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ernsten Scenen heraus zu nehmen und als ein selbstständiges Stück aufführen zu lassen. Tieck glaubte jedoch darauf nicht eingehen zu können, obwohl es ihm späterhin leid that, dass er es nicht gethan hatte.

Einen anderen Grund zum bitteren Tadel und zum Vorwurf gegen Tieck hat man darin gefunden, dass er sich productiv sowohl als auch mit seinen übrigen Studien, abgesehen von denen über Shakspeare, wesentlich dem deutschen Mittelalter und einer katholisirenden Richtung zugewendet, dass er jene Zeit unbillig gepriesen und verherrlicht und diese Stimmung übermässig mit sentimentaler Ueberschwänglichkeit hervorgehoben und gepredigt habe. Diese Punkte bilden die Hauptanklage gegen die Begründer und Jünger der romantischen Schule, in ihnen sieht man die wesentliche Quelle des Verfalles, in den unsere schöne Literatur gerathen sei, und findet die Motive zu dieser verderblichen Richtung in dem personellen Bestreben der Häupter unter den Romantikern, sich der sogenannten classischen Periode gegenüber Stellung und Geltung zu verschaffen. Herr Gödeke, der bei weitem maassvoller als andere Literaturhistoriker verfährt, sagt hierüber: „Die grossen Leistungen Goethe's und Schiller's, sammt denen ihrer Vorgänger und Zeitgenossen schienen auf denselben Grundlagen weder zu übertreffen, noch zu erreichen. Es war daher eine Hauptaufgabe der Schule, andere Basen aufzufinden und vorzugsweise solche, die mit der Classicität sich nicht füglich vergleichen liessen. In diesem Sinne wurden die Werke der fremden Literatur durchforscht, und die Engländer, Spanier und Italiäner, sowie die Dichtungen des deutschen Mittelalters, das ohnehin den Vorstellungen einer hierarchischen Lebensform zu entsprechen schien, in die Gegenwart eingeführt. Dem klassischen Kunstidealismus trat die schwärmerische Begeisterung für die Werke der katholischen Kunst entgegen." Diesem Urtheile lassen sich in Bezug auf Tieck, der doch auch in demselben mitbegriffen ist, zumal in dem späteren besonderen Artikel über ihn und seine Leistungen gar nicht weiter und näher auf diese Seite seiner Werke eingegangen wird, Betrachtungen entgegenstellen, die nicht ungeeignet erscheinen dürften, den Standpunkt der Beurtheilung wesentlich zu verändern.

Die Grundlage Tieck's war, wie bei jedem Dramatiker, eine zwiefache, eine realistische und eine idealistische, und in ihm lebte, wie in

jedem ächten Dichtergemüthe, ein tiefes religiöses Gefühl. Das realistische Element hängt sehr nahe mit der Gabe des Witzes und der Ironie zusammen, denen beiden es zur Grundlage dient, und die Durchdringung desselben mit dem idealistischen schafft den Humor. Dies realistische Element in Tieck ward besonders durch Goethe, Cervantes und Shakspeare genährt, die er schon früh kennen lernte, und das idealistische durch Bibel und Gesangbuch, zu deren früher Lectüre ihn seine Mutter mit Vorliebe anhielt. Wie realistisch der Geist Tieck's war, davon zeugen, trotz des phantastischen Beiwerks, das sie haben, seine frühesten Productionen, Abdallah und William Lovell, und viel klarer noch die später geschriebenen kleinen Erzählungen, welche meistentheils in den Straussfedern zuerst erschienen. Diese Letzteren sind keineswegs,,im Sinne der damaligen Berliner Aufklärung" geschrieben, sondern beruhen alle auf Lösung eines bald bedeutenderen, bald geringeren psychologischen Problems und scharfer Charakteristik der Figuren. Was von dem „,Sinne der damaligen Aufklärung" darin ist, dient der Ironie, welche in allen diesen Erzählungen vorwaltet. Man darf nur die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmund's Leben, Ulrich der Empfindsame, Fermer der geniale“ u. s. w. lesen um sich davon zu überzeugen, dass alle diese Productionen neben dem ironischen einen psychologischen Zweck haben.

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Ebenso wenig wie in der künstlerischen Richtung der damaligen Zeit, konnte sich das realistische Element Tieck's in andern Beziehungen befriedigt finden. Vor Allem drückten ihn die politischen und socialen Zustände seiner Zeit zu Boden. Ueberall sah er Zerfahrenheit, engherzigen Particularismus und Schwäche, überall Entwürdigung und sittliche Erbärmlichkeit ohne irgend eine Aussicht auf ein Besserwerden der verrotteten Gegenwart. Dies tiefe Gefühl, dass es keine Zukunft für das Vaterland gäbe, dass es dem gänzlichen Zusammensturz entgegengehe, ohne dass eine Aussicht auf Rettung vorhanden sei, liess ihn den Blick auf die verschwundene Herrlichkeit des deutschen Kaiserreiches und des kräftigen Mittelalters zurück wenden, welches ihm im vollen Glanze ausgeprägter Eigenthümlichkeit, die er in seiner Gegenwart gänzlich vermisste, leuchtend entgegentrat. Was uns alle jetzt, wenn auch in verschiedenen Nüancen, mit vollem Bewusstsein und nach der Zukunft gerichtetem Blicke bewegt, die Wiederherstellung der deutschen Macht und Grösse, durch Wiedergewinn

der Einheit aus der Zersplitterung, der Wiederaufbau eines deutschen Reiches, das bewegte als ein dunkler Drang, ohne klares Bewusstsein als ein Instinkt, so zu sagen, Tieck's innerstes Herz. Er fühlte, dass es kein Vaterland gab; das realistische Element in ihm forderte aber ein solches und empfand daher die Nothwendigkeit, den vaterländischen Sinn zu erwecken. Dieses Bestreben schärfte sich immer mehr, je trüber und dunkler sich die deutschen Verhältnisse gestalteten und da es nun, seiner Ansicht nach, keine Zukunft gab, so musste man, um eine solche und ein Vaterland zu gewinnen, rückwärts blicken, die Begeisterung für die Macht und Grösse des Mittelalters wieder erwecken, dem versumpften Volksleben durch sie einen neuen Inhalt geben und so das Nationalgefühl zum Bewusstsein bringen. Aus diesem dunkeln, sich selbst nicht klaren Drange entstanden Werke, wie die Genoveva und Sternbald's Wanderungen, in denen die nationale Richtung, die beständige Hinweisung auf das Grosse, Schöne und Tiefe in deutscher Kunst und Art, den Kern bilden, der das Ganze zusammenhält, die Seele, welche das Ganze durchdringt. Es ist bemerkenswerth, dass Tieck's Bestrebungen um die deutsche Literatur des Mittelalters und der Versuch durch Umbildung altdeutscher Gedichte die Theilnahme für die mittelaltrige Poesie wieder zu erwecken mit dem Zusammensturz Preussens beinahe gleichzeitig sind. Im Jahre 1803 erschienen die Minnelieder, 1806 der König Rother, 1812 Ulrich von Lichtenstein. Das lebhafte Gefühl für Vaterland und Nationalität rettete sich gleichsam, als beides scheinbar hoffnungslos in der Gegenwart zusammenbrach, in jene glänzende Vergangenheit und wirkte für diese bis zur Illusion einer möglichen Wiederherstellung der zerbrochenen alten Form. Da Tieck aber ganz richtig fühlte, dass dies nur erreicht werden könne, wenn auch zugleich der religiöse Sinn auf das Neue kräftig erwache, und sah, dass dies mit der flachen, seichten Aufklärerei seiner Zeit unmöglich sei, so wandte sich einerseits seine Polemik gegen diese und andererseits sein Sinn rückwärts zu den Mystikern einer frühern Periode. Alle Mystik aber hat eine Verwandtschaft mit der katholischen religiösen Anschauung, weil sie, auch von protestantischer Seite, auf dem Ueberwiegen des Gefühls gegen den Verstand beruht, und daraus entsprang denn dasjenige, was man Tiek's ,,katholicizirendes Wesen" genannt hat. Dieses Aufgeben aller Zukunft aus der Gegenwart heraus, dieses unverwandte Zurückblicken, dieses sich Versenken in vergangene unmöglich wieder zu bringende

Herrlichkeit, war freilich ein Irrthum, den er schwerer büssen musste, als es gerechter Weise hätte sein sollen; denn es war ein Irrthum, ohne welchen wir keine germanischen Studien hätten, wie sie jezt mit Recht unser Stolz sind. Van der Hagen und seine Zeitgenossen, die Gebrüder Grimm und die neucre deutsche philologische Schule wären ohne diese Thätigkeit Tieck's eine reine Unmöglichkeit. Freilich fehlte diesen Bestrebungen bei der Individualität Tieck's und der Mangelhaftigkeit der zugänglichen Quellen alle Gründlichkeit, alle Methode, alle Wissenschaftlichkeit, aber nichtsdestoweniger sind sie nicht hoch genug anzuschlagen und zu schätzen, denn wir verdanken ihnen und den so vielfach angefeindeten Productionen Tieck's aus jener Periode einen guten Theil des wiedererwachten Nationalsinns, der sich später in so schöner und tüchtiger Weise auch in Thaten aussprach.

Ein zweiter bei der Beurtheilung Tieck's und seiner Werke meist gänzlich verkannter Punkt ist das dramatische Element in allen seinen Productionen. Tieck war ursprünglich rein dramatisch angelegt, aber Verhältnisse und die daraus entspringende Richtung seiner Studien und Arbeiten verhinderten es, dass dieses Element in seiner Reinheit und Ursprünglichkeit hervortreten konnte. Es machte sich daher anderweitig und zwar auf dreierlei Weise Luft. Einmal in der Form seiner erzählenden Productionen, die alle, wenn man sich des Ausdrucks bedienen darf, verhüllte oder verkleidete Dramen sind. Aus dieser ihrer Wesenheit entspringt dasjenige, was man gewandte Dialektik seiner Geschöpfe" nennt, und das so oft gerügte Ueberwiegen des Dialogs in seinen Erzählungen sowohl als in seinen Novellen. Die letzteren namentlich sind ganz und gar und können nur von diesem Standpunkte aus vollkommen und richtig erkannt und gewürdigt werden. Alle Beschreibung in den Novellen ist nur das, was im Drama Decoration, Costüm und äussere Charakteristik der Figur durch den darstellenden Schauspieler ist.

Die zweite Art, in welcher sich das dramatische Element Tieck's Luft machte, waren seine Vorlesungen, zu denen er früher nur Dramen wählte; erst später im höheren Alter las er auch Novellen, Erzählungen und anderes, aber stets auch mit dramatischem Ausdruck vor.

Der dritte Weg endlich, auf welchem das dramatische Element Tieck's Befriedigung suchte und fand, war die Forschung über die dra

matische Literatur aller Völker und Zeiten. Alles, was er davon bruchstückweise veröffentlicht hat, wie ihn auch hier vorzugsweise das rein dramatische Element interessirte und erst in zweiter Linie das historische, kritische, wissenschaftliche, welches er nicht umgehen konnte, das er aber nur sehr lückenhaft, sprungsweise, unmethodisch und oft mit grellen Irrthümern gepaart, zu Tage brachte, weil er kein streng geschulter, philologischer Geist war. Aus diesem Grunde ist auch seine Kritik desultorisch, unzuverlässig und unhaltbar; aber vortrefflich, wo sie auf Charakteristik und dramatische Würdigung der Figuren, auf Bau und Oekonomie der Dramen und die rein ästhetische Seite der Werke eingeht.

Hieran knüpfen wir einige anderweitige Bemerkungen, die sich speciell auf Herrn Gödeke's Grundriss beziehen, und setzten daher die Seitenzahlen hinzu. Bei dem Verzeichniss von Tieck's Schriften ist zu bemerken:

Pg. 21. Nr. 40. Die „Nesseln" sind nicht von Tieck, sondern von Bernhardi, der sie unter dem Namen „Falkenhain" herausgab; nur die Erzählung Almansur gehört Tieck.

Pg. 23. Nr. 100. Shakspeare's Sonette in der Penelope sind nicht von Agnes, sondern von Dorothea Tieck, die 1840 zu Dresden an den Masern, 42 Jahr alt, starb.

Pg. 23. Nr. 102. Die Stücke Shakspeare's in der Tieck-Schlegel'schen Uebersetzung sind zum Theil von Dorothea (nicht von Agnes) Tieck, zum Theil vom Grafen Baudissin übersetzt.

Pg. 24. Nr. 107. Der Obregon ist von Dorothea Tieck übersetzt.

Pg. 24. Nr. 117. Die Theaterzeitung ist nichts Selbstständiges, sondern nur ein integrirender Theil der unter Nr. 108 genannten Morgenzeitung. Hier fehlen auch die eine Zeit lang in Kind's Abendzeitung veröffentlichten Recensionen.

Pg. 23. Nr. 94-99. An der „Vorschule" hatte Dorothea Tieck gleichfalls Antheil, obwohl ich nicht im Stande bin, speciell die Stücke zu nennen, welche sie übersetzte. Agnes Tieck hat niemals etwas geschrieben.

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