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Kotzebues Peru-Dramen und Sheridans Pizarro.

Ein Beitrag zur Geschichte

der Beziehungen zwischen deutscher und englischer Litteratur.

Von

Dr. Leopold Bahlsen.

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So paradox es auch klingt es ist eine leicht zu erweisende Thatsache, dafs im ganzen Verlaufe unserer an bedeutenden Erscheinungen doch so reichen Litteratur keiner den Ruhm des deutschen Theaters weiter in die Welt hinausgetragen als August v. Kotzebue, und dies in einer Zeit, wo die Namen eines Goethe und Schiller am Dichterhimmel glänzten, wo Lessings grofses Beispiel Nacheiferung weckte, und wo die ersten Schöpfungen des jugendlichen Heinrich v. Kleist dem deutschen Drama einen neuen Klassiker verhielsen. In sämtliche europäische Sprachen übersetzt, 1 in schnellem Siegeszuge die Bühnen sich erobernd, wurden Kotzebues Schauspiele überall auch Amerika wollte nicht zurückstehen mit einem bis dahin an deutschen Werken ganz unerhörten Beifall aufgenommen und verschafften ihrem Dichter weit über die deutsch redenden Länder hinaus Ansehen und Einflufs. 2 Noch heute, wo zwar die englische Kritik nicht mehr wie einstens über die Frage streiten würde, ob und inwieweit die Bezeichnung Kotzebues als eines deutschen Shakespeare Berechtigung habe, noch heute gilt dieser so viel

Im Britischen Museum (London) finden sich englische, französische, russische, italienische, spanische, schwedische, dänische, holländische, ungarische und neugriechische Übersetzungen Kotzebuescher Stücke.

2 Es war gewifs keine Übertreibung, wenn Chamisso sagte, dass ihm auf seiner Reise um die Welt mit Kotzebues Sohne der Name des Vaters überall entgegengekommen sei.

Archiv f. n. Sprachen. LXXXI.

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verlästerte Mann im Auslande für eine der Koryphäen der deutschen Litteratur.

Und im eigenen Lande? Unter seinen mehr als zweihundert Stücken ist auch nicht ein einziges, das die Nation noch jetzt mit Stolz, ja nur mit Achtung nennt; vielmehr im Gegenteil: eine solche Nacht der Vergessenheit, ein solcher Aschenregen der Verachtung ist über ihn gesunken, dafs selbst nicht zu leugnende Vorzüge seiner Dramen darüber aus dem Gedächtnis der Lebenden entschwunden sind. Ich wage zu behaupten (und es gehört schon ein gewisser Mut dazu, heute noch in Deutschland für diesen Mann eine Lanze zu brechen): Kotzebue hat ein solches Schicksal in seinem Vaterlande nicht verdient. Weit entfernt, in die überschwenglichen Lobeserhebungen einzustimmen, mit denen ihn einst eine beifalljauchzende, urteilslose Menge überhäufte, kann ich mich doch nicht entschliefsen, jene hämische und einseitige Kritik zu billigen, welche ihn nicht tief genug herabwürdigen kann und die niedrigsten Epitheta als eben passend findet, seinem Namen Gesellschaft zu leisten. Wahr ist es, dafs von diesem vor nunmehr hundert Jahren am deutschen Theaterhimmel aufgegangenen Gestirn nicht immer das reinste Licht ausgestrahlt worden, dafs Kotzebue, indem er einem verderbten Geschmack leider nur allzusehr Rechnung getragen, durch sein Auftreten und seine wachsende Beliebtheit eine wenig glorreiche Epoche in der Geschichte des deutschen Dramas bezeichnet. Allein was man auch immer gegen ihn als Menschen und Dichter wird vorbringen können eine unbefangene Kritik mufs zugestehen, dafs er entschiedenen Beruf für die Bühne, genaue Kenntnis der theatralischen Wirkung und eine höchst fruchtbare und blühende Einbildungskraft besafs, dafs er vor allem auf dem Gebiete des Lustspiels recht Erfreuliches geleistet und Typen geschaffen hat, die in gleicher Weise echt komisch und wahrhaft volkstümlich waren.

Wenn wir in vorliegendem Essay eine Seite seiner dramatischen Thätigkeit ins Auge fassen, die nicht eben seine stärkste ist, seine „rührenden Dramen", 1 so möge der Umstand als Recht

1 A. W. v. Schlegel hat in seinen Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur (2. Ausgabe III, 416) diese Bezeichnung eingeführt

fertigung dienen, dafs vorwiegend sie es gewesen sind, welche seinen Ruhm im Auslande begründeten.

Es liegt im Charakter der Komödie, wenigstens jener Art bürgerlichen Lustspiels, wie es in Deutschland durch Kotzebue gepflegt worden, dafs der Inhalt ein mehr nationaler, die Handlung eine auf heimischem Boden sich abspielende, lokale Sitten getreu darstellende sei. Dies war der Grund, weshalb selbst ein Molière, Moreto, Goldoni und Holberg, trotzdem oder vielmehr weil sie wirklich grofse Komödiendichter waren, nicht zu eigentlich universaler Bedeutung gelangen konnten. Das ernste Drama kann seine Gegenstände freier wählen und Situationen darstellen, die von allen Völkern verstanden, Empfindungen ausdrücken, die von jedem Menschenherzen gefühlt werden.

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Bei Kotzebue kam noch ein besonderer Umstand hinzu, seinen „rührenden Dramen" so schnell eine allgemeine Verbreitung und Beliebtheit zu verschaffen. Jene Richtung der Empfindsamkeit und Gefühlsschwärmerei, wie sie im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in der erzählenden Litteratur durch Goethes Werther, in der dramatischen durch Kotzebues Menschenhafs und Reue" ihren charakteristischsten Ausdruck gefunden, ging als eine, wenn ich so sagen darf, internationale Strömung so ziemlich durch alle Völker und Litteraturen Europas; und ihr hatte der deutsche Vielschreiber um so bereitwilliger nachgegeben und gehuldigt, je mehr er sich hierfür in seinen eigenen Anlagen prädisponiert fand.

Und neben dieser Sentimentalität und durch sie erzeugt und genährt, war es in der bunten Mannigfaltigkeit der damals vorherrschenden Gefühle und Tendenzen ein gewisser philanthropischer Zug, der sich auch in der Poesie bemerkbar machte und in den idealen Bestrebungen jener Menschenfreunde zu Tage trat, welche sich der aus der Gesellschaft Ausgestofsenen, der Unglücklichen und Heiden liebevoll und werkthätig annahmen. Da es Mode war, wollte auch Kotzebue sich als Philanthropen zeigen und unternahm es, die edle Mission eines Abbé de l'Epée zum Gegenstand eines rührenden" Trauerspiels zu machen und

und p. 419 f. eine gute Charakteristik dieser sogenannten rührenden Dramen geliefert.

in einem anderen dramatischen Zeitgemälde den Gegnern des Negerhandels an die Seite zu treten.

Die eben charakterisierte Richtung war wie sehr auch Ereignisse wie die Blutthaten der französischen Revolution dagegen kontrastierten durchaus vorherrschend, und die ernste Stimme der Zeitgeschichte konnte höchstens den Effekt hervorbringen, dass man, da Europa zu einem Idealreiche des Weltfriedens und der Brüderlichkeit fürs erste nicht ganz geeignet schien, seine Sympathien den in der Wildnis ferner Zonen lebenden Völkern zuwandte, ihren rohen Naturzustand als den der wahren Glückseligkeit pries und jene Neger, Kamtschadalen und Südsee-Insulaner als wahre Ausgeburten an Tugend und Edelsinn schilderte. In Kotzebues „Negersklaven", welches Stück nach des Verfassers eigenen Worten bestimmt war, alle die fürchterlichen Grausamkeiten, welche man sich gegen unsere schwarzen Brüder erlaubte, in einer einzigen Gruppe darzustellen, findet sich deutlich genug die Wahrheit ausgesprochen und ad oculos demonstriert: „Wir Wilden sind doch bessere Menschen!" Diesen Gedanken besonders scharf hervortreten zu lassen, diese Idee zu vollkommenster Darstellung zu bringen, dazu konnten jene stumpfsinnigen Bewohner des schwarzen Erdteils nicht gerade den geeignetsten Stoff bieten; auch an dem Volke Sibiriens oder Kamtschatkas, dessen Bekanntschaft wir in Kotzebues „Graf Benjowski" machen, war nicht viel zu idealisieren. So verfiel er denn auf die Geschichte eines untergegangenen stolzen Geschlechtes, eines Volksstammes in Südamerika, dessen eigentümlich tragisches Geschick von jeher das Interesse und die Teilnahme der Nachwelt gefunden und wiederholt von Schriftstellern, mehr oder weniger poetisch ausgeschmückt, verherrlicht worden war: er schrieb seine Peru-Dramen „Die Sonnenjungfrau" und „Rollas Tod".

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Es war also gewifs nicht einzig und allein die zufällige Anregung in Pyrmont, der, wie Kotzebue in der Vorrede zur Sonnenjungfrau näher ausführt, jene Dramen ihre Entstehung verdankten, und dieses eigene Zeugnis des Dichters ist für uns nur insoweit von Bedeutung, als es über die Quelle orientiert, aus welcher er geschöpft hat. Er nennt als solche eine Naumannsche Oper „Cora"; sie ist heute vergessen, mufs aber da

mals recht beliebt und von grofser Bühnenwirkung gewesen sein. Ihr Komponist, Johann Gottlieb Naumann, war aus Sachsen an den Hof Gustavs III. von Schweden berufen worden, und dieser kunstsinnige Fürst soll ihm den Plan zu einer dreiaktigen Oper „Cora“ mitgeteilt und den Sekretär Adlerbeth in Stockholm mit Abfassung des Librettos betraut haben.

Das Werk erschien ziemlich gleichzeitig in schwedischer, deutscher und italienischer Bearbeitung und hat mir in einer 1780 von der Dykischen Buchhandlung in Leipzig veranstalteten Folioausgabe vorgelegen. Das Süjet stammt übrigens aus Marmontels Les Incas, ou la destruction de l'empire du Pérou“, einem sehr anziehend geschriebenen Romane, welcher, mit einer Widmung an König Gustav, bereits 1777 erschienen war und nachmals zahlreiche Auflagen erlebt hat. Kotzebue hat dies Werk wahrscheinlich erst nach Abfassung der Sonnenjungfrau kennen gelernt und später zu dem zweiten seiner Peru-Dramen als Quelle benutzt.

Auch die Naumannsche Oper hat ihm nichts weiter als die Handlung in ihren allgemeinsten Umrissen geliefert, die Geschichte jener holden Peruanerin, die, dem Dienste der Sonne geweiht, in ihrer Liebe zu dem Spanier Alonzo de Molina das Keuschheitsgelübde jener Vestalinnen des Sonnentempels gebrochen hat, zu qualvollem Tode verurteilt, aber schliesslich, indem das Naturgesetz über die religiöse Tradition triumphiert, vom Inka begnadigt und dem Geliebten in die Arme geführt wird.

Was in dem deutschen Schauspiel jener einfachen Fabel noch hinzugefügt worden, ist Kotzebues eigene Erfindung: Rolla, ein tapferer Feldherr der Peruaner, sieht seine Liebe zu Cora verschmäht und flüchtet sich mit seinem Schmerze in die Einsamkeit der Wildnis. Dort sucht ihn der Oberpriester auf und entdeckt ihm, dafs er selbst einst eine Sonnenjungfrau geliebt habe, und dafs Rolla jener Vereinigung entsprossen, er selbst (der Oberpriester) also sein Vater sei. Ist es dieser Umstand, der -ihn gegen Coras Fehltritt, wovon er inzwischen Kenntnis erhalten, nachsichtiger macht, oder ist es sein in den lichtesten Farben geschilderter Edelsinn und der Wunsch, die Geliebte glücklich zu sehen, kurzum, er führt selbst Cora in die Arme des begünstigten Rivalen und dringt an der Spitze bewaffneter

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