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gethan in die Fülle poetischen Stoffes, er hat, was die poetische Gestaltung des Stoffes angeht, einen kühnen Wurf gethan, dessen Gelingen sein poetisches Vermögen für alle Zeiten in das glänzendste Licht gestellt hat.

Und zwar namentlich aus ersterem Gesichtspunkt, dem stofflichen, schien mir die Wahl der Lenore als Ausgangspunkt für eine weitere Betrachtung der Balladenpoesie angemessen. Der deutlich hindurchblickende und zum Grunde liegende Stoff der Lenore ist nemlich seinem Kerne nach ein in den verschiedensten Variationen poetisch gestalteter Satz der Volkspoesie. Diesen, wie er in Mährchen und Balladen germanischer Völker zu poetischer Gestaltung gediehen ist, vorzuführen, betrachte ich als den wesentlichsten Theil meiner Aufgabe.

Der Glaube, dass Thränen, Todten nachgeweint, auf die Leiche im Grabe niederfallen und ihre Ruhe stören, tritt uns zunächst in deutschen und überhaupt germanischen Mährchen entgegen, z. B. in dem von den Gebrüdern Grimm erzählten Todtenhemdchen, Gr. 109. Eine ganz ähnliche Geschichte erzählte der im vorigen Jahre verstorbne selige Gotthilf H. v. Schubert; sie erschien zuerst in der Knapp'schen Christoterpe. Hier ist es Mutterliebe, die durch ihre Thränen das Kind zeitweise noch einmal in das Leben zurückruft. Umgekehrt rufen Thränen verwaister Kinder die abgeschiedene Mutter zurück in einer schwedischen Ballade: „Herr Ulfver (d. i. Wolfmann) und Frau Silberlind, die noch jetzt in Westgothland und Upland gesungen wird. Wir begegnen allenthalben christlichen Anschauungen, die an die Stelle von ursprünglich zu Grunde liegenden heidnischen getreten sind. Frau Silberlind, die erste Frau des Ulfver, ist im Himmel, im seligen Verein mit den Engelschaaren; da hört sie, wie ihr kleinstes Kindlein so kläglich weint; sie bittet um die Erlaubniss, zur Erde hinabfahren zu dürfen. Die Erlaubniss wird ihr zu Theil unter der Bedingung, dass sie vor dem Hahnenschrei zurückkehre. Aber die durch ihre Zusprache bewirkte Sinnesänderung der Stiefmutter kommt den Kindern nicht mehr zu Gute. Sie gehn mit der Mutter zugleich zum Himmel ein. Ich muss hier zugleich noch erinnern, dass bei einem Lesen von Volksballaden eben nur das epische Element zum Vorschein

kommt, die lyrischen Elemente liegen einerseits in der Weise, andrerseits in dem namentlich den schwedischen Balladen eigenthümlichen, aber auch in deutschen Balladen begegnenden Kehrreime, so genannt, weil er in jeder Zeile wiederkehrt. Die Worte des Kehrreimes stehn ausser Bezug auf die Handlung; und deshalb erscheint es auch angemessen, beim Lesen ihn wegzulassen. Der Kehrreim giebt nemlich den Grundton der lyrischen Stimmung an, in die der Sänger und der Hörer durch die Begebenheit versetzt wird. So erweckt die in dieser Ballade fortwährend wiederkehrende Zeile „So kennen wir Ulf" immer wieder das innigste Mitgefühl mit dem Elende der armen Waisen durch die Erinnerung an den bekannten hartherzigen Charakter des Vaters. Der Kehrreim bekundet als deutliches Anzeichen den Anfang des allmählich fortschreitenden Processes, in dem das lyrische Element von der Starrheit des epischen sich losringt und auch im sprachlichen Laute einen Ausdruck zu gewinnen

sucht.

Die Ballade siehe bei R. Warrens S. 224.

Hier war es Kindes- und Mutterliebe, deren Band Verstorbne an Ueberlebende auch über das Grab hin noch fest zusammenknüpft. Gattenliebe erscheint in derselben Macht in einem Eddaliede, dem zweiten Liede von Helgi, dem Hundingstödter. Es ist dies überhaupt das älteste Lied, in dem die Lenorensage hervortritt. Und gerade deshalb ist es doppelt erfreulich, dass dies Lied zu denen gehört, die in früher Zeit übergeführt wurden in den benachbarten Norden und dort erhalten blieben, während sie bei uns bald verschollen sind. C. F. Köppe urtheilt über die Helgilieder folgendermassen: „An epischer, wahrhaft Homerischer Kraft und Fülle stehn diese Lieder allen andern Dichtungen der Edda voran, andrerseits aber weht in ihnen, namentlich in der Liebe zwischen Helgi und Sigrun eine so unendliche Milde und Tiefe des innigsten Gemüthslebens, dass man nicht weiss, von welcher Seite man diese hohen Gesänge am lautesten preisen soll." Ich erzähle des Zusammenhanges wegen kurz den Inhalt derselben, ehe ich die Strophen mittheile, auf die es hier ankommt.

König Siegmund, Sohn des Wölsung, des Stammvaters des berühmten Geschlechtes der Wölsungen, hatte einen Sohn Helgi.

Dieser war ein grosser Kriegsmann; Unfriede und Feindschaft war zwischen seinem Vater Siegmund und dem König Hunding. Helgi fällte König Hunding und hiess nun Helgi der Hundingstödter. Nun war auch ein mächtiger König, der hiess Granmar; der hatte viele Söhne; der eine hiess Hödbroddr, der war in einer Königsversammlung und liess sich Sigrun, Högnis Tochter, verloben. Das war eine Walküre. Da sie hörte, dass sie von ihrem Vater dem Hödbroddr verlobt sei, ritt sie mit Walküren durch Luft und Meer und suchte Helgi; der sass kampfesmüde unter dem Adlerstein. V. 12 16. p. 170.

Sigrun sucht den freudigen Sieger:

Helgis Hand zog sie ans Herz,

Grüsste und küsste den König unterm Helme.

Da ward der Fürst der Jungfrau gewogen,
Die längst schon hold war von ganzem Herzen
Dem Sohne Sigmunds, eh er sie gesehn.

„Dem Hödbroddr ward ich vor dem Heere verlobt;
Doch einen andern zur Ehe wollt ich.

Nun fürcht ich, Fürst, der Freunde Zorn:

Den alten Wunsch hab ich vereitelt dem Vater."

Nicht wider ihr Herz sprach Högnis Tochter:
Helgis Huld, sprach sie, müsse sie haben,
Helgi.

Hege nicht Furcht vor Högnis Zorn
Noch dem Unwillen Deiner Verwandten.
Du sollst, junge Maid, mit mir nun leben:

Du bist edler Abkunft, das ist mir gewiss.

Darauf sammelte Helgi ein grosses Heer und fuhr gen Frekastein; dort sammelten Granmars Söhne ein Heer, zu dem viel Könige stiessen, darunter Högni, Sigruns Vater und seine Söhne. Da ward eine grosse Schlacht geschlagen und fielen alle Söhne Granmars und alle ihre Häuptlinge; nur Dag, Högnis Sohn, erhielt Frieden und leistete den Wölsungen Eide. Sigrun ging auf die Walstätte und fand Hödbroddr dem Tode nah; sie sprach:

„Nicht wirst Du Sigrun von Sewafiöll,
König Hödbroddr, im Arme hegen.

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Vorbei ist das Leben: das Beil naht,
Granmars Sohn, Deinem grauen Haupt."

Hierauf fand sie Helgi und freute sich sehr. Helgi sprach:

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Nicht alles, Geliebte, ergieng Dir nach Wunsch;

In der Frühe fielen bei Frekastein

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Nie sah ich so grimmigen Kampf;

Zur Erde sanken allermeist

Deine lieben Freunde, in Leichen verkehrt.

Es war Dein Schicksal,

Durch Blut zu erlangen den Liebes wunsch."

Da weinte Sigrun und sprach: „Beleben möcht ich jetzt, die Leichen sind, aber zugleich im Arm Dir ruhn." Aber Helgi ward nicht alt; Dag, Högnis Sohn, sein Schwager, opferte dem Odhin für Vaterrache; da lieh Odhin ihm seinen Spiess; mit ihm durchbohrte er Helgi. Aber Dag ritt gen Sewafiöll und brachte Sigrun die Zeitung. ,,Vortrefflich ist Sigruns Verwünschung ihres Bruders, der ihrem Gatten die Treue gebrochen, rührend schön und von spätern Liedern unerreicht ihr sehnsüchtiges Lob ihres Helden, den wirklich ihr Wunsch herbeizieht." p. 173.

Diesem Liede schliesst sich zunächst eine schwedische Ballade an, in der die Macht bräutlicher Liebe, wie sie über die Schranken des Endlichen hinausragt, einen unendlich schönen Ausdruck gefunden hat. Sie wird jetzt noch in den waldigen Gegenden Westgothlands gesungen. Nach diesem Liede füllt sich der Sarg des verstorbnen Bräutigams mit Blut, weil die Braut blutige Thränen weint. Einen besondern Reiz gewinnt das Lied durch den doppelten Kehrreim: „Ihr freut euch alle Tage" und „Wer bricht das Laub vom Lilienbaum?"

Sie geben die besondre Gefühlsrichtung an, die in dem Liede waltet, und zwar rückt uns der erstere „Ihr freut euch alle Tage" die Freuden und Leiden der Gegenwart vor die Seele, der andre

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Wer bricht das Laub vom Lilienbaum?" scheint in einem lieblichen Bilde die Gewalt des Todes über die Blüthe der Schönheit und Unschuld anzudeuten.

Das Lied hat viel Aehnlichkeit mit dem dänischen Liede von Ritter Age und Else.

Ganz ähnlich muss auch das deutsche Volkslied gewesen sein, das jetzt leider verschollen ist, das aber in der Zeit, wo Bürger seine Lenore dichtete, noch von Mund zu Mund gieng. B. hörte, wie er selbst erzählt, von einem Bauermädchen im Mondschein einige Zeilen davon singen:

„Der Mond der scheint so helle,

Die Todten reiten so schnelle:
Feinsliebchen, graut Dir nicht?"

Das gab Bürger den ersten Anlass zu der Dichtung. Bürger kannte aber sonder Zweifel nicht blos die eben erwähnten Zeilen, sondern die ganze Lenorensage, wie sie in Form eines Gedichtes in ganz Norddeutschland verbreitet war, dann aber aus der poetischen Form sich auflöste, wenige Reime ausgenommen. Ein alter 75jähriger Mann aus Glendorf im Bisthum Münster hat sie folgendermassen erzählt. Der Geliebte geht unter die Soldaten, er wird getödtet und erscheint Nachts vor der Thür seiner Geliebten, wo er leise anklopft. Sie fragt, wer da sei. Din lef is dâr. Sie geht hinaus, setzt sich hinter ihm auf's Pferd und sie sprengen im schnellsten Galopp davon. Nun

sagt der Geist:

De mond de fchint fo helle

De dôden riet fo fnelle,
Fins lêfken grûwelt di ok?

Sie antwortet: wat schall mi gruweln? du bist bi mi. Endlich reitet er auf einen Kirchhof. Die Gräber öffnen sich; Pferd und Reiter werden verschlungen; das Mädchen bleibt zurück in Nacht und Finsterniss. „Sapperment! et schal en wol grûweln," pflegte der Alte hinzuzusetzen. Das Todtenreiterlied findet sich auch im Holländischen. In einem holländischen Blaubartsmährchen nemlich fragt der Herr vom Mordschloss die entführte Jungfrau:

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Der Mond scheint so hell,
Meine Pferdchen laufen so schnell,
Süss Lieb, reut Dich's auch nicht?

Fassen wir das bisher mitgetheilte kurz zusammen, so stellt sich heraus: Zu allen Zeiten haben Sagen und Mährchen erzählt, wie übermässiger Schmerz der hinterlassenen Lieben die Todten

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