ページの画像
PDF
ePub

selbst namentlich durch die weltberühmte Herausgabe der Wolfenbüttler Fragmente tiefverwickelt, durch die er sich bittere Anfeindung und sogar ernste Gefährdung seiner Stellung zugezogen hatte. Der heftigste Eiferer gegen ihn war der Hauptpastor Göze in Hamburg. Lessing gerieth auf den Gedanken, den theologischen Streit in das Gebiet der Poesie zu verlegen und durch scharfgezeichnete Charaktere und Individualitäten mit lebhaften Farben anschaulich zu machen, was nach seiner Ueberzeugung wahre Religion und wahre Menschenwürde sei. Insofern erscheint diese Dichtung allerdings als ein Tendenz-. stück im besseren Sinne des Wortes. Die Tendenz ist nämlich eine durchaus sittliche, da Lessing wie bekannt allen seinen classischen Dramen einen ethischen Zweck zu Grunde legte. Ob Lessing im Besonderen auch für die bessere Anerkennung und Beurtheilung des Judenthums dabei wirken wollte, lasse ich als sehr zweifelhaft dahingestellt. Allerdings verfolgte er. schon in dem Lustspiele „Die Juden," welches er im Jahre 1749, also im zwanzigsten seines Lebensalters, dichtete, unzweifelhaft den Zweck, den Vorurtheilen gegen die damals vielfach bedrückten und zurückgesetzten Israeliten entgegenzutreten. Allein unterdess hatten sich mit dem Umfange seiner Lebenserfahrungen und Lebenskämpfe seine Lebensansichten und Lebenszwecke wesentlich erweitert. Nur den Bekennern des jüdischen Glaubens, etwa seinem Freunde Mendelssohn zu Liebe, nützen zu wollen, würde jetzt dem weitschauenden und weitstrebenden Geiste Lessing's eine zu geringe und zu beschränkte Aufgabe gewesen sein. Der in ihm durch die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit seiner Gegner auf dem Gebiete theologischer Polemik erzeugte Plan war höherer und mehr universaler Natur. Ueberhaupt hatte sich Lessing ein Ideal von dem Berufe und von der Kunst des dramatischen Dichtens gebildet, welches ihn im Tiefsten der Seele mit der erhabensten Begeisterung erfüllte, für dessen Verwirklichung er alle Kräfte seines Geistes aufgeregt, alle Liebe seines Herzens erglüht fühlte. Das deutsche Theater zu einer allgemeinen, tiefeingreifenden Bildungsanstalt für höhere Lebensanschauungen, zu einer wahren Hochschule der Menschen- und Sittenkenntniss, des Geschmackes und der Nationalität zu erheben, das war das

1

hohe Ziel, das er mit unermüdeter Rastlosigkeit vorzüglich noch im reifsten Mannesalter zu erreichen strebte. Ideale Geistesrichtung, begeistertes, aufopferndes Streben sind von dem gemeinen stumpfsinnigen grossen Haufen der undankbaren Mitwelt nie erkannt, nie gefördert, noch weniger belohnt, vielmehr stets verkannt, gehemmt, verfolgt und verhöhnt worden. So erging es auch Lessing, der die Früchte seines grossartigen Strebens kaum gesehen, viel weniger genossen hat.

[ocr errors]

Die von ihm tief im Herzen gehegte Grundansicht, dass die wahre Religion weder in geistlosen Formeln und Symbolen, noch in gleichgültigen Gebräuchen und Ceremonien, sondern in innerster Herzenslauterkeit und Gottesfurcht, in reinster Tugendübung und Menschenliebe beruhe, diese Ansicht sollte das Glaubensbekenntniss der gesammten Menschheit für Herz und Leben werden. Diese Wahrheit dem Volke zu predigen, hielt er die Bühne für mindestens eben so geeignet, als die Kanzel. Nathan der Weise sollte von der Bühne herab der Verkündiger dieser einzig wahren Religion und Lebensweisheit werden. Dass diese Religion und Lebensweisheit in höchster Vollendung nicht die irgend einer andern Religionsform, sondern nur eben gerade die des Christenthums ist, hat nicht nur Lessing in seiner Dichtung, sondern auch Jeder, welcher dieser Dichtung und ihrer Darstellung unbedingten Beifall zollt, ganz ausser Acht gelassen. Lessing überträgt die Vertretung seiner Grundidee von dem wahren Wesen der Religion und Religiösität vorzüglich den beiden Hauptcharakteren des Stückes, Nathan und Saladin. Allein beide sind ja nur Erzeugnisse der dichterischen Phantasie, zum Theil philosophischer Abstraction oder Reflexion; keiner trägt das Gepräge historischer oder concreter Wirklichkeit. Nathan ist selbst in der Quelle des Märchens, welches zu dem dramatischen Gedichte Anlass gab, als Melchisedech nichts mehr und nichts weiter als ein schlauer, geiziger und wucherischer Jude. Männer, die immer nur schenken, bis zur Verschwendung schenken u. s. w., möchten doch wohl unter Juden mindestens eben so selten als unter Christen sein. Wäre der edle Moses Mendelssohn das Urbild zu Nathan, so ist es offenbar, dass dieser nur der Geburt nach ein Jude war. Der historische Saladin war schwelgerisch, pracht

liebend, fanatisch, grausam, eroberungssüchtig und ehrgeizig. Die Zuthaten von Einsicht, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Treue und Frömmigkeit, welche er in gewissem Grade und nach türkischem Massstabe wohl besessen haben mag, sind ihm von den phantasiereichen und schmeichlerischen Geschichtsschreibern gewiss als oratorische Epitheta ornantia beigelegt worden. Besass er jene Vorzüge aber wirklich in besonders hohem Grade, so wäre er eine so ausserordentliche Ausnahme, dass Lessing ausser ihm keinen Andern, sowohl in der Geschichte der Vergangenheit als der Gegenwart, würde haben finden können. Die alten Erzählungen von Saladin's Weisheit und Treue sind aber nicht sowohl Geschichte als vielmehr Novellen zu nennen. Kurz Lessing's Nathan und Saladin sind Musterbilder, wie alle Menschen sein sollten. Wenn es nicht ihr Name und gelegentliche Erwähnung verriethen, würde man nicht wissen, wer Jude oder Türke oder Christ wäre. Gerade wie man in dem Lustspiele „die Juden“ in dem Reisenden ohne sein eigenes Bekenntniss und ohne die Aussage seines Dieners Christoph keinen Juden erkennen würde, so ist auch Nathan kein Jude, Saladin kein Muselmann. Sie mussten als specifischer Jude oder Muselmann erscheinen, um zu beweisen, dass das Wesen ihrer Religionsformen mit dem Christenthum im Grunde gleich und dasselbe sei. Nathan und Saladin sind aber Ideale, von denen Lessing das eine einen Juden, das andere einen Muhamedaner sein lässt, Ideale, die unter Juden und Türken nie gelebt haben oder je leben werden. Diese Ideale selbst aber sind nur in und von dem Geiste eines im Christenthume, noch dazu in dem Hause einer edlen ächt christlichen Predigerfamilie erzogenen, in christlichen Schulen und unter christlichen Einflüssen aller Art gebildeten Denkers erschaffen. Kein jüdischer, kein muhamedanischer Dichter hat je die innere Anschauung solcher Urbilder höchster Weisheit und Tugend gehabt. Es ist wahr, Nathan's und Saladin's Aussprüche sind goldene Früchte auf silbernen Schalen, aber die ein christlicher Denker und Dichter einem Juden und einem Türken geliehen hat, um damit die Armuth ihrer aus dem Talmud und dem Koran geschöpften Weisheit zu verdecken und sich mit den glänzenden Schätzen des Evangeliums den Schein eigenen Reichthums und gleicher Herrlich

keit zu geben. Es ist wahr, Nathan der Weise" ist ein Meisterstück der Phantasie und Poesie, das je vom Geiste ächter Humanität eingegeben und geschaffen worden ist. Aber dieser Geist der Humanität, der allgemeinen Menschenliebe und höchsten Menschenwürde, lebt und waltet nur in dem Gottesreiche des Evangeliums, in den weiten Reichen des nichtchristlichen Asien, Afrika, Amerika und Australien hat er nie und nirgends eine Menschenseele beglückt und erleuchtet. ,,Nathan der Weise" selbst, dass er nur und erst unter Christen allein und von einem Christen gedichtet wurde und werden konnte, ist der stärkste und glänzendste Beweis, dass das Christenthum unendlich über allen Religionen, selbst über der des Judenthums und Muselthums, hoch und erhaben ist.

[ocr errors]

Einen grossen Theil oder in der That wohl den grössten Theil seines Ruhmes verdankt „Nathan der Weise" dem Gleichnisse von den drei Ringen. Bei der Aufführung concentrirt sich auch meist nach der Erzählung dieses Gleichnisses die ganze Kraft und Stärke des Beifalls. Auch jetzt noch glaubt Jeder sich in dem Masse als einen grossen Geist und Denker zu documentiren, je tüchtiger er nach den Worten: „So sagte der bescheidene Richter" in die Fäuste schlägt. Er dürfte aber damit gerade das Gegentheil kund thun. So oft ich diesen Beifallssturm ausbrechen hörte, befiel mich stets ein stilles Mitleid über die Unkenntniss und Gedankenlosigkeit des sogenannten gebildeten Publicums.

Das Gleichniss von den drei Ringen hat Lessing nicht selbst erfunden, sondern vielmehr aus dem Boccaccio entlehnt, und zu seinem Zwecke zu dem gegenwärtigen Inhalte und Sinne umgeformt. In der Urquelle dieses Gleichnisses wird der ächte Ring auf das Christenthum bezogen, während die beiden unächten eben dem Judenthume und Muselthume gelten. Der ächte Ring ist der dem Christen gegebene Ring, „der über allem Reichthum der Welt ist." Nach der Quelle des Gleichnisses sowohl als nach der Lessing'schen Darstellung will sich Nathan mit der Erzählung desselben auch nur aus der Verlegenheit helfen, die eine Religion der andern vorziehen zu müssen. Er sucht mit dem Gleichnisse einer bestimmten Antwort auf die an ihn gerichtete verfängliche Frage des Saladin

auszuweichen und den Sultan mehr zu hintergehen als zu belehren. Er sagt ja selbst: „nicht die Kinder bloss speist man mit Märchen ab." Kurz er will ihm nicht die Wahrheit oder seine wahre Ueberzeugung mittheilen. Der einfache offenbare Zweck und Sinn der Erzählung ist: zu erklären, er vermöge nicht zu entscheiden, welches die wahre Religion sei, da alle drei Religionen einander gleich erscheinen. So sehr auch die Beredtsamkeit des dazu ersonnenen Gleichnisses glänzen und blenden mag, so wenig vermag es vor einer strengen Kritik seines Inhaltes zu bestehen und etwa die Ansicht wirklich zu begründen dass alle Religionen an sich einander gleich seien, keine vor der andern den Vorzug verdiene. Ohne alle Einzelheiten des Gleichnisses in's Auge zu fassen, möge hier nur hervorgehoben werden, dass die drei Ringe in der That einander nicht gleich waren, dass der ächte Ring „von unschätzbarem Werthe" wirklich nur Einer war, dessen Edelstein die geheime Kraft besass, vor Gott und Menschen angenehm zu machen, ein Ring, der nur dem geliebtesten Sohne blieb. Nur Einer hat demnach den ächten Ring, die beiden Andern haben gewiss unächte Ringe. Nur soll der ächte, ursprüngliche Musterring nicht erweislich sein, fast so unerweislich, als uns jetzt der rechte Glaube. Auf die drei Religionen angewendet erscheint nun das Gleichniss bei strengerer Prüfung so lahın als irgend eines. Die drei Religionen sind einander keineswegs, weder im Aeussern noch im Innern, so ähnlich, wie zwei einem dritten täuschend nachgemachte Ringe; das Christenthum, der ächte Ring, ist vielmehr durchaus und sehr leicht von den andern beiden Religionen, den unächten Ringen, zu unterscheiden, theils an seinen Dogmen, an seinen gottesdienstlichen Einrichtungen und kirchlichen Gemeindeverfassungen, theils und vorzüglich an den sittlichen Principien, an den Wirkungen und Segnungen im Geist und Leben einzelner Menschen wie ganzer Nationen, so dass sein innerer Werth und seine Aechtheit ganz unzweifelhaft offen am Tage liegt. Ebenso sind Glaubensstifter und Glaubensurkunden so wesentlich und augenscheinlich verschieden, dass man am allerwenigsten sagen darf, Gott der Vater selbst, der den ächten Ring gab und die zwei unächten nachmachen liess, vermöge die ächte Religion von der unächten

« 前へ次へ »