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pfahlbürgerischen Geseze ist damit schon eingeleitet, wie besonders in dem Liebesabenteuer Melina's, der trefflichsten und schlagendsten Episode dieser Art. Die Ehe jedoch als der wahrste Realismus in seiner Durchdringung mit dem höchsten Idealismus, welcher in ihr sich sänftigt und sich stillt, weil in der Ehe die idealische Poesie des Herzens zu einer wirklichen und unendlichen Welt wird, diese ist noch weit in Aussicht. Denn noch sind die Extreme in der Natur Wilhelm's nicht zusammengegangen, und wo sich Menschen verbinden, welche durch ihre beiderseitige Wesenheit oder Unfertigkeit den geforderten Einklang eines dauernden Bundes nie hervorbringen würden und nicht zu Eins werden können, werden ihre Verhältnisse aufgeopfert. Wilhelm soll erst für das ernsteste Sakrament des Lebens real werden. Denn die Ehe ist erst dann eine Wirklichkeit, wenn Mann und Weib mit der vollständigen Freiheit ihres Subjects in sie eintreten.

Soll also die Heiligkeit der Ehe vor dem Leichtsinne und der Uebereilung, vor dem Irrtum und der Reue gerettet und vor dem Strafgerichte des Schicksals bewahrt werden, so wird die Aufopferung und die Entsagung zum Geseze. Ich will mit Schiller nicht streiten, ob Mariane gerettet werden konnte; ob sie in Hinsicht auf das sittliche Postulat der Ehe für Wilhelm möglich war, ist eine Frage, die man geradezu verneinen muß. Mariane geht an ihrer Schwäche zu Grunde. Die Energielosigkeit, dem Geliebten gegenüber ganz wahr zu sein, der halb wahre, eifersüchtelnde Irrtum Wilhelm's beschleunigen die unausbleibliche Katastrophe, und Mariane geht für Wilhelm verloren als das erste Opfer, welches der Idealist dem Realismus darbringen soll.

Mit dem zweiten Buche des Romans beginnt also Wil helm's neuer Lebens- und Bildungsgang, nachdem die gefähr liche Krisis getödteter Jugendliebe überstanden und die alten häuslichen Verhältnisse abgestreift sind, wie Fauft sie abstreifte, um die Reise ins bunte Leben verjüngt anzutreten.

Die erste Entsagung Wilhelm's ist, psychologisch sehr rich tig, die jugendlich stürmische Ercentricität selbstquälerischer Resignation, welche Blüte und Wurzel des Ideals zugleich aus dem Herzen reißen und von dem träumerischen Dämmernachthimmel der Seele alle die flimmernden Sterne mit Eins hinweglöschen möchte. „Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen“, und das wäre schon die vollkommenste Lebensphilosophie eines Epictet, vermag Wilhelm hier natürlich nicht. Er entschließt sich mit wildem Schmerz. In seiner bittern Selbstironie, in seiner hastigen Zerstörungsluft gerät er so sehr mit seiner besseren Natur in Widerspruch, daß ihn nun Werner, der Realist, von solchem Extreme der Entsagung abmahnen muß. Die Beschränkung, die sich Wilhelm auferlegt, da er nun ein trockener Comtoirmensch werden möchte, ist unbesonnen und unnatürlich, deshalb keine sittliche Beschränkung, aber (und dies ist des Idealisten Teil) sie ist in der Uebereilung die Verkündigung des dereinstigen wahren Maßes. Sie ist gegen sein besseres ideales Wesen, gegen seinen Genius, gerichtet, und nur ein Akt momentaner Verzweiflung, sie wird daher nicht Stich_halten, der lebensfrisch atmende Geist wird die Fesseln zersprengen, doch der Sinn wird allmälig zur Besinnung werden. Denn nicht schimpflich untergehen soll der Idealist im Realisten, auch nicht in ohnmächtiger Melancholie wie der Tasso sich an das harte Felsenherz des Antonio anklammern, sons

dern sich erst den festen Heerd aufbauen, darauf er sein göttliches Feuer zu brennen habe und nur wer auf der müts terlichen Erde feststeht, ist unbezwinglich, sagen die Griechen; und die Inder, daß die nur im himmlischen Aether wandeln, auf ihren Füßen nicht gehen können, wenn sie die Erde berühren.

III.

Der schöne Schein und die Selbstdarstellung.

So läßt denn Wilhelm seine bisherige Welt hinter sich, und wie er hinauswandert in die freie, weite Gottesnatur, wird er unversehens zu dem Kinde des Märchens, welches von dem schimmernden Vogel durch Wald und Flur zauberisch gelockt wird. Der romantische Zufall wirft seine Neße aus, er widerstrebt halb und gibt sich ganz gefangen.

Daß er überall dem Schauspiele in aufsteigender Linie begegnen muß, erst in Hochdorf, wo die Fabrikarbeiter eine Komödie aufführen, dann den Seiltänzern und der philinischen, Bande, den Bergleuten, dem Melina 2c. hat etwas Verhängnißvolles, wenn man von den anfänglichen dramaturgischen Intentionen im Plane Göthe's abstrahirt, welche der treffliche Schiller niederzuhalten wußte. Es hat etwas Verhängnißvolles, weil die unklare Anlage Wilhelm's, die er erstickt zu haben wähnte, durch die Begegnisse von außen immerfort neu hervorgefordert wird. Das Leben selbst kommt hier der humanistischen Pädagogik das Abbé auf das Beste zu Hilfe, wonach

nämlich jeder Neigung so frühe und so schnell als möglich Raum und Stoff gegeben werden soll, damit ein etwaiger Irrtum sich baldigst herausstelle. Die Mächte des Turms unterstügen aus diesen Grundsägen auch die theatralischen Bestrebungen ihres Günstlings auf der Bühne Serlo's.

Aber die ästhetische Natur Wilhelm Meister's soll zur innern Harmonie, zur menschlichen Schönheit ausgebildet werden, durch die heitere, zwangslose Kunst sich einzuleben und hineinzuhören in die vielerlei Rhythmen des Menschengeistes. Der Weg zur schönen Individualität führt ihn durch den optisch schönen Schein hindurch, welcher als Mittel der Darstellung nur die formale Seite des Wesens ist, seine Strahlenbrechung. Wesenloser Schein ist fade, widerlich und lächerlich; wesenhaft wird er vollendete Erscheinung, anmutige und würdige Kundgebung. Wilhelm hat das Scheinen um des Seins willen zu lernen, er hat von innen heraus die Grazie der Form zu gewinnen, welche Leib und Seele im maßvollen Einklange der Wolanständigkeit sich bewegen läßt.

Der schöne Schein findet nun sein ganz besonders günftiges Element in der Schaubühne und in der ihr verwandten Repräsentation des Adels. Göthe, der im dritten Buche der Lehrjahre mit köstlichem Humor die vagabondirenden Komödianten und den komödirenden Adel parallelisirt, hat diese Verwandtschaft so richtig und mit einer so historischen Wahrheit aufgefaßt, daß sich aus der Geschichte der höheren Gesellschaft sofort unzählige analoge Erscheinungen darbieten, von dem theatralischen Hofe Nero's bis auf Ludwig den Vierzehnten, August von Sachsen und die durch Tieck's Bühnenromantik verschönerten Tage von Potsdam.

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