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Göthe selbst sprach sich über sein eigenes Werk (Eckermann Gespräche x. I. 194 und Tag- und Jahreshefte zum Jahre 1796) dahin aus: Es gehört dieses Werk übrigens zu den incalculabelsten Productionen, wozu mir faft selbst der Schlüffel fehlt. Man sucht einen Mittelpunkt, und das ist schwer und nicht einmal gut“ dies Selbstzeugniß des Dichs ters ist ein Beweis sowol von der Divination des Werkes, als von seiner Universalität, daher es wie das Leben selbst allseitige Gesichtspunkte und Auffassungen darbietet; und so ist es gerade bei der breiten Objectivität und der epischen Stofflichkeit Wilhelm Meisters erklärlich, warum ein absolut treffendes Urteil darüber nicht möglich wurde, sondern ein jeder Kritiker seine Sympathie und Antipathie, sein Verständniß und seinen Standpunkt dazu mitbringt. Der Künstler, der Pädagog, der Religionsforscher, der Staatslehrer, der Handwerker werden jeder für sich die entsprechende Saite ihres Teillebens anklingen hören, und vielleicht wird nicht der unglücklichste Beurteiler der sein, welcher das Besondere in die Gattung zu erheben versteht und die einzelnen Gestalten und Gruppen zu einem großen Chore vereinigt, aus dem ihm die Offenbarung des menschlichen Wesens entgegentönt. Das ganze Werk aber, gegen deffen geheime Gewalt sich vergebens Göthe's Freunde, wie Jacobi, verteidigend zur Wehre seßten, will ebenso angeschaut und im Einzelnen ertragen werden, wie die Natur und die Geschichte, welche das Erhabne und das Gemeine, das Feste und das Zerfließende, das Schöne und das Häßliche mit gleichem Rechte der Existenz neben einanderstellen, und aus der Dissonanz ihrer Bildungen erst die wollautende Musik des Ganzen hervorströmen lassen. Und wie Natur und

Geschichte endlich in ihren Schöpfungen darauf ausgehen, den Menschen zu finden, so geht auch alle echte Poesie am Ende nur auf die Entdeckung des Menschen aus. Auf diesem Wege liegt alle wahre Tragödie, alle Komödie und alles Epos. Göthe aber ist dieser Columbus, der in seinem Wilhelm Meister das Amerika des Humanismus für uns entdeckt hat, wofür er denn billig mit Ketten ist belohnt worden. Troß seinem eigenen abmahnenden Worte nun scheint mir hier wo jener schwer zu findende Mittelpunkt zu liegen, auf den sich der Dichter selbst gestellt hat, um nicht wie Archimedes die Welt aus ihren Angeln zu heben, sondern sie zu ordnen und zu befestigen, auf daß der Mensch endlich, als die freie und schöne Individualität im Zusammenhange mit dem schönen Weltganzen sich darstelle. Denn das Unendliche an Genie Herz, Gemüt und feurig empörter Titanenkraft, welches in der faustischen Natur die sanften Bande der Menschenbrust zersprengend himmelanstürmte, soll in selbstbewußter Beschränkung auf sich zurückgewiesen, beruhigt und in die klaren Strömungen des Weltlebens wolthätig hinübergeleitet sein.

Göthe sucht den Menschen nicht auf als das politische Thier des Ariftoteles, sondern er geht dem totalen Menschen nach. Indem er also den Politismus abfertigt, sucht er das Individuum, wie es innerhalb der freien Gesellschaft auf wahrhaft menschliche Weise zum Bewußtsein und zum Genusse seiner selbst komme. Der Mensch aber ist ihm nur dadurch real, daß er auch an dem, was außer ihm ist, wirklich geworden. Wenn er daher seine Titanen der Welt gegenüberstellt, das gewaltige Pathos der Gottmenschlichkeit zu erleiden, so geschieht es nur, um sie endlich in den Welt

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Indem nun dem deutschen Publikum in der vorliegen= den Schrift zum ersten Male eine monographische Entwicklung Wilhelm Meister's in seinen socialistischen Elementen dargeboten wird, will der Verfasser sich dies zu einem Rechte auf nachsichtige Beurtheilung gemacht wissen. Denn bei dem unerschöpften Neichthume dieser Göthe'schen Dichtung darf der Eine zu erschöpfen nicht wähnen, was nur vielen fleißigen Forschern gelingen kann.

Wie ich nun selbst manche Vorarbeiten der Kritik für die Lehrjahre benugen durfte, wünsche ich Anderen, Folgenden auch für die Wanderjahre Brauchbares und Anzucrkennendes geliefert zu haben. Denn daß unsere Zeit sich mit Wilhelm Meister, besonders mit den Wanderjahren, gerade in Bezug auf den socialen Gedanken noch eifrig beschäftigen werde, scheint im Hinblick auf unsre werdende. Social-Literatur zweifellos; und so ist es mir schon ein Beweis dafür, daß mir während meiner Arbeit Alexander Jung, mein Mitbürger, der jüngst durch seine treffliche Schrift: Friedrich Hölderlin und seine Werke, ein rühmliches Verdienst um die Wissenschaft sich erworben hat, die Mittheilung machte, wie auch er an einer Arbeit über den Socialismus der Wanderjahre beschäftigt sei.

Möge den Freunden Göthe'scher Dichtung auch die vorliegende Leistung willkommen sein, welche der Verfasser in dankbarer Anerkennung alles dessen, was er selber dem großen Dichter schuldet, als ein wenn auch noch so geringes Opfer Göthe zur Säcularfeier seines Namens dargebracht hat.

Königsberg, den 9. September 1849.

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Wilhelm Meister's Lehrjahre.

1. Wilhelm Meister und das Schicksal II. Idealismus und Realismus

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III. Der schöne Schein und die Selbstdarstellung
IV. Die schöne Seele und die Selbstbefreiung

V. Die Emancipation des Subjects .

Wilhelm Meister's Wanderjahre.

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