer etwas voraus, was sich entwickelt, worin Inhalt und Gesetz der Entwicklung zum voraus enthalten ist. Dieses apriorische Prinzip der Entwicklung aber muss von ihrem geschichtlichen Prozesse wohl unterschieden werden.

Das geschichtliche Leben der Menschheit wäre für uns sinnlos, wenn wir ihm überhaupt keine Gesetzmässigkeit und Zielstrebigkeit unterlegen könnten. Derjenige hätte die Geschichte nur oberflächlich betrachtet, in dessen Augen sie einem blossen Aufrollen von bunten Bildern, einem zufälligen Verketten von Ernst und Witz gliche. Vielmehr muss auch hier hinter der bunten Fülle der Erscheinungen die bewegende Kraft als Prinzip der Entwicklung stehen, zu dem vorzudringen des Geschichtsforschers letzte Aufgabe ist: ein geistiges Selbst, das unsern eigenen Wesenskern bildet, muss hinter den besonderen durch Lage und Umgebung bedingten Tätigkeiten stehen; es muss aus der Bewegung dieser Tätigkeiten ein bleibender Kern herausgezogen werden, der sich im Verlauf der Geschichte auswächst und so allererst die Höhe seines eigenen Wesens erreicht').

Nur so gewinnen wir auch für die Geschichte eine Stelle in dem System der Wissenschaften. Denn philosophische

1) Vergl. R. Eucken: Grundbegriffe der Gegenwart, 2. Auflg. S. 93..

oder wissenschaftliche Auffassung ist nichts anders, als die Begründung jedes Gebietes auf die ihm eigentümliche Methode im System der Wissenschaften.

Die Art nun in welcher dem menschlichen Bewusstsein der Inhalt der Geschichte lebendig wird, ist wesentlich durch zwei Fragen bestimmt, die der Mensch durch die geschichtliche Wirklichkeit beantwortet wissen will. Er fragt entweder: was ist der Sinn der Geschichte? oder welches sind die Bedingungen ihrer Entwicklung?

sagen

Die Stellungen des Menschen zur geschichtlichen Wirklichkeit lassen sich im allgemeinen auf drei typische Gemütspositionen und drei ihnen entsprechende Methoden zurückführen, die nichts anders sind als drei in Gedanken ausgedrückte Arten, die Geschichte zu erleben. Wir absichtlich:,,typische", nicht ,,historische" Gemütspositionen, denn Comte selbst hat über die positive Methode deutlich genug gesagt, dass er nur die vorherrschende Richtung innerhalb der Entwicklung so charakterisiert und dass die Anlage zu allen drei Denkarten in gewissem Masse ursprünglich vorhanden und in gewissem Masse alle drei stets neben einander wirksam sind1). Es sind dies die theologisch-providentielle, die ideologisch-metaphysische und die die positiv-realistische Methode.

1. Die theologisch-providentielle Methode nimmt ihren Ausgangspunkt von Gott aus. Der Sinn der Geschichte ist die Rückkehr des gefallenen Menschen zu Gott. Der Verlauf des geschichtlichen Prozesses ist eine fortschreitende Erziehung des Menschen durch die Vorsehung auf jenes Ziel hin. Ein göttlicher Plan und Fortschritt sind die ordnenden Prinzipien, welche diese Methode in die geschichtliche Wirklichkeit hineinträgt. Indem sie jedoch einen ausserweltlichen Massstab an die geschichtliche Wirklichkeit anlegt, wird sie der Eigenart des Stoffes, den sie erklären will, nicht völlig gerecht.,,Die Geschichte, sagt Wundt treffend, ist zwar ein Gebiet, das die fortwährende Erzeugung ethischer Werte zu seinem eigensten Inhalte hat; sie ist aber auch ein Gebiet, auf dem jede Erscheinung neben dem absoluten Wert, den wir an einem unserer eigenen sittlichen Ueberzeugung entsprechenden ethischen Ideale messen, unmittelbar noch einen

1) Vergl. Bernheim: Lehrbuch der geschichtlichen Methode, 3. Auflg. 1904, S. 652.

relativen Wert hat, denjenigen nämlich, der ihr als einem notwendigen Moment der geschichtlichen Entwicklung zukommt. Dieses relative ist nun zugleich das einzige geschichtliche Wertmass. Denn es ist ja die Aufgabe der Geschichte, die Erscheinungen nicht isolirt zu betrachten, sondern in ihren kausalen Verbindungen und Wechselwirkungen"). Uebrigens erkannte schon Goethe die Mängel der theologisch-providentiellen Methode, wenn er sagt: Mir auf meiner einsamen Warte, ist abermals aufgefallen, dass man vom moralischen Standpunkte aus keine Weltgeschichte schreiben kann. Wo der sittliche Massstab passt, wird man befriedigt, wo er nicht mehr hinreicht, bleibt das Werk unzugänglich, und man weiss nicht, was der Verfasser will).

2. Sehr nahe in methodologischer Hinsicht steht der providentiellen Geschichtsauffassung die ideologisch-methaphysische. Sie betrachtet die Geschichte der Menschheit als Verwirklichung metaphysischer Ideen, oder eines einzigen metaphysischen Prinzips. In der Ideologie Hegels hat diese Geschichtsbetrachtung ihre schroffste Ausbildung erfahren; an ihr lassen sich auch am leichtesten ihre Mängel aufzeigen. Die Geschichte ist für Hegel ein stufenweises nach bestimmten Gesetzen sich entwickelndes Werden, in welchem sich der absolute Geist offenbart. Bleibt irgend etwas, was zum Begriff des dialektischen Prozesses der Ideen gehört, im Gang der Ereignisse unausgeführt, so beweist dies eine Unvollkommenheit der Geschichte. Auch diese Methode also sucht die Geschichte mehr oder weniger a priori zu konstruiren. ,,Der Verlauf der Geschichte, sagt Lotze, ist die grosse furchtbare und tragische Schlachtbank, auf welcher alles individuelle Glück und Leben geopfert wird, damit die Entwicklung der allgemeinen Idee der Menschheit von statten gehe. Und hiermit ist in der Tat der wesentliche Unterschied ausgesprochen, welcher diese Ansicht von der vorigen trennt, mit der sie sonst so vieles gemein hat. Wer von Erziehung spricht, will natürlich nicht einen Begriff erziehen, sondern das Lebendige, das dieser Begriff nur bezeichnet und benennt, und das allein einer Entwicklung sich freuen kann. Diese Teilnahme für ein erreichbares Gut, welches die Geschichte verwirk

1) Vergl. W. Wundt, Logik II, 2, S. 419 (1895).

2) Vergl. F. X. Wegele: Goethe als Historiker, Würzburg 1876, S. 24.

lichen soll, und für ein Reich von Wesen, welches das Glück dieser Verwirklichung geniessen könnte, haben wir jetzt abgetan, oder sollen es lernen, sie der Verehrung einer blossen Begriffsentfaltung aufzuopfern“).

3. Die dritte Untersuchungsmethode der Geschichte: die positiv-wissenschaftliche nimmt ihren Ausgangspunkt von dem geschichtlichen Stoffe selbst. Weder in der Offenbarung heiliger Bücher noch in den luftigen Höhen der Spekulation sucht sie die Lösung des geschichtsphilosophischen Problems. Indem sie sich eng an den Stoff anschliesst, ist sie doch weit entfernt, die Herrschaft über ihn zu verlieren und das wahre Ziel jeder wissenschaftlichen Arbeit: in einem streng systematischen Begriffsnetze alle Seiten des Objektes einzufangen, zu verfehlen. Das wissenschaftliche Ideal wie das Bewusstsein der Ueberlegenheit des Menschen über die Wirklichkeit liegt eben weder in einem Ueberfliegen derselben noch in einem Sichverlieren im Stoffe, sondern da, wo die wissenschaftlichen Begriffe den Stoff zwar meistern, aber nicht vergewaltigen.

Die positiv-wissenschaftliche Methode konstruirt nicht und spekulirt nicht, sie geht vielmehr allen kausalen Verknüpfungen und Zusammenhängen des geschichtlichen Prozesses nach, sucht möglichst lange Entwicklungsreihen in ihrer Gesetzmässigkeit herzustellen, um so den ewigen Fluss der Geschichte sich zu verdeutlichen. Den Entwicklungsphasen im Familienleben, in Staat und Gesellschaft, Stand und Klasse folgt sie nicht minder wie den Erscheinungen des religiösen Lebens, der Kunst und Wissenschaft, welche insgesammt das Leben der Völker offenbaren. Indem diese Methode den breiten Strom der Geschichte in einzelne Wasseradern teilt, einzelne Entwickelungsreihen aufstellt"), wobei jede einer bestimmten Seite des Völkerlebens entspricht, kommt sie zur schärferen Erfassung des inneren Getriebes der Entwicklung. Der Mensch im Grossen, sagt Kuno Fischer, ist die Menschheit auf der Höhe einer ihrer Entwicklungsstufen,

1) Vergl. H. Lotze: Mikrokosmus, 4. Auflg. Lpzg. 1884-88, III, S. 33. 2) L'esprit essentiel de cette méthode historique proprement dite me paraît consister dans l'usage rationel des séries sociales, c'est-à-dire dans une appréciation successive des divers états de l'humanité, qui montre l'accroissement continu de chaque disposition quelconque, physique, intellectuelle, morale ou politique.

Vergl. dies Citat aus Comte in Bernheims: Lehrb. d. hist. Meth. S. 655.

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