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IV.

Die schöne Seele und die Selbstbefreiung.

Stolberg und seine gleichgesinnten Freunde veranstalteten einst ein Autodafée für den sanscülottischen Wilhelm Meister, der, wie die fromme Welt klagte, in so schlechter Societät sich herumtreibe und die Moral der Gesellschaft verderbe. Sie verbrannten das ganze Buch bis auf das sechste, die Bekenntnisse der schönen Seele, welches Stolberg rettete, besonders binden ließ und Arndt's Paradiesgärtlein beigefellte. Er hielt es für ein Enkomium auf die Herrnhuter.

Der halb novellistische Einschub der Bekenntnisse war der Lesewelt, welche sich die Fabel auf einmal verkümmert sah, schon damals nicht recht. Schiller selbst bemerkte, daß die Handlung dadurch stille stehe und Göthe bedeutete ihn: „durch dieses Buch bin ganz unvermutet in meiner Arbeit sehr gefördert, indem es vor und rückwärts weist und indem es begränzt zugleich leitet und führt." Schiller war es um den ungehemmten epischen Fortgang zu thun, doch erkannte er die innere Bedeutsamkeit der Bekenntnisse sehr wol. In naivster Weise schreibt Zelter an Göthe: „Bei der ersten Ansicht des Buches hat mich dies lange Kapitel erschreckt und ich konnte mich nicht gleich hineinbringen, weil die Begierde gespannt war; nachdem ich es allein las, merkte ich wol und jezt begreife ich,

daß es in der Reihe der aufgeführten Weltdinge und Charak

ter ganz wol Plaß hat und hingehört. Man muß kein Herrnhutischer Bruder werden wollen, wer es aber ist muß es sein, wie ein Baum ein Baum, ein Stein ein Stein ist“*).

Der organische Zusammenhang der Episode, die wie fie dasteht nur zufällig angeknüpft zu sein scheint, ergibt sich ohne Schwierigkeit. Nach außen hin, was die Handlung und die handelnden Personen des Romans betrifft, führen die Bekenntnisse Wilhelm aus der Bühnenwelt in den neuen Kreis Lothario's hinüber, mit deffen Familiengliedern sie uns vorweg bekannt machen, in dem sie zugleich rückwärts nach dem Schloße zurückdeuten, wo die schöne Gräfin und ihr Gemal ebenfalls jenem bedeutenden Familienzirkel angehören. Ueberhaupt geben sie einen trefflichen Untergrund für die Lothariologe ab, deren praktische Marimen auf die eigentümliche Lebensanschauung des originalen Oheim's sich hinführen lassen. Denn dieser wunderbare, lebensklare und thätige Mann ist in den Lehrjahren die organisirende Centralkraft eines Gesellschaftskreises, wie das in den Wanderjahren der Oheim Hersilien's und die Tante Makarie ist.

Die innere gedankliche Notwendigkeit der Bekenntnisse läßt sich ferner dann erst erweisen, wenn man in die Idee dieser meisterhaften Composition selber eindringt. Daß es Göthe nicht in den Sinn kommen konnte, hier wie später in den Wanderjahren die Herrnhuterei als ein kirchliches Moment für sich ernstlich abzuschildern, um den stolbergischen Gelüsten feiner Zeit Genüge zu thun oder nur Fräulein von Kletten

*) Briefwechsel zwischen Göthe und Zelter I. 212.

berg ein Denkmal zu seßen, darf wol nicht weiter erinnert werden; daß aber der Herrnhutianismus in dem Fortgange des Romans seine berechtigte Stelle fand, ist wieder einer der bewundernswürdigen Kunstgriffe Göthe's. Denn halten wir den Grundgedanken der ganzen Dichtung fest, wonach doch der gesellschaftliche Mensch gefunden werden soll als die freie, harmonische Persönlichkeit, die sich mit Ihresgleichen zu einer schönen Gemeinschaft zusammenschließen soll, so haben wir die schon oben angedeutete Reihe von gesellschaftlichen Kreisen damit in Einklang zu bringen. Es sind dies aber immer solche Societäten, welche die Darstellung des Menschen zu ihrem innern Zweck haben. Das Theater und die Aristokratie lassen den Menschen künstlich scheinen, die Kirchengesellschaft aber sieht über den schönen Schein nach außen hinweg und will den religiösinnerlichen Menschen in seiner selischen Gottesbildlichkeit, in seiner geistlichen Plastik zur Erscheinung bringen. Hiefür aber eignet sich die herrnhutische Kirche vor allen andern; denn die Purifikation des Menschen beruht nach ihren hallischen Theorien auch auf einer gewissen stufenförmigen Kunst der Individualisirung, aber einer innerlich dramatischen Reinigung derfLeidenschaften, einem wolgefälligen Aufpuße der refignirten Seele vor dem Spiegel des Gottbewußtseins. Endlich, und was mir als das bei weitem Wichtigste erscheint, darf man nicht übersehen, daß der Herrnhutianismus eine Brüdergemeinde ist, der Begriff evangelischer › Gemeinschaft in der Liebe und im Glauben, in der Unterschiedlosigkeit vor der Idee Gottes, sich hier zuerst auf dem praktisch socialen Gebiete des gemeinschaftlichen Lebensgenußes und der industriösen Arbeitsverbrüderung zu realisiren strebt.

Nach dieser Ansicht von dem Zusammenhange des Göthe

schen, auf die sociale Pädagogik des Menschen gerichteten Planes, könnte es scheinen, als müßte nun Wilhelm Meister im Fortgange seiner Entwicklung seinen Durchgang auch durch die Herrnhuterei nehmen, wie er ihn durch das Theater und das conventionelle Leben der Aristokratie nahm. Indem der Aeußerlichkeit des schönen Scheines die Vertiefung des inwendigen Gemütes in sich selbst als ein weiteres sittliches Moment gegenübergestellt wird, macht Wilhelm allerdings die Anerfahrung desselben, ohne Herrnhuter zu werden. Was den religiösen Geist der Brüdergemeinde mit dem sich frei herausarbeitenden Bewußtsein Wilhelm's verknüpft sind die pädagogischen Momente der Selbstbeschränkung und der Selbsterkenntniß, endlich der Selbstbefreiung zur Individualität, welche sich aus der Tiefe des Gemütes erfaffen soll. Der Dichter mnßte aber die Individualistrung der menschlichen Natur in den mannigfaltigsten Lebenserscheinungen zur Anschauung bringen, und auch in fehlerhaften und einseitigen Richtungen der Gesellschaft aufweis sen, wenn er die wahrhafte sittliche Befreiung des ganzen Menschen schließlich vollenden wollte.. Die Brüdergemeinde ist nur als ein im Pietismus stehen gebliebner Ansaß zur schöneren Menschlichkeit zu betrachten; fie liegt zu der Entwicklung Wilhelm's teils in Parallele, teils im Gegensaße. Denn die Entsagung, welche für Wilhelm wahrhafter Weise nur Mittel sein kann, wird dort verkehrter Weise ascetischer Zweck; was hier heilsame und besonnene Pädagogik ist, verirrt sich dort zu einer selbstgefälligen Vernichtung aller edleren Sinnlichkeit des Menschen. Wenn der Humanismus den Menschen zum Weltbürger befähigt, vergeistigt ihn der Pietismus zum Himmelsbürger, macht ihn endlich gar nur zum Symbol,

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Es durfte aber in dem Systeme der humanen Bildung die Religion nicht ausgeschloffen bleiben, weil sie die tiefinnersten Saiten des Menschenlebens anschlägt und die Blüte des sittlichen Bewußtseins überhaupt ist. Wie der Mensch sich mit ihr abzufinden, wie er sich mit ihrem Geiste zu erfüllen habe, das zu zeigen durfte von einer Dichtung gefordert werden, welche das Menschliche in die klaren Regionen der höchsten Freiheit und eines ewigen Friedens mit sich und der Welt emporzuheben unternimmt; aber, wie sich erklären wird, ist der Ort, dies zu zeigen, nicht hier an dieser Stelle, sondern in den Wanderjahren. In den Bekenntniffen der schönen Seele ist die christliche Religion nur als das Element der bildnerischen Darstellung einer feinfasrigen und durchsichtigen Natur anzusehen, welche in ihm ihre selbstständige Persönlichkeit zur Geltung bringt; das Christentum in seinem Wesen, oder die Religion in ihrem Bezuge auf den ganzen Menschen überhaupt, darf hier noch nicht beansprucht werden. Schiller forderte daher von den Bekenntnissen mehr, als Göthe geben konnte. Er schreibt: So scheint mir die Materie doch zu schnell abgethan. Denn mir däucht, daß über das Eigenthümliche chriftlicher Religion und chriftlicher Religionsschwärmerey noch zu wenig gesagt sei; daß dasjenige, was diese Religion einer schönen Seele sein kann, oder vielmehr was eine schöne Seele daraus machen kann, noch nicht genug angedeutet sei. Ich finde in der christlichen Religion virtualiter die Anlage zu dem Höchsten und Edelsten, und die verschiedenen Erscheinungen derselben im Leben scheinen mir bloß deßwegen so widrig und abgeschmackt, weil sie verfehlte Darstellungen dieses Höchsten sind. Hält man sich an den eigentlichen Charakterzug des Christenthums,

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