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Einleitung.

Dichter wie Dante, Shakespeare und Göthe find als Factor ren der Weltbildung in ihrer Production unentlich. Dies beweist für Göthe die reiche Literatur, die sich um seine Dichtung angesezt hat und mit jedem Jahre sich vermehrt, vor Allem aber das Zeugniß des Lebens, daß die fitlichen Probleme, welche Göthe in seinen Werken künstlerisch behandelt hat, ewige Probleme der Menschen natur fint, prometheische Bildungen, in alle Zeit hineingestellt, weil turch den absoluten Geist mit Notwendigkeit gefordert und aus dem Schoße des Weltbewußtseins göttlich herausgeboren. Freilich können im Wechsel der Culturerscheinungen einzelne Kunstwerke in tie Schatten des Hintergrundes zurücktreten, antere aber werden von entsprechenden Lebensfragen hervorgefordert, um am Himmel der Cultur als weissagende Kometen, als leuchtende Phas nomene wieder zu erscheinen, welche in die Bewegung der menschlichen Gesellschaft hereinstralen und plötzlich wieder das speculative Denken und das äfthetische Urteil auf sich ziehen.

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Nun scheint unter allen räthselhaften Sphinrgestalten göthescher Poesie Wilhelm Meister diejenige zu sein, welche den Postulaten unserer Zeit, einer neuen Periode des Sturmes und Dranges, des politischen Zerfalls und der socialen Anarchie, am meisten entgegenkommt, weil sie mehr als jede andere göthesche Dichtung auf dem Raine zweier Weltalter gelagert ihr geheimnißvolles Antlig einer Zukunft zuwendet, deren gesellschaftliche Organisation von dem lebenden Geschlechte schmerz lich eifrig angestrebt wird. Wenn man dies in die Ferne Deuten Wilhelm Meister's zugibt, dürfte man auch erkennen wollen, daß weder die späte Vollendung des Werkes noch die lehrhaft reflectirende und deshalb an das tiefere Denken appellirende Art der Wanderjahre in ihrer ungewöhnlichen und so wenig romanhaften Composition Schuld daran gewesen, daß Publikum und literarische Kritik diesem großartigen Werke bisher die sparsamste Gunst zugewandt haben.

Und so meine ich, daß die sociale Idee, welche im Wilhelm Meister, besonders in den Wanderjahren, ausgesprochen ist, erst die Gegenwart erwartete, um bei der allgemeinen Umgestaltung, in welcher Kirche, Staat und Gesellschaft begriffen sind, da das System der Aristokratie allerwegen in die demokratischen Elemente sich aufzulösen bestrebt, erst ganz gewürdigt und ergriffen zu werden. Denn der Mensch unseres Zeitalters ist hierin Wilhelm Meister nahe verwandt, daß er von den sonnigen Gipfeln des Bewußtseins, zu denen er sich allgemach emporgerungen, mit Erstaunen die Resultate seiner Irrtümer und Bildungsphasen übersicht und als Ges wordener nun auch sein ferneres Werden und Sollen begreift. Es ist aber nichts, woran die Menschheit seit der Periode der

Aufklärung und der Revolution, in deren Feuern die Welt seit mehr als zweien Menschenaltern fortdauernd sich reinigt, gelernt, gesammelt, sich heraufgebildet und sich befreit hat, was nicht in Göthe's Wilhelm Meister reflectirte, um das Menschliche in ein Totalbild zu fassen, worin sich der Mensch humaner noch, als er schon geworden, wiedererkenne.

Friedrich Schlegel sagte schon von den Lehrjahren (Charakteristiken und Kritiken von A. W. Schlegel und Fr. Schlegel I.): „Man darf es (das Buch) nur auf die höchften Begriffe beziehen, und es nicht bloß so nehmen, wie es gewöhnlich auf dem Standpunkt des gesellschaftlichen Lebens genommen wird, als einen Roman, wo Personen und Begebenheiten der lezte Endzweck sind. Denn dieses schlechthin neue und einzige Buch, welches man nur aus sich selbst verstehen lernen kann, nach einem aus Gewohnheit und Glauben, aus zufälligen Erfahrungen und willkürlichen Forderungen zusammengeseßten und entstandenen Gattungsbegriff beurtheilen; das ist, als wenn ein Kind Mond und Gestirne mit der Hand greifen und in sein Schächtelchen packen will." Wenn nun die bisherige Kritik das wundersame Kunstwerk aus ästhetischen Gesichtspunkten vielfach und trefflich beleuchtet hat und kaum tiefsinnigere Deutungen gegeben werden können, als sie Friedrich Schlegel und Schiller über die Lehrjahre gaben, so fehlt noch diejenige Beziehung des Wilhelm Meister, zumal der stiefmütterlich behandelten Wanderjahre, auf die Lebensäußerungen der Gegenwart, welche sich dem Betrachter heute aufdrängen muß, wo manche sibyllinische und orphische Urworte Göthe's eigentlich erst beginnen von der Welt vernommen zu werden.

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