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Jährlich erscheinen 52 Nummern. Preis für den ganzen Jahrgang 2 Thlr., bei directer frankirter Zusendung durch die Post unter Kreuzband 3 Thlr. Insertionsgebühren für die Petitzeile oder deren Raum 2 Neugroschen. Alle Buch- und Musikalienhandlungen, sowie alle Postämter nehmen Bestellungen an. Zusendungen werden unter der Adresse der Redaction erbeten.

Ein Brief aus Paris

von Stephen Heller.*)

.. Daß zwei neue Opern gegeben worden, und zwei neue erwartet werden, wissen Sie bereits. Die erstern,,,la Fée Carabosse“ von Massé und „Herculanum“ von Fel. David, habe ich aber nicht gesehen, und werde Muße und Stimmung abwarten um sie zu hören. Nächste Woche erwartet man den fünfactigen „Faust“ vom talentvollen Gounod im Théâtre lyrique. In derselben Woche soll die neue komische Oper von Meyerbeer gegeben werden. Diese beiden lezten Werke bilden das Stadtgespräch, insofern man in Paris eine préoccupation mit diesem kleinstädtischen Ausdruck bezeichnen kann, hier, wo eine interessante Begebenheit, eine bemerkenswerthe Erscheinung die andere verdrängt, und kaum aufgetaucht auch wieder vergessen ist. Dennoch kann man wohl sagen, daß das Theaterpublicum sich sehr lebhaft mit der neuen Partitur Meyerbeer's beschäftigt. Der Director der komischen Oper ist seit mehreren Wochen eine doppelt mächtige Person geworden. Es handelt sich darum, einer der gesuchtesten Emotionen der Pariser Welt beizuwohnen: der ersten Vorstellung der Oper eines berühmten Componisten. Für eine elegante Vollblut-Pariserin kommt eine solche,,Première Représentation" gleich nach dem Cachemire des Indes. Herr Nestor Roqueplan, Director

*) Wir glauben keine Indiscretion zu begehen, indem wir diesen Brief Stephen Hellers an einen Freund unsern Lesern mittheilen. In der geistvollen und liebenswürdigen Weise dieses ausgezeichneten Künstlers orientirt uns das Schreiben auf das Anziehendste über die musikalische Ge= genwart der Weltstadt und ist somit eine werthvolle Ergänzung der Berichte unseres regelmäßigen Correspondenten. D. Red.

der komischen Oper, ist nun von allen Mächtigen und mehr oder minder Einflußreichen bestürmt, von den Löwen und Löwinnen der hohen Gesellschaft, deren Meinung und Urtheil maßgebend; von großen und kleinen Journalisten, von Finanz-Größen, von schönen Frauen der ganzen und „halben“ Welt. Diese verschiedenen Fractionen des Theaterpublicums lassen nun alle Minen springen, und was der Eine durch seinen Titel, der Andere durch seine Millionen erreicht, wird Andern durch ihre Schönheit und reiche Toilette ge= währt. Es ist sehr wichtig für das Werk, am Abend einer solchen Vorstellung Jllustrationen aller Art im Saale zu sehen.

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Was mich betrifft, ich theile nicht dies Fieber der Neugierde und den sonderbaren Ehrgeiz, immer unter den Ersten zu sein, wo es etwas zu sehen und zu hören giebt. Ich habe nie die große Begierde nach den primeurs getheilt. So nennt man hier Kirschen und Erdbeeren im Monat Januar, oder kleine Erbsen, Spargel 2. im Februar. Man wiegt sie dann mit Golde auf, während man sie später um den gewöhnlichen Preis, und zwar weit schmackhafter erhält.

Etwas ungünstigeres für den Genuß und die Beurtheilung einer neuen Oper in Paris kann man sich nicht vorstellen, als deren erste Aufführung. Noch nie habe ich Jemand ein nur einigermaßen richtiges Urtheil nach einer solchen Ersten Vorstellung fällen hören. Es giebt da so viel zu sehen, zu hören, was gar keine Beziehung auf das darzustellende Werk hat; man wird so eonfus, so zerstreut, man leidet so von der Unbequemlichkeit der Pläße (die besten sind noch wahre Marterstühle), der Hiße, der Länge des Schauspiels, daß man kaum weiß, was auf der Bühne gesungen wird. Ich will Ihnen einen schwachen Begriff von einer viel erwarteten, viel besprochenen ersten Vorstellung in einem Pariser Opernhause geben; welches Publicum gewöhnlich den Saal füllt, den gewöhnlichen Gang und Verlauf eines solchen solennen Abends.

Das Publicum. Beinahe das ganze Parterre ist der Turnboden, wo die beeideten Claqueurs ihre gymnastischen Exercitien ausüben. Tüchtige Handarbeiten werden da geliefert; ein wahres „Fest der Handwerker.“ Ein kleiner Theil dieser ehrsamen Corporation arbeitet gratis; er sieht mehr auf einen guten Plaß, als auf Lohn. Es sind die Dilettanten, die entweder blos aus Theaterpassion und Mangel an Mitteln unter die Claqueurs gegangen, oder Solche, die noch nicht weit genug gediehen find, um mit ihren unausgebildeten Klatschwerkzeugen Bedeutendes zu leisten. Sie müssen sich den Anordnungen der Chefs fügen, und ist ihnen bei Strafe verboten, auf eigene Rechnung zu fühlen und zu applaudiren. Die Chefs und einige Vertraute wohnen auch einigen Proben des Werks bei. Da wird Alles notirt und festgeseßt, die feinen Nüancen bemerkt; denn man glaube ja nicht, daß es sich blos um simples Klatschen und Bravorufen handle. Man vernimmt von da das schmerzliche Gemurmel über einen treulosen Wortbruch, das schwere Athemholen beim Ahnen einer Katastrophe; das Rauschen der frohen Ueberraschung bei Lösung einer peinlichen Situation, alle Arten von Lachen, vom unterdrückten Kichern bis zum schallenden Gelächter kurz die ganze Tonleiter menschlicher Affecte wird von diesen großen aber bescheidenen Mimen meisterhaft ausgeführt. Wie gesagt, das Parterre ist ihr Hauptsiz. Jedoch sind mehreren der Veteranen auch in einigen andern Theilen des Hauses Pläße angewiesen. Man findet etwelche, denen man einen schwarzen Frack und weiße Cravate ohne Bedenken anvertrauen kann, in mancher Loge des zweiten Ranges. Sie üben dann die delicaten Functionen eines Begeisterten höhern Ranges aus, und unterziehen sich auch nach Umständen der bedenklichen Operation des Kränze - und Blumenwerfens. Diese Branche des officiellen Enthusiasmus wird auch von Frauen und Jungfrauen cultivirt. Einen großen Theil des Publicums bildet dann die hohe und niedere Presse. Sie begreift noch die Mitglieder ihrer Familie, ihre Freunde, manchmal ihre Hauseigenthümer, fournisseurs, welche man gerne verbinden will, Da die Musikreferenten der meisten Journale unmusikalisch sind, so gehen sie

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oft begleitet von einem Musiker, der ihnen für ihr Feuilleton einige Aufschlüsse giebt über Tonart, Stimmregister, Tactvorzeichnung und ähnliche unerhebliche Dinge. Mit der Kritik werden sie leicht fertig: es kommt nur auf den Namen des Autors an. Ei nige fertige Phrasen vollenden den Artikel. Nun bleiben noch die ersten und vornehmsten Pläge für die hohe und reiche Gesellschaft, von welcher der weibliche Theil an solchen Abenden neue Moden präsentirt. Da sieht man berühmte Persönlichkeiten, politische, militärische, gelehrte, künstlerische Namen, gepriesene Schönheiten, verrufene Millionäre, schriftstellernde Börsenspeculanten, romantische Helden einer Ehescheidung, schmollende Legitimisten, lächelnde Sirenen, und uralte, schlecht verdauende Akademiker. Mitten unter dieser berühmten und glänzenden Welt haben auch viele der ersten Feuilletonisten ihren Plaß. Sie sehen halb sauer, halb süß drein; möchten am liebsten ganz sauer sein. Manch' stechende Wespe eines kleinen Spottblattes gewahrt man auch. Man hat ihr einen guten Plaz gegeben unter der Bedingung, ihren Stachel im Vestiaire mit dem Stock und Paletot abzugeben. Sie will heute Biene sein und nur Honig finden. Was noch von Pläßen übrig bleibt, wird von jener geheimen schwarzen Bande aufgesammelt, die an Fremde und Einheimische Eintrittskarten zu zehnfachem Preis verkauft. Diese anonyme Gesellschaft, auf verdächtige Actionen gegründet, macht an solchen Abenden bessere Einnahme, als die Administration der Oper, der es nur an einem glänzenden, berühmten und ausgesuchten Auditorium gelegen ist.

Wer sollte von diesem Glanz, diesem Geschwirr von Conversationen, befangen vom verschiedenartigen Reiz so vieler interessanten Erscheinungen, nicht verwirrt und unfähig werden, ein so complicirtes Kunstwerk wie eine Oper, deren äußere Ausstattung allein hinlänglich die Phantasie beschäftigt, zu genießen, zu beurtheilen?

Die wohlbestallten Feuilletonisten, wären fie auch zumeist nicht ganz unmusikalisch, wie können sie nach einer solchen ersten Vorstellung ein Urtheil geben? In der That sieht man sie gewöhnlich in den Zwischenacten ins Foyer eilen. Sie sehen rath- und hülflos herum und horchen hierhin, dorthin, um etwas für ihr Feuilleton aufzuschnappen. Einer sucht beim Andern, was er selber nicht weiß. Sic sprechen in allgemeinen Ausdrücken, man hat nicht Ein bestimmtes bezeichnendes Wort. Oft loben oder tadeln fie in purer Zerstreuung, oder nach Gewohnheit, denn es giebt so wie ewige Tadler, auch ewige Panegyriker. Ich habe etwas gar Hübsches der Art erlebt, was ich Ihnen erzählen will. Nach dem zweiten Act der ersten Vorstellung einer berühmten großen Oper ging ich mit einem Freunde in dem Logen-Corridor Luft schöpfen. Da begegnet uns ein berühmter Componist, Mitglied des Instituts, der auf meinen Begleiter losstürzend die Arme gen Himmel hob und ausrief: „Himmlisch, göttlich, unvergleichlich ist diese Musik! Prachtvoll! . . . Nun, was sagen Sie?" Mein Freund aber, ganz ruhig und kalt, erwiederte:,,Den dritten Act müssen Sie hören ich war in der Probe der eben gespielte ist schwach.“ „Ja," entgegnete der Akademiker plößlich ganz ruhig, „ja, das ist wahr, schwach, trostlos schwach.“ Und mit einem Händedruck schieden sie von einander. Die neue Oper von Meyerbeer, von deren Inhalt noch Musik das mindeste verlautet, hat bereits fremde Journalisten, englische Correspondenten, reiche und gelangweilte Insulaner von der Themse nach Paris gelockt. Ich habe die Ehre einige derselben zu kennen. Sie klagen alle über die Unfaßbarkeit des berühmten Componisten, des Gewaltigen, der eine solche allgemeine Aufregung heraufzubeschwören im Stande.

Er ist so bestürmt von Anfragen und Bitten, daß er sich, gleich den Homerischen Helden, von einer Wolke seinen Verfolgern entrücken läßt.

Vielleicht auch versinkt er nach jeder Probe in eine Trappe des Theaters und verbirgt sich der tobenden Menge. So verbrächte er denn sein, von Vielen so beneidetes Leben, in den finstern qualmenden Räumen, unter den Brettern, welche die Welt bedeuten! Der leßte Chorist der komischen Oper ist sonach glücklicher als einer der ersten

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