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Ulrich von Singenberg,' worin er sagt: „Eine Witwe nahm einen Mann, zur Hochzeit kamen viele Ritter und Frauen. Als der Bräutigam kam, begann der Streit, wie sie die Braut schmücken sollten. Zuletzt band sie ihren Kopfschmuck selbst" dieses Gedicht, das an Zwistigkeiten zu erinnern scheint, die 1220 bei der Wahl Heinrichs in Frankfurt ausbrachen, ist schon „dunkel, wie nur eine echte Allegorie sein kann“. 3- Dieselbe Dunkelheit herrscht in einem gleichfalls wohl auf König Heinrichs Regierung zu beziehenden Spruche desselben Dichters,' wo es heifst : Der König wird den Königsnamen in Ehren halten, wenn seine Pfleger ihn dazu anhalten. Wird er selbständig, so lohne er ihren Rat und strafe seine Feinde!5

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So sagt der Hardegger: Nicht Mörder, Strafsenräuber, Königs Hafs, Strafe seitens der Fürsten, nicht Grafen, Freie, Dienstmannen hemmen „meine Fahrt", die ich, wenn auch ungern, thun mufs. Was das für eine Fahrt sei, läfst sich wohl vermuten, aber eine bestimmtere Angabe, auf die man die Vermutung v. d. Hagens von einer Fahrt nach Welschland im Dienste des Kaisers gründen könnte, sucht man vergebens.

In einem Gedichte des wilden Alexander 8 liest man: Ein Hirte band seinen tollen Hund los, so dafs viele Schafe geschoren und gebissen auf dürrer Heide gehen; ein Licht erlosch hierauf zu Mainz, und ein Adler flog traurig zurück; doch tröstete ihn, dafs in Pülle eine listige Schlange starb; der Rhein erwarb der Elbe Minne zu Braunschweig; der Wolf in Schwaben freute sich der Missethat, dafs in Bayern ein stätisches Maultier auf unrechtem Pfade geht. So scharfsinnig die Vermutungen v. d. Hagens zur Deutung der historischen Beziehungen in dem Spruche sind, es bleiben Vermutungen, und Sicherheit läfst sich gegenüber so dunklen Andeutungen nicht erreichen. Dieselbe Dunkelheit herrscht bei dem wilden Alexander anderweitig, 10

Walther 106, 24 ff. Dem Ulrich von Singenberg zugeschrieben von Wackernagel - Rieger S. XV ff. gegen Lachmann, der die Strophe Walthers nicht unwürdig fand. Vgl. Menge S. 30 f. 2 Wilmanns, Ausg. S. 368. 3 Menge S. 30. 4 Wilmanns, Ausg. S. 367. 5 Walther 106, 31. 6 MSH II, 134 (II, 12). 7 MSH IV, 446. 8 MSH III, 27 a, Str. 4.

9 MSH IV, 665 f. 10 MSH III, 27 a, Str. 5 und 6; 30a, Str. IV, 1; vgl. IV, 666.

wenn er von dem Winde erzählt, der gegen die starke Burg Zion anstürme, dafs die Wände krachen und die Wächter in steten Sorgen sind; diese Wächter sollten aber getrost sein, denn Christus, der Wind und Wellen gebot, werde ihr fester Turm sein.

Auch der Schulmeister von Efslingen kann mit seinem Vorwurf wegen leerer Verheifsungen und unbelohnter Verdienste König Rudolf meinen; aber auch hier sind die Andeutungen viel zu allgemein gehalten, als dafs sich eine so specielle Beziehung erweisen, liefse.

Auch des Kanzlers Klagen, dafs Pfaffen und Laien nirgend Sicherheit vor geistlichen und weltlichen Gerichten fänden, dafs Pfaffenfürsten Waffen führten, statt der Stola ein Schwert lassen sich an keine bestimmte historische Thatsache anknüpfen.

Wie anders Walther, wenn er die gleiche Klage erhebt: „die pfaffen striten sêre, doch wart der leien mêre" 3 u. s. w., worin die Worte si bienen, die si wolten und niuwet den si solten" sich auf den vom Kardinallegaten am 29. Juli 1201 über Philipp und seine Anhänger verhängten Bann beziehen. So knüpft Walther unmittelbar und allen verständlich an die gegebene historische Thatsache an und macht dadurch auch den tiefsten Eindruck auf seine Hörer, während in der anderweitigen politischen Lyrik des dreizehnten Jahrhunderts mehr und mehr ein dunkler Rätselton herrschend wird, eben darum aber auch die Frische und Unmittelbarkeit des Eindrucks auf die Zuhörer schwindet, woher es sich auch erklärt, dafs die Wirkung der politischen Lyrik auf die Zeitgenossen nach Walther nicht sehr lebendig gewesen ist.

Nur etwa die Zeitgedichte auf Rudolf von Habsburg bringen die Hoffnungen der Zeitgenossen, die sich an die Erwählung des Habsburgers zum deutschen Könige knüpften, das endliche Aufatmen nach der kaiserlosen, der schrecklichen Zeit unverhüllter zu unserer Kenntnis. Aber auch in ihnen wird die Kunst und die nachhaltige Wirkung Walthers nicht einmal annähernd erreicht, weil sich der Charakter der Gelehrsamkeit allzusehr breit macht.

I MSH IV, 432. 2 MSH II, 389 b. 3 8, 4. 1 Vgl. Pfeiffer zu

Nr. 81.

Soll die Bedeutung einer Begebenheit dargelegt werden, so fängt man an, Vergleiche mit dem Alten Testamente zu ziehen. So kommt Meister Boppe in seinem oben 2 erwähnten Lobgedichte auf Kaiser Rudolf bei Karl dem Grofsen und von da bei den Königen und Propheten des Alten Testaments an. Nicht minder gesucht läfst Konrad von Würzburg in Rudolf den Adler von Rom über Habicht und Falken zu Osterland und Steier, über Raben und Geier zu Pülle, über den Löwen von Böhmen triumphieren; alle haben derartige Gleichnisse und Beziehungen als die höchste Aufgabe oder das glänzendste Hilfsmittel der Dichtkunst behandelt.3 Daher denn auch die mehr und mehr sich verflüchtigende Einwirkung auf ihre Zeitgenossen, weshalb von keinem auch nur annähernd wie von Walther von der Vogelweide gesagt werden kann, dafs er Tausende dem Papste abwendig gemacht habe“. Eine so hervorragende Einwirkung auf die Zeitgenossen zu üben und sein Volk für immer von der „simonîe“ und „giezie“ Roms zu befreien, war erst der gewaltigen Stimme der wittenbergischen Nachtigall" vorbehalten.

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So weit die Charakteristik der politischen Lyrik des dreizehnten Jahrhunderts.

Demnächst müfsten die didaktischen Dichtungen mit den in ihnen enthaltenen politischen Beziehungen in die Untersuchung hineingezogen werden; so erhielte man, mit Scherer1 zu reden, eine Art Barometer des patriotischen Nationalgefühls der Deutschen im dreizehnten Jahrhundert.

Als Resultat der Untersuchung ergiebt sich folgendes:

1) Walther von der Vogelweide ist der erste uns bekannte politische Lyriker in deutscher Sprache. Seine politische Dichtung beruht auf derjenigen der Fahrenden, wie sie wahrscheinlich schon längst volkstümlich war. Sein Verdienst ist es aber, diese politische Dichtung der Fahrenden an die Höfe versetzt zu haben.

I, 349.

Gervinus II, 141. S. 41. 3 Gervinus II, 141. Dtsch. Studien

2) Voll vaterländischer Gesinnung preist Walther die Herrlichkeit von Kaisertum und Vaterland und beklagt die Zerrüttung des Reiches. Anhänger des Kaisers, bekämpft er das Papsttum und die aufstrebende Territorialmacht der Fürsten. Er geifselt die Mifsbräuche des geistlichen Standes; selbst ritterlichen Standes, lobt er dessen Vorzüge, jedocht nicht ohne inneren Widerspruch.

Gänzlich fehlt in seinen vaterländischen Gedichten eine Verherrlichung kriegerischer Thaten.

Seine politischen Dichtungen sind hervorgegangen nicht aus blofsem Streben nach Lohn, sondern aus seiner inneren Überzeugung, die er mannhaft und mutig ausspricht, zum grofsen Teil aus einer bestimmten politischen Veranlassung; sie sind also recht eigentlich Gelegenheitsgedichte und gerade deshalb, sowie wegen ihrer kurzen, epigrammatischen, sich dem Gedächtnis leicht einprägenden Form, von hervorragender Wirkung.

3) Die politische Lyrik nach Walther ist wenig original und beruht häufig auf blofser Nachahmung seines Vorbildes. Das von Walther angestimmte Lob auf Kaiser und Vaterland verstummt, und die schon von ihm erhobene Klage über des Reiches Zerrüttung wird ständig wiederholt, wohl nicht infolge besonderer Morosität und Tadelsucht der Dichter, sondern der Wirren und Not der Zeit. Wie Walther stehen auch die übrigen politischen Lyriker in dem Kampfe zwischen Kaiser und Papst auf seiten des Kaisers, jedoch nicht ohne Ausnahme: manche schwanken, einige stehen auch auf seiten des Papstes; wie Walther erkennen fast alle die Notwendigkeit einer starken kaiserlichen Gewalt an und tadeln das selbstsüchtige Anstreben der Fürsten gegen den Kaiser; wie Walther eifern fast alle wider die Mifsbräuche des geistlichen Standes. Gegenüber Walther und seiner unbestimmten Stellung in betreff der Wertschätzung adliger Geburt beginnt sich bei den Epigonen das bürgerliche Element mehr zu fühlen; der Grundsatz natürlicher Gleichberechtigung gelangt zu unbedingter Anerkennung, und der adlige Stand wird heftig angegriffen. Wie bei Walther fehlt auch bei den Epigonen Verherrlichung kriegerischen Ruhmes.

Mut und Kraft der Überzeugung, ein Vorzug der Waltherschen Sprüche, tritt bei den Epigonen, deren politische Stellung

Archiv f. n. Sprachen. LXXXI.

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fast durchweg vom Eigennutze bestimmt wird, in den Hintergrund. Nicht mehr Ausdruck unmittelbarer Empfindung, sondern erkältender Reflexion, entbehrt ihre Sprache mehr und mehr der Natürlichkeit, und Künstelei tritt an ihre Stelle. Daher schwindet die zündende Kraft Waltherscher Beredsamkeit, ihre populäre Wirkung, ihr nachhaltiger Eindruck auf „Tausende" mehr und mehr dahin.

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