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im Alamodisch Technologischen Interim 1675, S. 499 Molières mit Hochachtung; für Christian Weise, der gleich dem französischen Dichter auf die lebendige Charakterzeichnung und Naturwahrheit das Hauptgewicht legte, bedürfen wir noch einer Untersuchung seiner Quellen; als der Verfasser des Schelmuffsky, der Leipziger Student Christian Reuter, 1695 wegen seiner satirischen Komödie „Die ehrliche Frau zu Plissine" vor das Universitätsgericht gefordert wurde, verantwortete er sich, nicht die Beschwerde führende Witwe Anna Rosine Müller habe er beleidigen wollen, sondern er habe seinen Stoff meist aus dem Molière genommen". Und mit Recht konnte er sich, was Zarncke in seiner ergebnisreichen Monographie 2 übersehen hat, auf die „Précieuses ridicules" berufen, aus der er gerade die Haupthandlung entlehnte. Bekundete Reuter in diesem und in seinen folgenden Lustspielen ein beachtenswertes Talent für die Charakteristik und die gelungene Auffassung komischer Motive, so machte ein gleichzeitiger, unter dem Pseudonym Haloander schreibender Autor seinem Vorbilde Molière wenig Ehre. Sein 1696 erschienenes Opus, 3 welches mit dem Verfasser des Schelmufsky in Verbindung zu stehen scheint, ist eine rohe und schmutzige Dramatisierung eines kurz zuvor veröffentlichten französischen Pasquills auf den einflussreichen Beichtvater Ludwigs XIV., François de La Chaize d'Aix (1624-1709). In der

1 R. Köhler, Jahrbuch der deutschen Shakespearegesellschaft 1, 406. 2 Abh. der sächs. Ges. d. Wiss. 9, 492-194. 508. 607. Zarncke nennt Reuters Stück eine Komödie ganz in Molières Manier und Zuschnitt, zieht aber nur den Bourgeois gentilhomme zur Vergleichung heran. [Nachträglich hat er, wie ich erst jetzt ersehe, im Litterarischen Centralblatt 1884 (34), 1171 auch auf die „Précieuses ridicules" hingewiesen.]

3 Der vertrackte Jesuit und | Intriguen-Macher | P. LA CHAISE ¦ Königlicher Frantzösischer | Beicht-Vater, in einer lustigen | COMOEDIE, Darinnen über die jenigen Intri- guen so von ihm in seinem unlängst her- ausgegebenen Leben zu finden, noch meh- | re und neuere | Liebes-Staats-Practiquen nebst andern anmuthigen Erfindungen | enthalten; Aus dem Frantzösischen nach der | Teutschen Redens-Art | eingerichtet, und auff Begehren vorgestellet | Von | HALOANDER || Cölln,| Gedruckt bey Peter Marteau, 1696. | 9 Bl. +418 S. 120. Exemplar in Berlin. Fünf Akte in Prosa.

Diese Histoire du Pere La Chaize Jesuite & Confesseur du Roy Louis XIV. benutzte ich in einer Nouvelle edition augmentée, die 1696

Vorrede verteidigt er sein Unternehmen mit dem Beispiele der Komödie [Tartuffe], welche ehemahls zu Parifs auff Anstifftung des Mr. le Prince der bekannte Molière auff den P. La Chaize spielen müssen, darinnen sein Naturel und die gantze Lebens-Art unter den Nahmen des Betrügers gar artig verstecket worden.“ Allein mit Molières Feinheit ist die grobe und nicht selten lüsterne Ausmalung aller liederlichen und schurkischen Streiche des Jesuitenpaters gar nicht zu vergleichen. Von einer inneren Verknüpfung der Handlungen, einem planmäfsigen Aufbau ist nicht die Rede. Am erträglichsten, weil naturwahr, sind einige Scenen, welche Leute niederen Standes in charakteristischen Äufserungen vorführen. Wiederholt flucht der betrunkene Narr des Königs Marcolfus (V, 14) wie Schelmufsky: „Der Tebel hol mer." S. 399 ein Lied mit dem studentischen Refrain Rundadinellula". Der Autor entschuldigt sich ausdrücklich, dafs er beliebter Kürze halber nicht alle losen Stücke seines Helden ausführlich abgehandelt und dafs er in Vorstellung derer unzüchtigen Affecten unsers Paters manchmahl einige Redens-Arten oder andre Dinge, welche keusche Ohren verletzen und fromme Hertzen touchiren könten“ (und er leistet darin das Mögliche), vorgebracht habe. Ob eine 1729 zu Hamburg gedruckte dreiaktige satirisch-moralische Tragödie" von Haloander, Der demasquirte Macarius betitelt, über die Person unseres Autors Licht verbreitet, vermag ich nicht zu sagen; Goedeke1 übersetzt ohne weiteres seinen Namen in Salzmann; vielleicht war das Stück eine Satire auf die Wolfenbütteler Oper 2 desselben Jahres: „Der flüchtige Macarius." In der Tendenz sind mit der Komödie von 1696 mehrere in den nächsten Jahren herausgekommene Satiren auf Vorgänge am französischen Hofe zusammenzuhalten: „Des grofsen Ludwig neues Liebesverständnis mit Madame de SaintTrou. Paris 1696. 129." Chr. Schröter, Eröffnetes SchauSpiel von dem verdienten Fall des Hertzogs von Anjou. 1706. 4o.

unter derselben fingierten Verlagsfirma „Cologne chez Pierre Marteau“ erschienen ist. Ein zweiter Teil ebenda 1695 (Berlin). Eine deutsche Copey war nach Haloander schon 1694 veröffentlicht worden.

1 Grundrifs2 3, 357 nach Gottsched, Nöt. Vorrat 1, 305.

2 Gottsched 1, 306. Fehlt bei Chrysander, Jahrbücher für musikal. Wissensch. 1, 278.

„Der von Printz Eugenio und Duc de Marlebourg curirte Ludovicus XIV. Siegeland 1707. 40. „Des Königs von Franckreich und so genandten Printzen von Wallis kluges und närrisches Lust- und Trauer-Spiel, 1708,“ 2 und „Ludewigs des grofsen Königs in Franckreich Trauerklage... nach Uebergab der Vestung Ryssel... in einer Opera vorgestellet, 1709, 40" 3 Für diesen von Frankreich ausgehenden Hang zu Pasquillen in dramatischer Form liefern uns die bekannten Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans, welche mit gesundem Urteile und unverhohlenem Interesse ihren deutschen Verwandten von den Leistungen der französischen Bühne berichtet, einen weiteren Beleg. Wie sie am 18. Oktober 16986 erzählt, hatte ihr Halbbruder, der zwanzigjährige genial-liederliche Raugraf Karl Moritz, der sich damals in Paris aufhielt, eine solche Komödie in französischer und eine andere in deutscher Sprache geschrieben, die sie gar nicht übel findet.

Molières Tartuffe und den Pédant joué des Cyrano de Bergerac (1654) setzt Christian Thomasius in Deutschland als bekannt voraus, wenn er 1688 seinen Lustigen und ernsthaften Monatsgesprächen eine Vorrede „à messieurs monsieur Tarbon et monsieur Bartuffe", soll heifsen Barbon und Tartuffe, die Abbilder eines Pedanten und eines Heuchlers, voranstellt und einen berühmten Auftritt aus dem Tartuffe durch ein Kupfer illustriert. 7

1 Gottsched 1, 262. 277 f.

2 Gottsched 1, 279. Exemplare auf der Leipziger Stadtbibliothek und in Weimar.

3 Gottsched 1, 282. Vgl. „Das eroberte Rissel" im Nürnberger Repertoire Nr. 154 (Jahrbuch der d. Shakespearegesellschaft 19, 153). 4 Vgl. auch Zarncke, Chr. Reuter S. 480.

5 Die Molière betreffenden Äufserungen findet man bequem in den Registern zu Hollands trefflicher Ausgabe (Stuttgarter litterar. Verein 1867. 1871. 1874. 1877. 1879. 1881), ferner sind die Briefe an die Herzogin von Hannover bei L. v. Ranke, Sämtliche Werke 13, 108. 176. 276 (1870) zu vergleichen.

6 So, nicht 1699, ist wohl bei Holland a. a. O. 1, 117 f. 181 zu lesen. 7 Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus 1, 296 f. 319 (1845), wo aber Bergerac mit Balzac verwechselt wird. Für diesen Hinweis habe ich Herrn Professor Dr. Creizenach zu danken.

Beilage.

Französische Einflüsse auf das deutsche Schauspiel vor 1700. Wenden wir zum Beschlusse den Blick einmal von den immerhin beachtenswerten Nachahmungen Molières hin zur Betrachtung der übrigen französischen Bühnenwerke, welche auf das deutsche Schauspiel bis zum Ende des 17. Jahrhunderts einen erkennbaren Einfluss ausgeübt haben. Auch eine knappe Übersicht einiger teils bekannten, teils noch nicht beachteten Thatsachen kann bei dem Mangel an tiefer schöpfenden Arbeiten über die nicht immer erquickliche Geschichte des Dramas im 17. Jahrhundert für weitere Studien nutzbringend sein. Als bibliographisches Hilfsmittel mufs dabei noch immer Gottscheds schon öfter angeführter Nötiger Vorrat zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst (1757-1765) in erster Linie benutzt werden; denn Goedeke, welcher in seinem unschätzbaren Grundrifs" dem Drama des 16. Jahrhunderts die eingehendste Sorgfalt zuwandte, liefert auch in der neuen Auflage für das folgende Säkulum nur einen unvollständigen, wenn auch berichtigten Auszug aus dem Werke seines Vorgängers. Über Einzelheiten auf diesem Gebiete ins Klare zu kommen, erfordert oft mühsame Nachforschungen auf den deutschen und ausländischen Bibliotheken.

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Für die Abhängigkeit der mittelalterlichen Passions- und Fronleichnamsspiele von den französischen Mystères ist besonders Mone' lebhaft eingetreten; indes sind hier noch viele Vorfragen, besonders chronologischer Art zu erledigen, ehe man das entscheidende Wort sprechen kann. Für die deutschen Behandlungen der Geschichte Josephs hat kürzlich A. von Weilen nachgewiesen, dafs die romanischen Dramen desselben Inhalts nirgends vorbildlich gewirkt haben. Die Fäden, welche das Meisterstück der altfranzösischen Komödie, die Farce vom Advokaten Pathelin, mit Reuchlins epochemachendem lateinischem Lustspiele „Scenica progymnasmata" (1498) verknüpfen, hat sich Herman Grimm in einem geistreichen, aber zu sehr anfechtbaren Resultaten gelan

Schauspiele des Mittelalters 1, 47. 2, 27. 164 (1846).

2 Der ägyptische Joseph im Drama des 16. Jahrhunderts (1887).

genden Essay zu entwirren bemüht. Dafs von einer eigentlichen Abhängigkeit nicht die Rede sein kann, legt K. Schaumberg 2 dar, welcher auch das Luzerner Neujahrspiel in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts setzen will. Ein ebenfalls aus Luzern stammendes Fastnachtspiel vom Jahre 1592, von dem sich nur die Inhaltsangaben der Akte und das Verzeichnis der Rollen erhalten haben, ist nach der überzeugenden Darlegung von Holthausen 3 eine ziemlich treue Bearbeitung einer allegorischen Dichtung von Nicolas de la Chesnaye, welche 1507 unter dem Titel La condamnacion de Bancquet erschienen war und eine Gerichtsverhandlung gegen das personifizierte Trinkgelage, im deutschen Stücke Convivium genannt, enthielt. Fast gleichzeitig verdeutschte der Bremer Schulrektor Nathan Chyträus Theodor Bezas biblisches Schauspiel Abraham sacrifiant (1550), und zwar direkt aus dem französischen Originale, nicht aus einer lateinischen Version. Leider ist es mir nicht gelungen, sein Werk auf den öffentlichen Bibliotheken ausfindig zu machen. Nach dem Leipziger Ostermefskataloge 1595 Bl. Djb war es betitelt: „Ein Herrlich, Christlich vnnd Anmütige Tragoedi von Abrahams Opffer aufs dem Frantzösischen Gedicht Theodorici Bezæ verteutschet durch Nathanem Chytraeum Sampt einem zusatz etlicher neuwer Christlicher Gesäng. Herbornae bey Christoff Raben. 120," Es ist kein zufälliges Zusammentreffen, dafs Chyträus kurz zuvor wegen calvinistischer Neigungen hatte aus Rostock weichen müssen und dafs er in der Folgezeit verschiedene theologische Werke aus dem Französischen übersetzte.

H. Grimm, Fünfzehn Essays. Erste Folge (3. Aufl. 1884), S. 497 bis 514: Das Luzerner Neujahrspiel und der Henno des Reuchlin (1854 geschrieben).

2 Zeitschrift f. neufranzösische Sprache und Litteratur 9, 1-47: Die Farce Patelin und ihre Nachahmungen. Vgl. die Nachträge.

3 Germania 31, 110-115; vgl. R. Brandstetter, Zeitschr. für deutsche Philologie 17, 347-365.

4

Vgl. darüber J. de Rothschild zum Mistère du Viel Testament 2, XLIX. Timm, der im Rostocker Gymnasialprogramme von 1882, Nr. 577 des Chyträus Ludi literarii sciographia abgedruckt und ein Verzeichnis seiner Schriften beigefügt hat, giebt S. VII den Titel: „Abrahams Opffer mit andern geistlichen Comedien, aus dem Französischen. Herborn 1595. Vgl. die Nachträge.

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