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Der Jüngling bejahte die Rede des Vaters. Aber, fügte er hinzu, warum nimmt uns die Natur so schnell den schönen unvergleichlichen Gesang der Nachtigall? Ift es doch, als ob sie nur einige Tage gesungen hätte!

Ungenügsamer, antwortete lächelnd der Vater. Machst du es doch nach der Weise der meisten Menschen. Muß denn das Schönste, was uns der Himmel spärlich ertheilet, nur dazu dienen, um uns gleichgültiger und kälter zu machen gegen das Schöne und Gute, das er in reichem Maße uns spendet?

Nicht gleichgültiger, lieber Vater - erwiederte der der Mensch hat alsdann nur einen höhern

Jüngling
Maßstab empfangen
Höchsten streben?

und soll er denn nicht nach dem Soll er nicht das niedere Schöne schäzen, aber das Höchste verehren und lieben? - Soll ihn nicht die Achtung des Schönen zur Verehrung des Schönsten geleiten?..

Wohl! mein Sohn, sagte der Vater ich stimme dir bei. Ich redete auch nur von der Weise der Menschen, wie sie zu sein pflegt, nicht aber von der menschlichen Weise, wie sie sein sollte.

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Du warest gerührt, fuhr der Vater fort, über den ernsten und hohen Gesang, den die Natur diesem zarten Geschöpf anvertraute. Die Dichtung des kindlichen Alterthums, daß die Seele eines geliebten Sängers der Urwelt in das kleine Thier übergegangen sei, deuchte dir Wahrheit, *) denn jeder Ton schien dir Empfindung und Gedanke - alles die höchste Vollendung in seiner Art.

O, wohl, mein Vater, erwiederte der Jüngling je näher man der Natur ist, und je mehr sich unser Herz ihrer Sprache öffnet, um desto leichter begreift man auch das kindliche Wort der einfachen Urwelt!

Und nachdem du ste nun mehrere Wochen gehört hattest, sagte der Vater da hörtest du sie zwar gern und mit Freuden, aber doch nicht mit jener Empfindung - dein Entzücken erlosch allmählig — du hörteft gleichgültiger nicht wahr, mein Lieber, war es nicht so?

Der Jüngling bejahete es und sah den Vater befremdet an.

Der Vater aber lächelte und sprach: Diese Frage war nicht, wie du zu glauben scheinest, überflüssig. Um uns eines richtigen Urtheils über das, was außer uns ist, be= wußt zu werden, müssen wir vorher einen richtigen und hellen Blick in uns selbst gethan haben. Würdest du vielleicht nicht allmählig ganz aufgehört haben, das Große, Schöne und Rührende dieses wundersamen Gesanges zu empfinden?

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*) Nach Plato ging die Seele des Thamyris in eine Nachtigall über.

Aber, fiel der Jüngling dem Vater in das Wort die Lerche erfreut uns doch den ganzen Frühling und Sommer hindurch mit ihrem freundlichen Liede.

Wohl! mein Sohn, erwiederte jener, das Schöne ist ein Bedürfniß des Menschen. Darum ließ uns die gütige Natur es niemals daran fehlen. Aber das Schönste, das Vollendete, ist etwas Heiliges — es foll zu dem Himmlischen uns leiten, dessen Ausfluß es ist

und darf nicht gemein und entweihet werden. Des= halb verlieh sie uns jenes immer - dieses aber er= scheint uns seltener, damit wir es in unsere Seele aufnehmen. Nicht wahr, jest in dieser Morgenstunde ist dir der Gesang der Nachtigall eben das in der Empfindung, was er dir an jenem ersten Tage in der Wirklichkeit war?

Der Jüngling winkte dem Vater freundlichen Beifall und beide wandelten lange schweigend neben einander.

30.

Polykarpus.

Das Reich der Wahrheit.

Der vortreffliche Polykarpus, Bischof zu Smyrna, hatte, als die Verfolgung überhand nahm, die Stadt verlassen und sich in der Nähe von Smyrna auf das Land begeben mit seinem treuen Jünger Crescens. Als nun der Abend kühl ward, ging er hinaus unter die

Schatten der herrlichen Bäume, die vor dem ländlichen Hause standen. Hier fand er Crescens unter einem Eichenbaum, und er stüzte sein Haupt auf seine Hand und weinete.

Da trat der Greis hinzu und sprach: Mein Sohn, was weinest du? Crescens aber erhob sein Haupt und sprach: Wie sollt' ich nicht trauern und weinen? ich gedenke des göttlichen Reiches auf Erden. Stürme und Ungewitter versammeln sich um dasselbe, und werden es zerstören in seiner Jugend. Manche Bekenner sind schon abgefallen, und haben es verleugnet und verlästert, und dadurch bewiesen, daß auch Unwürdige es bekennen mit dem Munde, obwohl ihr Herz ferne davon ist. Dieses erfüllt meine Seele mit Trauern und meine Augen mit Thränen. Also sagte Crescens.

Da antwortete Polykarpus lächelnd und sprach: Mein lieber Sohn, das himmlische Reich der Wahrheit ist gleich einem Baume, den ein Ackersmann auferzog. Heimlich und im Stillen legte er den Keim in die Erde und ging davon. Und der Keim sprossete und ging auf unter dem Unkraut und den Dornen, und erhob sein Haupt über ste, und die Dornen erstarben von selber. Denn der Schatten des Baumes über ihnen überwältigte ste. Der Baum aber wuchs, und die Winde brauseten um ihn her und erschütterten ihn. Desto tiefer schlugen seine Wurzeln in die Erde, und umfaßten die Felsen des Erdreichs in der Tiefe, und seine Zweige ragten gen Himmel. Also befestigten ihn die Stürme. - Und als er nun höher ward und seine Schatten sich weithin verbreiteten, da wuchsen die Dornen und das Unkraut wiederum empor unter ihm. Aber er achtete

ihrer nicht in seiner Höhe, und stand da in stiller und ruhiger Gestalt, ein Baum Gottes.

So sprach der unvergleichliche Bischof und schwieg. Darauf reicht er seinem Jünger die Hand und sagte lächelnd: Was kümmert dich, wenn du zu seinem Gipfel emporschaust, das Unkräutlein, das um seine Wurzeln kreucht! Ueberlaß dieß dem, der ihn gepflanzt hat!

Da erhob sich Crescens, und seine Seele ward heiter. Denn der Greis wandelte neben ihm, gebückt von Jahren, aber sein Geist und sein Antlig war wie eines Jünglings.

Der

31.

Die Nachahmer.

Der Frühling war erschienen und die erste Nachtigall sang unter dem Schatten der frischbelaubten Haselstauden. An einen Baum gelehnt horchte Menalkas, der fromme Hirt, ihrem Liede. Da nahete sich plötzlich ein wilder Schwarm von Knaben, und sie stellten sich umher und lauschten eine kurze Zeit. Bald aber sprachen sie unter einander: Nun ist es an uns! Und sie zogen mit Wasser angefüllte Scherben hervor, in der Gestalt eines Vögleins aus rohem Leimen gebacken, woran ein kleines Pfeifchen sich befindet, so den Triller der Nachtigallen nachäffet. Dieses brachten sie an den Mund und bliesen hinein und erhuben ein gewaltiges Pfeifen. Und sie meineten es der Nachtigall gleich zu thun.

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