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II.

Idealismus und Realismus.

Wilhelm hat allerdings einen natürlichen Trieb zum Theater, wie das seine lebhaften Jugendeindrücke und Jugendbeschäftigungen beweisen; aber dieser theatralische Sinn ist dennoch zu wenig naiv und original. Wäre er dies, so würde Wilhelm seiner Naturmacht unbedingt und unmittelbar folgen, ohne erst durch philosophische Selbstkritik herauszureflectiren, daß er für das Theater bestimmt sei. Durch die Reflerion, welche Wilhelm's Natur durchaus eigen ist, beweist er aber gerade das Gegenteil, zeigt er, daß er in der Theaterwelt höchstens zu einem schönen Dilettantismus es bringen könne. Auch ist die Liebe zu Marianen das chromatische Glas, durch welches er die Bühne betrachtet. Es ist ferner nicht zu übersehen, daß der idealisch ästhetische Sinn Wilhelm's geradezu auf das rein Menschliche bezogen ist, deffen Erscheinungen in allem Reichtum der Leidenschaften und Triebe, in aller Mannichfaltigkeit der Motive und Handlungen die Bühne ihm zur Darstellung bringen soll, abstrahirt von dem entstellenden Schmuze alltäglicher und beengender Wirklichkeit. Denn man kann sagen, Wilhelm geht aus, den Menschen zu suchen, weil

er den Typus schöner Menschlichkeit von Natur in sich trägt. Dieses ihm angeborne rein menschliche Pathos würde ihn sofort zum wirklichen Poeten machen müssen, wenn er nicht allein dazu befähigt wäre, jenen Typus nicht productiv außer sich, sondern an sich selbst, an seiner eigenen Individualität darzustellen, was eben das künstlerische Problem seines Lebens ist.

Wilhelm bricht nun zuerst mit dem Realismus, um seinem idealen Zuge zu folgen. Nach der Idee Göthe's und dem Plane seiner Dichtung ist Wilhelm Meister indeß dazu bestimmt, durch einen langen Proceß von Vermittlungen in den Realismus, aber in den mit dem Idealismus selber auf das vollkommenste in Harmonie gebrachten, wieder zurückzukehren, und so einen Kreislauf zu vollenden. Deshalb war es ein meisterlicher Zug von Göthe, der Existenz seines Helden den Realismus selbst zur Unterlage zu geben. Er ist der Sohn eines praktischen Kaufmanns und selber zum Kaufmanne bestimmt; zugleich haben handelsmännische Geschäfte eine gewisse Weite und Perspektive in die Weltverhältnisse hinein. · Sie haben zu ihrer Bedingung endlich die Association mit Anderen, die Vergesellschaftung, vor Allem enthalten sie als Kern den Besit, wie er nicht unbeweglich, sondern in stetem Fluße und beständigem Aus- und Einwechsel begriffen ist. Die socialen Elemente streifen also schon hier an.

Ist so der Realismus des Besißes die vielbedeutende Un terlage für Wilhelm, so tritt er, da sein idealer Sinn über die materiellen Grenzen seines Elternhauses hinwegfliegt, zu ihm auch sofort in einen Gegensatz. Diesen stellt Werner dar. Der romantischen Vorstellung vom lenkenden Schicksale opponirt Werner mit der Idee des Glückes. „Und dir, rief

Werner aus, der du an menschlichen Dingen so herzlichen Antheil nimmst, was wird es dir für ein Schauspiel sein, wenn du das Glück, das muthige Unternehmungen begleitet, vor deinen Augen den Menschen wirst gewährt sehen! Nicht in Zahlen allein, mein Freund, erscheint uns der Gewinn; das Glück ist die Göttin des lebendigen Menschen, und um ihre Gunst wahrhaft zu empfinden, muß man leben und Menschen sehen, die sich recht lebendig bemühen und recht sinnlich genießen." (B. I. Kap. X. 55.). Werner hat hier von seinem Standpunkte ganz Recht, denn er seht auch seinen Einsaß an das Glück, aber, wenn Wilhelm, dessen Göttin nicht minder das Glück, doch im höheren Sinne das Lebensglück wird, mit sich selber, mit seinem Herzen, seinen Wünschen und Idealen Einsaß und schmerzliches Lehrgeld bezahlt, findet sich Werner nur mit dem Schmerzensgelde, mit dem Besize ab. Sein Glück bleibt ihm eine dea externa, er spekulirt mit äußerlichem Bestztum um äußerliches Besigtum - der endliche Gewinn geht in Wolbehagen und sinnlichen Genuß auf. Er ist daher von vorn vorn an absolut unbildbar, und gibt den ästhetischen Menschen Preis. Doch vermag er auch vom Einzelnen zum Allgemeinen fortzugehen und sein Gewerbe mit einer gewissen Erhebung der Seele zu betrachten. So sagt er zu Wilhelm: Es haben die Großen dieser Welt sich der Erde bemächtigt, sie leben in Herrlichkeit und Ueberfluß. Der kleinste Raum unsers Welttheils ist schon in Besitz genommen, jeder Besit befestigt, Aemter und andere bürgerliche Geschäfte tragen wenig ein; wo gibt es nun noch einen rechtmäßigeren Erwerb, eine billigere Eroberung, als den Handel? Und ich kann dir versichern, wenn du nur deine dichterische Einbildungskraft

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Meister uns höchstens nur von Seiten der Abenteuerlichkeit als ein Casanova reizen, das Problem wäre dann nicht lösbar gewesen. Vielmehr mußte die Welt selbst im allgemeinen Umbildungsprocesse dargestellt werden. Ihre Ordnungen ́erscheinen nun auch aufgelockert, mißförmig nach dem Ethischen und nach dem Materiellen. Der mittelaltrige Feudalismus, Kirche und Aristokratie, der alte Staat des herrschenden Grundbesizes auf der einen Seite und der handarbeitenden Industrie auf der andern sind aus den festen Lagen gewichen und im Uebergange zu einer neuen Zuständigkeit, die erst gefunden werden soll. Die flagrante Unruhe, welche sich der Welt durch die religiöse Erregung und die bürgerlichen Collisionen des Befißes bemächtigt, treibt die Menschen zur Flucht aus dem äuBeren Leben in das innere und umgekehrt, und nötigt sie zur Wanderung. Die Welt ist deshalb eben so gut im Zustande des Werdens zur freien Individualität, wie es die Einzelnen sind, und wenn sie auf diese bildend einwirkt, erfährt ste an sich selbst die Reciprocität der Umbildung.

Auf diesem schwankenden Boden der Anarchie, wo Alles keimt und strebt, ist das Irren natürlich und kann das Schicksal nicht im tragischen Sinne herrschend, sondern nur als die ernst vorüberwandelnde Macht auftreten, welche mit ihrem Erscheinen an die ewige Tragödie aller Menschennatur gemähnt. Dies nur augenblickliche Hereindunkeln des grauenvollen Verhängnißes, wie es in Mignon und dem Harfner nachtet, bringt in einer Welt, in welcher das Pathos der finstren Notwendigkeit sonst nicht Statt haben darf, eine so wunderbar dämonische Wirkung hervor, daß jene beiden Gestalten, Fürcht und Mitleid einflößend, wenn sie aus dem Halbdunkel ihrer

Unseligkeit hervortreten, als fremde rätselhafte Wesen erscheinen, aus deren Innerstem alle Klage der Menschennatur wie ein Drakelgesang memnonisch uns entgegen klingt.

Im Uebrigen wechseln hier Schicksal und Zufall die Rollen, oder was sonst die epische Notwendigkeit leistet, geht hier aus den breitesten Verhältnissen mittelbar hervor.

Man könnte glauben, daß Göthe dem Systeme des Zufalls und Irrtums, welcher doch die Welt Wilhelm Meister's beherrscht, eine Schicksalsidee gegenüberzustellen durch seinen epischen Trieb sich bestimmen ließ, daß er nach einem Ariadnes faden suchte, den sich selbst überlaffnen Helden aus dem Lebenslabyrinthe zu führen. Als solches Surrogat würden dann die Mächte des Turms erscheinen. Schiller war mit dieser romantischen Maschinerie nicht zufrieden, einmal weil er ste nur als bloße Maschinerie begriff, dann weil er die Klarheit der Bezüge zwischen ihrer prädestinirenden Leitung und Wilhelm's Lebensgange vermißte. Man hat sich überhaupt mit jenem ganzen Schicksalsnotbehelf nicht befreunden wollen. Auch Karl Rosenkranz, der ausdauerndste Apologet Göthe's, hat sich dagegen ausgesprochen. „Diese pädagogische Loge, sagt er, dieser Bund von Jarno, dem Abbé, Lothario und Anderen, der in dem geheimnißvollen Thurme sein Archiv hat, ist nicht mehr nach unserem Geschmack. Die uns immer mehr zur Gewohnheit werdende Liebe zur Deffentlichkeit verleidet uns solche kleine Vorsehungen. Sie dünken uns altklug" *).

Wäre es Göthe einseitig um den Organismus einer Illuminatengesellschaft zu thun gewesen, hätte er in ihr ernst

*) Karl Rosenkranz, Göthe und seine Werke. Königsb. 1847. S. 434.

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